Das Mitentscheidungsverfahren - Regeln und Erfahrungen


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1, 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Die Regeln des Mitentscheidungsverfahrens
2.2. Die Nutzung des Mitentscheidungsverfahrens in der Praxis
2.3. Die Folgen des Mitentscheidungsverfahrens für das Europäische Parlament
2.4. Die Folgen der Mitentscheidung für die Beziehungen zwischen Parlament, Ministerrat und Kommission
2.5. Die Folgen des Mitentscheidungsverfahrens für die Effizienz der Gesetzgebungsprozesse

3. Konklusion

1.Einleitung

Das Mitentscheidungsverfahren, das am 1. November 1993 mit dem Vertrag von Maastricht eingeführt wurde und dabei das Kooperationsverfahren in weiten Teilen der Gesetzgebung ablöste, war der bisher erfolgreichste Versuch das Europäische Parlament maßgeblich an der Gesetzgebung der Europäischen Union zu beteiligen. Seit seiner Einführung wurde das Verfahren auf immer mehr Bereiche der EU- Gesetzgebung ausgedehnt[1] und nimmt schon jetzt eine zentrale Rolle unter den Legislativverfahren ein. Weiterhin ist anzunehmen, dass das Verfahren im Zuge der anstehenden Ausweitung der Anwendungsbereiche nochmals an Bedeutung hinzugewinnt und vielleicht bald zum wichtigsten Rechtssetzungsverfahren in der Europäischen Union wird.

Insofern scheint es gerechtfertigt sich näher mit diesem Verfahren zu beschäftigen und dabei einen problematischen Aspekt näher zu untersuchen: Die Frage der Effizienz.

Trotz der Vereinfachung der Mitentscheidung durch den Vertrag von Amsterdam haben Kritiker immer wieder auf die Komplexität und angebliche Schwerfälligkeit des Verfahrens verwiesen. Im Mittelpunkt der Hausarbeit steht deshalb die Frage, inwieweit das Mitentscheidungsverfahren die Effizienz der Gesetzgebungsprozesse beeinträchtigt.

Dabei soll allerdings auch berücksichtigt werden, ob eine eventuelle Beeinträchtigung der Effizienz in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel, das heißt einer gesteigerten Beteiligung des Europäischen Parlaments steht. Die Frage nach dem Einfluss der einzelnen am Mitentscheidungsverfahren beteiligten Akteure wird dabei vernachlässigt, da es offensichtlich ist, dass das Parlament im Mitentscheidungsverfahren auf Kosten von Ministerrat und Kommission wesentliche Rechte bei der Gesetzgebung hinzugewinnt.

Bei der Behandlung des Themas habe ich mich hauptsächlich den Erfahrungen mit dem Verfahren zugewendet, das heißt größtenteils empirische Daten verwendet und modellhafte Studien, z. B. zur Einflussnahme der verschiedenen Akteure,[2] außer Acht gelassen oder nur insoweit miteinbezogen, wie sie der Beantwortung der Leitfrage dienen.

Zur Einführung in die Problematik werde ich zunächst die genauen Strukturen des Mitentscheidungsverfahrens nach dem Vertrag von Amsterdam sowie die Unterschiede zur ersten Version des Verfahrens erläutern, worauf anschließend die Nutzung des Mitentscheidungsverfahrens in der Praxis behandelt werden soll. Anschließend werde ich auf die Folgen der Mitentscheidung für das Europäische Parlament eingehen, um dann die Einwirkungen des Verfahrens auf die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren Rat, Parlament und in geringer Weise der Kommission näher zu untersuchen. Im letzten Kapitel wird die Wirkung des Verfahrens auf die Effizienz der Gesetzgebung im Mittelpunkt stehen. Abschließend möchte ich hier noch die Definition von Effizienz erläutern, die ich im Folgenden verwenden möchte. In dieser Arbeit soll Effizienz als Leistungsfähigkeit verstanden werden, womit die Fähigkeit gemeint ist, eine bestimmte Leistung, hier der Erlass eines Rechtsaktes, in einer bestimmten Zeit, also möglichst schnell, zu erbringen.

2. Hauptteil

2.1. Die Regeln des Mitentscheidungsverfahrens

Das Verfahren der Mitentscheidung nach Artikel 251 EGV beginnt mit dem Einbringen eines Gesetzesentwurfs durch die Kommission, welche den Vorschlag gleichzeitig dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament übermittelt. In erster Lesung hat das Parlament die Möglichkeit mit einfacher Mehrheit Abänderungsvorschläge zu verabschieden, über die anschließend der Rat abstimmen muss. Dieser hat nun zwei Möglichkeiten, wobei in jedem Fall die Qualifizierte Mehrheit[3] seiner Mitglieder erforderlich ist: Erstens kann er den vom Parlament nicht geänderten Entwurf annehmen bzw. alle Änderungsanträge des Parlaments billigen. Damit wäre der Rechtsakt erlassen.

Billigt der Rat allerdings nicht alle Änderungsvorschläge des Parlaments, ist er verpflichtet einen Gemeinsamen Standpunkt festzulegen und diesen dem Parlament zur zweiten Lesung zu unterbreiten.

An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass das Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt keiner zeitlichen Einschränkung unterliegt, was für die Einschätzung der Effizienzfrage von besonderer Bedeutung ist. Das Parlament sowie der Ministerrat sind bei der ersten Lesung bzw. bei der Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunkts also an keinerlei Fristen gebunden. Erst ab der zweiten Parlamentslesung ist das Mitentscheidungsverfahren in klare Zeitlimits eingebunden, die nur im Ausnahmefall verlängert werden können[4].

Das Europäische Parlament muss innerhalb von drei Monaten entscheiden, ob es den Gemeinsamen Standpunkt des Rates ablehnen, billigen oder ändern will. Im Falle einer Ablehnung, für die die absolute Mehrheit der Mitglieder erforderlich ist, wäre der Rechtsakt gescheitert. Billigt das Plenum den Ratsstandpunkt oder äußert es sich innerhalb der dreimonatigen Frist nicht, gilt der Rechtsakt als erlassen. Für eine Billigung des Standpunktes ist allerdings nur die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Außerdem kann das Parlament mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder Änderungen am Gemeinsamen Standpunkt des Rates vornehmen, welche dann dem Rat sowie der Kommission bekanntgegeben werden. Die Kommission nimmt Stellung zu den Änderungsanträgen und hat hier zum ersten Mal seit der Einbringung des Gesetzesvorschlags wieder die Möglichkeit in den Gesetzgebungsprozess einzugreifen, indem sie die Abstimmungsmodalitäten im Rat mitbestimmt.

Will der Rat innerhalb der Frist von drei Monaten die Änderungen des Parlaments billigen, kann er das mit der Qualifizierten Mehrheit seiner Mitglieder, wenn die Kommission den Änderungen positiv gegenübersteht. Lehnt die Kommission die Parlamentsanträge jedoch ab, muss die Billigung einstimmig beschlossen werden. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Rat auch gegen den Willen der Kommission das Gesetz verabschieden.

Stellt der Ministerrat fest, dass er nicht alle Änderungsvorschläge des Parlaments annehmen kann, beruft der Präsident des Rates zusammen mit dem Präsidenten des Parlaments innerhalb einer Frist von sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein.

Dieser Ausschuss, bestehend aus fünfzehn Vertretern des Rates, ebenso vielen des Parlaments und einem Kommissionsvertreter[5], muss innerhalb von sechs Wochen zu einer Einigung kommen. Andernfalls gilt der Rechtsakt als gescheitert.

Einigen sich die Vertreter beider Institutionen im Vermittlungsausschuss auf eine letzte Fassung des Gesetzestextes, wird über diesen wiederum im Plenum des Parlaments sowie im Rat abgestimmt. Nehmen das Parlament mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen und der Rat mit der Qualifizierten Mehrheit den Entwurf an, ist der Rechtsakt erlassen.

Lehnt eine der Institutionen den Vorschlag jedoch ab, ist der Entwurf endgültig gescheitert.[6]

Die hier beschriebene Prozedur bezieht sich auf die vereinfachte Version des Mitentscheidungsverfahrens, die mit dem Vertrag von Amsterdam 1999 eingeführt wurde.

Unterschiede zur ersten Version der Mitentscheidung liegen insbesondere in der Möglichkeit der Beendigung des Verfahrens nach der ersten Parlamentslesung und der Setzung einer Frist von sechs Wochen zur Einberufung des Vermittlungsausschusses, welche beide den Ablauf des Verfahrens erheblich beschleunigen und vereinfachen können. Eine weitere Regel, die mit dem Vertrag von Amsterdam abgeschafft wurde, ist die Bestätigung seines Gemeinsamen Standpunkts durch den Rat nach einem Scheitern im Vermittlungsausschuss, welche das Verfahren unnötig in die Länge zog und außerdem nur dazu zu dienen schien, das Parlament zu benachteiligen[7].

2.2. Die Nutzung des Mitentscheidungsverfahrens in der Praxis

Um einen Überblick über die Folgen zu geben, die die Einführung des Mitentscheidungsverfahren auf die Gesetzgebung der EU hatte, scheint es sinnvoll, sich zunächst mit der tatsächlichen Nutzung der Politikgestaltungsfunktion in der Praxis auseinanderzusetzen.

Insgesamt wurden zwischen 1993 und 1997 379 Gesetzesvorlagen auf dem Wege der Mitentscheidung eingebracht, von denen 166 erfolgreich waren und nur drei scheiterten. Die übrigen Verfahren waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen (179) oder wurden vorzeitig zurückgezogen (21). Bis Juli 2002 waren schon 417 Mitentscheidungsverfahren abgeschlossen, 185 Verfahren befanden sich noch im Prozess der Entscheidungsfindung.[8]

In diesem Zeitraum zeichnet sich ein deutlicher Trend zur verstärkten Mitwirkung des Parlaments bei der Gesetzgebung ab: Während die Beteiligungsquote des Parlaments an der Gesetzgebungstätigkeit des Rates im Jahre 1993 noch 49,1% betrug, stieg dessen Mitwirkung stetig bis auf 75,8% im Jahre 1999.

Dabei stieg der gemeinsame Anteil von Mitentscheidungs- und Kooperationsverfahren von anfangs 11,1% 1993 auf einen Höchststand von 21,33% 2001. Seitdem liegt die Quote konstant bei ca. 21 %, wobei der Abfall der Gesamtrate der Parlamentsbeteiligung nicht durch einen sinkenden Anteil des Mitentscheidungsverfahrens verursacht wurde. Zusätzlich ist anzurmerken, dass der relative Anteil des Kooperationsverfahrens im Verhältnis zur Mitentscheidung kontinuierlich abnahm.[9]

Die Einführung der Mitentscheidung trug also erfolgreich zur Steigerung der Beteiligung des Parlaments an der Gesamtgesetzgebung des Rates bei und verdrängte dabei das Kooperationsverfahren zusehends.

Abschließend muss auf eine Verzerrung hingewiesen werden, die sich aus der Verteilung der Entscheidungskompetenzen bei der Gesetzgebung ergibt. Ein Großteil der Entscheidungsproduktion der Europäischen Union betrifft Rechtsakte aus Bereichen, bei denen das Parlament komplett von der Gesetzgebung ausgeschlossen ist, beispielsweise die Zoll-, Agrar- und Fischereipolitik, die zusammen 64,01% der Gesamtgesetzgebung ausmachen. Betrachtet man nur diejenigen Rechtsakte, die den Binnenmarkt betreffen, so kommt man für das Kooperations- bzw. das Mitentscheidungsverfahren auf einen Anteil von 65 % .[10]

[...]


[1] Der Vertrag von Amsterdam sah eine Erweiterung der bisher geltenden Anwendungsbereiche von 15 auf 38 Fälle vor. Außerdem wurde eine automatische Ausdehnung der Handlungsermächtigungen auf zwei weitere Bereiche, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam beschlossen.

[2] Vgl. Crombez, Christophe (1997),The Codecision procedure in the european union, in: Legislative Studies Quarterly 22, 1/1997, S.97-119; Tsebelis, George/Garrett, Geoffrey (2000),Legislative Politics in the European Union, in: European Union Politics 1, Nr.1/2000, S. 9-36.

[3] Um die Qualifizierte Mehrheit zu erreichen, sind 62 von 87 Stimmen (entspricht 71 %) erforderlich. Die Stimmen werden entsprechend der Bevölkerungszahl wie folgt gewogen: Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien erhalten zehn Stimmen, Spanien acht, Belgien, Griechenland und die Nierderlande haben jeweils fünf Stimmen, Österreich und Schweden besitzen je vier Stimmen, Dänemark, Irland und Finnland je drei und Luxemburg hat zwei Stimmen zur Verfügung.

[4] In den Verträgen ist eine Verlängerung der Fristen von drei Monaten bzw. sechs Wochen um maximal einen Monat bzw. zwei Wochen vorgesehen.

[5] Der Vertreter der Kommission hat nur eine beratende Funktion.

[6] Vgl. Artikel 251 EG-Vertrag; vgl. auch grafische Darstellung im Anhang.

[7] Vgl. Maurer, Andreas/ Wessels, Wolfgang (2003), Das Europäische Parlament nach Amsterdam und Nizza: Akteur, Arena oder Alibi, Baden-Baden, S.83.

[8] Vgl. Maurer/ Wessels, Das Europäische Parlament nach Amsterdam und Nizza, S.121f.

[9] Vgl. ebd., S.123-125.

[10] Vgl. ebd., S. 126.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Mitentscheidungsverfahren - Regeln und Erfahrungen
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich 3 - Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar- Vergleichende Regierungslehre- Das Politische System der Europäischen Union
Note
1, 3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V26484
ISBN (eBook)
9783638288033
Dateigröße
862 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Mitentscheidungsverfahren ist ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union
Schlagworte
Mitentscheidungsverfahren, Regeln, Erfahrungen, Proseminar-, Vergleichende, Regierungslehre-, Politische, System, Europäischen, Union
Arbeit zitieren
Julia Rauland (Autor:in), 2004, Das Mitentscheidungsverfahren - Regeln und Erfahrungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26484

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