Das ADS-Syndrom und Lehrerbildungsmaßnahmen für inklusiven Unterricht


Examensarbeit, 2013

55 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort

2 Auffälligkeit
2.1 Definition
2.2 Umgang mit auffälligen Schülern
2.3 Fazit

3 Das ADS-Syndrom
3.1 Definition
3.2 Symptomatik und Diagnostik der Formen von ADS
3.3 Ursachen für die verschiedenen Formen von ADS
3.4 Therapieansätze
3.4.1 Psychotherapeutische Maßnahmen
3.4.2 Medizinische Ansätze
3.5 Fördermaßnahmen bei ADS
3.5.1 Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsplanung
3.5.2 Hausaufgaben
3.5.3 Außerunterrichtliche Aktivitäten
3.6 Fazit

4 Lehrerbildungsmaßnahmen für inklusiven Unterricht
4.1 Definition inklusiver Unterricht
4.2 Inklusion in der Umsetzung
4.2.1 Rechtsgrundlage
4.2.2 Ansätze, Strategien, Ziele
4.2.3 Ausblick
4.3 Kritische Auseinandersetzung
4.4 Lehrerbildungsmaßnahmen an Schulen und Universitäten
4.5 Fazit

5 Schlussgedanke

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Online-Referenzen

1 Vorwort

Der Schulpädagogik kommt in der Lehrerausbildung ein zu geringer Stellenwert zu. Schon nach einem kurzen Aufenthalt in einer Schulklasse wird beinahe jedem Lehramtsstudenten klar, dass die reguläre Ausbildung an den Universitäten oft nur unzulänglich auf den Schulalltag vorbereitet. Speziell an der Universität Passau herrscht zwar ein großes Angebot zu den verschiedensten schulpädagogischen Themen, wie zum Beispiel die Vorlesung Schul- und Unterrichtsentwicklung oder das Seminar Schulpädagogik kompakt, doch nur selten werden die Möglichkeiten von den Studenten voll ausgeschöpft. Rahmenbedingungen wie Studiengebühren oder der aktuelle Stellenmangel verleiten die Studenten dazu, ihr Studium im Schnelldurchlauf abzuschließen. Diese Entwicklung ist verständlich, jedoch ist darauf zu achten, dass eine Ersparnis von Zeit nicht auf Kosten der Kompetenz als Lehrer erreicht wird.

Da sich jede Klasse, in der ich während meines Realschullehramtsstudiums meine Praktika ableistete, durch besondere Heterogenität unter den Schülern auszeichnete, beschloss ich ein Thema aufzugreifen, dessen Gegenstand gerade diese Verschiedenheit unter den Schülern ist. Im Rahmen dieser Arbeit soll das ADS-Syndrom bei Schülerinnen und Schülern dargestellt werden, welches neben anderen Faktoren eine Ursache für die angesprochene Heterogenität in Klassen sein kann. Symptomatik und Ursachen der dargestellten Auffälligkeit werden in dieser Arbeit aufgezeigt, darüber hinaus werden Vorschläge für Fördermöglichkeiten und Unterrichtsgestaltung im Umgang mit betroffenen Schülerinnen und Schülern detailliert vorgestellt. Außerdem werde ich im zweiten Teil der Arbeit auf inklusive Lehrerbildungsmaßnahmen an Schulen sowie an Universitäten hinweisen und verdeutlichen, welche Vor- und Nachteile inklusiver Unterricht hat.

Aus Gründen der Vereinfachung verwende ich in meiner Arbeit die Begriffe Schüler, Studenten und Lehrer, wobei sich der gesamte Text natürlich auch auf Schülerinnen, Studentinnen und Lehrerinnen bezieht. Zudem gebrauche ich selbstverständlich Begriffe wie „behindert“, „Sonderschüler“ o.Ä. keinesfalls als Diskriminierung für Menschen mit Beeinträchtigungen jeglicher Art.

2 Auffälligkeit

2.1 Definition

Der Begriff der Auffälligkeit ist nicht genau definiert. Aufgrund von Überschneidungen mit anderen Begriffen, wie dem der Störung, konnte bisher keine einheitliche Definition für Auffälligkeit gefunden werden. Es ist jedoch klar, dass der Begriff Auffälligkeit mit Normen in Bezug stehen muss. Nur etwas, das von einer bestehenden Norm abweicht, gilt als auffällig. Als Synonyme werden deshalb häufig auch die Begriffe Besonderheit, Unregelmäßigkeit oder Abnormität eingesetzt. Normen in Schulen legen fest, welches Lern- und Leistungsverhalten als angemessen gilt. Dabei handelt es sich bei Normen nicht um statische Größen, sondern um Variablen, die sich abhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ändern. Im heutigen Schulsystem wird die Gültigkeit des vorherrschenden Normalitätsstandards im Umgang mit auffälligen Schülern als problematisch angesehen. Dennoch gilt: Normen sind notwendig, um Orientierungsmaßstäbe für die Lehrkraft zu schaffen, die zur Beurteilung von Lern- und Leistungsprozessen sowie zur Diagnostik von Entwicklungsfortschritten und –rückschritten notwendig sind.[1]

Normen im Schulalltag spiegeln in den meisten Fällen schuloffizielle Verhaltensregeln, schuladministrative Vorschriften, Lehrplanvorgaben, fach- und jahrgangsdifferenzierte Leistungsnormen, klasseninterne Regelungen und persönliche Ansprüche der Lehrkraft wider. Nicht jede Abweichung von den daraus entstehenden Normen wird zwangsläufig als Auffälligkeit diagnostiziert. Erst, wenn gewisse Toleranzgrenzen überschritten werden, kann man von einer Auffälligkeit sprechen. Darüber hinaus sollte dieses auffällige Verhalten eine gewisse Verhaltensstabilität und -dauer aufweisen.[2]

2.2 Umgang mit auffälligen Schülern

Sollten bei einigen Schülern Auffälligkeiten auftreten, wird erwartet, dass die Betroffenen Schüler mit pädagogischer Professionalität und Feingefühl individuell gefördert werden. Die Lehrkraft ist rechtlich dazu angehalten, jedem Schüler die Möglichkeit zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben (Art. 2 GG)[3] und jedem Schüler die gleichen Chancen auf Bildung zukommen zu lassen (Art. 3 GG)[4]. Um dies zu bewerkstelligen, ist es dringend nötig, die Persönlichkeit eines jeden Schülers zu kennen, anzunehmen und ihr vorurteilsfrei zu begegnen. Unterschiede zwischen den einzelnen Schülern müssen erkannt und anerkannt werden. Abweichungen in ihrem Verhalten und Entwicklungs- bzw. Lernstand werden als Differenzen eingestuft, die behoben werden müssen, um jedem einzelnen Schüler sein Recht auf Chancengleichheit zu bieten. Sollten diese Differenzen nicht dem Toleranzbereich entsprechend minimiert werden können, wird die bestehende Abweichung von der Norm dem Schüler als Defizit angelastet. Es folgt eine Einstufung in verhaltensschwierig, lern- und leistungsschwach, auffällig, gestört oder gar behindert.[5] Wenn die Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule es zulassen, erfolgt je nach Einstufung der Schüler ein spezielles Förderprogramm, wie zum Beispiel Aufmerksamkeitstraining, Entspannungsübungen oder Förderstunden für Lese- und Rechtschreibschwache. Sollten sich die bestehenden Differenzen zwischen den Schülern trotz dieser Fördermaßnahmen dennoch nicht verbessern, erfolgt im extremsten Fall eine Überweisung in eine Sonder-/Förderschule. Der beschriebene Umgang mit auffälligen Schülern ist vielfach vehement kritisiert worden. Vor allem Vertreter der Integrationspädagogik schlagen Alarm und verlangen eine Förderung der Vielfalt an Regelschulen. Unterschiede zwischen den Schülern sollen nicht mehr zu Gunsten eines normativen Idealbildes minimiert werden, sondern vielmehr als natürlich bestehende Differenz akzeptiert werden. Unterricht soll nicht nur homogenisierend und assimilierend wirken, sondern Heterogenität akzeptieren und fördern. Differenzierende, individualisierende Unterrichtsformen sollten Kompetenzen fördern statt kompensatorisch zu wirken. Offene Unterrichtsformen müssen antiquierte Formen des Frontalunterrichts ablösen, um auf alle Schüler individuell eingehen zu können.

2.3 Fazit

Menschen sind unterschiedlich. Jeder Mensch unterscheidet sich von seinen Mitmenschen. Jeder Schüler unterscheidet sich von seinen Mitschülern. Daher muss jedem Schüler im Sinne der Persönlichkeitsentfaltung individuelle Förderung und Akzeptanz zukommen. Abweichungen von einer konventionell entstandenen Norm dürfen nicht mehr als Defizite angesehen werden, sondern sollten als Differenzen eingestuft werden.

3 Das ADS-Syndrom

Das ADS-Syndrom dürfte die derzeit meist diskutierte Auffälligkeit bei Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen sein. Die Zahl der ADS-Kinder steigt stetig an. „Insgesamt galten 750.000 Deutsche im Jahr 2011 als AD(H)S-krank, davon waren 620.000 Kinder und Jugendliche.“[6] ADS wird zunehmend als Krankheit angesehen, die unter anderem auch mit Medikamenten therapiert wird. Vor allem die Medikation mit Stimulanzien wie Ritalin ist sehr kontrovers diskutiert.

3.1 Definition

Nach dem diagnostischen und statischen Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung DSM-IV werden drei Gruppen von ADS diagnostisch voneinander unterschieden:

Aufmerksamkeits-Störungen mit Hyperaktivität / Impulsivität (vorwiegend unaufmerksam und hyperaktiv / impulsiv à Mischtypus), Aufmerksamkeits-Störungen ohne Hyperaktivität (vorwiegend unaufmerksam) und Hyperaktivitäts -, Impulsivitätsstörungen ohne Aufmerksamkeitsstörung (vorwiegend hyperaktiv / impulsiv).[7]

Das DSM-IV kann als Kriterienkatalog gesehen werden, „der die Leitlinien zur Feststellung psychischer Auffälligkeiten und Erkrankungen enthält.“[8] Diese Leitlinien geben den Kindern- und Jugendpsychiatern oder -psychologen die entsprechenden Hinweise, wie festgestellt werden kann, ob eine Form von ADS vorliegt.

Der Verfasser der DSM-IV verweist allerdings darauf, dass mit Fehldiagnosen von bis zu 30% zu rechnen ist. Das Problem liegt in der mangelnden Abgrenzung zwischen normal aktiven und hyperaktiven Kindern sowie normal ablenkbaren Kindern und solchen mit einer Aufmerksamkeitsstörung. Um ADS zu diagnostizieren, müssen daher mehrere Bedingungen erfüllt sein, wie zum Beispiel, dass das Verhalten mindestens sechs Monate lang auftritt, die Symptome schon vor dem siebten Lebensjahr vorhanden waren (auch wenn sie noch nicht diagnostiziert wurden), sie in verschiedenen Bereichen (z.B. Schule, Familie, Freizeitbereich) auftreten sowie die soziale und schulische Funktionsfähigkeit herabsetzen und dass sich das Ausmaß der Störung als unvereinbar mit dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes zeigt.[9]

Anders als die DSM-IV unterscheidet die ICD-10[10] psychische Störungen wie die einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (F 90.0; vorwiegend unaufmerksam, hyperaktiv, impulsiv) und die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1; vorwiegend unaufmerksam, hyperaktiv, impulsiv und Störungen des Sozialverhaltens).[11]

Die Hauptmerkmale für eine hyperkinetische Störung sind nach ICD-10 eine Kombination aus überaktivem, wenig moduliertem Verhalten (Hyperaktivität) mit deutlicher Unaufmerksamkeit und offensichtlichem Mangel an Ausdauer bei Aufgabenstellungen. Impulsivität wird nur als Begleitmerkmal berücksichtigt. Weiterhin entscheidend sind der Frühbeginn der Störung, die zeitliche Stabilität und das Auftreten der Auffälligkeit in verschiedenem Umfeld (Schule, Elternhaus und Freizeit).

3.2 Symptomatik und Diagnostik der Formen von ADS

Aufmerksamkeitsstörungen äußern sich vor allem während des Erledigens von Aufgaben (z.B. Diktat schreiben) in der Schule oder zu Hause. Besonders hyperaktive Schüler bearbeiten Aufgaben oft hektisch, fehlerhaft und unzureichend. Das Verhalten erweist sich als wenig planvoll und gelegentlich auch nicht genügend durchdacht. Die Schüler neigen zum Handeln ohne vorausgehende Überlegung und suchen vorschnell verkürzte Problemlösungen. Sie haben große Schwierigkeiten, bei einer Aktivität zu bleiben und Dinge zu Ende zu bringen. Stattdessen wenden sich die Betroffenen neuen Inhalten zu und wechseln rasch ihre Ziele. Selten wird eine Handlungsabsicht kontinuierlich beibehalten.[12]

Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität / Impulsivität

Schüler mit einer Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität / Impulsivität (ADHS) zeigen vor allem in den vier Bereichen „unaufmerksam und ablenkbar“, „überaktiv“, „impulsiv“ und „wenig ausdauernd“ Auffälligkeiten. Diese Art der Verhaltensauffälligkeit stellt eine besondere Belastung für Eltern und Lehrkräfte dar.[13]

Laut dem DSM-IV liegen bei einer Aufmerksamkeitsstörung verschiedene Symptome vor, wie etwa Flüchtigkeitsfehler bei Aufgaben, geringe Ausdauer, Organisationsprobleme, Verlust von Materialen, Ablenkbarkeit oder Vergesslichkeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1

Die Hyperaktivität hingegen zeichnet sich eher durch ein allgemein unruhiges bis unpassendes Verhalten, Redseligkeit, eine gewisse stetige Getriebenheit und Schwierigkeiten im ruhigen Spiel aus.

Für Impulsivität schließlich sind vorzeitiges Herausplatzen bei Antworten, Unterbrechen und Stören anderer und Schwierigkeiten abzuwarten, bis man an der Reihe ist, kennzeichnend.

Treffen bei einem Menschen sechs oder mehr Punkte in beiden Auflistungen (Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität / Impulsivität) zu, lautet die Diagnose idealtypisch: Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität / Impulsivität.[14]

Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

Weist eine Person sechs oder mehr Punkte aus dem Bereich der Aufmerksamkeitsstörung auf und ist diese im Bereich Hyperaktivität / Impulsivität eher unauffällig, lautet die Diagnose: Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität. Schüler mit einer solchen Diagnose stören den Unterricht im Allgemeinen nicht. Allerdings schränkt die Aufmerksamkeitsstörung ihre Leistung deutlich ein. Die Mehrzahl der Betroffenen verfügt über ein geringes Selbstbewusstsein. Häufig werden sie als verträumt beschrieben, ziehen sich leicht zurück, wirken sehr angepasst und ruhig. Eltern hingegen haben vor allem im Bereich der Hausaufgaben große Probleme mit ihren Kindern, da diese oft Stunden damit beschäftigt sind.[15]

Hyperaktivität ohne Aufmerksamkeitsstörung

Laut der Merkmalsauflistung der DSM-IV fehlt noch ein Typus von ADS. Dabei handelt es sich um die Hyperaktivität / Impulsivität ohne Aufmerksamkeitsstörung. Zu der Gruppe der Betroffenen zählen v.a. Kinder, die im Alter von vier bis sieben Jahren sehr lebhaft, unruhig, schwer zu steuern und ungeduldig sind. Konzentrieren können sie sich aber noch genauso lange wie die anderen Kinder ihrer Altersgruppe. Im Zeitraum des dritten und vierten Schuljahrs zeigt sich dann aber, dass die Konzentrationsfähigkeit dieser Schüler abnimmt und es ihnen zusätzlich zu ihrem unruhigen Verhalten schwerfällt, aufmerksam zu sein. Damit gehören sie in die Gruppe der ADS-Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität / Impulsivität.

3.3 Ursachen für die verschiedenen Formen von ADS

Vererbung oder Erlernen?

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass ADS sehr viel mit Vererbung zu tun hat. Bei ADS handelt es sich um eine Symptomatik, die „[.] in einem hohen Maße nicht durch äußere Einflüsse entsteht.“[16] Studien beweisen, dass sich in der Verwandtschaft von ADS-Kindern mit Hyperaktivität / Impulsivität auch hyperaktive Personen befinden. Die Wahrscheinlichkeit dafür beläuft sich auf ca. 5%. Ist ein Geschwisterteil hyperaktiv, steigt die Wahrscheinlichkeit auf 30%. Bei einem Elternteil mit ADS wird diese schon auf 50% geschätzt.[17]

Bestätigung durch Zwillingsforschung

In einer Familie mit z.B. einem hyperaktiven Kind entwickelten dessen Geschwister häufiger Hyperaktivität als in anderen Familien. Überzeugend sind die Ergebnisse einer Zwillingsforschung, die an den Universitäten Oslo und Southampton durchgeführt wurden. Dabei wurden 526 eineiige und 389 zweieiige Zwillinge untersucht. Die Forscher entdeckten dabei eine Erblichkeit für Verhaltensstörungen von 80%. Barkley folgerte daraus, dass Unterschiede in Hyperaktivität / Impulsivität und Aufmerksamkeit zu 80% genetisch bedingt sind. Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass gleich aussehende Kinder von ihrer Umwelt gleich behandelt werden, was eine Ähnlichkeit im Verhalten mit sich bringt.[18]

Auffälligkeit bei Gehirnaufnahmen

Durch Gehirnaufnahmen der letzten Jahre entstanden Vermutungen darüber, welche Gehirnregionen an ADS beteiligt sind. Wissenschaftler glauben, dass das vordere Stammhirn, zwei der Basalganglien und der Vermis die Aufmerksamkeit steuern. Das vordere Stammhirn nimmt an der Planung des Verhaltens teil und ist weiterhin für das Gefühl von Zeit und das Widerstehen von Ablenkung zuständig. Die beiden Basalganglien helfen, Reaktionen abzuwägen und gegebenenfalls abzuschalten. Die Funktion der Vermisregion allerdings ist nicht klar.[19]

Entwicklungsanomalien des Gehirns bei ADS

Zametkin wies anhand eines Messverfahrens mithilfe einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) eine geringere Hirnaktivität bei Erwachsenen mit einer Form von ADS nach. Hierzu injizierte er den Testpersonen radioaktive Glukose. Mithilfe des PET-Gerätes konnte er den Glukoseverbrauch in den einzelnen Hirnregionen nachweisen. Vor allem in den vorderen Bereichen des Gehirns stellte er große Unterschiede zwischen Erwachsenen mit und Erwachsenen ohne ADS fest. Diese Differenz ließ sich durch die Gabe von Stimulanzien vorübergehend korrigieren. Bei einer weiteren Studie mit 20 Jugendlichen wies er eine vergleichbar reduzierte Hirnaktivität der Jugendlichen mit ADS im Vergleich zu Jugendlichen ohne ADS nach. Bei weiblichen Jugendlichen erwiesen sich die Unterschiede größer als bei männlichen. Weiterhin konnten bei den ADS-Personen deutliche Veränderungen in der Hirnrinde festgestellt werden sowie Veränderungen der Bereiche des Gehirns, die für die motorische Aktivität, das Verhalten und die Daueraufmerksamkeit zuständig sind.[20]

Fehlerhafte Gene und der Neurotransmitter Dopamin

Der Neurotransmitter Dopamin wird in spezifischen Bereichen von Neuronen freigesetzt. Das Molekül hemmt oder moduliert die Aktivität anderer Neurone – vor allem dieser, die auf Gefühle oder Motorik Einfluss haben. Die Wirkung des Dopamins ist auch abhängig von der Wirkung der Rezeptoren auf den gegengeschalteten Nervenzellen. Forscher im Bereich der Neurochemie kamen zu dem Ergebnis, dass Veränderungen in den Genen die Wirksamkeit des Dopamins beeinflussen.[21]

Dopamin ist ein Stoff, der neben Serotonin und Norepinephrin für das Verhalten eines Menschen zuständig ist. Imbalancen zwischen diesen drei Neurotransmitterstoffen führen zu Störungen im Verhalten.[22]

Nicht-genetische Faktoren

Verfrühte Geburt, Tabak- und Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, eine hohe Bleiexposition während der Kindheit oder eine Hirnverletzung, insbesondere am vorderen Stammhirn, können Unterschiede in der Aufmerksamkeit und Hyperaktivität / Impulsivität auslösen. Barkley weist jedoch darauf hin, dass in höchstens 5-10% der Fälle ADS die Folge einer Hirnschädigung ist.[23]

Umstrittene Thesen der Ursachenforschung

Ernährung

Barkley bestreitet die These, dass ADS mit den Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen zu tun hat. Vor allem im Bezug auf die These Feingolds (1975), Hyperaktivität würde durch chemische Zusätze in den Nahrungsmitteln ausgelöst, äußerte er sich kritisch. „Es konnte nie nachgewiesen werden, dass normale Kinder eine ADHS entwickeln, wenn sie bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen, oder dass sich der Zustand von Kindern mit ADHS durch ihren Verzehr beträchtlich verschlechtert.“[24]

Auch Krowatschek deutet auf mangelnde Verifizierung der Feingoldschen Diät gegen ADHS hin. „Insgesamt [.] sagen die meisten Studien aus, daß Hyperaktive keine Verbesserung durch die Diät erzielen.“[25]

Barkley steht der These, ADHS würde durch übermäßigen Verzehr von Zucker verursacht, ebenfalls kritisch gegenüber.

ADS durch Pilze verursacht?

Der Kinderarzt und Allergologe Crook ist ein Vertreter der These, ADS werde durch Pilze, die innerhalb des Körpers leben können, verursacht. Er ist der Ansicht, dass die Giftstoffe, die von diesen Pilzen produziert werden, Gehirn und Nervensystem beeinträchtigen und das Immunsystem schwächen können. Indirekt vertritt Crook auch Feingolds These, Zucker sei für Hyperaktivität förderlich, da der Zucker das Wachstum der Pilze begünstige.

Gegenwärtig gibt es nicht die Spur eines Beweises für Crooks Theorie. [.] wer Crooks Empfehlung folgt und sein Kind Vitamine und Mineralstoffe in hohen Dosierungen einnehmen lässt, setzt [.] sogar dessen Gesundheit aufs Spiel. [.] Da auch die Fachverbände die These von der Pilzunverträglichkeit für unhaltbar halten, sind Eltern am besten beraten, wenn sie sie schlichtweg ignorieren.[26]

[...]


[1] Götz 2004, S. 12

[2] Imhof 2011, S. 109 ff.

[3] Vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

[4] Vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

[5] Imhof 2011, S. 107 ff.

[6] http://www.welt.de/gesundheit/article113348472/Warum-so-viele-Kinder-in-Deutschland-ADHS-ha ben.html , Zugriff 15.08.2013

[7] Krowatschek 2001, S. 19

[8] Krowatschek 2001, S. 20

[9] Vorbedingungen für die Diagnostik von ADS nach DSM-IV

[10] Internationale Klassifikation (ICD; Englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems)

[11] Diagnostik von ADS nach ICD-10

[12] Barkley 2011, S. 43 ff.

[13] Krowatschek 2001, S. 21

[14] Krowatschek 2001, S. 23

[15] Krowatschek 2001, S. 23 f.

[16] Krowatschek 2001, S. 62

[17] Krowatschek 2001, S. 62

[18] Barkley 2011, S.124

[19] Krowatschek 2001, S. 62 f.

[20] Raschendorfer 2003, S. 23 f.

[21] Krowatschek 2001, S. 64 f.

[22] http://adsinfos.wordpress.com/hirnforschung-medikamente/ , Zugriff 10.09.2013

[23] Barkley 2011, S. 112

[24] Barkley 2011, S. 127

[25] Krowatschek 2001, S. 71

[26] Barkley 2011, S. 132 f.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Das ADS-Syndrom und Lehrerbildungsmaßnahmen für inklusiven Unterricht
Hochschule
Universität Passau
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
55
Katalognummer
V264887
ISBN (eBook)
9783656555018
ISBN (Buch)
9783656555131
Dateigröße
945 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ADS, ADHS, AD(H)S, Aufmerksamkeitsstörung, Inklusion, inklusiver Unterricht, Aufmerksamkeitsdefizit, ADS-Störung, Lehrerbildungsmaßnahmen, Pro Inklusion, Contra Inklusion, Lernschwierigkeiten, Auffälligkeiten, Lernbehinderung, Auffällige Schüler, Verhaltensauffällig, verhaltensauffällige Schüler
Arbeit zitieren
Tobias Bauernschmid (Autor:in), 2013, Das ADS-Syndrom und Lehrerbildungsmaßnahmen für inklusiven Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264887

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