Zum Erleben der Haftsituation von Kindern und Partnern Inhaftierter im Erwachsenenvollzug


Masterarbeit, 2013

95 Seiten, Note: 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract deutsch/englisch

1. Einleitung

2. Zum Strafvollzug
2.1 Ziele und Aufgaben des Strafvollzuges
2.2 Regelungen des StVollzG zum Empfang von Besuchern und der
Kommunikation mit der Außenwelt
2.3 Besonderheiten des Frauenvollzuges

3. Zur Lebenssituation inhaftierter Frauen und Männer
3.1 Inhaftierte Frauen
3.2 Inhaftierte Männer

4. Zum Erleben der Haftsituation von PartnerInnen Inhaftierte
4.1 Partnerinnen inhaftierter Männer
4.1.1 Forschungsstand im deutschen Sprachraum
4.1.2 Forschungsstand im anglo-amerikanischen Sprachraum
4.2 Auswirkungen durch Abwesenheit des Partners
4.2.1 Psychische Belastungen
4.2.2 Auswirkungen auf die Partnerschaft
4.3 Partner inhaftierter Frauen

5. Zum Erleben der Haftsituation von Kindern inhaftierter Eltern
5.1 Zur Eltern-Kind-Beziehung
5.2 Rechte der Kinder
5.3 Zur „Coping Studie“ (Children of Prisoners, Interventions and
Mitigations to Strengthen Mental Health)
5.3.1 Ergebnisse aus der Studie anhand qualitativer
Interviews mit Kindern Inhaftierter
5.3.1.1 Resilienzfaktoren
5.3.1.2 Bewältigungsstrategien
5.3.1.3 Stigmatisierungsprozesse
5.3.1.4 Psychische und physische Gesundheit
5.3.2 Hilfsangebote der Justizvollzugsanstalten und Gemeinden
5.3.3 Handlungsempfehlungen
5.4 Zur Bedeutung der Auswirkungen durch Trennung vom inhaftierten Elternteil

6. Mutter und Kind Einrichtungen im Strafvollzug
6.1 Zur Lebenssituation von Müttern und Kindern im Mutter
und Kind Strafvollzug
6.1.1 Vollzugsgestaltung in Mutter und Kind Einrichtungen S. 60-62
6.1.2 Entwicklung der Kinder im Strafvollzug
6.2 Behandlungsbedürfnisse inhaftierter Mütter

7. Aktuelle Hilfsangebote für Kinder und Angehörige Inhaftierter
7.1 Ambulante Hilfen für Kinder und Angehörige Inhaftierter
am Beispiel der Anlaufstelle „Freiräume“ in Bielefeld und
„Kid-Mobil“ in Berlin
7.2 Unterstützungsangebote für Kinder und Angehörige im Gefängnis
am Beispiel der JVA Bützow
7.3 Das Familienhaus „Engelsborg“ in Dänemark

8. Ableitungen für die Praxis

9. Fazit

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bieganski, J. /Stubican, D. (2013), Situation von Partnerinnen von Inhaftierten, In: Bayerische Sozialnachrichten, 1/2013,

Abbildung 2: Urban, M./Bieganski, J./Starke, S. (2012), „Coping-Studie“, WP2 Country Report, Germany, S.16 (Table 8), (unveröffentlichtes Manuskript)

Abbildung 3: Urban, M. /Bieganski, J. /Starke, S. (2012), „Coping Studie“ WPS, Country Report, Germany, S. 17-18 (Table 9), (unveröffentlichtes Manuskript)

Anhang: Urban, M., Bieganski, J., Starke, S., (2012), WP2 Country Report, Germany, unveröffentlichtes Manuskript der „Coping Studie“

Abstract

Angehörige und Kinder von Inhaftierten wurden bislang kaum öffentlich wahrgenommen. Die Auswirkungen einer Inhaftierung wirken jedoch sehr vielfältig auf Familienmitglieder. Zum einen bricht in den meisten Fällen eine Finanzierungsgrundlage weg, zum anderen müssen sich Partner und Kinder mit vielen Formen von psychischen Belastungen auseinandersetzen. Die Anforderungen an den nicht-inhaftierten Partner sind sehr hoch, vor allem wenn Kinder zu der Familie gehören. Da es meist plötzlich zu einer Inhaftierung kommt, bleibt keine Zeit, sich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Am Meisten leiden die Kinder unter der schwierigen Situation. Kleine Kinder können zum Teil gar nicht verstehen, was passiert ist und größere Kinder bekommen aufgrund von Scham und Ängsten psychische Probleme, so dass professionelle Hilfe angeboten werden muss. Ein weiterer Punkt ist die Aufnahme von Müttern mit ihren Kindern in Mutter-und-Kind-Heimen im Strafvollzug. Die besondere Situation stellt sich als schwierig und hoffnungsvoll zugleich dar, da eine Trennung von Mutter und Kind gerade in den ersten Jahren vermieden werden sollte. In der vorliegenden Arbeit werden die Auswirkungen einer Inhaftierung auf die Partner und Kinder des Inhaftierten dargestellt, sowie auch auf den Gefangenen selbst. Es erfolgt ein Überblick über eine Auswahl an Hilfsangeboten sowie das Hafterleben von Kindern und ihren Müttern im Strafvollzug.

Members and children of prisoners were up to now little-noticed by the general public. The impact of imprisonment act differently on the members and children of prisoners. On the one hand the families now have a funding gap, and on the other hand the mates of prisoners and their children have to deal with mental stresses and strains. The requirements to the non-imprisoned mate are very high, especially when there are children in the family. The imprisonment happens usually abrupt, so that there is no time to prepare for the situation. Most of the children suffer. Little children can´t understand why mum or dad didn´t come home. Older children have to live with the shame or fear, that somebody could speak worse things or laugh about them. Important is here the professional help for children and mates of prisoners, and the prisoners themselves to give a safe family life between and after the arrest. The purpose of this work was to illustrate the impact of parental imprisonment on children and the impact on mates, as well as some help organizations for members of prisoners. Another important point is the accommodation from children and their mothers in homebounds. Their situation is special, because on the one hand it can be difficult to have children in a prison, on the other hand a separation should be avoided, because it is not good for little children to grow up without their mothers. Children and mates of prisoners should have a lobby in the general public for a better understanding of their situation so that many help offers will be developed to make the situation endurable.

1. Einleitung

Die Gruppe der Angehörigen und Kinder Inhaftierter wird sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch im Strafvollzug als nicht ernst zu nehmende Zielgruppe kaum zur Kenntnis genommen (Heberling, 2012, S.8), obwohl die Betroffenen mit weitreichenden Konsequenzen durch die Inhaftierung zu kämpfen haben. Da es meistens Frauen sind, die von der Inhaftierung ihres Partners betroffen sind (95% sind Männer), stehen sie plötzlich allein da und müssen mit weniger finanziellen Mitteln ihren und den Alltag ihrer Kinder bestreiten. Zudem sind sie häufig Stigmatisierungsprozessen ausgesetzt. Durch die Belastung, plötzlich allein zu sein, sehen sie sich vielfachen Hürden ausgesetzt, die sich in psychischen Erkrankungen äußern können (Bieganski/Stubican, 2013, S.11).

Es sind etwa eine halbe Million Menschen in Deutschland von der Inhaftierung eines Angehörigen und dessen familienfeindlichen Folgen betroffen. Den höchsten Preis zahlen die Kinder (IfS, 1/2012, S. 12). Nach aktuellen Berechnungen der Universität Dresden sind in Deutschland ca. 100.000 Kinder und Jugendliche von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen (Ebd.).

Wie Bieganski und Stubican (2013, S.11) feststellen befinden sich die Kinder in einer schwierigen Lage, wenn ein Elternteil inhaftiert ist. Sie erleben möglicherweise eine überlastete Mutter (in selteneren Fällen auch Väter), sie müssen sich mit Ausgrenzungen auseinandersetzen und können je nach Alter gar nicht nachvollziehen, warum Papa oder Mama nicht mehr zu Hause wohnt. Es entsteht eine Lebenssituation, in der Kinder und Jugendliche besonders verletzlich sind. Dies hat zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, möglicherweise mit traumatischen Folgen, die sich in Ärger und Wut ausdrücken können. Die Veränderung, die die Inhaftierung mit sich bringt, löst Ängste und Verunsicherungen aus. Die Familien müssen sich mit Stigmatisierungsprozessen, finanziellen Einschränkungen und einer veränderten Rollenverteilung innerhalb des Familiensystems auseinandersetzen (Kern, 2012, S.21).

Da auf diesem Gebiet nicht ausreichend repräsentative Forschungsergebnisse vorliegen, wäre es wünschenswert, die Zielgruppe der Angehörigen und Kinder von Inhaftierten mehr in den Fokus der Wissenschaft zu lenken, um Politik, Strafvollzug und die Gesellschaft aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen von Kindern und Angehörigen Inhaftierter zu machen. Eine empirische Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit war aus Zeitgründen leider nicht möglich. Jedoch ist es Ziel dieser Arbeit, die Auswirkungen der Inhaftierung eines Elternteils bzw. des Partners oder Partnerin darzustellen, um deutlich zu machen, dass die benannte Zielgruppe nicht allein gelassen werden darf und dringend mehr Hilfsangebote sowohl im Strafvollzug als auch ambulant angeboten werden müssen. Es soll deutlich werden, dass diese vergessene Gruppe in den Fokus des Interesses rücken muss, um nachhaltig etwas an der Situation der Kinder und Angehörigen zu ändern.

In der Studie: „Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. Analyse und Hilfeplanung“, die im Auftrag der Bundesregierung zwischen 1980 und 1984 durchgeführt wurde, bezeichnen Busch et al. Familien, die durch die Inhaftierung des Mannes betroffen sind, als„mitbestrafte Dritte“(Busch et al, 1987, S.88). Die Familie gerät in eine extrem belastende Situation, die vielfältige psychische, ökonomische und soziale Probleme mit sich bringt. Zusätzlich wird ein regelmäßiger Kontakt durch die Vollzugsbedingungen beschränkt.

Dorothea Korb weist daraufhin, dass:

zu jedem Menschen, der inhaftiert ist, auch eine Familie gehört und dass inhaftierte Männer und Frauen Väter und Mütter von Kindern sind“ (IfS, 3/2012, S.4).

Für die Kinder Inhaftierter stellt sich die Situation besonders schwierig dar, obwohl die Kinder ein Recht darauf haben sollten einen regelmäßigen Kontakt zu ihrem inhaftierten Elternteil zu haben. Der UN- Ausschuss fordert mehr Rechte für Kinder Inhaftierter, welches den Empfehlungen der BAG-S aus ihrem Papier „Family Mainstreaming“ entspricht (BAG-S: UN- Ausschuss fordert mehr Rechte für Kinder inhaftierter Eltern, S.1). Die Rechte der Kinder finden sich sehr umfassend in der UN- Kinderrechtskonvention (UN-KRK).

Aufgrund des unzureichenden Wissens über die Auswirkungen der Haft auf die Kinder von Inhaftierten ist von 2010 bis 2012 das EU- geförderte Forschungsprojekt Coping (Children of Prisoners, Interventions and Mitigations to Strengthen Mental Health) – übersetzt heißt dies: „Kinder von Strafgefangenen- Maßnahmen und Entlastungen zur Stärkung der psychischen Gesundheit“, durchgeführt worden. Die Schwerpunkte lagen auf der Untersuchung des physischen, psychischen und seelischen Gesundheitszustandes betroffener Kinder, der Identifizierung ihres speziellen Hilfebedarfs und der Erhebung der aktuellen Versorgungssituation[1]. Auf die Ergebnisse und Empfehlungen soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit eingegangen werden.

Heberling (2012, S.8) weist darauf hin, dass etwa zwei Drittel der männlichen Inhaftierten Familienväter sind. Der Anteil inhaftierter Frauen fällt gering aus, jedoch besteht hier eine spezielle Problematik, denn eine Trennung von Mutter und Kind sollte weitestgehend vermieden werden. Es gibt Haftanstalten, in denen die Unterbringung von Mutter und Kind möglich ist. Ist es der Mutter oder dem anderen Elternteil nicht möglich, die Betreuung des Kindes zu übernehmen, erfolgt eine externe Unterbringung in Heimen oder Pflegeeinrichtungen. Der Kontakt zwischen Mutter und Kind wird erheblich erschwert bis unmöglich gemacht.

Anhand der Vollzugsbedingungen, die einen Anteil am Hafterleben haben, sowie das Erleben der Inhaftierten soll zu Beginn der vorliegenden Arbeit ein Überblick gegeben werden, unter welchen Umständen Gefangene leben und wie sie dies empfinden, da dies Auswirkungen auf die Kontakte zu Partnern und Kindern hat. Im Weiteren folgt eine Zusammenfassung über vorhandene Forschungsergebnisse und die daraus resultierenden Ableitungen. Dargestellt werden die psychischen Belastungen von Partnern und Kindern Inhaftierter, sowie die besondere Situation der Mutter- und Kind- Einrichtungen im Strafvollzug. Abschließend erfolgen eine Darstellung ausgewählter Hilfsangebote, sowie ein Einblick in ein spezielles Hilfeangebot in Dänemark.

Wird im Folgenden der Begriff „Gefangene“ oder „ Inhaftierte“ verwendet, sind sowohl die weiblichen als auch die männlichen Gefangenen gemeint, sowie auch der Begriff „Partner“ beide Geschlechter bezeichnet. Der Begriff „Kinder“ bezieht auch die Jugendlichen mit ein, da es hier um das Verwandtschaftsverhältnis geht und nicht um die gesetzliche Einteilung.

Bedanken möchte ich mich bei Justyna Bieganski, Projektleiterin Coping, Treffpunkt e.V., die mir freundlicherweise die englische Version der gesamten Studie „ Coping- Children of Prisoners, Interventions and Mitigations to Strengthen Mental Health“ zur Verfügung gestellt hat, ohne die ein wichtiger Bestandteil der vorliegenden Arbeit gefehlt hätte.

2. Zum Strafvollzug

Gefängnisse gab es nicht immer. Im Mittelalter gab es die Körperstrafen in verschiedener Form, die oft grausam waren und in der Öffentlichkeit vollzogen wurden, um das Volk abzuschrecken (Töndury-Wey, 1970, S.23ff). Ab dem 16. Jahrhundert wurde nach und nach die Freiheitsstrafe als häufigste Strafe für schwere Delikte eingeführt, und ab dem 19. Jahrhundert wurde sie allgemein zur wichtigsten Strafe erhoben (Schultz, 1982, S.26).

Foucault schreibt 1977:

„Das Gefängnis kann gar nicht anders, als Delinquenten zu fabrizieren. Es tut das durch die Existenzweise, die es den Häftlingen aufzwingt. Ob man sie in Zellen isoliert oder zu einer unnützen Arbeit anhält, für die sie keine Anstellung bekommen werden- auf jeden Fall wird dabei „nicht an den Menschen in der Gesellschaft gedacht; es wird eine widernatürliche und gefährliche Existenz geschaffen“. Man will, dass das Gefängnis die Häftlinge erzieht; aber kann ein Erziehungssystem, das sich an den Menschen wendet, vernünftigerweise zum Ziel haben, gegen den Wunsch der Natur zu handeln?“(Foucault, Überwachen und Strafen,1977, S.342).

Kritisch stellt Foucault hier die totale Institution Gefängnis dar. Da der Gefangene zusammen mit anderen Inhaftieren innerhalb der Gefängnismauern lernen soll, sich in die Gesellschaft, ohne das Begehen von Straftaten, zu integrieren.

Marie Boehlen (2000, S.19), die sich in ihrem Buch mit Frauen im Gefängnis befasst, behauptet, dass sich frühere wissenschaftliche Forschungen eher mit der Strafrechtsdogmatik (Lehre vom Strafrecht) befassten, jedoch mittlerweile mehr auf dem Gebiet der Kriminologie geforscht wird, die sich u.a. mit den Auswirkungen des Strafvollzuges befasst. Der Täter als Gefangener, sein Werdegang und sein späteres Lebensschicksal blieb lange Zeit unbeleuchtet, da vermehrt auf dem Gebiet der Ursachen und Auswirkungen strafbaren Handelns geforscht wurde. Doch gerade hier sollte das Hauptinteresse liegen, da so die Wirksamkeit und Auswirkungen des Strafvollzuges auf den Gefangenen und auf seine Angehörigen erkannt und präventive Maßnahmen eingeleitet werden können. Die gesammelten Erkenntnisse können dann zu einer erfolgreichen Resozialisierung beitragen, die wiederum auch der Familie des Straftäters zu Gute kommt.

2.1 Ziele und Aufgaben des Strafvollzugs

Am 31.3. 2012 waren in Deutschland insgesamt 58073 Personen inhaftiert. Davon 54765 männliche Inhaftierte und 3308 weibliche Inhaftierte (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 4.1, 2012). Im Strafvollzugsgesetz (StVollzG) heißt es:

„Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“(§2 Abs.1 StVollzG).

Jedoch wird so das alleinige Resozialisierungsziel vom „Schutzzweck des Vollzugs“ eingeschränkt (Walter, 1999, S.366), so dass in der Praxis oftmals ein Konflikt besteht, zwischen dem gesetzlich verankerten Vollzugsziel, dem Resozialisierungsanspruch und der Vollzugsaufgabe Sicherheit und Ordnung (Heberling, 2012, S.8). Der Gesetzgeber hat zur Ausgestaltung der Haft drei Grundsätze formuliert:

¾Angleichungsgrundsatz:Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich angeglichen werden (§3 Abs. 1 StVollzG), d.h., der Strafvollzug sollte bei der Angleichung der Lebensverhältnisse die familiären Interessen fördern (Götte, 2000, S. 216).

¾Gegenwirkungsgrundsatz:Den schädlichen Folgen der Haft ist entgegenzuwirken (§2 Abs.1 StVollzG).

Da der Ehe- und Familienschutz die Strafvollzugsbehörden verpflichtet, die Belange aller Familienmitglieder zu berücksichtigen, ist der Gegenwirkungsgrundsatz auch auf die Kinder und Ehepartner der Inhaftierten zu beziehen, deren Belastungen ebenfalls zu den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges zu zählen sind“ (Ebd.).

¾Eingliederungsgrundsatz: Dem Gefangenen ist dabei zu helfen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern (§2 Abs. 2 StVollzG). In §3 Abs. 3 StVollzG ist außerdem die Pflicht zur Förderung der familiären Integration festgelegt, die den Inhaftierten dabei helfen soll, seine familiären Aufgaben sowohl im materiell wirtschaftlichen als auch im immateriell persönlichen Sinn zu erfüllen (Ebd.).

Hier werden Möglichkeiten zur Resozialisierung aufgezeigt, die die Strafe auf den Freiheitsentzug begrenzen. Allerdings tragen die Haftbedingungen eher dazu bei, dass dieses Isolierungsideal kaum erreicht werden kann, sondern eher ein Leben mit der Ausübung von Straftaten begünstigen. Der Gegenwirkungsgrundsatz soll dazu beitragen, ein Minimum an Zielverwirklichung zu erreichen (Walter, 1999, S.366).

2.2 Regelungen des StVollzG zum Empfang von Besuchern und der Kommunikation mit der Außenwelt

Mit Strafantritt wird der Verurteilte aus seinem bisherigen sozialen Umfeld herausgerissen und soll nun in einem künstlichen sozialen Gebilde mit anderen Straftätern zusammen, durch den Entzug der Freiheit lernen, ein verantwortliches Leben in Freiheit ohne weitere deliktische Handlungen (§ 2 S. 1 StVollzG) zu führen. Hier wird das Dilemma des Behandlungsvollzuges sehr deutlich (Laubenthal, 2003, S.504).

Der Inhaftierte lernt die notwendigen Verhaltensweisen, die er für ein verantwortungsvolles Leben in der Gesellschaft braucht, nur durch Kontakte mit Personen außerhalb der Gefängnismauern (Ebd.).

Die Kontakte nach „ draußen“ ergeben sich aus der Grundforderung nach einem humanen und menschenwürdigen Strafvollzug (Müller-Dietz, 1978, S.131). Den sozialen Kontakten kommen folgende Aufgaben zu:

¾Die sozialen Kontakte dienen einer partiellen Angleichung des Daseins innerhalb der Anstalt an die allgemeinen Lebensverhältnisse. Der auf Kommunikation mit anderen angelegte und angewiesene Mensch erhält so die Möglichkeit, bestehende Beziehungen aufrechtzuerhalten. Dies gilt insbesondere für diejenigen zum (Ehe-) Partner und zu denjenigen Familienangehörigen, die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stehen[…].

¾Kommunikation mit der Außenwelt soll schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenwirken. Dies betrifft nicht nur Gefahren einer Entfremdung von Bezugspersonen und Angehörigen. Der Aufenthalt in der Institution bewirkt auch eine mit der Strafdauer zunehmende Entfremdung vom Leben in Freiheit an sich. [..] Durch Umweltkontakte nimmt der Inhaftierte am sozialen Geschehen teil. Sie bewahren ihn vor einem Verkümmern der Kommunikationsfähigkeit (Baumann/Maetze/Mey, 1983, S.144).

Laubenthal (2003, S. 506ff) erläutert, dass gemäß § 24 Abs. 1 StVollzG Gefangene einen Anspruch auf Besuche (nach Verwaltungsvorschriften [VV] Nr.1 zu § 24) haben, aber keine Pflicht zu entsprechenden Kontakten, wobei das Gesetz den Personenkreis der möglichen Besucher nicht beschränkt. Es sieht nach § 24 Abs. 2 StVollzG eine Mindestbesuchsdauer von einer Stunde im Monat vor. Die Anstaltsleitung soll jedoch auch darüber hinaus Besucher gestatten, wenn dies der Behandlung oder Reintegration des Gefangenen förderlich erscheint. Hierunter fallen vor allem Bezugspersonen des Inhaftierten (Schwind/Böhm, 1999, 3 § 24 Rdn. 14). Persönliche Kontakte bilden gerade für Gefangene im geschlossenen Vollzug [2] die einzige Möglichkeit zu unmittelbarer Kommunikation mit Personen ihres früheren und zukünftigen Lebens (Laubentahl, 2003, S. 507).

Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG ist es deshalb zulässig, verheiratete Inhaftierte bei der Gewährung von Besuchszeiten zu bevorzugen (OLG Dresden, Neue Zeitschrift für Strafrecht, 1998, S.159).

Durch Art. 2 Abs. 1 GG (Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung) benennt das Gesetz folgende Kommunikationsformen:

¾ Empfang von Besuchen (§§ 24ff. StVollzG),

¾ Schriftwechsel (§§ 28ff. StVollzG),

¾ Ferngespräche und Telegramme (§ 32 StVollzG),

¾ Paketempfang (§33 StVollzG).

Einschränkungen ergeben sich möglicherweise durch die Regelungen der Sicherheit und Ordnung einer Anstalt (§§25 Nr. 1, 27 Abs.1, 28 Abs.2 Nr.1, 29 Abs. 3, 31 Abs. 1 Nr.1 StVollzG). Dies gilt auch, wenn durch Kontakte der Erfolg einer Behandlung oder seine Eingliederung gefährdet sein könnte (§§25 Nr. 2, 27 Abs. 1, 28 Abs.2 Nr.2, 29 Abs. 3, 31 Abs. 1 Nr.1 StVollzG) (Laubenthal, 2003, S.486).

Leider sieht die Realität oftmals anders aus, wie Ingrid Frank (2004, S.20) in ihrem Buch „Mitgefangen- Hilfe für Angehörige von Inhaftierten“ berichtet. Zwar steht in der Strafvollzugsordnung, dass familiäre Bindungen zu unterstützen sind, doch scheitern oft die Möglichkeiten zur Kommunikation. So sind z. B. die Telefonleitungen belegt, oder der Beamte, der die Anrufe entgegennimmt, ist nicht an seinem Platz. Soll etwas ausgerichtet werden, wird dies vergessen. Besucher, die zu spät kommen, werden nicht mehr in die Vollzugsanstalt hineingelassen. Zusätzlich zu der eher unfreundlichen Atmosphäre einer Justizvollzugsanstalt und der geringen Besuchszeiten, erschweren solche Begebenheiten natürlich den regelmäßigen, wichtigen Kontakt zwischen Inhaftiertem und Familie, so dass wichtige Besprechungen auf den nächsten Besuchstermin verschoben werden müssen. Doch möglicherweise ist es dann zu spät und Entscheidungen müssen vom Partner allein getroffen werden.

2.3 Besonderheiten des Frauenvollzuges

In der Kriminologie war der Strafvollzug an Frauen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene lange Zeit aufgrund der geringen Inhaftiertenzahlen ein Randphänomen (Zolondek, 2007, S.153-168). Nach Haverkamp (2009, S.227) machen in Deutschland Frauen nur etwa ein Viertel aller Strafverdächtigen aus. Im Laufe des gesamten Strafverfahrens geht der Anteil auf 5% zurück, welches mit der geringen Deliktschwere weiblicher Kriminalität zu erklären ist, so dass Frauen mehr kurze Freiheitsstrafen verbüßen als Männer. Bei Haftstrafen unter einem Jahr wird sogar auf die Erstellung eines Vollzugsplans verzichtet. Dies wird durch die fehlende Effektivität von Resozialisierungsmaßnahmen für einen kurzen Zeitraum erklärt.

Die geringe Anzahl und die kurzen Haftzeiten von weiblichen Inhaftierten sorgen für strukturelle Probleme (vgl. Maelicke, 1995, S.90f.). Vielfach werden Frauen in große Frauenabteilungen oder Frauenanstalten eingewiesen. Zurzeit gibt es acht große Frauenanstalten in der Bundesrepublik: Aichach mit einer Männerabteilung (Bayern), Berlin, Frankfurt a.M. III (Hessen), Schwäbisch-Gmünd (Baden Württemberg), Vechta (Niedersachsen) und Willich II (Nordrhein-Westfalen), mit 93 Plätzen (http://prisonportal.informatik.uni-bremen.de.). Für die ca. 60 Kinder, die jährlich in Haft geboren werden, reichen die Plätze jedoch nicht aus. Zudem ist es wichtig, regelmäßige Besuchszeiten für die Aufrechterhaltung der Mutter-Kind-Beziehung einzurichten, wenn das Kind extern untergebracht ist (Neue Caritas 14/2009 S.3). Öfter kommt es zu einer heimatfernen Unterbringung, die die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Familien und Freunden zusätzlich erschwert (Haverkamp, 2009, S.228), da eine Anfahrtszeit bis zu mehreren Stunden die Folge sein kann. Nicht jede Pflegestelle oder Familie ist bereit, diese zeitliche und teilweise kostenintensive Hürde auf sich zu nehmen, so dass der Kontakt abbricht. Aber auch bei Besuchen führt oft eine nicht kindgerechte Abwicklung der Begegnung zwischen Mutter und Kind und die Ausgestaltung des Besuchsraumes zu beidseitigem Stress. Auch dies kann dazu führen, dass Kontakte früher oder später abbrechen. Aus der Praxis wird berichtet, dass viele Mütter die Familienkontakte nach der Haftverbüßung nicht mehr aufnehmen (Neue Caritas, 14/2009 S.3). Der Vorteil von dezentralen kleinen Frauenabteilungen läge in der Heimatnähe, da Frauen oft erheblich unter der Trennung von Kindern und Angehörigen leiden (AG Frauenvollzug, 2009, S.244).

Gabriele Scheffler, ehemalige Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S), wirft die Frage auf, ob diese

„unzureichende Berücksichtigung der Aufrechterhaltung des familiären Kontakts zwischen Eltern und Kindern vereinbar ist mit Artikel 6 Grundgesetz, demzufolge Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Obhut stehen“(Scheffler, 2009, S.47).

Eine frauenspezifische Besonderheit stellt die Einrichtung von Mutter- und Kind- Einrichtungen dar, wie es sie in sieben Bundesländern im geschlossenen oder offenen Vollzug gibt (Niedersachsen, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen, Baden Württemberg und Bayern) (Ebd.).

Franzke (2001, S.380) stellt fest, dass vor allem im Frauenvollzug beträchtliche Defizite in allen Bereichen der Vollzugsgestaltung festgestellt werden, da Quantität und Qualität der Maßnahmen im Bildungs- und Arbeitsbereich bemängelt werden. Typische Frauenberufe, wie Schneiderin oder Friseurin, werden im Niedriglohnbereich oder ohne Perspektive angeboten und aktuelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ignoriert. Wie im Männervollzug stellt Arbeitslosigkeit auch im Frauenvollzug, insbesondere für die Frauen mit kurzen Haftzeiten, ein Problem dar (Haverkamp, 2009, S.228).

Im Vergleich zum Männervollzug gibt es unter den Frauen mehr Drogenabhängige. Laut Studien sind etwa die Hälfte der Frauen, aber nur ca. ein Drittel der Männer drogenabhängig (vgl. Koch/Suhling, 2005, S.93ff.).

Anders als bei den Männern nehmen die Familie und soziale Beziehungen bei den Frauen einen höheren Stellenwert ein. Studien zufolge ist über die Hälfte der weiblichen Gefangenen Mutter und zudem oft alleinerziehend (Dünkel/Westermann/Zolondek, 2005, S.7). Eine Inhaftierung bedeutet für die Frauen einen Bruch mit ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle der Frau. Zudem besitzen Frauen häufiger einen schlechteren Schulabschluss als die männlichen Inhaftierten, so dass die Gefahr nach der Haftentlassung besteht, keine Arbeit zu bekommen, und so wieder in prekäre Lebenslagen abzurutschen (Haverkamp, 2009, S.229).

Eigenständige Frauenvollzugsanstalten haben den Vorteil, dass sie mit weniger Sicherheitsvorkehrungen auskommen und sich mehr auf die spezifischen Problemlagen der Frauen konzentrieren können, z.B. kann die sozialpsychologische Begleitung des Weges in die Freiheit und in das eigenständige Leben genauer auf die besondere Lage von Frauen in unserer Gesellschaft abgestimmt werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Lösung aus Gewalt- und Abhängigkeitsbeziehungen, in denen sich Frauen häufig befinden, sowie der Erwerb von Selbständigkeit und Eigenverantwortung (AG Frauenvollzug, 2009, S.244).

Die evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge, AG Frauenvollzug, regte 2008 folgende Punkte für eigene Regeln des Frauenvollzuges an, denn er dürfe nicht als Anhang des Männervollzuges wahrgenommen werden:

¾Um“ künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“ (§2 StVollzG) bedarf es spezifischer Behandlungsangebote. Dabei muss im Frauenvollzug die besondere frauenspezifische Perspektive wahrgenommen werden. Folgende Bereiche sind wichtig:

¾Angebote zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung im Hinblick auf Defizite im Bereich des Selbstwertgefühls und der Selbstachtung;

¾Externe therapeutische Angebote zur Bearbeitung und Bewältigung von Missbrauchs- und Gewalterfahrungen;

¾Ausbau von Suchttherapien und Suchtprophylaxen;

¾Frauenspezifisches Antiaggressionstraining;

¾Ausreichend sozialtherapeutische Einrichtungen für Frauen;

¾Gestaltung des Vollzugsalltages als Einübung der Emanzipation von abhängigem Beziehungsverhalten;

¾Niederschwellige Fortbildungsangebote für junge Frauen (Sexualkunde, Frauenrollen);

¾Gesonderte Angebote für Rentnerinnen;

¾Angebote auf Frauen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund zuschneiden;

¾Qualifizierte Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsangebote, die über die bisherigen für Frauen typischen Beschäftigungsfelder hinausgehen;

¾Lockerungen müssen frühzeitig beginnen; qualifizierte Entlassungsvorbereitungen und Nachsorge durch externe Träger sind auszubauen.

¾Der Vollzug ist der besonderen Problematik von Frauen mit psychischen Erkrankungen strukturell nicht gewachsen, von daher sind andere Lösungen zu suchen.

¾Für schwangere Frauen ist Haft möglichst zu vermeiden.

¾Das Gewaltpotential von Frauen ist deutlich geringer als das von Männern. Diesem Umstand muss der Sicherheitsstandard im Frauenvollzug Rechnung tragen.

¾Der Regelvollzug sollte der offene Vollzug sein (§10 StVollzG)

¾Das Leben im geschlossenen Vollzug „sollte den allgemeinen Lebensbedingungen so weit als möglich angeglichen werden“ (§3 Abs.1 StVollzG.)

¾Frauen nehmen häufig eine besondere Beziehungsverantwortung in den Familien und ihrem sozialen Umfeld wahr. Insbesondere gilt dies für Mütter minderjähriger Kinder und für inhaftierte Frauen mit alten, teils kranken und pflegebedürftigen Eltern. Frauenspezifische Behandlungskonzepte können hier anknüpfen. Notwendig sind dazu großzügige Telefonatsmöglichkeiten, sowie längere Besuchszeiten und Familienbesuche.

¾Dem Bedürfnis nach Kommunikation und emotionaler Zuwendung, und den darin liegenden Resozialisierungschancen ist durch Wohngruppenvollzug, lange Aufschlusszeiten und Begegnungsmöglichkeiten mit Ehrenamtlichen Rechnung zu tragen.

¾Aufgrund der geringen Gefangenenzahlen muss eine länderübergreifende Nutzung und Vernetzung der oben genannten frauenspezifischen Angebote stattfinden.

¾Speziell aus- und fortgebildetes Personal ist für die Belange des Frauenvollzuges erforderlich (AG Frauenvollzug, 2008).

Im Umkehrschluss heißt dies, dass ein humanerer Strafvollzug nicht nur den Gefangenen zu Gute kommt, sondern auch den Angehörigen und vor allem den Kindern. Da die meisten Inhaftierten aus sozial schwachen Familien stammen, ist insbesondere der Vollzug der Freiheitsstrafe für Frauen in nicht heimatnahen Justizvollzugsanstalten eine große Hürde, da sie sehr unter der Trennung von ihren Angehörigen und Kindern leiden. Doch auch andersherum gesehen ergeben sich die gleichen Schwierigkeiten, bedingt durch die womöglich lange (teure) Anreise für einen sehr kurzen Zeitraum und die nicht kindgerechten Besuchsräume (IfS,1/2012, S.12) welche zusätzlich zu einer Verunsicherung der Kinder und zu ihrem Unwohlsein beitragen können, so dass eventuell die Besuche irgendwann ganz eingestellt werden. Die Forderungen der „AG Frauenvollzug“ treffen den Kern der Bedürfnisse von Frauen (mit Kindern) im Kontext des Vollzuges sehr genau, geht es ja auch darum, die Frauen zu einem eigenständigen Leben zu befähigen, Selbstbewusstsein zu erlangen und sich selbst zu schätzen. Ohne diese Fähigkeiten ist an eine gelingende Resozialisierung mit oder ohne Familie kaum zu denken.

3. Zum Hafterleben inhaftierter Frauen und Männer

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über das Erleben der Haft von Frauen und Männern erfolgen, da sich dies sich auch auf die Angehörigen und Kinder auswirkt.

3.1 Inhaftierte Frauen

Die Unterbringung, Ernährung, medizinische Versorgung, Kontaktmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern, sowie die Freizeitgestaltung, bestimmen den Alltag von weiblichen Gefangenen und machen einen Großteil ihres Wohlbefindens aus (Zolondek, 2007, S.188). Auch bei den männlichen Gefangenen sind diese Bedingungen wichtig, jedoch nehmen sie möglicherweise einen anderen Stellenwert ein als bei den weiblichen Inhaftierten.

Desweiteren stellt Zolondek fest, dass das deutsche Strafvollzugsgesetz nur wenig rechtliche Vorgaben zur Unterbringung in der Haftanstalt macht. Neben dem Gebot der Einzelunterbringung während der Ruhezeiten, gem. §18 StVollzG, wird bestimmt, dass der Gefangene seinen Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten darf (§19 I StVollzG) und von der Anstalt verpflegt wird.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ), wurde unter wissenschaftlicher Leitung des „Interdisziplinären Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung „der Universität Bielefeld von März 2002 bis September 2004 eine Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen mit dem Titel: “Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, durchgeführt. Zu der Untersuchung gehören eine repräsentative Hauptuntersuchung (bundesweit wurden 10264 Frauen befragt) (BMFSJ, 2004, S.13) und kleinere Zusatzbefragungen von türkischen und osteuropäischen Migrantinnen, Prostituierten, Asylbewerberinnen und inhaftierten Frauen (BMFSJ, 2004, S.10, 11). Die Untersuchung fand in mehreren nicht benannten Justizvollzugsanstalten statt. Unter anderem wurden Fragen bezüglich Gewalterfahrungen, Gesundheitszustand u.a. gestellt (Zolondek, 2007, S.10). Das Hauptinteresse der Teiluntersuchung lag in der vor und während der Haft erlebten psychischen, physischen und sexuellen Gewalt oder sexuellen Belästigung (Schröttle/Müller, 2004, S.10). Hier konnte festgestellt werden, dass die befragten Frauen bereits in hohem Maße Gewalt erlebt hatten. So hatten 92% Formen sexueller Belästigung, 89% psychische Gewalt, 91% körperliche Gewalt und 57 % sexuelle Gewalt erlebt [3]. Diese Werte waren im Vergleich mit der Hauptstudie (Durchschnittsbevölkerung) deutlich erhöht. Fast dreimal so häufig haben weibliche Inhaftierte körperliche, und vier- bis fünfmal so häufig sexuelle Gewalt seit dem 16. Lebensjahr erfahren. Die befragten Frauen waren deutlich höher als die Durchschnittsbevölkerung bezüglich der Schwere der Gewalt belastet. Von den Befragten, die körperliche Gewalt erlebt hatten, wurden 23% mit einer Waffe verletzt, 49% mit einer Waffe bedroht und 59% verprügelt. 72,3% der Frauen, die angaben, Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein, wurden vergewaltigt (Ebd.S.27f). Häufigste Tätergruppe sowohl bei der Ausübung von körperlicher als auch von sexueller Gewalt war der Partner oder der Ex-Partner (Ebd. S.33).

Wie in Kapitel 2.3 bereits beschrieben, wird aufgrund dieser Daten nochmal deutlich, wie wichtig eine spezifische Behandlung von Traumata und Gewalterfahrungen bei inhaftierten Frauen ist, da sich ihr schlechter Zustand während der Haft und möglicherweise auch danach negativ auf vorhandene Kinder auswirkt. Deshalb ist es wichtig, die Haftbedingungen speziell für Frauen zu gestalten, um auf ihre Problemlagen genauer eingehen zu können.

Im weiteren Verlauf der Studie wird das Leben in Haft beleuchtet. Auf einer Skala von eins (sehr sicher) bis sechs (überhaupt nicht sicher) wurden die Frauen nach ihrem Sicherheitsgefühl in der Justizvollzugsanstalt befragt. 21% gaben an, sich wenig oder überhaupt nicht sicher zu fühlen, 36% fühlten sich sicher oder sehr sicher und 43% hatten ein mittleres Sicherheitsgefühl (Ebd. S. 34f.).

Ein erhebliches Problem stellte die psychische Gewalt unter den Gefangenen dar, denn 58% hatten dies schon erlebt. Zudem wurde festgestellt, dass der gesundheitliche Zustand der weiblichen Gefangenen erheblich schlechter ist als der Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung in Deutschland, obwohl die Insassinnen im Durchschnitt deutlich jünger waren als die befragte Vergleichsgruppe (Ebd.S.43).

In der dargestellten Studie wird sehr deutlich, dass die Unterbringung, Versorgung und Behandlung von weiblichen Gefangenen in vielen Bereichen Defizite aufweist, die nicht zu einer erfolgreichen Resozialisierung beitragen und genauso wenig zu einer guten Bindung von Mutter und Kind, bedenkt man, dass ca. zwei Drittel Mütter sind. Die eigenen Probleme der Frauen wiegen oft so schwer, dass sie gar nicht in der Lage sein können, sich ohne Hilfe vernünftig um ihre Kinder zu kümmern. Desweiteren tragen die kurzen und seltenen Besuchszeiten, sowie die Entfernung zum Heimatort auch nicht dazu bei, Beziehungen zu pflegen. Dies ist ein Umstand, der nicht nur für den Gefangenen wichtig ist, sondern auch für Familienmitglieder und Freunde. Vor allem aber für die Kinder.

3.2 Inhaftierte Männer

Wie Horndasch (1999) berichtet müssen Männer sich mit dem Verlust der Selbstbestimmung, Gefühlen der Abhängigkeit und mit Gefühlen des Ausgeliefertseins auseinandersetzen. Meistens war der Mann vorher der Ernährer der Familie und nun hört er von Frau und Kind nur noch, was ihm in Briefen mitgeteilt wird oder das, was während der kurzen Besuchszeiten erzählt wird. Die Probleme, die die Inhaftierung mit sich bringt, müssen weitestgehend von der Familie selbst gelöst werden, denn unmittelbar helfen kann der Inhaftierte nicht. Macht- und Hilflosigkeit sowie Schuldgefühle begleiten seinen Alltag in Haft. Daraus können sich Ängste bezüglich der Weiterführung seiner Ehe oder Partnerschaft entwickeln, die durch Aufstachelung der Mitgefangenen noch verstärkt werden und ins unrealistische abdriften (Busch et al., 1987, S.414).

Durch den Freiheitsentzug muss der Mann einen zwanghaften sexuellen Entzug durchmachen, der ihn emotional sehr angreift. Hinzu kommt, dass der Inhaftierte glaubt, seine Partnerin „draußen“ wird ihm untreu, da auch sie sexuelle Bedürfnisse hat, ihre Möglichkeiten aber nicht so eingeschränkt sind wie die seinen. Die Studie von Busch et al., hat gezeigt:

„ wie schwer es den Männern fällt, zuzugeben dass, ihnen der Gedanke über das Sexualverhalten der Frau äußerste Sorge bereitet“ (Busch et al., 1987, S. 473).

Hieraus resultieren möglicherweise neue Ängste und Belastungen, die dazu führen können, dass der Gefangene während der Besuchszeiten der Partnerin Vorwürfe macht oder Behauptungen anstellt, die jeglicher Grundlage entbehren und so das Verhältnis zusätzlich belasten.

Kappenberg (1996, S.63) stellt die Haftsituation wie folgt dar: Sein Leben ist bestimmt durch die totale Institution

„mit vorgeschriebenen und geregelten Bahnen. [es bieten sich]…kaum Möglichleiten selbst zu gestalten und einzugreifen, kaum Wirkungsmöglichkeiten nach außen ,auf die Familie[]Inhaftierte werden oft unselbständig und untätig, resignieren, sie bauen Phantasiewelten auf, in die sie sich zurückziehen, und dergestalt greifen sie mit dieser unrealistischen Weltsicht nicht mehr oder kaum ein, gestalten nicht mehr mit“. (zitiert nach Horndasch , 2003, S.27).

Auch hier wird deutlich, dass die Auswirkungen der Inhaftierung auf den Gefangenen, sich auch auf die Angehörigen übertragen können, denn möglicherweise finden Partnerinnen oder Kinder nach gewisser Zeit einen anderen Mann/Vater vor, als er bislang war. Stellt sich das Gefühl ein, dass es dem Partner/Vater nicht gut geht, werden Probleme, die die Familie betreffen, nicht mehr erzählt, aus Angst, den Gefangenen noch mehr zu belasten.

Durch die Inhaftierung des Mannes werden ihm grundlegende Handlungsbereiche entzogen, so dass er sich in seinem „Mann sein“ sehr eingeschränkt fühlt. Üblicherweise sind es die Männer, die mehr Geld zur Finanzierung des Haushaltes beitragen als die Frauen. Hier bricht also einerseits für die Familie ein wichtiges Einkommen weg (durch Verschulden des Mannes), desweiteren fühlt sich der Mann in Haft von der Familie ausgegrenzt und möglicherweise nicht mehr ernst genommen. Zudem ist die fehlende Sexualität und die mögliche Untreue der Partnerin ein Hauptgrund, warum sich die inhaftierten Männer in Phantasiewelten verabschieden und womöglich bei den kurzen Besuchszeiten den Frauen noch haltlose Vorwürfe machen, die wiederum nicht zu einer stabilen Weiterführung der Partnerschaft beitragen. Dies gilt es aufzufangen und in Familienseminaren zusammen zu erarbeiten, um etwaige Problemlagen hinsichtlich dieser Annahmen zu entkräften.

4. Zum Erleben der Haftsituation von Partnern Inhaftierter

Vielfach wird die Rolle der Familienangehörigen von Tätern in ihrer sozialen Umwelt als ambivalent wahrgenommen. Sie werden sogar häufig als Mittäter oder Mitwisser, denn als Opfer[4] gesehen (Kawamura-Reindl, 2003 in Kury & Kern, 2003a, 2003b). In der Literatur wird auch von „forgotten victims“ gesprochen (Matthews, 1983). Die unmittelbaren Opfer von Straftaten werden als Opfer ersten Grades oder „primary victims“ bezeichnet, die Mitglieder des unmittelbaren Nahraumes, also z.B. die Familien, als Opfer zweiten Grades, „secondary victims“ (Fengler, Schäfer, 2012, S.31). Nach der Definition von Schwind (2009) ist dies allerdings nicht richtig, da es sich auch bei einer Sekundärviktimisierung um das „Primäre Opfer“ handelt, welches die Tat durch wiederholtes Erzählen doppelt erleben muss. Bei den Angehörigen von Opfern scheint es sich allmählich einzubürgern, sie als „tertiary victims“ zu bezeichnen (S. Standing Committee On Community Services And Social Equity, 2004). Gemeint ist die Gefährdung „im Dunstkreis des Täters“ ohne eigenes Dazutun in „Sippenhaft“ (Fengler/Schäfer, 2012, S.29) zu geraten und so selbst zum Opfer zu werden. Jedoch ist hier Vorsicht geboten, denn ein allzu breitgefächerter Opferbegriff muss nicht unbedingt im Interesse der Betroffenen stehen. Sicherlich wollen sie nicht vergessen werden, aber der Begriff der „mit Betroffenen“ erscheint in diesem Zusammenhang treffender und in vielerlei Hinsicht (s. Fußnote 4) angebrachter.

In der öffentlichen Wahrnehmung schwingt oft ein Unglauben bezüglich der Rolle der Angehörigen bei der Tat, die dann zur Inhaftierung geführt hat, mit. Familienangehörige werden, wenn auch meistens implizit, als Verbündete angesehen, die stillschweigend das Geschehene hingenommen haben, ohne einzugreifen (Fengler/Schäfer, 2012, S.31). Solche direkt oder indirekt vermittelten Annahmen, durch Nachbarn, Kollegen, Lehrer der Kinder etc. tragen maßgeblich dazu bei, dass sich die Angehörigen mitschuldig fühlen und so die Selbstwahrnehmung zu einem deutlichen Leidensdruck führen kann (Ebda.)

[...]


[1]vgl.www. treffpunkt-nbg.de

[2]Die offene Vollzugsform entspricht durch die weitgehende Verhinderung einer Absonderung von der Außenwelt dem Gegensteuerungsprinzip. Gemäß demIntegrationsgrundsatz wird die Rückkehr in die Freiheit erleichtert. Der Unterschied zum geschlossenen Vollzug liegt im Grad derSicherheitsvorkehrungen. Eine Unterbringung im offenen Vollzug setzt das Einverständnis und Eignung des Gefangenen voraus (vgl. Laubenthal,2003, S. 354).

[3]Eine Untersuchung über die Zusammenhänge zwischen tödlichen Beziehungstaten von Frauen, früher Traumatisierung und spezifischenBindungsrepräsentationen zeigte ähnliche Ergebnisse. Den Gewalttätigkeiten der Frauen gingen Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit voraus. Siealle waren schwer traumatisiert (vgl. Lamott/Pfäfflin, 2001, S.10-24).

[4]Der Begriff der Viktimologie wird von dem lat. Wort „victima“ (das Opfer) hergeleitet. Der Begriff wird jedoch unterschiedlich definiert:

- Nach Paasch (1965, 4f) ist Opfer „diejenige natürliche oder juristische Person, die in einem von der Rechtsordnung geschützten Rechtsgutverletzt wird“.

- Nach Art.1 (lit a) des Rahmenbeschlusses des Rates der EU vom 15. März 2001 (vgl. Rdn. 43 zu §20) ist „ Opfer eine natürliche Person, dieeinen Schaden, insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Unversehrtheit, seelisches Leid oder einen wirtschaftlichenVerlust als direkte Folge von Handlungen oder Unterlassen erlitten hat, die einen Verstoß gegen das Strafrecht eines Mitgliedstaatesdarstellen“ (aus Schwind, 2009, S.389).

Ebenso bekannt ist der Begriff der Sekundärviktimisierung. Er wird verwendet, wenn z.B. ein Opfer als Nebenkläger die Hauptverhandlung gegenden Täter nach einiger Zeit und inzwischen überwundenen Gefühlen ,ein weiteres Mal erlebt (nach Schneider, 1993, S.370f.). „Jenseits desStrafrechts ist Opferschaft zu einem zentralen öffentlich anerkannten und mit Prestige ausgestatteten Merkmal zur Charakterisierung vonPersonen geworden. Während früher die Opfereigenschaft eher aus Furcht vor Übertragung des „Pechs“ zur Distanz einlud, begründet sie nun einemitfühlende Solidarität des Publikums. Die Anerkennung als Opfer verschafft Aufmerksamkeit, Rechte und Privilegien. Dies führt dazu dass dieVoraussetzungen für Opferschaft ausufern, indem der Gewaltbegriff von der physischen zur psychischen oder zur symbolischen Gewalt erweitertwird, vage Phänomene mit neuen Bezeichnungen (Mobbing, Stalking) vermeintlich fassbarer gemacht und Miterlebende von Gewalthandlungen alsindirekte Opfer angesehen werden. Einrichtungen der privaten Opferhilfe nehmen sich neben der konkreten Unterstützung individueller Opfer dempräventiven Schutz vor künftigem Opferwerden an, und stützen damit eine Kriminalpolitik mit dem virtuellen Opfer, welche dieKriminalitätsfurcht als Motor für Strafrechtsverschärfungen einsetzt“ (Kunz, Kriminologie, 2008, S. 326, 328).

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Zum Erleben der Haftsituation von Kindern und Partnern Inhaftierter im Erwachsenenvollzug
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel  (Sozialwesen)
Note
3
Autor
Jahr
2013
Seiten
95
Katalognummer
V265417
ISBN (eBook)
9783656551416
ISBN (Buch)
9783656551522
Dateigröße
1125 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erleben, haftsituation, kindern, partnern, inhaftierter, erwachsenenvollzug
Arbeit zitieren
Andrea Meyer (Autor:in), 2013, Zum Erleben der Haftsituation von Kindern und Partnern Inhaftierter im Erwachsenenvollzug, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265417

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