Die erzwungene Einheit der Arbeiterklasse - Sozialdemokraten und Kommunisten in der SBZ


Seminararbeit, 2004

26 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Stand der Forschung, weiterführende Fragen und aktuelle Quellenlage

3. Historische Ausgangssituation: von Teheran über Jalta hin nach Potsdam und schließlich den Befehl Nr.2

4. Organisatorischer Neubeginn und Zusammenarbeit von KPD und SPD im Juni/Juli 1945

5. Einheitsdrang/Einheitszwang im September 1945 bis April
5.1. Erste Konfliktfelder und „Verräter an der Arbeiterklasse“
5.2. Kommunistische Intentionen und beginnende Isolierung des ZA
5.3. Die Flucht nach vorne als letzte Rettung sozialdemokratischer Prinzipien?

6. Fazit

7. Literaturangabe

1. Einführung

Der 21./22. April 1946 sollte zum Schicksalstag für das Deutschland der vier Besatzungszonen, für Europa, wenn nicht sogar für die gesamte Welt werden. Weittragende politische Ereignisse, wie etwa der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961, John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“ am 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus1 und selbstverständlich die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 müssen als Konsequenzen gelten. An jenen Tagen wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gegründet – SPD und KPD, die Parteien der Arbeiterklasse wurden (zwangs-) vereint und sollten im Zeichen eines „demokratischen Zentralismus“ fortan nahezu jeden Bereich des öffentlichen sowie privaten Lebens durchdringen. Diese Hausarbeit versucht zu erklären, inwieweit jener Prozess tatsächlich aus Pression resultierte.

In dem zweiten Kapitel 2. Stand der Forschung, weiterführende Fragen und aktuelle Quellenlage wird über den relativ aktuellen Kenntnisstatus referiert, auf welchen sich meine Ausarbeitung bezieht. Weiterhin informiert es über die parteipolitische Zweckmäßigkeit, in deren Licht die Fusion der beiden Parteien der deutschen Arbeiterklasse jeweils nach dem 3. Oktober 1990 instrumentalisiert wurde.

Um nun die speziellen Ereignisse zu veranschaulichen, welche gewissermaßen die Basis für die Vereinigung darstellen, geht das dritte Kapitel 3. Historische Ausgangssituation: von Teheran über Jalta hin nach Potsdam und schließlich den Befehl Nr.2 detailliert auf geschichtliche Gegebenheiten ein, wobei vor allem den jeweiligen deutschlandpolitischen Interessen der Besatzungsmächte Rechnung getragen wird, was nötig ist, um die reservierte Außenpolitik des Kremls verstehen zu können, womit sich das vierte Kapitel 4. Organisatorischer Neubeginn und Zusammenarbeit von KPD und SPD im Juni/Juli 1945 u.a. beschäftigt. Des weiteren wird hier Auskunft über die Anfänge einer Kooperation beider Lager aber auch über die unterschiedlichen Organisationsstrukturen gegeben. Gerade dieser Punkt ist meines Erachtens sehr wichtig, weil explizit anhand des differenten Parteiaufbaus die aggressive und letztlich erfolgreiche Vereinigungs-/ Agitationstaktik von Kommunisten und SMAD aufgezeigt werden kann. Darüber hinaus wird außerdem der Zentralausschuss angesprochen, welchem in den folgenden Kapiteln besonderes Augenmerk gilt.

5. Einheitsdrang/Einheitszwang im September 1945 bis April 1946 ist eine zeitlich geordnete Darstellung des Fusionsgedankens, auf welchen bereits im vorhergehenden Kapitel eingegangen wurde (Gruppe um Dahrendorf und Fechner im ZA schlug dem ZK eine Vereinigung vor, um so dem Gleichschaltungsdruck der KPD in einer Einheitspartei begegnen zu können). Hierbei referiert der Unterpunkt 5.1 Erste Konfliktfelder und „Verräter an der Arbeiterklasse“ über die angeblich in den sog. „Aktionseinheiten“ gewährleistete Autonomie und Egalität beider Parteien, wobei bereits die kommunistische Dominanz aufgezeigt wird. Weiterhin wird sowohl die Bodenreform in ihrer konfliktfördernden Bedeutung als auch die Artikulation eines eigenen sozialdemokratischen Selbstbewusstseins angesprochen, das die KPD neben ersten Organisationserfolgen und der Proklamation eines individuellen Führungsanspruchs der SPD zu einer (radikalen) Neuorientierung ihrer Politik zwang.

Der Abschnitt 5.2 Kommunistische Intentionen und beginnende Isolierung des ZA enthält neben Informationen über die von Moskau/SMAD verlangte gemeinsame Wahlliste, wodurch letzten Endes die deutschlandpolitischen Interessen der Okkupationsmacht geschützt werden sollten, eine Chronologie der sich immer mehr konkretisierenden Spannungen und der daraus resultierenden rigorosen Methodik der KPD, die Vereinigung durchzusetzen. Außerdem werden Kurt Schumacher genau so wie die Hoffnungen der ostdeutschen SPD-Genossen und der Ende 1945 artikulierte Selbstauflösungsgedanke erwähnt. Weiteres Interesse gilt der ersten „Sechziger-Konferenz“, bei welcher die Frage des Zusammenschlusses im Mittelpunkt der Beratungen stand. Als Kernaussage dieses Kapitels gilt es, die schrittweise Isolation des ZA bedingt zum einen durch das Ergebnis der Wennigsen-Konferenz und zum anderen durch die kommunistische Agitation, welche auf sozialdemokratische Landes- sowie Bezirksvorstände abzielte, festzuhalten. Des weiteren werden die drei wesentlichen Strömungen innerhalb der Ost- SPD Anfang 1946 aufgezeigt, um das damalige Verhältnis zu besagtem Schritt zu schildern.

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Die schlussendlich komplette Isolation der Berliner Zentrale sowie die bedeutungsschwangere Milchmädchenrechnung der ostdeutschen SPD-Politiker ist Gegenstand des Unterpunktes 5.3 Die Flucht nach vorne als letzte Rettung sozialdemokratischer Prinzipien?. Neben einer Veranschaulichung des Dissens’ zwischen beiden Lagern, der sich vor allem um etwaige Beschlüsse im „Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“- Statut konkretisierte (z.B.: neue Stellung der Orts- und Betriebsgruppen), wird hier nun pragmatisch der demokratische Entscheidungsprozess hin zur Vereinigung geschildert, wobei explizit auf die Illegitimität des Prozesses eingegangen wird. Darüber hinaus wird die besondere Situation in Berlin aufgeführt, wo sich eine SPD-interne Opposition gegen den Zusammenschluss formierte.

Meine Hausarbeit konzentriert sich überwiegend auf die Verwirklichung der vielbeschworenen politischen und organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung. Hierbei wird besonders auf Chronologie und strukturpolitische Entscheidungen eingegangen. Das ideologische Moment bleibt weitestgehend außen vor, erfährt kurze Erwähnung im Kapitel 5. Einheitsdrang/Einheitszwang im September 1945 bis April 1946.

Das Kapitel 6. Fazit versucht die eingangs erwähnte Frage anhand meiner Untersuchungen zu klären und gibt dabei außerdem noch ein Bild über die diesbezüglichen Lehrmeinungen der letzten fünf Jahrzehnte.

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2. Stand der Forschung, weiterführende Fragen und aktuelle Quellenlage

Den Geschichtsforschern stehen seit dem Zusammenbruch des SED-Regimes nunmehr bis heute ungekannte Quellen zur Verfügung, die ein fundiertes Aufarbeiten der DDR-Historie ermöglichen. Sie können die Anfänge des kommunistischen Herrschaftssystems aber darüber hinaus auch noch die ständige Entwicklung in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft untersuchen. Weiterhin können bis dato angefertigte Forschungsarbeiten vor allem westdeutscher Historiker anhand von Quellen belegt werden oder verlangen nun nach einer Revision. Die ostdeutschen wurden ihrerseits gezielt von der Einheitspartei instrumentalisiert, doch soll hierauf an anderer Stelle näher eingegangen werden.1

Nach dem Niedergang des Ostblocks diskutierte man verstärkt über den totalitären Kommunismus als Gesellschaftsordnung. Bis heute konnte noch keine genaue Aussage darüber gemacht werden, inwieweit der DDR-Führung der angestrebte Zugriff auf das Individuum de facto gelang. Um sie in ihrem Totalitarismus zu untersuchen, ist es nötig, gleichsam die Alltags-, Sozial- und Kulturgeschichte zu behandeln, da sich besonders an diesen drei Bereichen das absolute Hegemonialdenken wohl am besten aufzeigen lässt. Außerdem muss eine Differenzierung der Begriffe Stalinisierung und Sowjetisierung erfolgen, welche sich für die Etablierung des roten Systems zunächst unter der KPD und schließlich SED verantwortlich zeigen. Gerade im Hinblick auf den Stalinismus ist eine konkrete Begriffsklärung für die SBZ/DDR unerlässlich. So fordert Hermann Weber, ordentlicher Professor an der Universität Mannheim2 und Koryphäe auf dem Gebiet der SED/DDR-Forschung, besagten Prozess lediglich als eine Art Epochenbegriff kommunistischer Herrschaftssysteme auf ihrem Weg hin zur Diktatur zu verstehen. Hierbei beschreibt jenes Verbum eine vergleichsweise totalitäre Periode der Regime und geht dabei simultan auf die soziale Veränderung des politischen Modells in seiner Transformation hin zur charakteristischen Diktatur ein. „Stalinismus bezieht sich [...] nicht auf eine sogenannte Deformierung des als sozialistisch begriffenen Systems durch den Personenkult, sondern zielt auf eine Beschreibung der politischen Herrschaftsmechanismen eines diktatorischen Systems sowjetischer Prägung, das im Osten Deutschlands unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungsherrschaft schrittweise installiert wurde.“3 Weber glaubt, [i] n diesem allgemeinen Sinn ist der Stalinismus als die Herrschaft der Apparate, der hierarchisch organisierten Bürokratie zu bezeichnen. [...] Der Kern des gesellschaftspolitischen Systems ist die kommunistische Einparteienherrschaft; bei völliger Ausschaltung der innerparteilichen Demokratie liegt die gesellschaftliche und politische Entscheidungsgewalt in den Händen der hierarchisch strukturierten Parteispitze.“4 Basierend auf dieser Vorstellung muss es ergo prä- und poststalinistische Phasen in der SED-Historie gegeben haben. Gerade an ihnen ist das Interesse gewachsen, jedoch sind sie empirisch2 noch nicht erschöpfend genug untersucht. Man beschäftigt sich auch verstärkt mit der SED in ihrer Rolle als omnipotente Staatspartei im Herrschaftsapparat der DDR und ihrer Beteiligung an Repressalien sowie Verbrechen basierend auf ihrem totalitären Anspruch. Gerade besagte Allmacht wirft zwangsläufig wiederum die Frage nach etwaigen Handlungsspielräumen (oppositioneller) ostdeutscher Politiker auf.

Seit Anfang der 80er geht man jedoch davon aus, dass das Installieren der kommunistischen Gesellschaftsform über mehrere Zwischenschritte erfolgte. In diesem Kontext geschah die Sowjetisierung nun mitnichten als gezielter operativer Eingriff, sondern beschreibt vielmehr, dass Moskau sich lediglich mehrere Alternativen offen halten wollte, die eigene sozialpolitische Ordnung in seiner Zone einzuführen, zu festigen und letzten Endes zu erhalten. Fest steht allerdings, dass die Etablierung sowohl von internen als auch externen Faktoren beeinflusst wurde, doch kann die aktuelle Quellenlage keine genaue Auskunft darüber geben, inwiefern der KPdSU-Führungszirkel zielbewusst auf die Sowjetisierung eingedenk seiner deutschlandpolitischen Interessen hinarbeitete, zumal die nach 1990 durch die Öffnung der Archive der russischen Hauptstadt zu Tage geförderten Belege nicht den hohen Erwartungen der Historiographie entsprechen konnten. „Die Tatsache, daß aus Moskauer

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Archiven bislang lediglich Quellensplitter und selektierte Dokumente präsentiert wurden, konnte die Frage, inwieweit die deutschlandpolitischen Planungen und Zielsetzung der Sowjetunion konsequent auf Sowjetisierung abzielten, auch nach 1990 nicht grundlegend klären helfen.“5 Weiterhin bleibt somit wohl zu attestieren, dass gerade in der Zeit kurz nach dem Kollaps des Sowjetimperiums die Herausgabe bzw. Publikation spezieller Informationen politisch motiviert war und dies noch bis heute vielleicht ist.

Besonders um die eigenen Interessen der SED-Leitung und ausländischer Fremdbestimmung ist in den letzten Jahren eine Diskussion entbrannt, liefern doch allgemein hin zugängliche Quellen bzgl. der vom Sommer 1945 bis 1949 tätigen SMAD aussagekräftige Informationen über die Zielsetzung des höchsten exekutiven, legislativen und judikativen Organs in der SBZ, welches maßgeblich für die Installierung des kommunistischen Herrschaftssystems in Form der Antifaschistischen-demokratischen Ordnung verantwortlich war. Allerdings können auch die Moskauer Aktenbestände wenige Informationen über die (langfristigen) deutschlandpolitischen Ziele der Besatzungsmacht geben und gerade an der Aufarbeitung dieses brisanten Themas ist den Historikern gelegen. Norman M. Naimark vertritt sogar die These, die UdSSR hätte gar keine längerfristigen Planungen zu Beginn der Okkupation gehabt. „Statt dessen suchten sie [die Offiziere der Roten Armee] eine Reihe unmittelbarer Aufgaben zu bewältigen, die den Bedürfnissen einer Vielzahl sowjetischer Institutionen in Moskau und der Ostzone entsprachen.“6 Weiterhin geht er davon aus, dass die Sowjetisierung ohne einen vom großen sozialistischen Bruderstaat vorgegebenen Plan gewissermaßen zwangsläufig einsetzte, da die in der SBZ verantwortlichen Militärs lediglich das ihnen als ideal propagierte kommunistische System kannten und nun mit der Aufgabe betraut waren Wirtschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft des besetzten Landes neu zu ordnen.

Was nun die Sowjetisierung betreffenden externen Faktoren angeht, so sei an dieser Stelle nochmals auf die Arbeit der SMAD verwiesen, jedoch bleiben immer noch Struktur und Wirkungsbereich ihrer Nachfolgeorganisation, der von 10. Oktober 1949 – 1. August 1953 offiziell tätigen Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland (SKK) weitestgehend unbeleuchtet. Allerdings könnte gerade wohl eine nähere Untersuchung dieser Institution weiterführende Informationen geben, war die SKK doch das zentrale Organ sowjetischer Besatzungsherrschaft mit sowohl personeller als auch institutioneller Kontinuität und erlaubte sie dem Kind der Sowjetunion eine gewisse Souveränität unter Vorbehalt. Somit wird nun die Frage aufgeworfen, inwiefern der Kreml noch gezielt Einfluss auf die SED-Führung bzw. auf Entscheidungskompetenzen der Genossen nahm. Mittlerweile kann auch davon ausgegangen werden, dass der unter Ulbricht angegangene Aufbau des Sozialismus, wie er auf der vom 9. – 12. Juli 1952 stattfindenden II. Parteikonferenz der SED offiziell proklamiert wurde, nicht bedingungslos von Moskau forciert wurde, sondern vielmehr logische Konsequenz der SMAD-Tätigkeiten war, wie Naimark sie beschreibt.

Sollen die internen Umstände aufgezeigt, muss die SED in ihrer Position im ostdeutschen Herrschaftsmodell untersucht werden, wobei verstärkt der Charakter als Kaderpartei zu analysieren ist. Bedingt durch die aktuelle Quellenlage ist es jedoch schwierig, Steuerungs- und Herrschaftsmechanismen innerhalb der Parteiführung auszumachen, sodass das Interesse der Historiker vor allem vermeintlicher Interessensgruppen gilt. Weiterhin kann Funktion aber auch exponierte Stellung der SED explizit an dem persönlichen Werdegang ihrer Mitglieder und den machtpolitischen Mitteln benannt werden.

Damit man die Staatspartei in ihrer unumschränkten Dominanz besser begreifen kann, ist es nötig, den dereinst selbstgewählten Gründungsmythos zu untersuchen. Um diese angestrebte historische Legitimation ist eine nicht abbrechende Diskussion entbrannt, wobei die Aussagen jeweils gewissermaßen speziell ost- respektive westlastig sind. So spricht man dort von einem freiwilligen Zusammenschluss der Parteien der Arbeiterklasse und hier von einer Zwangsvereinigung. Die momentane Lehrmeinung besagt, dass der Zusammenschluss auch von weiten Teilen der Ost -SPD-Basis mitgetragen, wenn nicht sogar befürwortet wurde, aber dann allmählich aufgrund der drastischen Erfahrungen durch allem voran Ulbricht’schen Despotismus immer mehr als Repression und schließlich Zwang verstanden wurde. Am Anfang glaubten die Sozialdemokraten genau wie die KPD

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aus Weimar gelernt zu haben und nun wollte man die „historische“ Aufgabe über eine starke Partei der geeinten Arbeiterklasse wahrnehmen, eine neue Gesellschaft nach dem Krieg zu formen sowohl Frieden zu sichern als auch zu bewahren, Wohlstand zu gewährleisten und präventiv zu wirken im Namen einer Antifaschistischen-demokratischen Ordnung. Die ostdeutschen Sozialdemokraten gingen

davon aus, dass sie in der neuen Einheitspartei noch eine eigene Tradition und Politikform erhalten könnten, zumal man in der SED der KPD zahlenmäßig überlegen war. Am Vereinigungsparteitag in Berlin standen 600.000 Kommunisten rund 680.000 SPD-Mitgliedern gegenüber7 und des weiteren wurde per Statut verfügt, dass wichtige Schlüsselpositionen paritätisch zu besetzen seien. Allerdings konnte dieser fromme Wunsch des gleichberechtigten Mitregierens kaum Wirklichkeit werden, da man doch über kurz oder lang nicht an einem eigenen sozialdemokratischen Parteiprofil aufgrund der durch die von der SMAD radikal durchgeführte Sowjetisierung hätte festhalten können. Gemäß DDR-Historiographie hatten beide Lager angeblich bedingt durch das Scheitern der Arbeiterbewegung am Abend der Weimarer Republik ihre fundamentale Aufgabe erkannt und die „historische Notwendigkeit“ eines Zusammenschlusses eingesehen, wobei die SPD den von der KPD formulierten Zielen und Strategien letztlich freiwillig folgte. Man zeigte Einsicht in den historischen Messianismus der Arbeiterklasse und teilte offiziell konsequent die sozialen, politischen und ökonomischen Ideale der Kommunisten. So versteht man die KPD in ihrer Entwicklung als treibende Kraft der Vereinigung besonders im Hinblick auf 1945/46 als „Aktionseinheit“ mit der SPD.

Noch heute ist eine etwaige Abhängigkeit der Kommunisten von SMAD-Weisungen und ihr Handlungsspielraum in der SBZ relativ unklar. Auskunft hierüber könnte wohl eine Untersuchung der Programm-, Organisations- und Politikgeschichte der frühen KPD-Tage geben. Was nun wiederum die Zwangsvereinigung angeht, so wurde die Debatte in den 90ern besonders von parteipolitischer Zweckmäßigkeit geprägt: die Unionsparteien wollten einen freiwilligen Beitritt der SPD-Genossen nachweisen, um eine vermeintliche Mitverantwortung der Sozialdemokraten an der Installierung besagter Diktatur anzuprangern und gingen davon aus, dass der Begriff Zwangsvereinigung nur von der Mitschuld ablenken solle. Die Genossen ihrerseits beharrten auf jenem Wort, um die Auslöschung der Sozialdemokratie in der SBZ/DDR aufzuzeigen. Die auf dem letzten Parteitag der SED als deren Nachfolgepartei gegründete (SED-) P artei des D emokratischen S ozialismus, am 4. Februar 1990 umbenannt in PDS, konstatierte, dass die SPD-Mitglieder damals am 21./22. April 1946 ihrerseits die viel zitierte „historische Notwendigkeit“ eines Zusammenschlusses gesehen und offiziell durch den Vereinigungsparteitag bekundet hätten. Des weiteren insistiert sie darauf, dass lediglich „einzelne Sozialdemokraten“ eingedenk des angestrebten Zusammenschlusses drangsaliert worden seien und vereinzelte „Elemente von Zwang“ existiert und dass „die eigentlichen Repressalien [...] erst später eingesetzt [hätten]. 8 Allerdings belegen vorliegende regionale Analysen, dass systematischer Druck und gezielte Nötigung sowohl durch deutsche als auch sowjetische Kommunisten auf SPD-Genossen elementarer Bestandteil der SED-Gründung waren.

Die weitreichende Rolle der Kommunisten bei der Zwangsvereinigung kann man vor allem an der durch Stalin befohlenen Entsendung der „Gruppe Ulbricht“ ausmachen. Die sog. Initiativgruppe wurde gezielt im sowjetrussischen Exil geschult und sollte als Wegbereiter einer sozialistischen Volksdemokratie fungieren. Die Öffnung der Moskauer KPD-Emigration-Archive belegt, dass die deutschen Kommunisten stets die Eroberung und Sicherung der Macht im Nachkriegsdeutschland verfolgten und somit letztlich gezielt der politisch-sozialen Neuordnung, wie man sie in der sowjetrussischen Hauptstadt realisiert sehen wollte, zuarbeiteten. Somit kann die KPD als Zwischenstufe zur SED gelten. Die durch den Führungszirkel der KPdSU ausgewählten Kadergruppen legen den Schluss nahe, dass man seit jeher die Installierung einer kommunistischen Diktatur in der SBZ verfolgte, jedoch muss mittlerweile davon ausgegangen werden, dass die KPD eigene, wenn auch unter der SMAD eingeschränkte Entscheidungskompetenzen in ihrer Transformation hin zur SED hatte. Dies bedeutet wiederum, dass keine lineare Konzeption für die Errichtung des Regimes belegt werden kann. Ein sowjetrussischer Masterplan erdacht von Stalin hat ergo nicht existiert.

Vor allem die Frühphase der SED-Historie gibt Auskunft über die Installierung der Diktatur, zumal der im Zeichen einer Stalinisierung gegangene Weg hin zur „Partei neuen Typus“ bereits seit längerem organisatorisch und ideologisch ersonnen war. Jener radikale Eingriff war ein seit dem

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21./22. April 1946 begonnener Prozess, in dessen Rahmen zunächst die gemäß SED-Statut garantierten paritätisch zu besetzenden Führungsgremien eingeschränkt und schließlich allmählich eliminiert wurden. Nachdem die Einheitspartei bei den im Oktober 1946 abgehaltenen Wahlen zu den Landtagen der SBZ ihr erklärtes Ziel, die absolute Mehrheit zu erringen verfehlte und lediglich knapp 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte9, setzte die SED-Führung „zunehmend auf zentral gesteuerte Disziplinierungs- und Gleichschaltungsmaßnahmen“10, nachdem sich immer mehr abzeichnete, dass sie bei freien Wahlen in der sowjetrussischen Zone als vermeintliche Partei von Stalins Gnaden nicht gewinnen würde und sich eine Krise an der Basis zu konkretisieren schien. Der „Kampf gegen Sozialdemokratismus“ diente in den Jahren der ersten Parteisäuberungen als Legitimation, um gegen ehemalige Sozialdemokraten im Rahmen des von oben verordneten Disziplinierungsprozesses vorzugehen. Jene rigorose Methodik explizit in den Jahren 1948 bis 1952/53 verdeutlicht sowohl die politische als auch ideologische Egalisierung, deren Konsequenzen vor allem an den Kreis- und Landesvorständen der SED belegt werden können. Sie war nötig, um die SED zu einer (Kader-)Partei nach sowjetrussischem/stalinistischem Vorbild umzuwandeln.

Gerade diese Zäsur wirft die Frage nach einer parteiinternen linkssozialistischen Opposition getragen von ehemaligen Sozialdemokraten auf. Antworten sind hier in den Autobiographien namhafter und einflussreicher Genossen wie etwa Erich W. Gniffke oder Ernst Thape zu finden. Zwar sind Konflikte innerhalb der SED-Leitung in den 50ern belegt, jedoch ist nicht klar, wie die Parteizentrale mit diesen Differenzen umging, zumal auch neuere Biographien über Ulbricht und Grotewohl hierüber nur wenig bis gar keine Auskunft geben. Informationen über Streitpunkte, welche aus den verschiedenen politischen Traditionen resultierten, sind auf der Ebene der Kreis- und Landesvorstände zu finden. Seit 1990 wird speziell die Struktur des zentralen Parteiapparates, die Machtbefugnisse der Führung und die organisatorische Frühkonzeption des Regimes untersucht. Jüngste Forschungen bzgl. Willensbildung und Entscheidungsprozess suchen nach Handlungsspielräumen innerhalb der SED-Führung und helfen dadurch, dort existierende Fraktionskämpfe zu belegen. Diese verschärften sich zunehmend durch die vom ZK entsandten Instrukteure an die bis 1952 existenten Landesverbände, da durch jene gezielt jegliche demokratische Entscheidungskompetenz unterbunden wurde. Die von Berlin (Ost) oktroyierte Personalpolitik verdeutlicht den demokratischen Zentralismus der Hegemonialpartei.

Kommen wir noch einmal auf die Rolle der ostdeutschen Historiker zu sprechen, die bereits eingangs erwähnt wurden. Sie hatten zu DDR-Zeiten stets die Legitimation der SED im geschichtlichen Kontext zu beweisen, wodurch resultierend aus der Dogmatik der Staatspartei nicht differenziert gearbeitet werden konnte, hätte man doch durch wirkliches wissenschaftliches Tun zwangsläufig sowohl Politik- als auch Führungsmonopol der SED in Frage gestellt oder zumindest hinterfragen müssen. Somit liegen tatsächlich fundierte und unterscheidende Arbeiten zur Politik- und Organisationsgeschichte der SED, verfasst von DDR-Autoren, nicht vor. Allerdings liefern diese Werke, welche sich vor allem mit der Geschichte der Landesparteiorganisationen beschäftigen, wichtige Quellenhinweise, Fakten und Dokumente.

Abschließend sei an dieser Stelle noch auf die aktuelle Quellenlage hingewiesen: seit 1990 kann die Forschung uneingeschränkt auf das archivialische Erbe der Staatspartei zurückgreifen. Die Nachlässe von Spitzenfunktionären, wie etwa Grotewohl, Pieck oder Ulbricht geben Auskunft besonders über Selbstverständnis und Machtanspruch der frühen SED. Vor allem an den seit 1993 zugänglichen Bezirksarchiven, die unter der Obhut der jeweiligen Landesarchive bzw. Zweigstellen stehen, kann man den Dissens zwischen Führungsriege und den unteren Parteieinheiten erkennen. Aufgrund des besonderen Status’ der Vier-Sektoren-Stadt Berlin konnte eine Gesamtdarstellung des dortigen Landesverbandes bis dato noch nicht herausgearbeitet werden.

Hierarchische Strukturen, Weisungsbefugnisse und etwaige Handlungsspielräume können an dem Archivbestand „Sekretariat der Landesleitung“ aufgezeigt werden, da dieser „bedeutsame Materialien, wie etwa beispielsweise Beschlüsse und Rundschreiben des Zentralsekretariats bzw. Politbüros und des Sekretariats des Zentralkomitees, Protokolle und Beschlüsse von Landesvorstands- und Landessekretariatssitzungen sowie Rundschreiben und Arbeitspläne des Landesvorstandes und seiner Abteilungen enthält.“11

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Die Sammlung „Landesparteikontrollkommission“ informiert über Methodik, Kriterien und letztlich Parteiausschüsse. Des weiteren ist die Korrespondenz zwischen den jeweiligen Landesleitungen und dem Zentralsekretariat respektive Politbüro hier nachzulesen. So sind z.B. Rundschreiben, Situations- und Monatsberichte sowie Protokolle über die Parteiprüfungen 1951 enthalten.

Als Quelle zur Untersuchung des internen Parteilebens in Kreis, Ort, Betrieb und Wohnbezirk dient der Bestand „Organisationsarbeit“, welcher darüber hinaus noch Material über Grundorganisation sowie Parteiaufbau enthält und anhand von Berichten und Statistiken Mitglieder und die Entwicklung dieses Bestandes reflektiert.

Politische Auseinandersetzungen zwischen SPD- und KPD-Funktionären können durch die überlieferten Wortprotokolle, archiviert in „Sekretariate der Landesvorstände“, am deutlichsten belegt werden. Die enthaltenen Beschlussprotokolle von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind hier besonders aussagekräftig, da der Bestand Brandenburgs und Thüringens lediglich lückenhaft ist. Explizit durch die tradierten Niederschriften des zentralen SED-Parteivorstandes lässt sich ein relativ objektives Bild über die im Zuge der Stalinisierung entstandenen Diskrepanzen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten aufzeigen. Hierdurch wird jene radikale Transformation und deren unmittelbare sowohl parteiinterne Folgen als auch Konsequenzen für die Kreis- und Landesverbände transparenter.

Durch die Öffnung des ehemaligen Zentralen Parteiarchivs der KPdSU kann eine Überwachung und Steuerung der SED mittels der von Moskau gesetzten Handlungsspielräume sowie Freiräume herausgestellt werden; allerdings existieren nur spärliche Informationen über den Einflussbereich regionaler Kommandanturen sowohl in den Landesarchiven als auch in den noch nicht vollends erschlossen Aktenbeständen der russischen Hauptstadt.

[...]


1 http://www.politikforum.de/forum/archive/1/2003/06/4/32824 [view: 13. Januar 2004]

1 vgl. für folgendes Malycha, Andreas: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946 – 1953. München/Paderborn u.a. 2000., S.11ff.

2 vgl. Kürschners Gelehrten-Kalender 1996. Bio- bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. Geistes- und Sozialwissenschaften. 17. Ausgabe., Berlin/New York 1996., S.149.

3 Malycha: SED., S.14.

4 ebda., - zit.n. Weber, Hermann: SED und Stalinismus. – In: Deutschland Archiv., Jg. 1993., H.2., S.255-265.

5 ebda., S.21.

6 ebda., S.22. – zit.n. Naimark, Norman M.: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 – 1949. Berlin 1997., S.583. [The Russians in Germany. A history of the Soviet Zone of occupation. 1945 – 1949., 1995]

7 vgl. Weber, Hermann: DDR: Grundriß der Geschichte. vollst. überarb. u. erg. Neuauflage. Hannover 1991., S. 24.

8 Malycha: SED., S.33. – vgl. Zum Jahrestag des Zusammenschlusses von KPD und SPD. Erklärung der Historischen Kommission der PDS. – In: Neues Deutschland., 18. Dezember 1995.

9 vgl. Weber: DDR., S.24.

10 Malycha: SED. ,S.37.

11 ebda., S.49.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die erzwungene Einheit der Arbeiterklasse - Sozialdemokraten und Kommunisten in der SBZ
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Sommersemester03 - Einführung in die Neuere Geschichte
Note
2,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V26505
ISBN (eBook)
9783638288156
Dateigröße
803 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand. Diese Hausarbeit versucht zu erklären, inwieweit jener Prozess [Fusion von KPD und SPD] tatsächlich aus Pression resultierte. Sie konzentriert sich überwiegend auf die Verwirklichung der vielbeschworenen politischen und organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung. Hierbei wird besonders auf Chronologie und strukturpolitische Entscheidungen eingegangen. Das ideologische Moment bleibt weitestgehend außen vor, erfährt kurze Erwähnung im Kapitel 5. Einheitsdrang/Einheitszwang...
Schlagworte
Einheit, Arbeiterklasse, Sozialdemokraten, Kommunisten, Sommersemester03, Einführung, Neuere, Geschichte
Arbeit zitieren
Daniel Mielke (Autor:in), 2004, Die erzwungene Einheit der Arbeiterklasse - Sozialdemokraten und Kommunisten in der SBZ, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26505

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