Der ÖPNV als Standortfaktor des Einzelhandels


Masterarbeit, 2013

102 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

I Abbildungsverzeichnis

II Tabellenverzeichnis

III Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit
1.2 Aufbau der Arb eit

2 Von Kosten und Nutzen des ÖPNV
2.1 Zur Beziehung von Einzelhandel und Verkehr
2.2 Finanzierung des ÖPNV in Deutschland
2.3 Drittnutzen des ÖPNV

3 Konzepte der Drittnutzerfinanzierung-Beispiele aus der Praxis
3.1 Nahverkehrsabgabe
3.2 Der fahrscheinfreie ÖPNV
3.3 City-Maut
3.4 Transit Oriented Development
3.5 Drittnutzerbeteiligungen in Deutschland
3.6 Zwischenfazit

4 Der ÖPNV aus Sicht des Einzelhandels
4.1 Untersuchungsdesign
4.1.1 Das leitfadengestützte Experteninterview
4.1.2 Auswahl der Interview-Partner
4.2 Der Stellenwert des ÖPNV im Einzelhandel
4.3 Perspektiven des innerstädtischen Einzelhandels
4.4 Perspektiven des Einzelhandels in randstädtischen Lagen
4.4.1 Das Beispiel „real,-“ in Krefeld
4.4.2 Das Beispiel „dodenhof“ ‘ in Kaltenkirchen
4.4.3 Das Beispiel „Ikea“
4.5 Perspektiven des Einzelhandels im ländlichen Raum
4.5.1 Der Maadbus in Wadern
4.5.2 Das Projekt WLAB
4.5.3 Der KombiBus in der Uckermark
4.6 Eine weitere Perspektive- Die Sicht der potenziellen Kunden
4.7 Diskussion der Ergebnisse

5 Zusammenfassung

6 Fazit und Ausblick

7 Quellenverzeichnis
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Liste der Kontaktpersonen (siehe Anhang)

V Anhang

Abstract

In the age of globalization, we are confronted with different mega-trends. One of these trends is seen in the future development of urban transportation. Although public transport can help to avert traffic problems of large agglomerations, a big problem is arising in financing these systems. As the income from fares is usually not sufficient to pay both, the capital costs and the operating expenses of a modern public transport system, and various forms of funding are decreasing, the financial basis for public transport is insecure. Numerous studies have shown that besides the people who make use of public transport another group of actors profit from the infrastructure without paying for it and can therefore be seen as kind of beneficiary.

Hence it is not surprising that people postulate an involvement of these third users to finance the new infrastructure. Besides property owners and employers, retail business can be seen as one of these third users which until now does not participate in the financing of transport sys­tems neither. So called value capture concepts, initiated in the US, aim at including third us­ers who benefit from external effects of public transport into the financing of transport sys­tem. Further examples of third user participation can be found in various European coun­tries.

This thesis is dedicated at giving an inside into the complex relationship between retail busi­ness and traffic, with special consideration of the public transport. Therefore the first part of the thesis deals with costs and benefits of public transport systems. Additional to the analysis of the modal split of retail customers, the current financing structure of public transport in Germany is analyzed. Furthermore the third use of public transport is drawn out and the be­neficiaries are identified. Thereafter, the theoretical concept of value capture models is ex­plained and different European examples of financial involvements of third-users are out­lined. Some approaches from Germany are discussed as well. In the second part of this thesis the perspective of the retailer business is illuminated. In this context the question under which circumstances the retailers are willing to co-finance public transport is investigated. In order to examine the significance of public transport systems for retailers the method of semi struc­tured interviews is used.

Exploring the connection between retail business and traffic systems, a close and complex relationship can be determined. On the one hand the retail business generates traffic through employees, suppliers and customers; on the other hand the frequency, which is generated through mobility of persons, is seen as the key factor for the settlement of retail trade. Al­though the shopping traffic is currently dominated by car transport, a slight trend shift to eco­modes can be identified. The public transport already has a large share of shopping traffic in big cities. Moreover, it can be assumed, that due to peak oil and rising transportation costs, the share of public transport will increase further.

While legal basis instruments for the co-financing of public transport systems already exist in other countries, Germany is missing a comparable concept. Solely “städtebauliche Verträge ” (i. e. urban development contracts) offer a possibility to engage property developers in the financing of public transport infrastructure. Nevertheless, various examples show a voluntari­ly participation of German retailers. In this context, the willingness of financial participation is seen as strongly dependent on the location of the retail business. While many examples of financial participation can be found in the rural space, there is almost no involvement in the inner-city area. According to the interviewed experts, there is a greater chance of financial participation in rural area than in metropolitan areas. With regard to the expiring subsidies in public transport a third user participation seems inalienable. This requires the creation of a legislative basis.

I Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-1: Veränderung des Verkehrsaufkommens bei MIV und ÖV von 1996-2010

Abbildung 2-2: Alter der Kunden im Einzelhandel

Abbildung 2-3: Anteil der Wegezwecke am Verkehrsaufkommen

Abbildung 2-4: Wegeziele bei Einkauf und Erledigung

Abbildung 2-5: Modal Split im Einkaufsverkehr 1971-2008

Abbildung 2-6: Hauptverkehrsmittel für den Innenstadtbesuch an ausgewählten Wochentagen

Abbildung 2-7: Verkehrsmittelwahl nach Stadtgröße

Abbildung 2-8: Variation des Einkaufsbetrages in Abhängigkeit der Verkehrsmittelwahl

Abbildung 2-9: Zeitpunkt des letzten Einkaufs und Verkehrsmittelwahl

Abbildung 2-10: Finanzierungsquellen des ÖPNV

Abbildung 3-1: Finanzierungquellen im Vergleich

Abbildung 3-2: Bus der Stadtwerke Münster im Nachtbusdesign

Abbildung 3-3: Bus- und Haltestellenwerbung

Abbildung 4-1: Standortfaktoren im Einzelhandel

Abbildung 4-2:Bedeutung und Bewertung verkehrspolitischer Aspekte im Einzelhandel

Abbildung 4-3: Bedeutung von ÖPNV-Angeboten für den innerstädtischen Einzelhandel

Abbildung 4-4: Finanzierungsquellen des Maadbusses in Wadern

II Tabellenverzeichnis

Tabelle 2-1: Finanzierungsinstrumente im ÖPNV

Tabelle 2-2: Drittnutzer des ÖPNV

Tabelle 3-1: Übersicht Maßnahmen der Drittnutzerfmanziernng

Tabelle 3-2: Internationale Beispiele der Mitfinanzierung von ÖPNV-Maßnahmen

Tabelle 3-3: Formen der Drittnutzerbeteiligung in Deutschland

Tabelle 4-1: Interviewpartner

III Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) befördert deutschlandweit täglich mehr als 28 Millionen Menschen und bildet damit das Rückgrat eines stadtverträglichen Verkehrs. So würde der Verkehr in vielen Ballungsräumen und Stadtzentren ohne einen funktionierenden ÖPNV zum Erliegen kommen. Darüber hinaus erfüllt er wichtige Aufgaben in der Wirt­schafts- und Sozialpolitik, indem er beispielsweise Arbeitsplätze sichert, die Erreichbarkeit von Standorten herstellt und allgemeine Austauschprozesse ermöglicht. Durch die Nutzung des ÖPNV kann, im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr (MIV), wertvoller Platz eingespart werden, wodurch er maßgelblich dazu beiträgt, die Siedlungsbereiche lebenswert zu gestalten, die Umwelt und Ressourcen zu entlasten und die Unfallzahlen zu reduzieren. Mit Hilfe eines attraktiven ÖPNV-Angebots können zudem MIV-Fahrten durch den ÖPNV subs­tituiert und modale Verlagerungseffekte herbeigeführt werden (Kossak, 2009, S. 45).

Bedingt durch verschiedene Mega-Trends, wie den demographischen Wandel, die Renaissan­ce der Städte, klimatische Veränderungen und den Wandel des Verkehrsverhaltens, werden sowohl die Bedeutung des ÖPNV aber auch die Anforderungen an den ÖPNV in seiner Funk­tion zur Sicherstellung einer nachhaltigen Mobilität aller Bürger zukünftig weiter wachsen. So bieten diese Veränderungen Chancen für den ÖPNV, seine Wettbewerbsposition gegenüber dem Auto erheblich zu verbessern (Zumkeller et al, 2011) (Topp, 2006, S. 21).

Auf den ersten Blick scheinen all diese Tendenzen demnach eine positive Entwicklung des ÖPNV zu begünstigen. Dennoch wird die wichtige gesellschaftliche Funktion des ÖPNV zu­nehmend durch das Problem einer chronischen Unterfinanzierung gefährdet. Den auf der ei­nen Seite wachsenden Anforderungen an den ÖPNV (Klimaschutz und Lösung der Verkehrs­probleme in Großstädten), steht eine tendenzielle Verringerung der zur Verfügung stehenden Mittel zur Finanzierung des ÖPNV gegenüber (Arnold et al, 2009, S. 7).

Das Problem der Unterfinanzierung des ÖPNV ist kein neues Phänomen in Deutschland, es wird jedoch durch knappere Haushaltskassen immer weiter verstärkt (Boltze & Groer, 2012b, S. 135). Um dennoch eine nachhaltige Finanzierung des ÖPNV zu gewährleisten, taucht im­mer wieder die Forderung nach einer Beteiligung der Drittnutzer an der ÖPNV-Finanzierung auf. Als Drittnutzer des ÖPNV werden in diesem Zusammenhang diejenigen Akteure be­zeichnet, die direkt oder indirekt von der zur Verfügung stehenden Infrastruktur profitieren aber nicht dafür bezahlen (Boltze & Groer, 2012b, S. 136). Insbesondere der Einzelhandel profitiert von einer guten Nahverkehrsanbindung und kann daher zur Gruppe der Drittnutzer gezählt werden.

Während in anderen europäischen Ländern, wie Frankreich oder Österreich und auch den USA, bereits eine Beteiligung von Nutznießern des ÖPNV, wie Immobilieneigentümern oder Arbeitgebern, implementiert wurde, wird der öffentliche Nahverkehr von der deutschen Bau­leitplanung und der Kommunalabgabengesetzgebung bisher gänzlich vernachlässigt. Während der autobezogene Erschließungsaufwand nach BauGB auf die Anlieger umlegbar ist, besteht keinerlei vergleichbare Regelung für den ÖPNV (Lehmbrock, 2005, S. 135 ). Obwohl zahl­reiche Untersuchungen die Bedeutung einer guten ÖPNV-Erschließung für die Standortquali­tät und den Grundstückswert belegen, gibt es bisher keine Möglichkeit, die Investitionen auf die indirekten Nutznießer umzulegen.

Seit den späten 1980er Jahren haben Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Ak­teuren, in Form von Public Private Partnership (PPP) Einzug in der deutschen Stadtentwick­lungspolitik gehalten. Neben dem politischen Klima der Deregulierung ist diese Entwicklung vor allem auf die Kapazitätsprobleme der kommunalen Verwaltungen zurückzuführen. Wenngleich diese Kooperationsformen in der kommunalen Praxis vielfältige Erscheinungs­formen und Anwendungsbereiche haben, finden sie im Bereich der kommunalen Infrastruk­turfinanzierung des ÖPNV bisher kaum Anwendung (Brauer, 2012).

Auch die Einführung einer Nahverkehrserschließungsabgabe wurde in den letzten Jahren im­mer wieder diskutiert, aber bisher vom Gesetzesgeber abgelehnt. Eine weiteres Konzept zur Sicherung der ÖPNV-Finanzierung bildet die Einführung eines kostenlosen ÖPNV- Angebotes, die gegenwärtig erneut Gegenstand einiger Parteiprogramme (Die Linke, Piraten­partei) ist (Mohnheim, 2012, S. 30).

1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit der ÖPNV als Standortfaktor im Einzelhandel wahrgenommen und als solcher bewertet wird und ab wann und unter wel­chen Umständen eine Zahlungsbereitschaft des Handels für ÖPNV-Maßnahmen einsetzt. In diesem Zusammenhang soll neben der Untersuchung der theoretischen Bedeutung des ÖPNV für den Einzelhandel auch auf die konkrete Sichtweise der Einzelhändler eingegangen wer­den. Zunächst soll dabei herausgefunden werden, inwieweit der ÖPNV von Einzelhandelsun­ternehmen in ihrer Standortentscheidung berücksichtigt wird. Weiterhin wird der Frage nach­gegangen, von welchen Faktoren die Finanzierungsbeteiligung abhängt. Wie der Titel der Arbeit impliziert: „Wann wird aus Wertschätzung auch Zahlungsbereitschaft?“ kann sich das wann sowohl auf eine inhaltliche Komponente beziehen, indem nach den Umständen gefragt wird, aber auch eine zeitliche Komponente berücksichtigen, indem nach dem Zeitpunkt ge­fragt wird, ab wann der Einzelhandel ein Bewusstsein für die Bedeutung des ÖPNV entwi­ckelt. Beide Aspekte sollen in der folgenden Betrachtung Berücksichtigung finden.

Ziel der Arbeit bildet die Identifizierung der ausschlaggebenden Faktoren für die Drittnutzer- finanzierung durch den Einzelhandel. Die Arbeit orientiert sich dabei an folgenden Leitfra­gen:

1. Inwieweit wird der Faktor ÖPNV bei der Standortwahl von Einzelhandelsunterneh­men berücksichtigt?
2. Unter welchen Bedingungen führt eine Wertschätzung des ÖPNVs auch zur Zah­lungsbereitschaft der Einzelhändler?
3. Von welchen Faktoren ist die Zahlungsbereitschaft der Einzelhändler abhängig?

Folgende Hypothesen werden in diesem Zusammenhang aufgestellt:

- Der ÖPNV wird von den Einzelhändlern als Standortfaktor wahrgenommen, aber steht in der Wertung hinter anderen Faktoren wie der Immobilienbeschaffenheit oder dem Kundenpotenzial zurück.
- Das Kundenpotenzial, welches durch eine ÖPNV-Anbindung generiert werden kann, variiert je nach Branche und nach Lage des Einzelhandelsgeschäftes.
- Die Einzelhändler beteiligen sich nicht freiwillig an der Finanzierung von ÖPNV- Infrastrukturmaßnahmen, sondern nur im Falle einer Auflage durch städtebauliche Verträge.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Dabei wird im ersten Teil der Arbeit vornehmlich auf die Ergebnisse einer breiten Literaturrecher­che zurückgegriffen, während sich der zweite Teil auf empirische Untersuchungen von Fall­beispielen stützt.

Der erste Teil widmet sich der theoretischen Aufbereitung des Spannungsfeldes zwischen Einzelhandel und Verkehr unter besonderer Berücksichtigung des ÖPNV. Auf die Einleitung folgen im zweiten Kapitel zunächst einige grundlegende Überlegungen zur Beziehung zwi­schen dem Einzelhandel und dem ÖPNV. Dazu wird neben der Wechselwirkung von Verkehr und Einzelhandel, im Hinblick auf den Einkaufsverkehr, auch die aktuelle Finanzierung des ÖPNV in Deutschland erläutert. Im daran anschließenden Abschnitt wird der durch den ÖPNV generierte Drittnutzen erörtert. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen folgt im dritten Kapitel eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Konzepten der Drittnutzerfi- nanzierung im ÖPNV, bei der ausgewählte Beispiele aus dem In- und Ausland dargestellt werden. Das dritte Kapitel schließt mit einem Zwischenfazit.

Während der erste Teil der Arbeit die Beziehung zwischen ÖPNV und Einzelhandel aus einer theoretischen Perspektive beleuchtet, wird im vierten Kapitel der Fokus auf die empirische Untersuchung der Einzelhandelsperspektive gelegt. In Kapitel 4.1 wird dazu zunächst das methodische Vorgehen sowie die Auswahl der Interviewpartner erläutert, bevor in Kapitel 4.2 der Stellenwert des öffentlichen Nahverkehrs als Standortfaktor im Einzelhandel untersucht wird. Daran anschließend werden die Perspektiven des innerstädtischen, des randstädtischen sowie des ländlichen Einzelhandels anhand von beispielhaften Beteiligungen dargestellt.

Im fünften Kapitel folgt eine zusammenfassende Darstellung der Arbeit und ihrer Ergebnisse auf Grundlage der zu Beginn aufgeworfenen Fragestellungen und Hypothesen. Das letzte Ka­pitel schließt mit einem Fazit und einem Ausblick.

2 Von Kosten und Nutzen des ÖPNV

Aufgrund des großen Flächenbedarfs, sowohl im ruhenden als auch im fließenden Verkehr, stößt der PKW-Verkehr in Innenstadtbereichen zunehmend an seine Kapazitätsgrenzen. Demgegenüber ist der nicht motorisierte Individualverkehr, das Fahrradfahren und zu Fuß gehen, durch Distanzgrenzen gekennzeichnet. Der ÖPNV stellt in diesem Zusammenhang die einzige motorisierte aber umweltfreundliche und flächenextensive Mobilitätsalternative zur Verringerung des innerstädtischen Verkehrs dar. Dennoch wird in der Reduzierung des PKW- Verkehrs oftmals eine existenzielle Gefährdung für den innerstädtischen Einzelhandel gese­hen, da der MIV für den Transport großformatiger Güter unverzichtbar sei. Dies wirft die Frage auf, ob und in welchem Umfang der ÖPNV „als Komplementär zum Pkw-Verkehr“ dem Handel einen Nutzen bietet (Grünhagen, 2001, S. 61).

Um ein grundlegendes Verständnis für die Untersuchungsgegenstände zu schaffen werden nachfolgend zunächst die Begriffe ÖPNV und Handel definiert. Nach Ubbels und Nijkamp beschreibt der öffentliche Nahverkehr ein kollektives Transportsystem, welches allen, im Normalfall gegen Entgelt, zur Verfügung steht: “Public transport refers to a collective trans­port system, which is made available, usually against payment, for any person who wishes to use it“ (Ubbels & Nijkamp, 2001). Der Begriff ÖPNV beschreibt jenen Personennahverkehr, der sich in öffentlicher Trägerschaft befindet. Darunter fallen demnach hauptsächlich Busse sowie Straßen-, S- und U-Bahnen, die von städtischen oder regionalen Verkehrsbetrieben be­wirtschaftet werden (Grünhagen, 2001, S. 62). Es handelt sich dabei um „die allgemein zu­gängliche Beförderung von Personen (mit Fahrzeugen) im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu be­friedigen“ (Peistrup, 2010, S. 18). Dies tritt ein, wenn die gesamte Reiseweite 50 Kilometer nicht überschreitet oder die gesamte Reisezeit nicht mehr als eine Stunde beträgt (Peistrup, 2010, S. 18).

Abzugrenzen hiervon sind sowohl Eisenbahnen als auch überregionale Bussysteme, wenn diese trotz öffentlicher Trägerschaft nicht von städtischen oder regionalen Verkehrsbetrieben bewirtschaftet werden und nicht ausschließlich Städte und ihre Nahbereiche bedienen. Auch Taxen werden nicht dem ÖPNV zugeordnet, da sie zwar der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, jedoch nicht im Bereich einer öffentlichen Trägerschaft liegen (Grünhagen, 2001, S. 62). Durch die Begrenzung auf den Linienverkehr wird die Zuordnung von Angeboten mit flexibler Bedienung[1], wie z. B. bei Rufbussen oder Anruf-Sammel-Taxen erschwert (Bormann et al, 2010, S. 8). In der vorliegenden Arbeit werden allerdings auch flexible Be­dienweisen als Teil des ÖPNV betrachtet.

Unter dem Begriff Einzelhandel werden der Absatz von Gütern an den Endverbraucher sowie die Betriebe, die jenen Absatz durchführen, verstanden (Leser, 2005a, S. 179). In der vorlie­genden Arbeit bezieht sich der Begriff sowohl auf den innerstädtischen als auch auf den länd­lichen Einzelhandel. Obwohl der innerstädtische Einzelhandel, im Vergleich zu Standorten auf der „grünen Wiese“, zu einem größeren Anteil mit Kunden des ÖPNV versorgt wird, sol­len dennoch im Gegensatz dazu auch Standorte auf der „grünen Wiese“ sowie in ländlicheren Gebieten betrachtet werden.

2.1 Zur Beziehung von Einzelhandel und Verkehr

Der Handel und der Verkehr können als zwei Bereiche der Wirtschaft betrachtet werden, de­ren Strukturen sowie deren Entwicklungen eng miteinander verbunden sind (Achen, 2008, S. 9). Der Begriff Handel beschreibt allgemein „die wirtschaftliche Tätigkeit des Austauschs von Gütern zwischen Wirtschaftssubjekten auf dem Weg der Güter von der Produktion bis zum Konsum bzw. der Güterverwendung“ (Leser, 2005b, S. 333). Für das Funktionieren des Han­dels und somit des Austausches von Waren ist immer eine Form von Mobilität notwendig, aus der wiederum Verkehr resultiert (Gather et al, 2008, S. 25). Der Verkehr kann dabei einerseits durch den Transport der Waren, aber auch durch die Mobilität der Mitarbeiter und der Kun­den des Handels erzeugt werden. Weiterhin besteht eine interdependente Beziehung zwischen der Standortwahl des Einzelhandels und dem Verkehrsverhalten hinsichtlich des Wegezwe­ckes „Einkauf“ (Achen, 2008, S. 9 f). Da demnach von einem engen, aber durchaus komple­xen Zusammenhang zwischen dem innerstädtischen Verkehr, der Attraktivität der Innenstadt und dem Erfolg des innerstädtischen Handels gesprochen werden kann, widmet sich dieses Kapitel zunächst der Untersuchung des Verkehrsverhaltens im Hinblick auf den Einzelhandel und den Wegezweck Einkauf.

Das allgemeine Verkehrsverhalten der deutschen Bevölkerung wird in zahlreichen Studien (MiD, MOP, SrV) untersucht. Im folgenden Abschnitt werden die für die vorliegende Unter­suchung relevanten Ergebnisse dargestellt.

Um aktuelle Informationen über das Verkehrsgeschehen und das Mobilitätsverhalten der Be­völkerung zu erhalten, werden seit 1994 jährlich Daten mit Hilfe des deutschen Mobilitätspa­nels[2] (MOP) erhoben. Im Rahmen des MOP wird unter anderem ein Längsschnitt über die Veränderung des Modal Split, der Verteilung des Transportaufkommens auf die verschiede­nen Verkehrsträger (Modi), gegeben.

Die Abbildung 2-1 zeigt die Veränderung des Verkehrsaufkommens im MIV und im öffentli­chen Verkehr[3] (ÖV) im Verlauf von 1996 bis 2010. Wie aus der Abbildung ersichtlich, entwi­ckeln sich die Anteile an MIV-Wegen und ÖV-Wegen am Verkehrsaufkommen seit dem Jahr 2002 entgegengesetzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-1: Veränderung des Verkehrsaufkommens bei MIV und ÖV von 1996-2010 Quelle: Zumkeller et al 2011, S. 19

Seit dem Jahr 2002 ist die Tendenz eines leichten aber stetigen Anstiegs der öffentlichen Ver­kehrsmittel zu erkennen, während der Anteil der MIV-Wege am Verkehrsaufkommen ab­nimmt. Der Anteil der ÖV-Nutzung liegt mit einem Anteil von 11,7 % an den insgesamt zu­rückgelegten Wegen höher als in den letzten 15 Jahren. Dem steht ein leicht sinkender Anteil

des motorisierten Individualverkehrs gegenüber. Er liegt mit 54,4 % auf einem vergleichswei­se niedrigen Niveau (Zumkeller et al, 2011, S. 19).

Für den ÖV ergibt sich nach dem MOP ein stetiger Zuwachs, welcher unter anderem mit der gestiegenen Multimodalität[4] innerhalb der Bevölkerung begründet werden kann. In der Al­tersgruppe der Jugendlichen kann dieses unter anderem auf eine größere Entfernung zu Schu­le oder zum Ausbildungsort zurückgeführt werden. Bei der Altersgruppe der Jüngeren (18-35 Jahre) vollzieht sich ein Wertewandel, der mit einem späteren Führerscheinerwerb und Fahr­zeugbesitz einhergeht. So kann bei den unter 35-Jährigen ein rückläufiger Motorisierungsgrad beobachtet werden, sodass immer weniger Personen über ein eigenes Auto verfügen. Insbe­sondere die jüngere Bevölkerung in urbanen Räumen nutzt heute den ÖPNV und das eigene Fahrrad stärker als früher (Zumkeller et al, 2011, S. 3).

In der Bevölkerungsgruppe mittleren Alters (36-60 Jahre) ist der Anstieg durch ein verstärkt multimodal gekennzeichnetes Verkehrsverhalten zu begründen. Lediglich in der Gruppe der über 60-Jährigen lässt sich ein leichter Rückgang in Bezug auf die ÖV-Nutzung beobachten. Dies kann in großem Maße auf eine andere Sozialisation und eine hohe Führerscheinbesitz­quote zurückgeführt werden (Zumkeller et al, 2011, S. 5).

In der Vergangenheit stellten die sogenannten vier „A“ die größte Kundengruppe des ÖPNV. Dazu zählten neben Armen, Alten, Autolosen auch die Auszubildenden und Schüler. Bedingt durch den demographischen Wandel nimmt die Zahl der Schüler und somit auch eine der Gruppen von klassischen Zwangskunden immer weiter ab. Während die Zwangskunden des ÖPNV in Zukunft weniger werden, steigt die Anzahl der Gelegenheitskunden, der freiwilligen Stammkunden und der älteren Kunden. Diese Kunden stellen dabei immer höhere Anforde­rungen an das Verkehrsangebot, die Information, den Komfort, die Dienstleistung und die Sicherheit des ÖPNVs, auf welche sich die Verkehrsunternehmen einstellen müssen (Topp, 2006, S. 24).

Auch im Hinblick auf den Einzelhandel kann infolge des demographischen Wandels eine Veränderung der Kundenstruktur beobachtet werden. Wie in Abbildung 2-2 zu erkennen ist, steigt der relative Anteil an älteren Kunden. So erhöhte sich der Anteil der über 65-Jährigen gegenüber 2004 um fast 7%, während demgegenüber die Anzahl von Kunden im Alter von 21 bis 50 Jahre leicht abnahm. Im Gegensatz zu 2004 stellen die 51- bis 65-Jährigen die größte Gruppe am Einkaufsverkehr (BAG & HDE, 2008).

Alter der Kunden im Einzelhandel (Anteile in %)

30 25 20 15 10 5 0

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlage BAG/HDE Kundenverkehrsuntersuchung 2008

Die Ergebnisse der bundesweiten Befragung „Mobilität in Deutschland“ (MiD) geben weiter­hin Aufschluss über die Anteile der einzelnen Wegezwecke am gesamten Verkehrsaufkom­men. Im Rahmen der MiD-Untersuchung werden circa 25.000 Haushalte zu ihrem alltägli­chen Mobilitätsverhalten befragt. Die letzte Befragung wurde im Jahr 2008 durchgeführt (BMVBS, 2010b, S. 1). Abbildung 2-3 zeigt den Modal Split der verschiedenen Wegezwecke am gesamten Verkehrsaufkommen in Deutschland.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-3: Anteil der Wegezwecke am Verkehrsaufkommen Quelle: BMVBS 2010b, S. 116

Wie in Abbildung 2-3 ersichtlich, werden etwas mehr als ein Fünftel der Wege für Arbeits­und Ausbildungswege oder dienstliche Zwecke aufgewendet. Den größten Anteil an der An­zahl der Wege stellt mit 32 % jedoch der Freizeitverkehr. Daneben stellt der Wegezweck „Einkauf“ mit einem Anteil von 21 % den zweitgrößten Wert. Bei einer Zusammenfassung der Wegezwecke „Erledigung“ und „Einkauf“ ergibt sich ein Wert von 33 %, der somit ein Drittel der Wege ausmacht (BMVBS, 2010b, S. 116).

Mit einer durchschnittlichen Strecke von 5 bzw. 7,9 Kilometern sind die Wegelängen bei den Wegezwecken „Einkauf und Erledigung“ vergleichsweise am geringsten. Darüber hinaus be­steht, wie aus Abbildung 2-3 erkennbar, eine enge Verbindung zwischen der Entfernung des Einkaufsziels und der jeweiligen Verkehrsmittelwahl.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-4: Wegeziele bei Einkauf und Erledigung Quelle: BMVBS, 2010b, S. 123

Die nähere Umgebung, welche mit 39 % das häufigste Ziel der Einkaufswege bildet (siehe Abbildung 2-3), wird in großem Maße durch den Umweltverbund[5] erreicht. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Fußwege, aber auch der Radverkehr. Für den Einkaufsverkehr ins Stadt- oder Ortszentrum wird in mehr als der Hälfte der Fälle auf den PKW zurückgegriffen. Einkaufs- oder Fachmarktzentren am Stadtrand oder auf der „grünen Wiese“ werden haupt­sächlich (zu 83%) mit dem PKW besucht, was durch die oftmals für andere Verkehrsmittel schwer zugängliche Lage, aber auch den größeren Transportbedarf bei diesen Einkäufen (sog. Kofferraumeinkauf) begründet werden kann (BMVBS, 2010b, S. 122).

Detaillierte Erkenntnisse zur Verkehrsmittelwahl beim Einkauf können zudem aus den regel­mäßigen Verbraucherbefragungen des Handelsverbandes Deutschland (HDE) gewonnen wer­den. Im Rahmen der letzten BAG/HDE-Untersuchung aus dem Jahr 2008 zum Thema „Kun­denverkehr“ wurden insgesamt 10 Mio. Einzelhandelskunden gezählt und 400.000 nach ihrem Einkaufsverhalten befragt. Da auch diese Erhebung in regelmäßigen Abständen (alle vier Jah­re) durchgeführt wird, können auch hier Längsschnittvergleiche gezogen werden. In Abbil­dung 2-5 ist der Modal Split im Einkaufsverkehr im zeitlichen Verlauf von 1971-2008 darges­tellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Darstellung des zeitlichen Verlaufs von 1971-2008 (siehe Abbildung 2-5) ist eine leich­te Abnahme des PKW-Verkehrs zu erkennen, wohingegen der ÖPNV auch im Einkaufsver­kehr leicht an Bedeutung gewinnt. Die Anteile des Radverkehrs und des zu Fußgehens stag­nieren. Während sich der Modal Split im Einkaufsverkehr in den vorherigen Jahren vor allem im Verhältnis von PKW zu ÖPNV selten um mehr als einen oder zwei Prozentpunkte verän­dert hat, konnten diesbezüglich in 2008 deutlichere Veränderungen registriert werden. So ist der Anteil der Besucher und Kunden, die mit dem PKW zu Besuch oder zum Einkaufen in die Innenstädte kommen, um mehr als fünf Prozentpunkte gesunken, wobei der ÖPNV-Anteil im Durchschnitt um mehr als vier Prozentpunkte anstieg.

Im Rahmen der Kundenverkehrsuntersuchung wurde gezielt nach dem Verkehrsmittel ge­fragt, mit welchem die Innenstadt aufgesucht wurde. An allen erhobenen[6] Wochentagen bildet der PKW mit durchschnittlich 45% das Hauptverkehrsmittel. Allerdings kann eine leichte Variation der Verkehrsmittelwahl im Wochenverlauf festgestellt werden (siehe Abbildung 2­4). Die Abbildung 2-4 zeigt die Hauptverkehrsmittel an den ausgewählten Wochentagen.

Hauptverkehrsmittel an ausgewählten
Wochentagen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Neben dem PKW bildet die Anreise mit dem ÖPNV das zweithäufigste Verkehrsmittel. Am häufigsten wird der ÖPNV an den Wochentagen Donnerstag und Freitag genutzt, was wieder­ rum mit der höheren Taktfrequenz und den günstigeren Umsteigebeziehungen innerhalb der Woche begründet werden kann. An Samstagen ist der MIV-Anteil weiterhin deutlich höher als an den beiden anderen Erhebungstagen. Bei Besuchern und Kunden von außerhalb liegt der PKW-Anteil an allen drei Erhebungstagen wesentlich höher als bei den Innenstadtbesu­chern, die in der jeweiligen Stadt selbst wohnen. Für die anderen Verkehrsmittel und bei den Fußgängern ergeben sich nahezu keine Veränderungen (BAG & HDE, 2008).

Neben der Entfernung des Einkaufortes und dem Einfluss des Wochentages ist die Verkehrs­mittelwahl zudem abhängig von der Größe der jeweiligen Stadt. In Abbildung 2-7 ist die Ver­kehrsmittelwahl in Abhängigkeit von der Stadtgröße dargestellt.

Verkehrsmittelwahl nach Stadtgröße

Abbildung 2-7: Verkehrsmittelwahl nach Stadtgröße

Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlage BAG/HDE Kundenverkehrsuntersuchung 2008

In Städten mit einer Einwohnergröße bis 50.000 Einwohner dominiert der PKW den Ein­kaufsverkehr mit einem Anteil von 61%, wobei die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel le­diglich bei 11% liegt. Dies kann mit größeren Wegelängen und einer unterdurchschnittlichen ÖPNV-Anbindung begründet werden. In Großstädten mit einer Einwohnerzahl von über 500.000 Einwohnern beträgt der Anteil der PKW-Nutzung am Einkaufsverkehr hingegen nur 34%, wobei der Anteil der ÖPNV-Nutzung gegenüber mittelgroßen Städten mit 47% deutlich höher ist. Der ÖPNV stellt hier das Hauptverkehrsmittel im Einkaufsverkehr dar. In einzelnen Großstädten wie Hamburg, München oder Berlin, die über ein überdurchschnittliches ÖPNV-

Angebot verfügen, wird ein sehr hoher Anteil, teilweise über 75%, des Einkaufsverkehrs, durch öffentliche Verkehrsmittel getragen (Grünhagen, 2001, S. 64).

Überdies besteht ein Zusammenhang zwischen der Verkehrsmittelwahl und der Bedarfsde­ckung im innerstädtischen Einzelhandel, der sich im unterschiedlichen Ausgabeverhalten der Innenstadtbesucher manifestiert. Abbildung 2-8 verdeutlicht die Variation in der Höhe der Einkaufsbeträge in Abhängigkeit vom Verkehrsmittel.

Einkaufsbeträge nach Verkehrsmitteln

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-8: Variation des Einkaufsbetrages in Abhängigkeit der Verkehrsmittelwahl Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlage BAG/HDE Kundenverkehrsuntersuchung 2008

Während der durchschnittliche Ausgabenbetrag bei einem Einkauf mit dem PKW im Jahre 2008 bei 90 Euro lag, schwankt der Betrag bei Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltver­bundes zwischen 59 Euro bei Nutzung des ÖPNV und 48 Euro bzw. 43 Euro bei Nutzung des Fahrrads oder dem Gang zu Fuß. Die PKW-Kunden geben somit durchschnittlich etwa 52 % mehr aus, als die Kunden, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt kommen. Damit stellen die Kunden, die mit MIV anreisen auf den ersten Blick das höchste Umsatzpo­tenzial für den Einzelhandel dar. In diesem Zusammenhang muss allerdings die Tatsache be­rücksichtigt werden, dass die Befragten in vielen Fällen nicht nur ihre persönlichen, sondern auch die Einkäufe der begleitenden Personen angeben (Grünhagen, 2001, S. 65).

Die absolut betrachtet geringer ausfallenden Einkaufsbeträge der ÖPNV-Kunden könnten allerdings durch eine höhere Einkaufshäufigkeit ausgeglichen werden. Während bei den MIV-

Kunden oftmals von dem sogenannten großen Kofferraumeinkauf ausgegangen wird, kann das Einkaufverhalten der ÖPNV-Nutzer durch regelmäßigere und kleinere Einkäufe charakte­risiert werden. Obwohl die Einkaufsfrequenz nicht direkt erhoben wurde, kann diese aus dem Zeitpunkt des letzten Einkaufs abgeleitet werden. Wie aus 2-9 ersichtlich, kommen Kunden die zu Fuß einkaufen oder auf den ÖPNV zurückgreifen häufiger in die Innenstadt als PKW- Kunden (Schnuckel et al, 2005, S. 86).

Zeitpunkt des letzten Einkaufs und
Verkehrsmittelwahl

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-9: Zeitpunkt des letzten Einkaufs und Verkehrsmittelwahl

Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlage BAG/HDE Kundenverkehrsuntersuchung 2008

Nach Baum (1993) ist „angesichts dieser Daten [...] dem ÖPNV im Verhältnis zum PKW eine mindestens gleichwertige Bedeutung für die Einzelhandelsumsätze zuzuerkennen“ (Baum H. , 1993, S. 37). Abschließend kann die These aufgestellt werden, dass die Verkehrsmittelwahl des Einzelhandelskunden auf den PKW fällt, wenn die Distanz oder die schlechte Verkehrs­anbindung von mittleren und kleinen Städten ihn dazu zwingt oder es sich um einen Einkauf von schwer transportablen Gütern handelt, zu deren Transport ein Auto notwendig ist.

Die ÖPNV-Nutzung ist demnach stark abhängig von der Stadtgröße und dem damit einherge­henden Ausbaustadium des ÖPNV-Netzes. Allgemein kann festgehalten werden, dass der Stellenwert des ÖPNV mit Größe der Stadt zunimmt und daher am höchsten in den Metropo­len und am geringsten in den kleinen Gemeinden des ländlichen Raumes ist. Die hohe Inans­pruchnahme in Großstädten wie London, Amsterdam, München oder Stockholm deutet in diesem Zusammenhang auch auf ein Bedürfnis der Vermeidung von Parkraumsuche, Ver­kehrsstau und Parkgebühren hin (Grünhagen, 2001, S. 65).

Folglich kann dem ÖPNV eine positive Wirkung für den innerstädtischen Einzelhandel und dessen Umsatz zugeschrieben werden. Aus diesem Grund sollte vor allem in den Großstädten ein Schwerpunkt auf den Ausbau des ÖPNV gelegt werden. Zudem sollte der Handel sich auf die Kunden des ÖPNV in besonderer Weise einstellen und diese mit Belohnungs- und Kun­denbindungssystemen, wie zum Beispiel einer Fahrscheinvergütung, mit einem Lieferservice oder einer sicheren Aufbewahrung für den Einkauf binden (Grünhagen, 2001, S. 66). Sofern der ÖPNV eine optimale Linienführung, attraktive Taktung und Haltestellen in den zentralen Einkaufsbereichen aufweist, stellen Stadtbussysteme einen wichtigen Anteil an der Frequenz­bildung für den innerstädtischen Handel dar. Dennoch kommt dem ÖPNV in keiner deutschen Metropole der Stellenwert des immer noch prioritär behandelten Autoverkehrs zu. Die Vor­rangposition des Autoverkehrs wird dabei vor allem in der Ausgestaltung der Verkehrsent­wicklungspläne und Nahverkehrspläne deutlich, in denen äußerst selten ein klarer ÖPNV- Vorrang erkennbar wird (Mohnheim, 2012, S. 6).

Obwohl das Auto in der gegenwärtigen Betrachtung das dominierende Verkehrsmittel des Einkaufsverkehrs darstellt, tragen die in der Einleitung angeführten Mega-Trends unter Um­ständen zu einer Verschiebung des Modal Split bei. In großen Städten gibt es immer weniger Haushalte mit PKW-Besitz und auch der Führerscheinbesitz unter den Jugendlichen nimmt ab. Die Wege innerhalb größerer Städte werden zunehmend mit Fahrrad und ÖPNV zurück­gelegt (Topp, 2006, S. 22). Die leichten Trendverschiebungen hin zur umweltverträglichen Verkehrsmittelwahl deuten darauf hin, dass das zu Fuß gehen und das Fahrradfahren immer mehr zum „Nahverkehrsmittel“ Nummer eins für kurze Strecken werden. Mit Blick auf eine insgesamt älter werdende Bevölkerung in der Innenstadt wird künftig die Bedeutung des si­cheren Fußverkehrs und eines attraktiven und zuverlässigen ÖPNV deutlich ansteigen. Dieser Trend wird durch die Tendenz der Rückkehr in die Städte zusätzlich verstärkt (BMVBS, 2010b). Der urbane Raum, allen voran zahlreiche Großstädte, erlebt derzeit eine Renaissance als Wohn- und Lebensstandort. Neben gut verdienenden Singles und Kreativen entdecken auch Senioren und Familien mit Kindern die Vorzüge der Stadt für sich (Achen, 2008, S. 18).

2.2 Finanzierung des ÖPNV in Deutschland

Wurde der ÖPNV noch bis in die 1980er Jahre lediglich als öffentliche Verwaltungsaufgabe betrachtet, so wird ihm heute eine wichtige Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung der Städte beigemessen. Während der ÖPNV damals nur selten auf die Kundenwünsche ausge­richtet war, haben verschiedene Maßnahmen seither zur Steigerung der Attraktivität beigetra­gen. Neben der Parkraumbewirtschaftung, der Einrichtung von verkehrsberuhigten Zonen und der Ausweisung von Fußgängerzonen in den Innenstädten konnten auch die vielfältigen Maß­nahmen zur Beschleunigung des ÖPNV zur Erhöhung der Akzeptanz in Ballungsräumen bei­getragen (BMVBS, 2011, S. 35).

Um den steigenden Fahrgastzahlen und den wachsenden Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden, muss dem ÖPNV eine gesicherte Finanzierung zu Grunde liegen. Aufgrund der an­gespannten Haushaltslagen bei Bund und Kommunen stellt die zukünftige Finanzierung des ÖPNV allerdings eine große Herausforderung dar (Boltze & Groer, 2012b, S. 135). Auch im Falle einer hundertprozentigen Deckung der Betriebskosten durch Fahrgeldeinnahmen, sind Finanzhilfen für den Infrastrukturausbau unerlässlich (Mietzsch, 2010a, S. 10).

Die gegenwärtige Finanzierung des ÖPNV in Deutschland setzt sich zum Einen aus den Erlö­sen von Fahrscheinverkäufen und zum Anderen aus öffentlichen Zuschüssen zusammen (Boltze & Groer, 2012b, S. 135). Wie aus Abbildung 2-10 ersichtlich, stellt die Nutzerfinan­zierung durch Fahrgeldeinnahmen einen Anteil von knapp 40 % an der Gesamtfinanzierung dar. Der Anteil der Nutzerfinanzierung variiert mit der Größe der Verkehrsräume, der Bevöl­kerungsdichte, den Nutzungsmöglichkeiten des Individualverkehrs und auch den spezifischen Systemkosten des öffentlichen Personennahverkehrs (Infrastruktur) (Bormann et al, 2010, S. 10).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-10: Finanzierungsquellen des ÖPNV

Quelle: Bormann et al 2010, verändert nach Boltze & Groer 2012a S. 1

In einzelnen Gebieten kann sich der Kostendeckungsgrad durch Fahrgeldeinnahmen auf 60 % belaufen, in ländlichen Regionen, in denen der ÖPNV in großem Maße als Daseinsvorsorge dient, fällt der Deckungsgrad aber meist deutlich niedriger aus (Boltze & Groer, 2012b, S. 135). Der verbleibende Kostenteil wird durch öffentliche Zuschüsse erbracht. Diese Zuschüs­se stammen dabei aus unterschiedlichen Förderquellen wie den Verwaltungsebenen des Bun­des, der Länder sowie der Kommunen und haben daher verschiedene gesetzliche Grundlagen, wie das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), das Regionalisierungsgesetz (RegG) sowie das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GFVG) (Boltze & Groer, 2012b, S. 135). Aufgrund dieser Komplexität des Finanzierungssystems entsteht eine gewisse Intransparenz bezüglich der Verwendung der Mittel (Bormann et al, 2010, S. 6).

Bei der Finanzierung des ÖPNV kann grundsätzlich zwischen zwei Verwendungszielen un­terschieden werden: Der Finanzierung des Betriebes auf der einen Seite und der Finanzierung der Infrastruktur auf der anderen Seite (siehe Tabelle 2-1). Während das GFVG auf die Finan­zierung der Infrastruktur ausgerichtet ist, dienen die Regionalisierungsmittel und Finanzmittel aus Querverbünden zur Finanzierung des ÖPNV-Betriebes.

Tabelle 2-1: Finanzierungsinstrumente im ÖPNV Quelle: eigene Darstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Gesetz über die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden (GFVG) besteht seit 1971 und fördert den kommunalen Straßenbau, die In­frastruktur des ÖPNV und zu einem kleineren Anteil die Forschung[7] (Mietzsch, 2010a, S. 9). Diese Förderung bezieht sich, wie in Tabelle 2-1 ersichtlich, nur auf investive Maßnahmen im ÖPNV sowie im kommunalen Straßenbau und kann immer nur für den Neu-oder Ausbau von Infrastrukturen verwendet werden. Nicht förderfähig sind die stetig wachsenden Investitionen in Infrastrukturerhaltungsmaßnahmen. Für welche konkreten Maßnahmen die Mittel verwen­det werden liegt hierbei im Ermessen der Länder, wobei das Verteilungsverhältnis ÖPNV zu Straßenbau im Bundesdurchschnitt bei 35:65 liegt (Brohm, 2011, S. 20).

Bis Ende 2006 bestand eine zweckgebundene Finanzhilfe für die Länder, welche im Zuge der Föderalismusreform seit 2007 durch das Entflechtungsgesetz (EntflechtG) ersetzt wurde. Die entfallenden GVFG-Mittel werden seither in Form von Ersatzmitteln aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2014 läuft die bisher noch im GVFG verankerte Zweckbin­dung für den Verkehr aus und lediglich die Zweckbindung für investive Zwecke bleibt erhal­ten. 2019 laufen schließlich auch die Kompensationszahlungen nach dem Entflechtungsgesetz gänzlich aus. Somit liegt die Förderung von Investitionen im kommunalen Verkehr ab dem Jahr 2020 vollständig in der Hand der einzelnen Länder (Mietzsch, 2010a, S. 9).

Seit der Bahnreform im Jahre 1993, werden, als Ausgleich für die Übernahme der Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung für den ÖPNV, Gelder aus dem Mineralölsteueraufkommen vom Bund an die Länder gezahlt. Wesentlicher Bestandteil dieser Reform war die Regionali­sierung des ÖPNV, welche „die Zusammenführung der Zuständigkeiten für die Planung, Or­ganisation und Finanzierung“ (Sterzenbach, 2008, S. 63) zum Ziel hatte. Weiterhin sollte eine klare Trennung zwischen der Erstellung und der Bestellung von Verkehrsdienstleistun­gen erfolgen (Baum et al, 2007, 89).

Im Zuge der Regionalisierung des ÖPNV wurde die Aufgabenverantwortung mit Hilfe ver­schiedener Gesetze außerhalb des Kommunalrechts präzisiert (§ 1 RegG, § 8 Abs. 3 PBefG, ÖPNV-Gesetze der Länder) (Bormann et al, 2010, S. 12). 1996 wurde mit der Einführung des Regionalisierungsgesetzes die rechtliche Grundlage für die „ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr “(§ 1 RegG) ge­schaffen.

Im Zuge des „Koch-Steinbrück-Papiers“ aus dem Jahre 2006 wurde die Höhe der Mittel stark eingeschränkt. Für das Jahr 2008 stand dem ÖPNV ein Betrag von 6,7 Millionen aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes zur Verfügung. Seit 2009 findet eine Dynamisierung der Mittel um 1,5 % pro Jahr statt (Brohm, 2011, S. 20). Allerdings besteht nach §6 ReG eine Zweckgebundenheit der Mittel für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV)„Mit dem Betrag nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren.“ (Reinhardt, 2012, S. 516). Die Regionalisierungsmittel werden vom Bund an die Länder verteilt. Die Weiterverteilung der Gelder liegt somit ebenso, wie die organisatorische Ausgestaltung des ÖPNV, in der Hand der Bundesländer, die wiederum die Verteilung in ÖPNV-Gesetzen festschreiben (Sterzenbach, 2008, S. 88). 2014 wird es eine Neubemessung und Neuverteilung der Mittel geben, wobei der Bund und die Länder sowohl bezüglich der absoluten Höhe als auch bezüglich der Verteilung der Mittel zwischen den Ländern eine Eini­gung erzielen müssen (Bormann et al, 2010, S. 14).

Während die Mittel aus dem RegG vor allem für den Schienenpersonennahverkehr aufgewen­det werden, basiert die Finanzierung des städtischen Bus- und Bahnverkehrs zu einem großen Anteil auf den Vorteilen des steuerlichen Querverbundes. Als kommunaler Querverbund wird in diesem Zusammenhang die „Zusammenfassung mehrerer kommunaler Versorgungssparten (Gas, Wasser, Abwasser, Wärme, Strom, Nahverkehr, evtl. auch Bäder und Parkhäuser) in einem Unternehmen bzw. in einem Konzern verstanden“ (Reinhardt, 2012, S. 546). Die Ver­kehrsunternehmen profitieren dabei von dem Verbund mit anderen kommunalen Dienstleis- tungserstellern. Mithilfe des Querverbundes können die Defizite im Verkehrsunternehmen durch die Verrechnung der Gewinne aus anderen kommunalen Unternehmen, wie z. B. dem Energiesektor ausgeglichen werden (Hilpert, 2009, S. 30).

Weiterhin kommt auch den Ausgleichsmitteln für Schülerbeförderung und Schwerbehinder­tenfreifahrt eine wichtige Rolle in der Finanzierung des ÖPNV zu. Seit 1977 besitzen die Verkehrsunternehmen einen Rechtsanspruch auf den Ausgleich für Kostenunterdeckungen durch die Beförderung von Auszubildenden mit rabattierten Zeitfahrausweisen. Die Finanzie­rung dieses Ausgleiches wird ausschließlich von den Ländern getragen. Da der ÖPNV vor allem im ländlichen Raum maßgeblich vom Schüler- und Auszubildenden-Verkehr getragen wird, bilden die Ausgleichszahlungen einen wesentlichen Bestandteil der Einnahmen der Verkehrsunternehmen (Reinhardt, 2012, S. 524). So lag der Wert im Jahr 2008 bei 20%

(Brohm, 2011, S. 21). Die Erstattungsleistung für die Beförderung im Schülerverkehr wird über das allgemeine Eisenbahngesetz §6a und über das PBefG § 45a geregelt. Die Aus­gleichszahlungen für schwerbehinderte Menschen werden über §145ff. SGB IX geregelt und entweder über einen pauschalen Erstattungssatz oder über einen mit Hilfe von Fahrgastzäh­lungen tatsächlichen Anteil beförderter schwerbehinderter Menschen abgerechnet (Hilpert, 2009, S. 31). Die ermittelten Gelder werden vom Bund oder den Ländern aufgebracht. In den alten Bundesländern stellen die Ausgleichzahlungen für die Schwerbehindertenbeförderung etwa einen Anteil von 3,7%, in den neuen Bundesländern von rund 1,5% an den Einnahmen der Verkehrsunternehmen (Reinhardt, 2012, S. 531).

Darüber hinaus können die beschriebenen Finanzmittel um Zuweisungen aus dem Finanzaus­gleichsgesetz (FAG) aufgestockt werden. So gewährt der Bund leistungsschwachen Ländern Ergänzungszuweisungen „zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs sowie zum Ausgleich von Sonderlasten “ (Sterzenbach, 2008, S. 96).

Die dargestellte vielfältige Finanzierunglandschaft des ÖPNV lässt auf den ersten Blick nicht auf eine finanzielle Notlage des ÖPNV schließen. Dennoch ist die nachhaltige Finanzierung des ÖPNV in Deutschland aufgrund verschiedener Entwicklungen dauerhaft gefährdet. Dies kann einerseits mit der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte, aus denen der ÖPNV finanziert wird, andererseits mit dem zuvor erläuterten Abbau der staatlichen Zuschüsse und der Unsicherheit über die zukünftige Ausgestaltung der Finanzierung begründet werden (Boltze & Groer, 2012b, S. 135) (Kossak, 2009, S.44).

Ein weitere wichtige Determinante bildet hierbei auch der demographische Wandel, der eine Abnahme der Bevölkerung und damit einhergehend eine rückläufige Verkehrsnachfrage mit sich führt. Durch den Bevölkerungsrückgang und die Alterung der Bevölkerung werden vor

allem in ländlichen Räumen rückläufige Fahrgastzahlen und Fahrgeldeinnahmen erwartet, was wiederum einen sinkenden Kostendeckungsgrad zur Folge hat (Boltze & Groer, 2012b, S. 136).

Darüber hinaus besteht ein hoher Ersatzbedarf des ÖPNV im Bereich der Infrastruktur und der Fahrzeuge. Zudem findet eine Umschichtung der Fördermittel des ÖPNV zugunsten des Schienenverkehrs für Substanzerhaltung und Ausbauvorhaben statt. In der Folge führen die beschriebenen Finanzmittelkürzungen zu Tariferhöhungen, Leistungseinschränkungen und Verzögerungen im Ersatzbedarf des ÖPNV. Die bereits erläuterten gegenwärtigen Strukturen der Finanzierung und Organisation des ÖPNV erscheinen daher an vielen Stellen nicht geeig­net, den zukünftigen Anforderungen und Rahmenbedingungen gerecht werden zu können (Baum et al, 2007, S. 87).

In diesem Kontext werden in der politischen Debatte immer wieder verschiedene Lösungs­konzepte der ÖPNV-Finanzierung diskutiert. Dabei reicht die Spannweite von der öffentli­chen Subventionierung bis zu der Eigenwirtschaftlichkeit des ÖPNV. Die Subventionslösung entspricht der bisherigen Finanzierungspraxis in Deutschland. Für die zukünftige Sicherung des ÖPNV ist diese Lösung aus verschiedenen Gründen nicht befriedigend, da angesichts feh­lender und knapper werdender öffentlicher Mittel eine Aufrechterhaltung der Subventionen immer schwieriger wird. Des Weiteren besteht keine Verbindung zwischen den Subventionen und den Leistungen des ÖPNV, sodass die Subventionslösung keinerlei Anreize für effizien­tes Handeln des ÖPNV in Bezug auf Kostengünstigkeit und Kundenattraktivität bietet. Eben­so kann keine Kosteneffizienz der Subventionslösungen gewährleistet werden, da die Investi­tionsförderung auf einer Aufwandsfinanzierung basiert. Nicht der Erfolg, sondern der Auf­wand wird gefördert, was wiederum bedeutet, dass mit der Höhe des Aufwandes auch die Höhe der Förderung wächst. Durch die Förderung kann es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen, beispielsweise wenn bei Ausschreibungen Unternehmen, die über Fördermittel ver­fügen, ein günstigeres Angebot abgeben (Baum et al, 2007, S. 89 f).

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird eine vollständige Nutzerfinanzierung des ÖPNV gefordert. Die Kosten sollen auf die Nutzer und Nutznießer des Verkehrsträgers fair verteilt werden, sodass eine Entlastung der Allgemeinheit entsteht. Die vollständige Umle­gung der Kosten könnte allerdings nur mit einer starken Erhöhung der Fahrpreise gewährleis­tet werden, was wiederum sehr wahrscheinlich eine sinkende Nachfrage zur Folge hätte. Die­se Lösung erscheint daher als nicht praktikabel. Zudem würde der ÖPNV in diesem Fall sei­ner Rolle als Bestandteil der Daseinsvorsorge nicht mehr gerecht (Baum et al, 2007, S. 89 f).

Bei genauerer Betrachtung profitieren aber nicht nur die Fahrgäste vom ÖPNV, vielmehr existiert auch eine große Gruppe von Drittnutzern, der ein Vorteil aus dem ÖPNV entsteht, ohne dafür zu bezahlen. Demnach liegt der Unterfinanzierung des ÖPNV das Verhalten der Nutznießer zu Grunde, da sie die Möglichkeit erhalten, unentgeltlich an den Nutzen des ÖPNV zu gelangen und ihnen wenig Anreiz gegeben wird, sich daran zu beteiligen (Boltze & Groer, 2012b, S. 137).

Von der im Jahr 2000 einberufenen Pällmann- Kommission[8] wurde im Rahmen einer Neufi­nanzierung des ÖPNV ausdrücklich eine Mitfinanzierung durch Drittnutzer vorgesehen, wel­che bisher aber noch kaum Anwendung gefunden hat (Baum et al, 2007, S. 89). So werden die indirekten Nutzer, wie die Anrainer der ÖPNV-Infrastruktur, bislang nicht in die Finanzie­rung miteinbezogen, da bisher keinerlei Instrumente in Deutschland existieren, um den von der öffentlichen Hand geschaffenen Vorteil in irgendeiner Form in der Finanzierung des ÖPNV abzubilden (Bormann et al, 2010, S. 10). Im anschließenden Kapitel wird daher näher auf die Gruppe der Nutznießer des ÖPNV eingegangen und erläutert, in welcher Form diese von der Bereitstellung von ÖPNV-Maßnahmen profitieren.

2.3 Drittnutzen des ÖPNV

Wie in Kapitel 2.2 bereits angedeutet, stiftet der ÖPNV verschiedenen Akteuren einen teil­weise erheblichen Nutzen. Dieser fällt als externer Nutzen an, da diese Akteure vom ÖPNV profitieren, aber nicht dafür bezahlen (Boltze & Groer, 2012b, S. 137).

Neben Arbeitgebern und Immobilienbesitzern, profitieren auch MIV-Nutzer, Großveranstalter und der Einzelhandel vom ÖPNV. Der durch den ÖPNV entstehende Vorteil äußert sich bei verschiedenen Nutznießern unterschiedlich (Baum et al, 2007, S. 92). Die Tabelle 2-2 veran­schaulicht die verschiedenen Akteure und in welcher Form diese von dem ÖPNV profitieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Fahrgäste bilden die Nutzergruppe, die am unumstrittensten von der Bereitstellung eines ÖPNV-Systems profitiert, da sie einen direkten Mobilitätsnutzen aus dem Mobilitätsangebot ziehen und der ÖPNV ihnen eventuelle Kostenvorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln ermöglicht. Aber auch die Allgemeinheit profitiert vom ÖPNV, da dieser die Mobilität der Bürger ermöglicht und negative Auswirkungen des MIV, wie Schadstoffausstoß, Lärm und Flächenverbrauch hierdurch reduziert werden. Die Allgemeinheit leistet allerdings bereits einen Anteil an der Finanzierung des ÖPNV in Form von Steuergeldern, die zur Finanzierung des ÖPNV aufgewendet werden (Boltze & Groer, 2012b).

Für Autofahrer fungiert der ÖPNV als eine Art Entlastungsfunktion. Vor allem in Ballungs­gebieten kommt dem ÖPNV eine immense entlastende Wirkung zu, ohne die das Straßennetz und der verfügbare Parkraum oftmals überlastet wären. Zusätzlich kann die Mobilität im Be­darfsfall auch für MIV-Nutzer über den ÖPNV abgedeckt werden (Boltze & Groer, 2012, S. 137b).

Auch die Arbeitgeber profitieren in hohem Maße von einer ÖPNV-Anbindung ihres Standor­tes. Arbeitgeber und Betriebe müssen für ihre Mitarbeiter und auch für Besucher Stellplätze vorhalten, die bei einer guten ÖPNV-Anbindung eingespart werden und somit Kosten für den Bau und die Unterhaltung dieser gesenkt werden können (Boltze & Groer, 2012b, S. 137). Darüber hinaus bietet eine gute Anbindung an den ÖPNV die Möglichkeit den firmeneigenen Fuhrpark gering zu halten und hierdurch entstehende fixe Kosten zu minimieren. Im Zuge einer Studie der Prognos AG aus dem Jahr 2000 wurden über 600 deutsche Unternehmen zu den entscheidenden Faktoren ihrer Standortwahl befragt. Die Befragung mittelgroßer und größerer Unternehmen ergab, dass der Faktor der öffentlichen Nahverkehrsanbindung eine wichtigere Rolle für die Wirtschaft spielt, als bislang angenommen. Vor allem für junge Men­schen, die immer seltener über ein eigenes Fahrzeug verfügen, ist die Erreichbarkeit mittels des ÖPNV von zentraler Bedeutung. So bildet die Verkehrsanbindung einen der zentralen Standortfaktoren für Wirtschaftsunternehmen (Schad et al, 2000, S. 21).

Eine weitere Gruppe der Nutznießer stellen die Grund- und Immobilienbesitzer dar. Der Wert einer Immobilie ist neben anderen Faktoren stark abhängig von der Lagegunst, welche an der räumlichen Verteilung potenzieller Zielorte, der Erreichbarkeit dieser und der Anzahl, Quali­tät und der Vielfalt, der an Zielorten möglichen Aktivitäten bemessen werden kann. Die Er­reichbarkeit des Zielortes ist dabei abhängig von der verkehrlichen Erschließung eines Gebie­tes. Die Erschließung von Straßen wird in Deutschland über Erschließungsbeiträge der Kom­munen geregelt. Für den ÖPNV besteht eine solche Finanzierung durch Erschließungsbeiträge bisher nicht. Nach Wetzel (2006) kann in diesem ein Versäumnis der Regierung gesehen wer­den: „It is no fault of the public transportation industry that governments choose to ignore private windfall property value gains generated by public investment“ (Wetzel, 2006, S. 1).

Vor allem in Großstädten profitieren Grundstückseigentümer in Form von steigenden Grund­stückspreisen und höheren Mieteinnahmen (Baum et al, 2007, S. 99). In diesem Zusammen­hang kann das Beispiel der Erweiterung der Londoner U-Bahn Linie Jubilee Line angeführt werden. In seinem Buch „Taken for a ride“[9] beschreibt der Londoner Immobilienbesitzer Don Riley (2001) die Auswirkungen des Ausbaus für die Immobilien in der Umgebung der Jubilee Line. Nach Rileys Hochrechnungen betrug der Wertzuwachs der Immobilien circa 13 Milliarden britische Pfund, während sich die Investitionskosten der Linie auf 3.5 Milliarden Pfund beliefen. Einer unabhängigen Studie im Auftrag von Transport for London zufolge beträgt der Wertzuwachs der Immobilien entlang der elf neuen Stationen circa 2.8 Milliarden Pfund. Nach Riley hätte die Verlängerung der Jubilee Line ausschließlich mit Hilfe des Wert­gewinns der Immobilien finanziert werden können. Stattdessen wurde sie mit Ausnahme von zwei privaten Investoren komplett durch Steuereinnahmen finanziert. Wetzel (2006) sieht hierin einen überflüssigen Bonus für die Immobilienbesitzer: „If governments continue to only tax wages, trade, or goods and services to create new transportation opportunities, then they are choosing to give an unearned bonus to the owners of land and buildings ” (Wetzel, 2006, S. 1).

Auch die Veranstalter von Großveranstaltungen profitieren von einer besseren Erreichbarkeit und einer damit verbundenen höheren Besucherfrequenz. Zudem können durch den ÖPNV Kosten für Parkplätze eingespart werden.

Einen der größten Nutznießer des ÖPNV bildet der Handel. Unter dem Begriff Handel ist in diesem Zusammenhang nicht nur der Einzelhandel im klassischen Sinne zu verstehen, son­dern auch alle Einrichtungen, deren Kunden den ÖPNV benutzen, wie z. B. Arztpraxen, Gast­ronomiebetriebe und soziale Einrichtungen. Durch die ÖPNV-Anbindung werden neue Kun­dengruppen erschlossen und die generelle Erreichbarkeit der Einrichtungen verbessert. Dieses kann vor allem in den Zentren der Städte beobachtet werden, in denen die Anreise mit dem MIV mit hohem Zeitaufwand und Kosten verbunden ist (Baum et al, 2007).

Wie in Kapitel 2.1 dargelegt, bilden die Kunden des ÖPNV auch eine wichtige Kundengruppe für den innerstädtischen Einzelhandel. Der Handel profitiert somit auf der einen Seite in Form von Umsatzsteigerungen. Auf der anderen Seite ergeben sich aus der Verringerung des MIV weitere Vorteile für die Einzelhändler. So kann durch eine veränderte Verkehrsmittelwahl der Beschäftigten Parkraum für die Kunden freigehalten und folglich auch das absolute Park­platzangebot reduziert werden. Demzufolge liegt der maßgebliche Nutzen des ÖPNV für den Einzelhandel in monetären Einsparungen hinsichtlich eigener und mitfinanzierter Parkmög­lichkeiten (Baum H. , 1993). Nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (1998) ist der auf die Innenstadt bezogene ÖPNV zudem von großer Bedeutung für die Kaufkraftbin­dung im Zentrum (Baier & Schäfer, 1998, S. 30).

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Ansiedelung einer Nahverkehrslinie haben kann, zeigt die Studie von Hass-Klau und Crampton (2005), die 15 europäische Städte hinsichtlich der ökonomischen Effekte von Nahverkehrslinien untersucht haben. Die ökonomischen Ef­fekte wurden dabei in drei verschiedene Kategorien unterteilt:

- direkte Indikatoren (Wert der Immobilien und Mietpreisspiegel)
- indirekte Indikatoren (Fußgängerströme im Stadtzentrum, Reduzierung des Autobe­sitzes und Parkraumes, allgemeine wirtschaftliche Zugänge im Stadtzentrum)
- Landnutzungsindikatoren, die nicht direkt wirtschaftlich messbar sind (Veränderung des Handelsbesatzes)

Für die vorliegende Arbeit sind dabei vor allem die indirekten Indikatoren, also die Entwick­lung der Fußgängerströme, von Interesse. So konnte in der französischen Stadt Straßburg nach der Eröffnung einer neuen S- Bahnlinie eine Steigerung des Fußgängerverkehrs um 66% erreicht werden. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle der Fußgänger etwas konsumieren, wird dennoch ein großer Effekt für den Einzelhandelsumsatz der Innenstadt erzielt (Hass-Klau & Crampton, 2005, S. 249). Auch das Beispiel der Bremer „Obernstraße“ verdeutlicht die Bedeutung des direkten Nahverkehrsanschlusses für die Einzelhändler „In Germany and France the retailing sector wants direct access to trams and this is most impor­tant in the city centre “ (Hass-Klau & Crampton, 2005, S. 249). Die Pläne der Stadtverwaltung sahen eine Verlegung der Straßenbahn von der Obernstraße in die Parallelstraße vor, aufgrund von Protesten der Einzelhändler wurde dieses aber nicht realisiert (Hass-Klau & Crampton, 2005, S. 250).

Um den finanziellen Vorteil des ÖPNV für den Einzelhandel zu beziffern, untersuchte Baum (1993) in seinem „Finanzierungskonzept für den ÖPNV in Köln“ den Nutzen der Kölner Ver­kehrsbetriebe (KVB) für den Kölner Einzelhandel. Bei der Annahme einer Gewinnverant­wortlichkeit von 5% am Einzelhandelsumsatz und der Berücksichtigung der eingesparten

Parkplatzinvestitionen ergab sich dabei ein Gesamtnutzen in Höhe von 31,75 Mio. D-Mark (Baum H. , 1993).

Diese und andere Beispielrechnungen belegen somit eindeutig den großen Nutzen, den der ÖPNV verschiedenen Akteuren spendet. Aufgrund der aufgezeigten Problemlage in der Fi­nanzierung des ÖPNV wachsen auch in Deutschland die Forderungen, die Drittnutzer an den entstehenden Kosten zu beteiligen. Um die Nutznießer in die Finanzierung des ÖPNV mit einzubeziehen, wurden in anderen Ländern bereits verschiedene Konzepte der Drittnutzerfi- nanzierung entwickelt, die im hieran anschließenden Kapitel erläutert werden sollen.

3 Konzepte der Drittnutzerfinanzierung-Beispiele aus der Praxis

Das Konzept der Drittnutzerfinanzierung, im englischsprachigen Raum auch als „Value Cap­ture“ bezeichnet, beschreibt die Beteiligung der Nutznießer an der Leistung, die ihnen einen Nutzen bringt, in diesem Falle die Bedienung durch den ÖPNV. Obwohl die Beteiligung der Nutznießer zu Beginn des letzten Jahrzehnts von der Pällmann-Kommission ausdrücklich empfohlen wurde, hat die Finanzierungsbeteiligung von Drittnutzern in den meisten Berei­chen des Verkehrssektors in Deutschland bislang keine Anwendung gefunden (Boltze & Groer, 2012b, S. 139).

Die damalige Kernempfehlung der Kommission zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung kons­tatierte eine schrittweise Umstellung der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auf eine Fi­nanzierung durch den Nutzer, Nutznießer oder Veranlasser (Kossak, 2009, S. 45). Nach Kos- sak (2009) ist aufgrund „der besonders engen und komplexen Zusammenhänge von Verkehr, Umwelt, Nutzungsstruktur, Stadtgestalt et cetera [...] die Quersubventionierung im Stadtver­kehr nicht nur vertretbar, sondern sogar geboten und hat sich weltweit als akzeptiert und wir­kungsvoll erwiesen “ (Kossak, 2009, S. 47). Als Beispiele hierfür können London, Stockholm, Singapur und auch verschiedene US-amerikanische Städte angeführt werden.

Generell kann im Zusammenhang der Drittnutzerbeteiligung im ÖPNV von einer Internalisie­rung externer Effekte gesprochen werden. Der externe Nutzen entsteht bei den verschiedenen Nutznießern, die nicht dafür bezahlen. Der generierte Vorteil ist dabei entweder nicht bewusst oder die Nutznießer verhalten sich bewusst sachlich und bekennen ihr Interesse an einer ÖPNV-Anbindung nicht, da der externe Nutzen als ein öffentliches Gut anfällt und demnach keine Möglichkeit des Ausschlusses besteht. Im Falle eines Ausschlusses dieser Akteure wür­de wiederum ein Anreiz entstehen für die ÖPNV-Anbindung zu bezahlen (Boltze & Groer, 2012b, S. 139).

Das Ziel einer Drittnutzerfinanzierung bildet eine transparente, faire und marktorientierte Fi­nanzierung mittels derer eine zukünftige ÖPNV-Bedienung gewährleistet und die öffentliche Hand entlastet werden kann. Die Maßnahmen zur Drittnutzerfinanzierung können anhand von drei Aspekten klassifiziert werden: Der Dauer, der Freiwilligkeit und der Variabilität der Bei­tragshöhe (siehe Tabelle 3-1).

- Dauer der Finanzierung durch Drittnutzer (einmalig oder regelmäßig)
- Freiwilligkeit der Beteiligung (freiwillig oder verpflichtend)
- Variabilität der Beitragshöhe (dynamischer oder statischer Betrag)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhand der Dauer einer Finanzierungsbeteiligung können die Elemente des ÖPNV definiert werden, die mitfinanziert werden. So dienen einmalige Zahlungen oftmals zur Finanzierung von Infrastrukturvorhaben, sprich einmaligen Baumaßnahmen, wie der Errichtung oder Er­weiterung einer Straßenbahn- oder Buslinie oder dem Ausbau von Haltestellen.

Für die Mitfinanzierung des ÖPNV-Betriebs sind regelmäßige Beiträge der Drittnutzer not­wendig. Als Beispiele hierfür können die Arbeitgeberabgabe „Versement Transport“ in Frankreich, die Dienstgeberabgabe in Wien oder auch die in London und Stockholm prakti­zierte „City-Maut“ angeführt werden (Baum et al, 2007). Ein weiteres verpflichtendes, der Arbeitgeberabgabe sehr ähnliches Instrument, ist die Zwangsabnahme eines Jobtickets. Ans­telle einer Abgabe werden die ansässigen Unternehmen verpflichtet für alle Arbeitnehmer ein Jobticket zu kaufen. Die hieraus erzielten Einnahmen werden so direkt zu Fahrgeldeinnah­men.

Weiterhin kann zwischen freiwilligen und verpflichtenden Maßnahmen differenziert werden. Der Aspekt der Freiwilligkeit hat in diesem Kontext einen großen Einfluss auf die Umsetz­

barkeit der Maßnahmen. Die Voraussetzung für verpflichtende Maßnahmen bildet eine rech­tliche Grundlage, die in Deutschland gegenwärtig lediglich in Form eines städtebaulichen Vertrages gesehen werden kann. Die Einführung einer kommunalen Kfz-Steuer wurde immer wieder diskutiert, ist aber rechtlich als problematisch anzusehen (Boltze & Groer, 2012a, S. 46). Die einmaligen verpflichtenden Maßnahmen, wie Erschließungs- oder Stellplatzablöse­beiträge, eignen sich vornehmlich für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Die Er­schließungsbeiträge sind von den Grundstückseigentümern zu entrichten, während die Stell­platzablöse die Bauherren in die Finanzierung mit einbezieht. Die Erhebung von Erschlie­ßungsbeiträgen wäre geeignet, um den Aufbau von ÖPNV-Infrastruktur, wie beispielsweise Haltestellen, zu finanzieren. Diese können den Nutznießern innerhalb eines Gebietes eindeu­tig zugeordnet werden. Bei einer Umlegung auf alle beteiligten Grundstücksbesitzer entstün­den vergleichsweise geringe Kosten im Vergleich zu den Kosten für die Herstellung von Fahrwegen (Boltze & Groer, 2012a, S. 28).

Freiwillige Kostenbeteiligungen bieten gegenüber verpflichtenden Maßnahmen einen größe­ren Freiraum in Bezug auf die Ausgestaltung. Freiwillige Partizipationen von Nutznießern finden in den meisten Fällen in Form eines Sponsorings, entweder für eine gezielte Maßnah­me oder aber für den Betrieb statt. Weitere Maßnahmen können in Cross-Marketing­Aktivitäten oder Gutschein-Modellen gesehen werden, bei denen Einzelhandel und ÖPNV zusammenarbeiten und ein Rabattsystem für gemeinsame Kunden entwickeln (Interview K. 2013).

Der Aspekt der Variabilität der Beitragshöhe zielt auf die individuelle Anpassung des Bei­trags bezogen auf den jeweiligen Nutznießer ab. Der entstehende Nutzen kann sich beispiel­weise durch eine Veränderung in der Anzahl der Angestellten einer Firma verändern. Die Beiträge der Nutznießer sollten daher an ihrem momentanen Nutzen ausgerichtet werden, dem sogenannten dynamischen Betrag (Boltze & Groer, 2012b).

Eine Finanzierungsreform in Richtung einer stärkeren Drittnutzerfinanzierung weist gegenü­ber anderen Finanzierungsalternativen viele Vorteile auf. So kann im Falle einer Hinwendung zur Drittnutzerfinanzierung von einer Transparenz der Finanzierungslasten gesprochen wer­den, bei der die Finanzierungsanteile sich an dem entstehenden Benefit für die verschiedenen Akteure orientieren. Durch die entstehende Nutzenorientierung in der Finanzierung wird der Grundsatz der Marktwirtschaft befolgt, dass die zu entrichtenden Entgelte den aus dem Ange­bot resultierenden Vorteil wiederspiegeln. Demzufolge wird eine „Quasi-Marktlösung“ etab­liert, in der die verschiedenen Profiteure als Nachfrager der ÖPNV-Leistung fungieren und

somit die Steuerung des ÖPNV-Angebots übernehmen. Dadurch werden die Interessen der Drittnutzer bei der Angebotsgestaltung berücksichtigt. Zudem werden durch die Konstruktion des Quasi-Marktes Anreize für Kosteneffizienz und Kundenzufriedenheit im ÖPNV gegeben, die in der derzeitigen Finanzierungslandschaft des ÖPNV nicht vorzufinden ist. Die nachteili­gen Wirkungen der öffentlichen Subventionierung könnten abgebaut und ad hoc Finanzie­rungshilfen durch langfristige Finanzierungskonzepte ersetzt werden (Baum et al, 2007, S. 93).

Hinsichtlich der Finanzierung von ÖPNV-Maßnahmen bestehen starke Unterschiede zwi­schen den europäischen Ländern. In Abbildung 3-1 sind die Finanzierungsquellen im Ver­gleich Frankfurt, Berlin, Amsterdam und Paris dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bormann et al 2010, verändert nach Boltze & Groer, 2012a, S. 3

Die deutschen Städte Frankfurt und Berlin weisen mit 54 % bzw. 49 % einen vergleichbar hohen Deckungsgrad durch Fahrgeldeinnahmen auf. In der Stadt Amsterdam fällt der De­ckungsgrad mit 39 % etwas geringer aus. Hier werden 61 % der ÖPNV-Finanzierung durch öffentliche Zuschüsse erbracht. Obwohl die Stadt Paris denselben Deckungsgrad durch Fahr- geldeinahamen wie Amsterdam aufweist, werden hier nur 19 % der Finanzierung durch öf­fentliche Zuschüsse erbracht. Die französische Hauptstadt ist die einzige der vier Städte, in

der ein großer Anteil (36 %) durch Abgaben in Form von Drittnutzerfmanzierung abgedeckt wird.

In den 1970er Jahren wurde der Nutzen des ÖPNV für Wirtschaft und Bevölkerung erkennbar und im Ausland wurden erste Konzepte zur Einbeziehung der Nutznießer an der ÖPNV- Finanzierung geschaffen (Baum et al, 2007, S. 94). Neben Frankreich gibt es weitere Länder, in denen bereits eine rechtliche Grundlage zur Einbeziehung der Drittnutzer in die Finanzie­rung geschaffen wurde (siehe Tabelle 3-2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Um die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Ansätze zu erläutern wird im folgenden Abschnitt näher auf diese Konzepte und auf beispielhafte Beteiligungen in Deutschland ein­gegangen.

3.1 Nahverkehrsabgabe

Um den durch die ÖPNV-Anbindung entstehenden Mehrwert für die Unternehmen und Ar­beitgeber abzuschöpfen, besteht in Frankreich und Österreich mit dem „Versement Transport“ bzw. der „Dienstgeberabgabe“ eine Art Nahverkehrsabgabe, welche eine von der Größe und Lohnsumme eines Betriebes abhängige ÖPNV-Abgabe vorschreibt.

[...]


[1] Die Betriebsform der „flexiblen Bedienung“ ist durch eine nachfragegesteuerte Bedienung gekennzeichnet. D. h. die die tatsächlich vorhandene Nachfrage bestimmt und steuert, welcher Teil der angebotenen ÖPNV-Leistung auch tatsächlich realisiert wird. Für die Durchführung einer Fahrt ist eine Voranmeldung durch den Kunden erforderlich (Reinhardt, 2012).

[2] Verwendung von tagebuchgestützten Befragungen in Form eines Rotationspanels

[3] Der öffentliche Verkehr bezeichnet alle Formen des öffentlichen Personenverkehrs: dazu zählt neben dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auch der öffentliche Personenfernverkehr (ÖPFV) (Gather et al., 2008,27).

[4] Multimodalität beschreibt die routinemäßige Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf unterschiedlichen Wegen.

[5] Der Umweltverbund bezeichnet die Gruppe der „umweltverträglichen“ Verkehrsmittel. Dazu zählen nicht mo­torisierte Verkehrsträger, das Fahrrad, zu Fuß gehen und öffentliche Verkehrsmittel (Bus und Bahn) sowie das CarSharing.

[6] Die Kundenbefragungen wurden jeweils an den Tagen Donnerstag, Freitag und Samstag durchgeführt.

[7] z. B. wissenschaftliche Untersuchungen, wie das Forschungsprogramm Stadtverkehr (FOPS) des BMVBS.

[8] Kommission zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung, benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission Dr. Wil­helm Pällmann

[9] Riley, Don (2001): Taken for a ride: taxpayers, trains and HM treasury. Centre for Land Policy Studies.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Der ÖPNV als Standortfaktor des Einzelhandels
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,4
Autor
Jahr
2013
Seiten
102
Katalognummer
V264280
ISBN (eBook)
9783668594265
Dateigröße
2674 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
öpnv, standortfaktor, einzelhandels
Arbeit zitieren
Lea Hoyer (Autor:in), 2013, Der ÖPNV als Standortfaktor des Einzelhandels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264280

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