Innere Emigration und ihre Folgen in der Nachkriegszeit

Stefan Andres: El Greco malt den Großinquisitor und Rudolf Alexander Schröder: Römische Elegien


Essay, 2012

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Ein Essay zur Vorlesung
Deutschsprachige Literatur nach 1945

Thema: Innere Emigration und ihre Folgen

Mit dem Thema "Innere Emigration" gehen wir noch einmal ein Schritt zurück, raus aus dem Feld der Gegenwartsliteratur, der Literatur nach 1945.

Epochen gliedern sich nach epochalen Einschnitten; man geht also davon aus, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Zäsur/ein Einschnitt gegeben hat der die Literatur die davor produziert wurde, von der die danach produziert wurde abgrenzt. Das Jahr 1945 ist ein solcher epochaler Einschnitt, in dem Sinne als dass die nationalsozialistischen Autoren (deren Namen wir Heute übrigens kaum noch kennen) größtenteils von der Bildfläche verschwunden sind. Es bildeten sich neue literarische Zirkel (etwa die Gruppe 47). Mit Blick auf das Neue wurde das Jahr 1945 auch als Stunde Null bezeichnet. Dass die Stunde Null aber keine wirkliche Stunde Null war, sondern dass es neben den NS-Schriftstellern noch andere Autoren gab, die ihr Ansehen weniger eingebüßt hatten, und die nach 1945 auf dem literarischen Markt eben auch noch eine Rolle spielten, wird in der heutigen Sitzung gezeigt.

Teil 1: Die "Große Kontroverse"

Auf das Vorhandensein dieser Gruppe, die wir heute "Innere Emigranten" nennen (später wird auf die Problematik des Begriffes eingegangen), hat ein öffentlicher Briefwechsel zwischen hauptsächlich zwei Vertretern dieser "Inneren Emigration" und Thomas Mann aufmerksam gemacht. Die Briefe die in verschiedenen Zeitungen ab Sommer 1945 abgedruckt werden und sich bis ins Jahr 1946 ziehen, wurden vom Herausgeber der Sammlung, Johannes Grosser, als "Große Kontroverse" bezeichnet.

Die Große Kontroverse beginnt mit einem Brief Walter von Molos (einem Schriftsteller der in den 30er Jahren eigentlich eher unauffällig war, der sich in den 20er Jahren aber hervorgetan hatte) an Thomas Mann, vom 13.08.45 in der Münchener Zeitung. Dieser öffentliche Brief beinhaltet vor allem die Aufforderung an Thomas Mann aus dem Exil nach Deutschland zurückzukehren, um dort "wie ein guter Arzt" die Deutschen von der Krankheit Nationalsozialismus zu heilen. Mit der 5maligen Wiederholung "Bitte kommen Sie bald" richtet sich der Brief zwar vordergründig an die Exilanten, daneben findet sich aber auch schon die typische Verteidigung der späteren Briefe innerer Emigranten, wie etwa die Bindung an die Heimat und die Trennung zwischen Volk und Nationalsozialisten. Anders aber als die folgenden Briefe, behandelt von Molo noch die Schuldfrage der Deutschen: neben der radikalen Trennung der Bösen von den Guten, findet man in Molos Brief wenigstens Andeutungen eines Schuldeingeständnisses aller Deutschen, etwa indem er zugibt, dass die Deutschen es an Wachsamkeit seit 1914 haben fehlen lassen. Daraus ergibt sich sein allgemeiner Appell an die Menschlichkeit, die Schuld der Daheimgebliebenen müsse vergeben werden, damit die Krankheit Nationalsozialismus ausgemerzt werden könne.

Frank Thieß nun (ein anderer Schriftsteller dieser Inneren Emigranten, der erst durch diesen Briefwechsel richtig bekannt wurde) lässt dem Brief von Molo fünf Tage später ein Artikel in der Münchener Zeitung folgen. Dabei handelt es sich jedoch kaum um einen "Brief", hier gibt es weder Anrede noch Abschiedsformen, es ist nicht Thomas Mann angesprochen, sondern es ist schon eher ein allgemeiner Artikel. Statt einen Brief formuliert Frank Thieß ein Rechtfertigungsschreiben der Inneren Emigration, in welchem er sowohl sich selbst wie eine Reihe anderer Schriftsteller gegen die Nationalsozialisten, aber vor allem auch gegen die Exilanten abgrenzt. Obgleich der Vorwurf Thomas Manns noch aussteht (denn eigentlich hat dieser bisher noch gar nichts dazu gesagt) erscheinen die Argumente von Thieß eine Rechtfertigungshaltung gegen solcherlei Vorwürfe darzustellen. Beispielpassagen:

„Auch ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht emigriert sei, und konnte immer nur dasselbe antworten: falls es mir gelänge, diese schauerliche Epoche (über deren Dauer wir uns freilich alle getäuscht hatten) lebendig zu überstehen, würde ich dadurch derart viel für meine geistige und menschliche Entwicklung gewonnen haben, daß ich reicher an Wissen und Erleben daraus hervorginge, als wenn ich aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zuschaute.“

„Ich glaube, es war schwerer, sich hier seine Persönlichkeit zu bewahren, als von drüben Botschaften an das deutsche Volk zu senden, welche die Tauben im Volk ohnedies nicht vernahmen, während wir Wissenden uns ihnen stets einige Längen voraus fühlten.“

Wir sehen: Ein immanenter Vorwurf der Exilanten steht im Raum. Thieß verweist in diesem zweiten Zitat auf Thomas Manns Radiobotschaften "Deutsche Hörer!", die zwischen 1940-45 auf BBC ausgestrahlt wurden. Die Verteidigung der in Deutschland Gebliebenen wendet sich gegen die Position der Exilanten, die die Heimat verlassen hätten und damit dem Gräuel entgangen seien. Im Vergleich mit einem Theater, wohl einer Tragödie, in welchem alle Deutschen mitgelitten hätten, verband Thieß die Exilanten als bloße Zuschauer auf die Logen und Parterre-Plätze, während die anderen eben die tatsächliche Akteure waren. Nur in einem Nebensatz erwähnt er übrigens später, dass bei vielen Schrifstellern die Frage des Exils eine finanzielle Frage war. So macht Thieß aus der Alternative ins Exil zu gehen oder nicht, eine bewusste Entscheidung. Wie gesagt, die Positionierung gegenüber dem Nationalsozialismus ist für Thieß weniger relevant; er geht eigentlich mehr auf den Unterschied: Innere Emigranten und Äußere Emigranten ein. Thieß begründet dies mit der allgemeinen Einsicht, dass es schon seit 1933 eine klare Trennung zwischen Mitläufern und Inneren Emigranten - den Verdächtigen - gegeben habe. Schließlich begründet Thieß, dass daheimgeblieben sein auch mit der "Belehrsamkeit" der Nazis. Auch wenn die Inneren Emigranten mit den Jahren davon wieder abgekommen seien, so Thieß, sei nicht von der Hand zu weisen, dass es eine Literatur der Inneren Emigration gegeben habe. Diese stütze sich auf einen "inneren Raum, deren Eroberung Hitler trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist". Thieß zählt dann eine Reihe von Autoren auf, die in der Isolierung Literatur produziert habe. Wenn er dabei in Bezug auf Ernst Wiechert, auf "das wirtschaftlich Verhängnisvolle" verweist, womit er wohl die Produktion für die Schublade meint (die tatsächlich viele Autoren betroffen hat) dann zeigt dies, Frank Thieß ambivalente Stellung in der Gruppe der Inneren Emigranten; denn für Ernst Wiechert waren seine nur im Untergrund kursierenden Schriften nicht nur wirtschaftlich verhängnisvoll, sie haben ihn auch physisch ins Konzentrationslager nach Buchenwald gebracht. Es stellt sich hier schon die Frage nach dem, was Innere Emigration bedeuten soll. Für Thieß jedenfalls war es eine innere Positionierung gegen die Nationalsozialisten. So kommen wir schließlich zu einem Heimat-Begriff den er sowohl als inneren Raum beschreibt, ihn aber ebenso an die deutsche Erde und die deutschen Menschen bindet. Heimat ist also dort, wo die Deutschen wohnen, das deutsche Territorium. Thieß Versuch am Ende des Artikels, innere und äußere Emigranten, sprich alle Exilanten gemeinsam gegen den Nationalsozialismus zu positionieren, steht im Gegensatz zu den Ausführungen zuvor.

Den Artikel von Frank Thieß allerdings ignorierend (wir wissen gar nicht mal ob Thomas Mann ihn tatsächlich gekannt hat) antwortet Thomas Mann in einem öffentlichen Brief vom 12.10.45 im Augsburger Anzeiger Walter von Molo. Thomas Mann geht vor allem auf seine eigene persönliche Lage ein, und beantwortet dabei warum es ihm nicht möglich scheint nach Deutschland zurückzukehren. Im Gegensatz zu Thieß stellt er klar, dass der Gang ins Exil keine freiwillige Entscheidung gewesen sei, sondern eine durch die Verfolgung der Nationalsozialisten erzwungene Entscheidung. Seine Rückkehr würde dem US-Bürger der Thomas Mann inzwischen war eine Reihe von "technischen, bürgerlichen und seelischen Schwierigkeiten" bereiten. In langen Passagen geht er auf sein Heimatbild ein, wobei das Exil ihn in eine Zwitter-Position gebracht habe: zwischen Heimweh nach seinem ideellen kulturellen Deutschland und einer Fremdheit gegenüber dem inzwischen realen Deutschland. Die kulturelle Heimat Manns kann als Antwort auf Thieß räumlichen Heimat-Begriff verstanden werden. Schließlich folgt die Abwertung aller in Deutschland erchienen Literatur:

„Das [die Sorgen des Exils] haben Sie alle, die Sie dem ‚charismatischen Führer‘ (entsetzlich, entsetzlich, die betrunkene Bildung) Treue geschworen und unter Goebbels Kultur betrieben, nicht durchgemacht.“

Am Rande soll hier die Referenz auf Max Weber erwähnt werden, der in "Wirtschaft und Gesellschaft", ein Text der posthum 1922 erschienen war, die charismatische Herrschaft als ein Herrschaftstypus unter anderen bezeichnet hat. Es handelt sich dabei um ein damals anerkanntes Gesellschaftsmodell das sich dadurch auszeichnet, dass die Legitimität der Herrschaft eines Einzelnen durch die Anerkennung seines Charismas durch die Beherrschten sichergestellt wird. Anders gesagt: Der Herrscher kann nur herrschen wenn die Beherrschten diesen "aus Begeisterung oder Not und Hoffnung folgen". Damit hebt Thomas Mann die Trennung in zwei verschiedene Deutschland, einem NS-Deutschland und einem Deutschland der Inneren Emigranten, auf. Alle in Deutschland gebliebenen Schrifsteller hätten den charismatischen Führer Hitler ihre Treue geschworen, sonst hätte die Herrschaft überhaupt nicht funktioniert. Tatsächlich gründet Manns Aussage auf einem nicht von der Hand zu weisenden Fakt, nämlich dem Prinzip der Gleichschaltung. Er spielte mit dem Verweis auf Max Weber aber noch auf etwas anderes an: der Text von Max Weber hatte einen hohen Bekanntheitsgrad in Deutschland. Die Annahmen von Max Weber waren eigentlich anerkannt, und mit diesem Wissen hätte man wohl als gebildeter Deutscher den charismatischen Führer erkennen können. Und dann wäre der Weg ins Exil die einzig vernünftige Lösung gewesen. Was Thomas Mann hier also schon vorwurfsvoll andeutet, wird in der folgenden Zusammenfassung noch einmal überspitzt gesagt, und verschärft nun wirklich die Position zwischen Exilanten und Inneren Emigranten:

[...]

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Details

Titel
Innere Emigration und ihre Folgen in der Nachkriegszeit
Untertitel
Stefan Andres: El Greco malt den Großinquisitor und Rudolf Alexander Schröder: Römische Elegien
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V264499
ISBN (eBook)
9783656538042
ISBN (Buch)
9783656541158
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inner Immigration;, Die Große Kontroverse;, Frank Thieß;, Thomas Mann;, Definition;, Stefan Andres;, El Greco malt den Großinquisitor, Römische Elegien
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Sven Langjahr (Autor:in), 2012, Innere Emigration und ihre Folgen in der Nachkriegszeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264499

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