Sozialarbeit in Familien mit psychisch krankem Elternteil


Diplomarbeit, 2003

86 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. AUSWIRKUNGEN DER PSYCHISCHEN ERKRANKUNG EINES ELTERNTEILS AUF DIE FAMILIE
2.1. Funktionen der Familie und Funktionsverluste der Familie durch die psychische Erkrankung eines Elternteils
2.2. Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf die einzelnen Mitglieder der Familie
2.2.1. Der psychoseerkrankte Elternteil
2.2.1.1. Die Folgen einer akuten psychotischen Erkrankung
2.2.1.2. Die chronisch psychische Erkrankung und ihre Bedeutung für die Familie
2.3.1. Die Folgen für die Kinder
2.3.1.1. Unmittelbare Reaktionen der Kinder auf den veränderten erkrankten Elternteil
2.3.1.2. Folgeprobleme für die Kinder
2.4.1. Auswirkungen auf den Partner
2.4.1.1. Die Belastungen für den Partner in der psychotischen Krise
2.4.1.2. Auswirkung auf den Beziehungsalltag des Paares

3. AUFGABEN, ANGEBOTE UND ZUSAMMENARBEIT DER ERWACHSENEN- PSYCHIATRIE UND JUGENDHILFE IN DER FAMILIENARBEIT
3.1. Aufgaben und Angebote einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung
3.1.1. Aufgaben einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung
3.1.2. Angebote einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung
3.1.2.1. Stationäre Angebote
3.1.2.2. Komplementäre Angebote
3.1.2.3. Ambulante Angebote
3.2. Aufgaben und Leistungen der Jugendhilfe
3.2.1. Aufgaben der Jugendhilfe
3.2.2. Leistungen der Jugendhilfe
3.2.2.1. Hilfen zur Förderung der Erziehung in der Familie
3.2.2.2. Hilfen zur Erziehung
3.2.3.Zwischenergebnis
3.3. Zusammenarbeit der beiden Handlungssysteme Erwachsenenpsychiatrie und Jugendhilfe in der Praxis
3.3.1. Spannungsfelder der beiden Handlungssysteme
3.3.1.1. Parteilichkeit der beiden Institutionen
3.3.1.2. Selbstbestimmung des Erkrankten kontra mögliche Gefährdung des Kindes
3.3.1.3. Unterschiedliche Bearbeitungszeiten der Institutionen
3.3.1.4. Unterschiedliche zeitliche Maßstäbe in der Betreuung von Eltern und Kindern
3.3.2. Möglichkeiten einer gelingenden Kooperation

4. CASE MANAGEMENT IN DER SOZIALEN ARBEIT
4.1. Die Entwicklung der Sozialen Einzelfallhilfe (Case Work) und ihre Verbindungslinien zum Case Management
4.2. Das Konzept des Case Management nach Neuffer
4.2.1. Leitlinien einer fallorientierten Sozialen Arbeit
4.2.2. Ablauf und Phasen des Case Management

5. EINSATZMÖGLICHKEITEN FÜR DAS CASE MANAGEMENT KONZEPT NACH NEUFFER IN DER SOZIALEN ARBEIT IM ARBEITSFELD PSYCHIATRIE
5.1. Parallelen des personenzentrierte Ansatzes zum Case Management- Konzept
5.2. Case Management im Sozialpsychiatrischen Dienst

6. RESÜMEE

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

LITERATURVERVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

Auf Familien, in denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist und die Bedeutung dieser Erkrankung für die Familie wird in der Öffentlichkeit oder in der Fachliteratur bisher kaum eingegangen.

Die Erwachsenenpsychiatrie hat in ihrer Behandlung den erkrankten einzelnen Menschen im Blickfeld und nicht primär das soziale Umfeld. So beziehen sich ihre Angebote für Angehörige nicht auf die Kinder sondern im wesentlichen auf Eltern, welche psychisch kranke Kinder haben. Auch in der Sozialen Arbeit mit Familien, wie bspw. in der Jugendhilfe liegen kaum Erkenntnisse über die speziellen Probleme dieser Familien vor. Dass psychisch erkrankte Menschen auch Eltern sind und Kinder haben, scheint für die Erwachsenenpsychiatrie und der Jugendhilfe noch ein Randphänomen zu sein.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die sich sich schon seit langer Zeit mit den Kindern psychisch kranker Eltern beschäftigt, erkannte den Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung eines Elternteils und der psychischen Erkrankung der Kinder. So stellte Remschmidt u. a. fest, dass etwa ein Drittel der Kinder, die sich in stationärer Behandlung befinden, einen Elternteil haben der psychisch krank ist (s. Remschmidt, 1994, S. 14). Im Jahr 1996 wurde in Deutschland auf dem Kongress „Hilfen für Kinder psychisch Kranker“ (Veranstalter war der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker in der Zusammenarbeit mit dem Dachverband Psychosozialer Hilfsvereinigung) zum ersten Mal die problematische Situation der Kinder öffentlich gemacht. Dadurch richtete sich der Fokus auch auf die psychisch kranken Eltern und die gesamte familiäre Situation.

Von 1999 bis 2002 wurde vom Institut für soziale Arbeit e. V. in Kooperation mit der Fachhochschule in Dortmund ein Projekt zu der Thematik „Kinder psychisch kranker Eltern und deren Lebenssituation“ durchgeführt. Ziel war es, Kenntnisse über die Lebenswelten der Kinder und ihre Ressourcen zur Bewältigung dieser belastenden Situation zu erhalten. Daneben untersuchte das Projekt, wie die fachlichen Handlungsweisen der Erwachsenenpsychiatrie und Jugendhilfe unter einer sozialpädagogischen Perspektive mit den Problemen der Kinder und der Familien umgehen (s. Schone, 2002, S. 9). Das führte dazu, dass die Lebenswelt der betroffenen Familien mit erfasst wurde. Ich werde mich in meiner Arbeit besonders auf die Ergebnisse dieses Projekt stützen.

Im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit steht die Frage, inwieweit das Case Management, als eine Arbeitsform der Sozialen Arbeit, eine geeignete Arbeitsfweise darstellt, um Familien, in denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist, effektiv und effizient zu unterstützen. Es gibt verschiedene Case Management Modelle (s. Schleuning, 2000, S.1ff.) die zumeist den Bezug auf einzelne Erkrankte nehmen. In dieser Arbeit soll die Anwendung des Case Management Konzeptes von Neuffer dargestellt werden. Er richtet sein Konzept ganz speziell auf die fallorientierte soziale Arbeit mit dem Einzelnen und mit Familien (Neuffer, 2002).

Im ersten Schritt meiner Arbeit ist es zunächst erforderlich darzustellen, was es für das Familiensystem bedeutet, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt. Dabei lege ich für den Begriff der ,Familie’ die Definition des siebten Jugendberichts, des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit aus dem Jahr 1986 zugrunde. Da ist mit Familie die „ auf persönlichen Beziehungen gegründete Gemeinschaft gemeint, in der Erwachsene und junge Menschen auf Dauer angelegt miteinander leben, dabei aufeinander Einfluss nehmen und füreinander Verantwortung tragen “ (zitiert n. Schewe, 2000, S. 277). Diese Definition umfasst alle mögliche Formen von Familienbeziehungen, wie die klassische Familie, Mutter, Vater, Kinder, die Ein-Eltern-Familie, Stieffamilien usw.

Es ist zunächst danach zu fragen, welche Funktionen die Familie hat und welche Funktionsverluste die psychische Erkrankung eines Elternteils nach sich zieht. Was konkret die psychische Erkrankung eines Elternteils in bezug auf die Situation der einzelnen Familienmitglieder innerhalb des Familiensystems bewirkt, soll hier thematisiert werden. Im dritten Teil der Arbeit werde ich der Frage nachgehen, welche Unterstützungsangebote die Erwachsenenpsychiatrie und die Jugendhilfe, als die beiden wichtigen Institution im Umgang mit psychisch kranken Menschen und bei familiären Problemen für diese Familien anbieten. Dabei zeige ich auf, welche Hilfsangebote die beiden Institutionen anbieten, was sie voneinander unterscheidet, wo ihre Grenzen und Möglichkeiten liegen und was dies für die praktische Arbeit mit den Familien bedeutet. Ich beschreibe anschließend die Konflikte und Spannungsfelder, welche in der praktischen Zusammenarbeit durch die unterschiedlichen Handlungsaufträge der beiden Institutionen auftreten, Anschließend stelle ich Ansätze dar, wie die Kommunikationsstruktur und Zusammenarbeit der Fachkräfte der beiden Institutionen verbessern werden könnte. Im anschließenden Kapitel soll dann untersucht werden, welches spezifisches Lösungspotenzial Case Management hat. Wo dieses Konzept institutionell unter welchen Bedingungen verortet werden soll, stelle ich im letzten Abschnitt vor. Im Ressüme werde ich die Ergebnisse der Arbeit zusammenfassend darlegen.

2. AUSWIRKUNGEN DER PSYCHISCHEN ERKRANKUNG EINES ELTERNTEILS AUF DIE FAMILIE

2.1. Funktionen der Familie und Funktionsverluste der Familie durch die psychische Erkrankung eines Elternteils

Die Familie erfüllt verschiedene Funktionen, wie die Erziehung und Sozialisation der Kinder, die Regeneration der einzelnen Mitglieder und deren finanzielle Versorgung (s. Textor, 1990, S. 89).

Die Erziehung und Sozialisation des Kleinkindes, das Befriedigen und Sicherstellen grundlegender Bedürfnisse wie Körperpflege, Ernährung, aber auch Verlässlichkeit und Bindung, Sicherheit, Vertrauen, emotionale und verbale Zuwendung und Anerkennung ist grundlegend für die Entwicklung des Urvertrauens und der Identitätsentwicklung des Kindes.

Die Regenerationsfunktion leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der psychischen Gesundheit und Integrität des Einzelnen. Die Familie ist Rückzugsraum gegenüber dem außerfamiliären Alltag und die Mitglieder unterstützten einander bei der Verarbeitung der von außen kommenden Belastungen.

Die finanzielle Versorgung garantiert die Beteiligung an den gesell- schaftlichen Gegebenheiten, wie Bildung, Kultur, Gesundheit und Freizeit.

Bei einer psychischen Erkrankung eines Elternteils werden die oben genannten Familienfunktionen beeinträchtigt und können oft nur noch unzureichend erfüllt werden. So besteht die Gefahr, dass bei einer Erkrankung der primären Bezugsperson Defizite der kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung beim Kind entstehen. Diese sind umso größer, je jünger das Kind ist. Bei einer länger bestehenden Erkrankung kann die finanzielle Versorgung wegbrechen. So kann sich bspw. die wirtschaftliche und soziale Lage der Familie durch Arbeitslosigkeit und den dadurch bedingten finanziellen Problemen verschlechtern. Durch die innerfamiliären Anspannungen und Belastungen aufgrund der Erkrankung bricht auch die Regenerationsfunktion weg.

Die Funktionsverluste sind abhängig davon, welcher Elternteil erkrankt ist. Die Rollenverteilung innerhalb der Familie ist oft noch traditionell und die Haushaltsführung und Kindererziehung wird nach der Geburt eines Kindes von der Frau vorgenommen, während der Mann weiterhin erwerbstätig bleibt. Empirische Daten, die seit den 50er Jahren erhoben wurden zeigen, dass die Aufgabenbereiche der Frau trotz vermehrter Berufstätigkeit nach wie vor Hausarbeit und Kindererziehung sind (s. Lakemann, 1999, S. 41).

Erkrankt der Mann, kann die Funktion der Familie wie Erziehung und Regeneration von der Frau aufrecht erhalten werden. Es zeigt sich auch, dass psychisch kranke Männer durch die Ehefrau stabilisiert werden. Durch die krankheitsbedingte Einschränkung des Mannes in seiner Berufsausübung, wie bspw. Wechsel des Arbeitsplatzes, oder Umschulungsmaßnahmen und Erwerbsunfähigkeit, können finanzielle Engpässe entstehen. Dadurch kann es zu einer Rollenverschiebung kommen, wobei die Frau die einzige Versorgerin der Familie wird.

Dagegen kann der Ausfall der Frau aufgrund einer psychischen Erkrankung weniger gut kompensiert werden. Denn das bedeutet für den Mann eine zusätzliche Belastung, da er sich neben seiner Berufstätigkeit um die Versorgung der Kinder kümmern muss. Auch ist nun die Gefahr größer, dass die familiären Strukturen durch Trennung auseinanderfallen, da das Trennungsrisiko bei der Erkrankung der Frau größer ist (s. Schone, 2002, S. 69).

Besteht die Familie nur aus einem Elternteil, der „Ein-Eltern-Familie“, welche in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat, (s. Bullinger, 1998, S. 53) sind die Auswirkungen für das Familiensystem noch gravierender. Die unmittelbare primäre Bezugsperson muss mit der Erkrankung und den Auswirkungen alleine zurechtkommen und kann sich nicht ausreichend um die Kinder kümmern. Es besteht hier ein erhöhter Bedarf an institutioneller Unterstützung, da auch im Gegensatz zur traditionellen Familie das soziale Netzwerk von Alleinerziehenden zu anderen Familien kleiner ist (s. Bullinger, 1998, S. 56 ff.).

2.2. Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf die einzelnen Mitglieder der Familie

2.2.1. Der psychoseerkrankte Elternteil

Eine psychische Erkrankung kann verschiedene Formen annehmen, wie z. B. Neurosen, Borderline, Persönlichkeitsstörungen usw. Ich beschränke mich jedoch auf Menschen, die an einer schizophrenen und affektiven Störung erkrankt sind. Dabei verwende ich den Begriff „Psychose“, auch wenn dieser im überarbeiteten ICD-10 (International Classification of Diseases der WHO) nicht mehr verwendet wird, da er neutraler, unbelasteter ist, als z. B. Schizophrenie oder schizophrene Störung. Psychosen sind schwerwiegende seelische Erkrankungen, die sich durch eine tiefgreifende Veränderung des Denkens, der Wahrnehmung und der Affektivität auszeichnet. Bei den schizophrenen Psychosen, zum Teil auch bei den affektiven Psychosen, können noch akzessorische Symptome wie Wahnideen und Halluzinationen (akustische, optische und taktile) dazukommen (s. Finzen, 2003, S. 39ff.).

Um verstehen zu können, wie Patienten eine Psychose erleben, haben in den 60er bzw. 70er Jahren die Psychiater Huber und Gross und die Psychologin Süllwold das Basisstörungs-Konzept entwickelt. Demnach sind bei einer Psychose bei den Erkrankten grundsätzliche Störungen im Bereich des Denkens, der Sprache, der Wahrnehmung, der Gefühle und der Bewegung vorhanden (s. Tab.1, in Wienberg, 1995, S. 35). Die Betroffenen nehmen diese vor und nach einer akuten psychotischen Krise, oder auch in symptomfreien Zeiten bei sich wahr. Durchgehend im Erleben der Störungen ist die Erfahrung innerer Verwirrung und Desorientierung. Der Versuch mit diesen Störungen umzugehen, verlangt von den Betroffenen eine erhöhte Anstrengung und hat oft zur Folge, dass sie sich von der Umwelt zurückziehen müssen. Bestimmte Arten von Basisstörungen können schließlich in spezifische psychotische Symptome übergehen.

Der Anfang, die Dauer und das Ende einer Psychose sind sehr individuell und nicht vorhersehbar. Im folgenden orientiere ich mich hauptsächlich an den Ausführungen von Helene Beitler, die in ihrem Buch „Psychose und Partnerschaft (2002)“ sehr gut beschreibt, wie die Symptome einer Psychose erlebt werden.

Sie schildert, dass die Psychose meist schleichend beginnt und von den anderen Familienmitgliedern, nicht wahrgenommen wird, sofern keine Erfahrung mit der Erkrankung vorhanden sind. Vorboten können z. B. sein: Schlaflosigkeit und das Gefühl starker innerer Unruhe. Die Betroffenen werden von Gedanken und Ideen überflutet, was zu Zerfahrenheit und Danebenreden führt. Auch kann es vorkommen, dass die Betroffenen sich zurückziehen, da sie von ihren inneren Erleben und Gefühlen überrollt und absorbiert werden. Für den Betroffenen beginnt sich die Innen- und die Außenwelt voneinander abzutrennen, das heißt die inneren persönlichen oder unbewussten Bilder treten immer stärker in den Vordergrund, sie nehmen Gestalt an oder beginnen als Stimmen zu sprechen. Diese Halluzinationen können auch als existentielle Bedrohung erlebt werden und dadurch starke Ängste auslösen. Die Betroffenen glauben von den Eindrücken weggeschwemmt zu werden. Das Erleben kann einem Traum gleichen, der wach erlebt wird. Daneben können weitere spezifische Symptome entstehen, so die Empfindung, dass Eindrücke oder Informationen von außen ungefiltert und ungehindert auf die Seele treffen. Dadurch kann ein Gefühl von Bedrohung oder Verfolgung entstehen.

In manchen Fällen verhält sich der Erkrankte feindselig und aggressiv gegenüber seiner Umwelt. Es kann auch vorkommen, dass Gewalt gegen sich selbst ausgeübt wird und Suizidabsichten oder Suizidversuche geäußert und ausgeführt werden. Durch diese intensiv erlebten Wahrnehmungen und der dadurch veränderten Erlebniswelt hat der Betroffene den Eindruck, er sei der einzige Gesunde und die anderen haben einen ’Mangel’. Die äußere Realität wird nur noch bruchstückhaft wahrgenommen, und dadurch kann es zu „ver-rückten“ Handlungen kommen (s. Beitler, 2002, S. 38). Der Erkrankte wird von seiner Umwelt als stark verändert, fremd und unheimlich wahrgenommen.

Bei den affektiven Psychosen, welche sich weniger auf Denken und Wahrnehmen auswirken, ist die Stimmung beeinträchtigt. Bei depressiven Psychosen stehen Symptome wie tiefgreifende Niederge- stimmtheit, ein Gefühl der Aussichtslosigkeit und Verzweiflung im Vordergrund. Oft kommen noch Schlaflosigkeit, Erschöpfung und körperliche Beschwerden hinzu. Die manische Psychose wird von einer abnormen Hoch- und Glücksstimmung, übermäßiges Aufgedreht- und Überdrehtsein begleitet. Es kommt zu Handlungen wie Geschäftsab- schlüssen oder Einkäufen, die in keinem Verhältnis zur momentanen verfügbaren Geldmenge stehen.

2.2.1.1. Folgen einer akuten psychotischen Erkrankung

Die psychotische Erkrankung eines Elternteils/Partners kann für das System 'Familie' zu einem Belastungs- und Stressfaktor werden und zu einer lebensweltlichen Veränderung für alle Beteiligten führen. Anhand der auftretenden Symptome wird deutlich, dass die anderen Familienmitglieder, sowie die gesamte familiäre Situation durch diese Erkrankung stark beeinträchtigt werden können.

Der Erkrankte ist besonders in der akuten Krise mit den alltäglichen Anforderungen innerhalb und außerhalb der Familie völlig überfordert. So fehlt dem Erkrankten durch die Beschäftigung und Auseinander- setzung mit seinen Symptomen die Kraft und die Sensibilität, die Bedürfnisse und Probleme der anderen Familienmitglieder wahrzunehmen. Ebenso können die unterschiedlichen Nebenwirkungen der Medikamente, wie z. B. eine erhöhte Müdigkeit oder die Beeinträchtigung der körperlichen Verfassung durch motorische Unruhe, Steifheit, sowie eine Gefühlsverflachung, die Kommunikation und den Kontakt mit den Angehörigen stark einschränken.

Oft ist eine Krise mit einem längerem Krankenhausaufenthalt verbunden, was eine Trennung von der Familie bedeutet. Die Betroffenen zweifeln daran, dass sie eine gute Mutter/ein guter Vater sind, und schämen sich dafür, was sie ihren Kindern und Partnern zumuten. Aus Scham wird häufig auch der Kontakt zur Umwelt eingeschränkt. Auch besteht nun oft die Angst, dass ihnen das Sorgerecht für ihr Kind entzogen wird oder dass sich der Partner von ihnen trennt.

Damit die Psychose zu Hause zu bewältigt werden kann, muss schon eine Erfahrung mit der Krankheit vorhanden sein. Selbst wenn das der Fall ist, kann diese Vorgehen nur gewählt werden, wenn der Partner und die Kinder dem vollkommen zustimmen und der Partner die Mehrfachbelastung übernehmen kann (s. Beitler, 2002, S. 67ff.). In den meisten Fällen wird der erkrankte Elternteil jedoch in einer Klinik behandelt.

2.2.1.2. Die Folgen einer chronisch psychische Erkrankung

Für die Familie und den Betroffenen ist die weitere Verlaufsform der psychotischen Erkrankung von Bedeutung. In verschiedenen Verlaufs- studien aus den 70er Jahren konnte aufgezeigt werden, dass fast ein Drittel der Betroffenen geheilt aus der Psychose hervorgehen, ein Drittel deutlich gebessert und ein Drittel durch die Psychose chronisch krank wurden (s. Finzen, 2003, S. 110). Diese Untersuchungen berücksichtigen allerdings nicht die heutigen psychiatrischen Behandlungsmethoden, wie z. B. Frühbehandlung, psychotherapeutische und soziotherapeutische Begleitung und Rehabilitation.

Heilt die Psychose aus, kommt es zu einer Normalisierung des Alltags.

Verläuft die Erkrankung jedoch chronisch, können durch die Einnahme von Medikamenten und deren Nebenwirkungen sowie den anhaltenden Negativsymptomen, bei dem Erkrankten Verhaltensveränderungen hervorgerufen werden. So kann dies zur Antriebslosigkeit, geringe Belastbarkeit, Passivität, sozialer Rückzug oder auch erhöhte emotionale Labilität führen. Diese gravierenden Veränderungen führen zu erhöhten Belastungen in der Familie und der Partnerschaft und haben unterschiedliche Auswirkungen auf das Familiensystem. Die Familie kann sich aus Scham vom sozialen Umfeld zurückziehen, da eine psychotische Erkrankung in der Gesellschaft immer noch stigmatisiert und mit den Eigenschaften wie gefährlich, aggressiv, unvernünftig, unheimlich und unberechenbar verbunden wird. Oder es kann zu einer Trennung vom erkrankten Elternteil kommen.

Inwiefern die Kinder von psychisch kranken Eltern betroffen sind und welche durch die Erkrankung verursachten Belastungen die Kinder erleben, werde ich im folgenden Kapitel beschreiben.

2.3.1. Die Folgen für die Kinder

2.3.1.1. Unmittelbare Reaktionen der Kinder auf den veränderten erkrankten Elternteil

Mattejat, ein Kinder- und Jugendpsychiater, der sich eingehend mit der Problematik der Kinder von psychosekranken Eltern beschäftigt hat, unterscheidet zwischen unmittelbaren Problemen und Folgeproblemen, an denen die Kinder im Falle einer psychischen Erkrankung eines Elternteils leiden können (s. Mattejat, zitiert in Wagenblass, 2001, S. 515).

Unmittelbare Probleme, die sich durch das direkte Erleben der Krankheit des Elternteils ergeben, sind: Desorientierung, Schuldgefühle, Tabuisier ung, Redeverbot und Isolierung.

Die Krankheitssymptome der Eltern werden nicht verstanden und können deswegen nicht eingeordnet werden (Desorientierung). Sie glauben häufig, dass sie an der Erkrankung schuld sind (Schuldgefühle). Von den Eltern wird oft versucht, die Erkrankung als Familiengeheimnis zu wahren und das Kind bekommt dadurch die Botschaft, dass es über die familiäre Situation mit niemanden außerhalb der Familie sprechen darf (Tabuisierung und Redeverbot). Diese Situation führt in vielen Fällen dazu, dass sich die Kinder von ihrer sozialen Umwelt zurückziehen, um mit der Familie solidarisch zu sein (Isolierung).

2.3.1.2. Folgeprobleme für die Kinder

Folgeprobleme die sich aus der durch Erkrankung des Elternteils veränderten familiären und sozialen Situation ergeben sind:

Betreuungsdefizite, Zusatzbelastungen, Loyalitätskonflikt innerhalb der Familie, Loyalitätskonflikt nach au ß en und Abwertungserlebnisse.

Durch die Überforderung der Eltern mit ihren eigenen Problemen kommt es zu einem Defizit an Zuwendung und Aufmerksamkeit für die Kinder (Betreuungsdefizite). Die Kinder übernehmen Familienaufgaben, wie z. B. die Essenszubereitung, Einkaufen gehen oder sie kümmern sich um die Betreuung der jüngeren Geschwister. Durch diese zusätzlichen Aufgaben müssen die eigenen kindlichen Bedürfnisse zurücktreten (Zusatzbelastungen). Durch die Übernahme elterlicher Aufgaben kommt es zu einer Rollenverschiebung und die Kinder geraten in eine Erwachsenenrolle, die sie überfordert. (Parentifizierung). Sie erleben Spannungen und Konflikte zwischen den Eltern und werden in diese mit hineingezogen. Loyalitätskonflikte sind die Folge, da sie häufig mit der impliziten Erwartung eines Elternteils konfrontiert werden, für diesen Partei zu ergreifen, (Loyalitätskonflikt innerhalb der Familie). Auch gegenüber Freunden, Bekannten schwanken sie zwischen Loyalität mit den Eltern und Distanzierung von diesen, da sie sich für diese schämen (Loyalitätskonflikt nach au ß en). Sie erleben, dass sie von ihrer sozialen Umwelt abgewertet werden, aufgrund der Tatsache, dass ein Elterteil an eine psychische Erkrankung hat (Abwertungserlebnisse).

Diese beschriebenen Probleme zeigen auf, dass die Kinder unter der Erkrankung der Eltern stark leiden können. Wie sich diese familiären Probleme jedoch im Einzelfall für die Kinder auswirken, hängt von mehreren Faktoren ab.

So dürften die Auswirkungen der psychischen Erkrankung eines Elternteils auf die Kinder umso größer sein, je jünger die Kinder sind, je intensiver und chronischer die Krankheitsphase und der Krankheitsverlauf des betroffenen Elternteils ist. Es spielt eine Rolle, ob die Kinder über die Erkrankung informiert werden und der andere Elternteil oder andere Bezugspersonen eine kompensatorische Funktion übernehmen können. Auch ist zu berücksichtigen, wie die sozialen und ökonomischen Ressourcen der Familie sind und ob der innerfamiliäre Zusammenhalt durch Trennung, Scheidung oder instabile Partnerbeziehung gefährdet ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Bündelung dieser psychosozialen Auswirkungen die Kinder im allgemeinen stärker beeinflussen als die elterliche Erkrankung selbst (s. Deneke, 1998, S. 88).

Die Erkrankungen müssen aber nicht zwangsläufig zu einer Störung führen und können auch von den Kindern positiv bewältigt werden. Dabei übernimmt der gesunden Elternteil, der eine kompenatorische Funktion übernimmt eine wichtige Rolle (s. Remschmidt, 1994, S,14). Die Reaktion der betroffenen Kinder auf diese Belastungen sind unterschiedlich. Eine mögliche Verhaltensweise ist die, dass sie sich von der Außenwelt zurückziehen und still und verschlossen werden. Es kann aber auch zu externalisierten Formen kommen, wie Aggressivität, Störungen des Sozialverhaltens oder anderen Verhaltensauffälligkeiten.

2.4.1. Auswirkungen auf den Partner

Es gibt bisher kaum Studien die sich mit der Lebenssituation von Ehepartnern beschäftigen, welche mit einem Partner zusammenleben, der an einer Psychose erkrankt ist. Die psychiatrische Fachliteratur beschäftigte sich hauptsächlich, mit den Belastungen und Problemen von Familienangehörigen die mit einem psychisch erkrankten erwachsenen Kind, zusammenleben.

Ich beziehe mich auf eine Studie von Jungbauer (2002), in der er mit 49 Partnern schizophrener Menschen ein ca. halbstündiges narratives Interview durchführte. Die Zielsetzung der Studie war es zu erfahren, was sich für den Angehörigen seit der Erkrankung des Partners verändert hat und wie sie die Erkrankung des Partners und den gemeinsamen Alltag erleben.

2.4.1.1. Die Belastungen für den Partner in der psychotischen Krise

Für den Partner ist der Beginn der Psychose oft mit starken psychischen Belastungen wie Angst, Verzweiflung und Hilflosigkeit verbunden. Es bestehen in der Regel erhebliche Informationsdefizite über die Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. In der Zusammenarbeit mit den Ärzten und der Psychiatrie erleben sie Schuld-, Scham- und Versagensgefühle und fühlen sich von den behandelnden Ärzten nicht ernst genommen.

Neben der Betreuung des psychisch erkrankten Partners müssen sie nun die alltäglichen Verpflichtungen, wie die Erziehung und Versorgung der Kinder, Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit alleine organisieren und bewältigen. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit der Partner alleine zuhause gelassen werden kann oder ob er in eine Klinik eingewiesen werden muss. Zusätzliche Belastung und Stress kommt auf den Partner zu, wenn er die Verantwortung übernehmen muss, ob eine Einweisung in ein Klinik erfolgen soll, z. B. bei Suicidäußerungen oder in manischen Phasen, wobei der erkrankte Partner einen Klinikaufenthalt ablehnt. Mit zunehmender Krankheitserfahrung und besserer Informiertheit sind die Partner eher in der Lage, die auftauchenden Probleme in der Krise zu bewältigen. Wenn die psychotischen Krisen gehäuft auftauchen, langandauernd sind und es immer wieder zu den akuten Belastungen kommt, kann dies in letzter Konsequenz zu einer Trennung vom erkrankten Partner führen.

2.4.1.2. Auswirkungen auf den Beziehungsalltag des Paares

Je stärker die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen und Veränder- ungen des Patienten erlebt werden, umso größer sind die auftauchenden Belastungen in der Paarbeziehung und im familiären Alltag. Die Angst davor, dass es wieder zu einem Rückfall kommt, führt dazu, dass der erkrankte Partner im Alltag genau beobachtet wird. So wird darauf geachtet, ob sich seine Verhaltensweisen verändern, bspw. wird beobachtet, ob der Partner an Schlaflosigkeit leider oder ob er sich vermehrt von seiner Umgebung zurückzieht. Dies bringt eine erhöhte chronische Anspannung mit sich. Auch Alltagssituationen, die mit Aufregungen verbunden sind, wie z. B. Urlaub, Umzug oder eine Familienfeier führt bei dem Partner zu erhöhter Aufmerksamkeit, da diese Stresssituationen das Risiko für einen psychotischen Schub erhöhen können.

Im Falle einer dauerhaften Einschränkung des Partners und der damit verbundenen Doppelbelastung des gesunden Partners im häuslichen Bereich und auf der Arbeit, kommt es zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität. Ebenso müssen Abstriche bei eigenen Bedürfnissen gemacht werden. Dies kann dazuführen, dass der gesunde Partner selber schwere gesundheitliche Probleme bekommt. Es zeigt sich, dass bei einer leichten bis mittelschweren Beeinträchtigung des erkrankten Partners im Alltag die Fortführung der Partnerschaft möglich ist. Wenn jedoch eine chronische Erkrankung vorliegt, leben die betroffenen Menschen eher nur noch selten in einer Partnerschaft (s. Jungbauer, 2002).

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Leben mit dem erkrankten Partner möglich ist, hängt stark davon ab, inwieweit die Erkrankung kognitiv-emotional verarbeitet werden kann. Es muss die Bereitschaft da sein, sich mit den Symptomen und den Behandlungsmöglichkeiten auseinander zusetzen. Darüber hinaus ist die gemeinsame Absprache- fähigkeit sehr wichtig (s. Beitler, 2002, S. 56). Voraussetzung dafür ist die beidseitige Akzeptanz der psychotischen Erkrankung und einer damit verbundenen neuen Definition des gemeinsamen Lebensentwurfes.

Die Erkrankung führt zu einer gravierenden Veränderung in der Familie.

Im kommenden Kapitel gehe ich darauf ein, wie die beiden Institutionen Erwachsenenpsychiatrie und Jugendhilfe mit diese komplexen, Situationen in diesen Familien umgehen. Anschließend zeige ich auf, welche Probleme die beiden Institutionen in der Zusammenarbeit haben und wie eine Kooperation gelingen kann.

3. AUFGABEN, ANGEBOTE UND ZUSAMMENARBEIT DER ERWACHSENEN PSYCHIATRIE UND JUGENDHILFE IN DER FAMILIENARBEIT

Das Verhältnis der Psychiatrie zu den Familienangehörigen hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Früher galten Angehörige „ [...] im besten Fall [...] als “ Lieferanten der Krankengeschichte “ , im schlechtesten Fall als diejenigen, die die psychische Erkrankung vererbt oder verursacht haben. Fast immer wurden Angehörige als Störenfriede angesehen [...] ( s. Baumann, 1998, S. 177 ).

Mittlerweile gibt es verschiedene Angebote der Psychiatrie, die die Angehörige in das Behandlungskonzept mit einbeziehen, so z. B. die Psychoedukative Gruppenarbeit für Angehörige, systemische Familientherapie, Beratung der Angehörigen (s. Wiedemann/ Buchkremer, 1995, S. 98 ff.).

Die Psychiatrielandschaft ist gekennzeichnet von einer Vielfalt an stationären, teilstationären, komplementären und ambulanten Angeboten (s. Abbildung 9 in Rahn, 1999, S. 52). Ich werde im kommenden Abschnitt deswegen nur die elementaren psychiatrischen Angebote einer gemeindenahen Psychiatrie beschreiben. Dabei lege ich den Schwerpunkt auf die Hilfsangebote, die in ihrer Arbeit mit der Problematik psychisch kranker Eltern in Berührung kommen. Denn es werden wenig spezifische Angebote für Familien, in denen ein Elternteil erkrankt ist, angeboten.

3.1. Aufgaben und Angebote einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung

3.1.1. Aufgaben einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung

1971 beschloss der Deutsche Bundestag, eine Enquete zur Lage der Psychiatrie erstellen zu lassen. Die Sachverständigenkommission stellte 1973 fest, dass viele psychisch Kranke unter menschenunwürdigen Verhältnissen in den psychiatrischen Anstalten leben mussten. Viele Patienten verbrachten schon Jahre oder Jahrzehnte in diesen Kliniken und hatten dabei den Bezug zu ihrem früheren Wohnort verloren, da dort keine geeignete ambulante Weiterbetreuung möglich war.

Die gemeindenahe Versorgung von psychisch Kranken wurde schließlich 1975 durch die veröffentlichte Psychiatrie-Enquete eingeleitet mit den Zielen:

- psychisch Kranken ein Leben in der Gemeinde, d. h. außerhalb der Kliniken zu ermöglichen;
- eine Gleichstellung von psychisch Kranken mit den somatisch Kranken bezüglich des Anspruchs auf gesundheitliche und soziale Hilfe zu erreichen;
- eine bedarfsgerechte und umfassende Versorgung aller psychisch Kranken zu sichern;
- die Koordination der psychiatrischen oder psychosozialen Dienste zu gewährleisten; (s. Bundestagsdrucksachen 7/4200 und 7/4201).

1988 wurde von einer Expertenkommission der Bundesregierung festgestellt, dass sich die Ziele der Psychiatrie-Enquete in der Praxis bewährt hätten, wobei sie ebenfalls konstatierten, dass durch das

„vielfach unkoordinierte und diffuse Nebeneinanderherarbeiten verschiedener Leistungsträger“ (s. Bundesministerium für Gesundheit, 1999, S. 75) den Bedürfnissen von chronisch psychisch Kranken und schwerkranken Menschen nicht ausreichend Rechnung getragen würde. Sie schlugen deshalb die Bildung eines Gemeindepsychiatrischen Verbundes vor. Dabei handelt es sich, um ein vertraglich vereinbarter Trägerverbund, der die verschiedenen Bausteine für die Versorgung der chronisch psychisch Kranken eines Versorgungsgebietes für ca. 100.000 bis 150.000 Einwohner zusammenfassen soll. Im Zentrum steht die ambulante sozialpsychiatrische Behandlung. Diese soll aus den Komponenten: aufsuchender ambulanter Dienst, Einrichtung mit Kontaktstellenfunktion und einer Tagesstätte bestehen. Es soll eine Kooperation mit den niedergelassenen Nervenärzten, den Kliniken und den komplementären Diensten erfolgen. Die Verantwortung der Koordination der Dienste liegt bei den Kommunen (s. Bundesministerium für Gesundheit, 1999, S. 76).

Es zeigt sich heute, dass die differenzierte und gemeindenahe psychiatrische Versorgung Standard ist. Wobei die Vernetzung und Kooperation bisher nur auf freiwilliger Basis passiert und die vertragliche Ebene oft ausgeklammert wird. Somit bleibt es noch immer dem regional sehr unterschiedlichen Engagement der freien Träger überlassen, ob sie die gemeindenahe sozialpsychiatrische Versorgung weiterentwickeln oder nicht (s. Böker-Scharnhölz, 1997, S.19).

Die gemeindepsychiatrische Versorgung zeichnet sich meist dadurch aus, dass stationäre/teilstationäre und ambulante Angeboten im näheren Wohnumfeld zu finden sind. Die Hilfen sollen sich an den Bedürfnissen der Patienten orientieren, sowie deren Probleme und Ressourcen berücksichtigen (s. Rahn, 1999, S40 ff.).

3.1.2. Angebote einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung

3.1.2.1. Stationäre Angebote

Durch eine Erhebung in verschiedenen psychiatrischen Institutionen konnte festgestellt werden, dass der Anteil von Eltern im stationären Bereich am höchsten ist, so hat ca. jeder fünfte Patient mindestens ein minderjähriges Kind (s. Schone, 2002, S. 63). Für die Problematik Elternschaft und psychiatrische Hospitalisation besteht in Deutschland kaum Interesse. In England wurde dagegen schon seit 1947 stationäre Behandlungsmöglichkeiten für Mutter-Kind angeboten, entweder in Form spezieller Mutter-Kind-Einheiten oder als Mitaufnahme in einer psychiatrischen Station (s. Hartmann, 2001, S. 540).

In Deutschland ist die gemeinsame stationäre Aufnahme von Mutter und Säugling/Kleinkind bis zum 6 Lebensjahr nur in wenigen psych- iatrischen Kliniken und dort auch nur auf den psychiatrischen Allgemein- stationen möglich. Spezielle Mutter-Kind-Einheiten gibt es bislang nicht. Die Gründe hierfür liegen in den Kosten. So wird von der Bundespflegesatzverordnung (s. Hartmann, 2001, 540) nur die Mutter als Patientin angesehen.

Neben Frauen mit Wochenbettpsychosen und Wochenbettdepressionen werden auch Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen wie Neurosen, schweren Persönlichkeitsstörungen und Psychosen auf diesen psychiatrischen Stationen aufgenommen. Wesentliches Ziel der Behandlung ist es, dass eine stabilere Entwicklung des Säuglings oder Kleinkindes erfolgt und dass ein besserer Kontakt zwischen Mutter und Kind ermöglicht wird. Es kann durch die gemeinsame Aufnahme geprüft werden, ob die Beziehung zwischen Mutter und Kind erhaltensfähig ist und die Mütter können unter Aufsicht die Säuglingspflege erlernen. In diesm Rahmen besteht auch die Möglichkeit, falls erforderlich eine vorläufige oder endgültige Trennung vom Kind vorzubereiten und zu bearbeiten.

Besonders für alleinerziehende Mütter bedeutet diese gemeinsame Auf- nahme eine enorme Entlastung. So brauchen sie sich nicht auch noch in der Krise, in der Sie selbst Unterstützung benötigen, darum zu kümmern, ihre Kinder gut unterzubringen und versorgen zulassen. Für das Kind bedeutet die gemeinsame Aufnahme, dass z. B. keine Heimeinweisung vorgenommen werden muss. Dadurch wird ein Wechsel der Bezugsperson vermieden und die Bindung zur Mutter gefördert und aufrechterhalten. Es zeigt sich, dass die Auseinandersetzung und das sich Einlassen auf die Bedürfnisse der Kinder für viele psychisch kranke Mütter sehr belastend ist.

Problematisch an der Mutter-Kind-Behandlung auf der Station ist, dass die Kinder im Alltag von den Mitarbeitern der Station mitversorgt werden müssen.

Eine eigenständige Betreuung für Kinder von psychisch kranken Eltern findet sich in der westfälischen Klinik Lengerich. Dort werden seit 1997 die Kinder (im Alter von einigen Wochen bis zum 12. Lebensjahr) tagsüber in einer Kinderwohngruppe „KOLIBRI“ durch pädagogisch qualifiziertes Person betreut (s. Abb. 1: Angebote für Kinder psychisch kranker Eltern aus Schone, 2002, S. 246-247 im Anhang). Mittlerweile haben sich durch Einzelinitativen von Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften weitere stationäre und teilstationäre Angebote entwickelt, wie z. B. an der Universitätsklinik in Hamburg-Eppendorf. Dort werden in einer Spezialambulanz psychisch belastete bzw. kranke Mütter und Väter mit noch ungeborenen Kindern, Säuglingen oder Kleinkindern bis zum Alter von 5 Jahren betreut. Seit 1998 sind 3 Plätze in einer Tagesklinik für psychisch belastete Mütter und ihren Babys eingerichtet worden (s. Deneke, 1998a, S. 139 ff. und Liste Abb. 1: Angebote für Kinder psychisch kranker Eltern aus Schone, 2002, S. 246-247 im Anhang).

3.1.2.2. Komplementäre Angebote

Unter Komplementären Angeboten versteht man die Dienste, die die Klinikbehandlung ergänzen sollen. Dazu gehört das Betreute Wohnen, welches psychisch kranke Menschen in allen Lebensformen umfasst. Meist handelt es sich um Betreute, die schon länger an einer Psychose erkrankt sind. Ziel ist es, die Betroffenen durch Begleitung und Beratung in alltags- und lebenspraktischen Angelegenheiten, bei der Kinder- erziehung und behördlichen Angelegenheiten zu unterstützten. Ebenso wichtig ist das Entwickeln einer Tagesstruktur und die Unterstützung bei der Arbeitssuche oder beim Aufbau eines sozialen Netzes. In der Regel werden 12 Betroffene von einer Fachkraft betreut. Bei diesem Betreuungsschlüssel ist es deshalb kaum möglich, auf die spezielle Problematik einer Familie mit Kindern einzugehen.

Vereinzelt gibt es mittlerweile Betreuungsangebote, die ganz speziell Familien mit Kindern in ihrem Angebot berücksichtigen, so z. B. das Wohnprojekt Harburg in Hamburg. Dieses Projekt entstand 1999 und unterstützt Alleinerziehende oder Paare mit Kindern in eigenen Wohnungen. Die ambulante Einzelbetreuung der Bewohner durch Sozialpädagogen erfolgt unterschiedlich. Es werden in einigen Familien die Kinder und Eltern betreut, in anderen Familien werden nur die Kinder oder nur die Eltern betreut. Der Betreuungsbedarf wird individuell mit den Eltern vereinbart und ausgehandelt.

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Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Sozialarbeit in Familien mit psychisch krankem Elternteil
Hochschule
Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
Note
1.0
Autor
Jahr
2003
Seiten
86
Katalognummer
V26483
ISBN (eBook)
9783638288026
Dateigröße
4508 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Thema ist: Wie geht es den einzelnen Familienmitgliedern wenn ein Elternteil an einer Psychose erkrankt. Es wird herausgestellt, wie der Umgang der Institutionen Psychiatrie und Jugendhilft mit dieser Problematik ist. Mit Hilfe der Methode des Casemanagement nach Neuffer stelle ich eine Instrument dar wie die Arbeit mit diesen Familien aussehen könnte. Die Methode des Casemanagement kann gut im Sozialpsychiatrischen Dienst angewendet werden.
Schlagworte
Sozialarbeit, Familien, Elternteil
Arbeit zitieren
Birgit Lesker (Autor:in), 2003, Sozialarbeit in Familien mit psychisch krankem Elternteil, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26483

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