Die Italienische Reise

Zeugnis über den Beginn von Goethes Klassizismus


Bachelorarbeit, 2013

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Goethe in Italien
1.2 Forschungsbericht
1.3 These und Vorgehen

2. Die italienische Reise Goethes
2.1 Die Vorgeschichte der Reise
2.2 Die Reise
2.3 Nach der italienischen Reise

3. Goethes Klassizismus
3.1 Zum Begriff des „Klassischen“
3.2 Die Epoche der „Weimarer Klassik“
3.3 Die klassizistische Programmatik Goethes
3.3.1 Einfache Nachahmung derNatur, Manier, Stil (1789)
3.3.2 Einleitung in die Propyläen (1798)
3.4 Zusammenfassung

4. Die „Italienische Reise“
4.1 Die Natur
4.2 Gesetzmäßigkeiten und die „Urpflanze“
4.3 Die Rolle der Wissenschaften
4.4 Die Antike
4.5 Die Gesellschaft
4.6 Die Kunst und der bildende Künstler

5. Fazit

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
7.3 Internetquellen

1. Einleitung

1.1 Goethe in Italien

[.··]

Abschied reist durch die Brust - von dem heiligen boden

Wo ich erstmals wesen wandeln im licht

Sah und durch reste der säulen der Seligen reigen..

Ich den ihr preisend >herz eures volkes< genannt >Echtesten erben<: hier hab ich vor armut gezittert ·

Hier ward erst mensch der hier wiederbegonnen als kind.

Durch die nebel schon hör ich euch schmälende stimmen:

>Hellas' lotus liess ihn die heimat vergessen< ...

О dass mein wort ihr verstündet - kein weiseres frommt euch - >Nicht nur in tropfen · nein traget auch fürder in strömen Von eurem blute das edelstejenseit der berge ·

Anteil und sinn euch solang ihr noch unerlöst<. [.][1]

Diese melancholische Stimmung, wie sie von Stefan George in seinem Gedicht „Goethes letzte Nacht in Italien“ lyrisch dargestellt wird, dürfte wohl auch den Dichter Johann Wolfgang von Goethe selbst im Frühjahr des Jahres 1788 ergriffen haben, als er sich auf seine Rückkehr nach Weimar vorbereitete. Hinter ihm lagen zwei sehr ereignisreiche Jahre, die er in Italien, dem Land seiner Sehnsüchte, zubrachte. Diese Sehnsucht resultierte nicht zuletzt aus den Italienerfahrungen seines Vaters Johann Caspar Goethe, der viele Jahre vor seinem Sohn nach Italien reiste und diesen somit schon als Kind für das Land am Mittelmeer begeistern konnte.[2] Wie viel Goethe diese zwei Jahre in Italien bedeuteten, lässt sich leicht erahnen, wenn man liest, was ein gealterter Goethe am 9. Oktober 1828 in einem Gespräch mit Johann Peter Eckermann ausführte:

Ich kann es dem Guten nicht verargen, daß er von Italien mit solcher Begeisterung redet; weiß ich doch, wie mir selber zumute gewesen ist! Ja, ich kann sagen, daß ich nur in Rom empfunden habe, was eigentlich ein Mensch sei. - Zu dieser Höhe, zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie wieder gekommen; ich bin, mit meinem Zustande in Rom verglichen, eigentlich nachher nie wieder froh geworden.[3]

Diese retrospektiv formulierte Melancholie zeigt die herausragende Bedeutung der Italienreise für den Menschen Johann Wolfgang von Goethe.

Doch nicht nur für den Menschen Goethe war diese Reise eine bedeutende Zäsur. Auch die Literaturwissenschaft verbindet mit der ersten italienischen Reise Goethes eine epochale Veränderung. Sie markiert den Umschwung zum deutschen Klassizismus, der „Weimarer Klassik“, und somit gleichzeitig den Beginn einer der bedeutendsten deutschen Literaturepochen.[4]

Über die italienischen Erfahrungen von 1786 bis 1788 verfasste Goethe Jahre später seinen autobiografischen Reisebericht „Italienische Reise“. Bei eben diesem Werk wird die folgende Arbeit ansetzten. Die Arbeit möchte der Bedeutsamkeit von „Italienische Reise“ im Gesamtwerk des Dichters nachgehen und den Reisebericht unter der Perspektive eines Epochenumbruchs, während beziehungsweise nach der italienischen Reise Goethes, hin zum deutschen Klassizismus betrachten.

1.2 Forschungsbericht

Betrachtet man die Arbeiten, die sich mit dem Text „Italienische Reise“ näher befassen, so fallt vor allem auf, dass im oben angesprochenen Aspekt des Epochenumbruchs eine weitgehend homogene Position der Forschung zum Werk bezeugt werden kann. Hierbei wird jedoch in den meisten Fällen die „Italienische Reise“ nur als Zeugnis über eine Zäsur im Schaffen Goethes wahrgenommen. In welchem literaturhistorischen Epochenkontext diese Zäsur zu betrachten ist, wird von vielen Forschern nicht explizit thematisiert. Darüber hinaus wird auch eine Diskussion der späteren Verfasstheit des Werkes von der Mehrzahl der Arbeiten vorgenommen.

Hendrik Birus zum Beispiel sieht in Goethes Werk vor allem eine Relativierung der Sturm und Drang-Programmatik. Ferner sei durch die spätere Verfasstheit von „Italienische Reise“ von einer Beeinflussung durch die späten Werke Goethes auszugehen, woraus der Autor eine gewisse Stilisierung Goethes ableitet. Birus hält es somit für notwendig und sinnvoll, zwischen der „Italienischen Reise“ einerseits und den unmittelbaren Zeugnissen der Reise (Tagebücher, Zeichnungen etc.) andererseits zu unterscheiden.[5]

Für Achim Aurnhammer gilt die „Italienische Reise“ als Zäsur der deutschen Literaturgeschichte hin zur Weimarer Klassik. Auch Aurnhammer problematisiert jedoch die späte Verfasstheit des Werkes und sieht in der von Goethe betriebenen stilistischen Komposition eine Modellierung der individuellen Reiseerfahrung Goethes, die auf„ein allgemeines Bildungsmodell“[6] abzielt.[7]

Rohde sieht das Werk Goethes grundsätzlich in zweifacher Weise charakterisiert: Zum einen behandle die „Italienische Reise“ intensiv die persönlichen Glücksmomente Goethes auf der Reise und zum anderen schildere es die enorme Intensität des Selbststudiums, dem Goethe in verschiedenen Bereichen nachging. In der Konsequenz stelle die „Italienische Reise“ „die ethisch-ästhetische Summe dieses Reiseunternehmens“[8] dar. Doch merkt der Autor kritisch an, dass die „Italienische Reise“ als einzelnes Werk nicht hinreichend die Bedeutsamkeit des Italienaufenthaltes und der aus ihm resultierenden umfangreichen programmatischen Veränderungen in Goethes Schaffen darstellen konnte. Die Bedeutsamkeit dieser Italienreise sei nach Rohde vielmehr am Gesamtwerk Goethes nach 1788 erkennbar. Diesen Umbruch im Schaffen Goethes unterstreicht Rohde, indem er schreibt: „Um 1788 geht etwas zu Ende.“[9]. Ferner thematisiert auch dieser Autor die späte Verfasstheit des Werkes und schreibt das Werk im zeitgenössischen Kontext als „deplaziertes Relikt der vorrevolutionären Kunstperiode“[10] ab. Dennoch sei die „Italienische Reise“ ein wichtiges Dokument über die Wurzeln von Goethes Lebenswerk.[11]

Wolf von Engelhardt schreibt dem Werk die Wirkung eines „mittelbaren“[12] Zeugnisses über den epochalen Wandel im Dasein Goethes zu. Auch dieser Autor schließt wiederum eine nachträglich vorgenommene Stilisierung des Textes nicht aus.[13]

Genau wie von Engelhardt sieht auch Albert Meier in einigen Passagen von „Italienische Reise“ Anzeichen für einen Epochenumbruch im Werke Goethes. Für den Autor ist Goethes klassizistische Programmatik an verschiedenen Passagen des Textes erkennbar. Meier merkt ferner an, dass Goethe „Italienische Reise“ retrospektiv verfasste und die italienische Erfahrung von 1786 bis 1788 somit nicht beziehungsweise kaum durch zeitnahe Dokumente dokumentiert sei.[14]

Göres hingegen charakterisiert die „Italienische Reise“ folgendermaßen: „Überprüfen des Erfahrenen in der Begegnung mit Gegenwärtigem, um daraus Nutzen für die Zukunft zu gewinnen.“[15]. Auch dieser Autor sieht somit in „Italienische Reise“ ein Zeugnis für einen Umbruch im Schaffen Goethes.[16]

Eine andere Position vertritt Gottfried Willems. So würde dem Werk „Gewalt“[17] angetan werden, wenn man es im Kontext einer „Klassik-Doktrin“[18] lese. Nach dem Autor wäre es falsch, die „Italienische Reise“ als Basis einer klassischen Programmatik Goethes zu lesen, da die Erfahrungen, die der Dichter auf der Reise mit Kunst und Antike machte und später literarisch verarbeitete, schon immer „ein ständiger Gegenstand der Bemühungen gewesen sei[en]“[19].[20]

1.3 These und Vorgehen

Wie aus den oben ausgeführten Forschungspositionen ersichtlich wurde, sehen viele Autoren im Werk „Italienische Reise“ einen Text, der Anzeichen eines Epochenwandels im dichterischen Werk Goethes aufweist. Hier möchte die vorliegende Arbeit ansetzen und eben diese Anzeichen für eine epochale Veränderung im Text untersuchen. Unter dieser Zielsetzung soll die These aufgestellt werden, dass die „Italienische Reise“ als ein Zeugnis für den Beginn von Goethes Klassizismus angesehenen werden kann.

Um dieser These nachgehen zu können, soll nach einem allgemeinen Teil zur italienischen Reise Goethes die klassische Programmatik des Dichters skizziert werden. Als Primärtexte dienen hierbei zwei programmatische Schriften Goethes, nämlich „Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“ von 1789 und „Einleitung in die Propyläen“ von 1798.

In einem zweiten Schritt soll dann das Werk „Italienische Reise“ im Fokus der Analyse stehen. Die Arbeit möchte nun versuchen, die herausgearbeiteten prägenden Punkte in Goethes klassischem Schaffen am Text „Italienische Reise“ nachzuweisen.

Ein abschließendes Fazit soll dann die Erkenntnisse der Arbeit noch einmal prägnant zusammenfassen und entsprechend der aufgestellten These bewerten.

2. Die italienische Reise Goethes

2.1 Die Vorgeschichte derReise

Am 7. November 1775 traf Goethe in Weimar ein, nachdem er zum Hof von Herzog Karl August berufen wurde. Goethe gelang in den folgenden Jahren eine große Karriere als Verwaltungsbeamter am Hofe des Herzogs. Am 11. Juni 1776 wurde er zum ,Geheimen Legationsrat' ernannt. Ein Jahr später übernahm Goethe den Vorsitz der Bergwerkskommission. 1779 schließlich erlangte der Dichter für seine Verdienste den Titel des ,Geheimen Rates', nachdem er weitere Aufgaben im Vorsitz der Kriegskommission und der Wegebau-Direktion übernahm. Als ihm der Herzog 1782 zusätzlich die Staatsfinanzen anvertraute, wurde der Autor des Werthers am 3. Juni 1782 geadelt.[21]

Diese Weimarer Jahre forderten den vollen Einsatz Goethes. Dies mag aufgrund der oben aufgezählten, zahlreichen amtlichen Verpflichtungen am Hofe des Herzogs nicht weiter verwundern. Dementsprechend war der dichterische Ertrag dieser Weimarer Jahre im Vergleich zu Goethes Zeit in Frankfurt relativ gering. Gleichzeitig widmete sich Goethe jedoch zunehmend den Naturwissenschaften und dem Zeichnen, was nicht zuletzt auch durch seine amtlichen Verpflichtungen begründet war. Diese neuen Interessen des Dichters erweiterten sein Verständnis und seine Anschauung von Natur. Diese ganze Entwicklung schritt so weit fort, dass Goethe seine Hauptbegabung bald nicht mehr im Dichten, sondern im Zeichnen sah. Als Vorgriff sei hier angemerkt, dass Goethe erst durch die Italienerfahrung sein Talent als Dichter erkennen und folglich Abstand von Zeichnen nehmen wird.[22]

Doch auch der Mensch Goethe musste sich in seinem neuen adeligen Umfeld verändern. Der ehemalige Rebell aus den Frankfurter Jahren brach mit seinen Überzeugungen des Sturm und Drang. Dies zeigte sich besonders prägnant an seinen höfischen Inszenierungen, die nun natürlich den Geschmack eines anderen Publikums treffen mussten.[23]

Nach all den Jahren am Hof von Weimar war Goethe dann schließlich 1786 erschöpft. Goethe musste sich den Weimarer Verpflichtungen entziehen und sich als Mensch wieder neu finden. Die Weimarer Jahre hatten den einstigen Stürmer und Dränger zutiefst verunsichert. Sei es in der Liebe mit den schwierigen Verhältnissen zu Charlotte von Stein oder in seiner Unsicherheit über die Bedeutung als Künstler. Letztlich erinnerte sich Goethe an seine Kindheit und an die Italienreise seines Vaters. Er beschloss somit, selbst nach Italien zu reisen.[24]

2.2 Die Reise

In den frühen Morgenstunden des 3. September 1786 verließ Goethe Karlsbad, wo er sich wie jedes Jahr durch eine Trink- und Badekur erholte. Goethe brach damit vorerst sämtliche Beziehungen zur Heimat ab. Nur sein Sekretär Seidel und natürlich der Herzog waren in seine Pläne eingeweiht. Der Herzog erklärte sich gar bereit, Goethe die Reise auch finanziell zu sichern, indem er ihm das Gehalt weiterzahlte. Von seinen Freunden erhielt nur Herder eine Abschiedsnachricht.[25]

Fortan reiste Goethe unter dem Pseudonym Filippo Miller. Ergänzend zum falschen Namen gab Goethe sich ferner als Leipziger Maler aus.[26] Auf seiner Reise nahm sich Goethe Johann Joachim Winckelmann als Vorbild. Dieser war 1755 nach Rom gekommen und hatte hier Karriere als Theoretiker über die Kunst des klassischen Altertums gemacht.[27]

Goethes erstes Reiseziel hieß Venedig, welches er am 28. September 1786 erreichte. Aus Venedig reiste Goethe am 14. Oktober ab und erreichte schließlich, nach Zwischenstationen in Ferrara, Bologna, Florenz und Perugia, am 29. Oktober 1786 Rom. Dort lebte Goethe im Kreise einiger deutscher Künstler und mit dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein gemeinsam in einer Wohnung am Corso.[28] In Rom lernte Goethe außerdem Karl Philipp Moritz kennen. Dieser erste römische Aufenthalt endete am 21. Februar 1787. Tags darauf reiste der Dichter mit Tischbein nach Neapel, wo er Jacob Philipp Hackert kennenlernte, den Landschaftsmaler am Hofe Ferdinands I. von Neapel. Am 29. März ging die Reise schließlich weiter nach Sizilien. Hierhin begleitete Goethe der Landschaftsmaler Christoph Heinrich Kniep. Am 11. Mai verließen die beiden Sizilien und erreichten am 14. Mai erneut Neapel. Von dort aus ging die Reise am 3. Juni weiter nach Rom. Dieser zweite römische Aufenthalt währte vom 6. Juni 1787 bis zum 23. April 1788. Seine Heimat Weimar erreichte Goethe, nach Stationen in Mailand, Splügenpass, Konstanz, Nürnberg und Coburg, am 18. Juni 1788.[29] [30]

2.3 Nach der italienischen Reise

Als Goethe nach Weimar zurückkehrte, folgte vorerst eine Zeit der Enttäuschung. Zum einen empfand sich Goethe als zunehmend isoliert von seinem früheren Freundeskreis, in dem er, nach seinen Erfahrungen in Italien, scheinbar keinen Halt mehr fand. Die Freunde waren zwar neugierig auf Goethe, den sie so lange nicht gesehen hatten, Interesse an seinen Erzählungen über die Reise hatte jedoch kaum einer. Auch die politischen Rahmenbedingungen der bevorstehenden Französischen Revolution wirkten ernüchternd auf den voller Tatendrang zurückgekehrten Dichter. Ferner blieb der literarische Ertrag der ersten Weimarer Jahre nach Italien sehr überschaubar. So kam die Arbeit an seiner Werkausgabe nur sehr schleppend voran und auch geplante Werke wie „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ wurden in ihrer Realisierung verschoben. Auch von den Veränderungen, die die Italienreise in Goethes Denken angestoßen hatten, war in den ersten Weimarer Tagen nach Italien noch nicht viel zu bemerken.[31] [32] [33]

Am 5. Dezember 1788 besuchte dann Karl Philipp Moritz die Stadt Weimar. Welch belebende Wirkung das Eintreffen des guten Freundes aus gemeinsamen römischen Tagen für den unter Isolationsgefühlen leidenden Dichter hatte, kann man sich vorstellen. Endlich konnte Goethe sich mit einer Person in seinem Umfeld über seine Zeit in Italien austauschen.[34]

Auch privat wandelten sich die Dinge für Goethe langsam zum Positiven. Nach dem persönlichen Glück mit Christiane Vulpius bekamen beide am 25. Dezember 1789 ihr erstes gemeinsames Kind. Goethes Sohn Julius August Walther war geboren worden.[35]

Im Jahre 1789 wird dann „der grundlegende Aufsatz Einfache Nachahmung der Natur,

Manier, Stil“[36] als „ein frühes Dokument der italienischen Neuorientierung“[37] veröffentlicht.

3. Goethes Klassizismus

3.1 Zum Begriff des „Klassischen“

Der römische Gelehrte Aulus Gellius gilt als erster Mensch, der das Wort ,classicus' in einem literarischen Zusammenhang gebrauchte. Nach Gellius galt ein Schriftsteller dann als Musterautor, als ,scriptor classicus', wenn seine Texte von grammatischer Sprachrichtigkeit geprägt waren. Später wurde dem Wort jedoch noch eine andere Bedeutung verliehen, nach welcher ein ,scriptor classicus' „die Mitte und Maß in Lebenshaltung und Kunstübung“[38] aufwies. Das Wort ,classici' hingegen als etymologischer Vorfahre von ,classicus' bezeichnete ursprünglich die Repräsentanten der ersten römischen Bürgerklasse mit einem bestimmten Renteneinkommen. Somit ist das Wort ,klassisch' römischen Ursprungs, da es sich vom lateinischen Adjektiv ,classicus' ableitet.[39] [40] Im deutschen Sprachraum wurde der Begriff ,Klassik' zuerst 1770 in Friedrich Schlegels „Fragmenten“ erwähnt, wo er dem Begriff ,Klassik' die Vorstellungen von Johann Joachim Winckelmann[41] zuordnet und eine Opposition zum ,Romantischen' schafft.[42]

Der Begriff ,Klassik' und natürlich auch sprachtypologisch verwandte Ausdrücke wie ,das Klassische' oder ,Klassizismus' werden in Europa stets mit der griechisch­römischen Antike als Vorbild in Verbindung gesetzt. Seine prägende Bedeutung erlangte der Begriffjedoch etwa um 1800 und dem damaligen Aufkommen des Historismus. Der Historismus erkannte „die Differenz zwischen dem Normativen und dem Epochenhistorischen von Klassik“[43] und manifestierte „die Einheit des antiken Klassik- Paradigmas“[44]. Aus eben diesem Historismus leitet sich somit auch die noch heute gültige Konfrontation zwischen Antike und Moderne ab.[45] In dieser Gegenüberstellung erlangt der Begriff der ,Klassik' seine epochale Bedeutung als Abgrenzungsbegriff einer literarischen Schaffensperiode aus stiltypologischen oder qualitativen Gründen[46], da gerade in der Neuzeit der Norm- und Wertbegriff der ,Klassik' mit dem der Antike als grundsätzliches Vorbild identisch geworden ist.[47] Der Begriff ,Klassik' weist somit zwei Bedeutungen auf: Zum einen die eines ästhetischen Normbegriffes und zum anderen die eines literaturwissenschaftlichen Epochenbegriffes. Ein klassisches Werk beansprucht für sich grundsätzlich eine überzeitliche und normative Gültigkeit und strebt somit eine Kanonisierung im Kontext ewig aktueller Literatur an.[48]

3.2 Die Epoche der „ Weimarer Klassik“

Von der ,Weimarer Klassik' als Epoche zu sprechen, bringt verschiedene Probleme mit sich. Eine historische Schaffensperiode (zum Beispiel in der Literatur) wird immer retrospektiv als Epoche bezeichnet. Somit ist der Epochenbegriff in seiner Verwendung auf eine bestimmte Schaffensperiode hin immer angreifbar und kritisierbar. Der Epochenbegriff gibt keine Auskunft darüber, wie eine Schaffensperiode grundsätzlich war, sondern nur wie sie rezipiert wurde. Auf Grundlage dieser Rezeption wurden dann Ordnungsmerkmale entwickelt, die diese Epoche abgrenzen und charakterisieren sollen.[49]

Trotz der oben genannten Problematik in der Verwendung des Epochenbegriffs, soll in der Folge die Epoche der ,Weimarer Klassik' betrachtet und skizziert werden.

Im Unterschied etwa zum französischen Klassizismus ist die ,Weimarer Klassik' ein zeitlich eher spät anzusiedelndes Ereignis. Sie beschränkt sich nach einhelliger Meinung etwa auf den Zeitraum vom Beginn der italienischen Reise Goethes bis zum Tod Friedrich Schillers im Jahr 1805.[50] [51]

Die ,Weimarer Klassik' stand dabei nicht im Kontext einer nationalen Identität, da diese anders als im französischen Klassizismus unter Ludwig dem XIV. in Deutschland nicht gegeben war. Das Herzogtum Sachsen-Weimar genoss hierbei eine überwiegende politische Unabhängigkeit von den Großmächten, welche es sich durch den Frieden von Basel des Jahres 1795 erworben hatte. Für Goethes Heimat bedeutete dies „eine Phase relativer Ruhe vor den Revolutionskriegen“ [52]. Die in dieser Zeit entwickelten literatur- und kunsttheoretischen Modelle reagierten trotzdem auf die politisch angespannte Situation und versuchten dem revolutionären Streben ordnungsfindende beziehungsweise ordnungswiederherstellende Konzepte entgegenzusetzen. Hierbei orientierte sich die ,Weimarer Klassik' entgegen der französischen Klassik[53] am griechischen Antikparadigma.[54]

Die grundsätzliche Programmatik der Epoche stellte ein Sammelsurium untereinander oftmals inkohärenter Konzepte dar, die erst in der literaturgeschichtlichen Rezeption des 19. Jahrhunderts in einen epochalen Gesamtzusammenhang gerückt wurden.[55]

Diese Arbeit möchte sich nicht zuletzt deshalb in der Folge explizit der klassischen Programmatik Goethes widmen.

[...]


[1] George, Stefan: Das Neue Reich. Gesamtausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 9.

[2] Vgl. Beyer, Andreas: Reisen - Bleiben - Sterben. Die Goethes in Rom, in: Manger, Klaus (Hrsg.): Italienbeziehungen des klassischen Weimar, Tübingen 1997, S. 65-66.

[3] Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hrsg. von Regine Otto, 2. Auflage, Berlin/Weimar 1984, S. 248-249.

[4] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S. 9-10.

[5] Vgl. Birus, Hendrik: Goethes Italienische Reise als Einspruch gegen die Romantik (19.01.2004). in: Goethezeitportal. URL: http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/italreise_birus.pdf (22.07.2013).

[6] Aurnhammer, Achim: Goethes „Italienische Reise“ im Kontext der deutschen Italienreisen, in: Goethe-Jahrbuch2003, 120. Band, S. 72.

[7] Vgl. Aurnhammer, Achim: Goethes „Italienische Reise“ im Kontext der deutschen Italienreisen, in: Goethe-Jahrbuch2003, 120. Band, S. 72.

[8] Rohde, Carsten: Spiegeln und Schweben. Goethes autobiographisches Schreiben, Göttingen 2006, S. 98.

[9] Ebd., S. 102.

[10] Ebd., S. 328.

[11] Vgl. ebd..

[12] Engelhardt, Wolfvon: Goethes Weltansichten. Auch eine Biographie, Weimar 2007, S. 149.

[13] Vgl. ebd..

[14] Vgl. Meier, Albert: Goethe. Dichtung-Kunst-Natur, Stuttgart2011, S. 104-116.

[15] Göres, Jörn: „Wie wahr! Wie seiend!“. Reflexionen zu Goethes Italien-Reisen, in: Goethe-Jahrbuch 1988, 105. Band, S.11.

[16] Vgl. ebd., S. 11-12.

[17] Willems, Gottfried: „Ich finde auch hier leider gleich das, was ich fliehe und suche, nebeneinander“. Das Italien-Bild in Goethes Römischen Elegien und Venetianischen Epigrammen und die Klassik­Doktrin, in: Manger, Klaus (Hrsg.): Italienbeziehungen des klassischen Weimar, Tübingen 1997, S. 129.

[18] Ebd..

[19] Ebd., S. 131.

[20] Vgl. ebd.,S.129-131.

[21] Vgl. Meier, Albert: Goethe. Dichtung - Kunst - Natur, Stuttgart 2011, S. 89.

[22] Vgl. Wagner, Irmgard: Goethe. Zugänge zum Werk, Hamburg 1999, S. 17-19.

[23] Vgl. ebd., S. 18.

[24] Vgl. ebd., S. 18-21.

[25] Vgl. Engelhardt, Wolfvon: Goethes Weltansichten. Auch eine Biographie, Weimar 2007, S. 148-149.

[26] Vgl. ebd., S. 153.

[27] Vgl. Meier, Albert: Goethe. Dichtung-Kunst-Natur, Stuttgart2011, S. 106.

[28] Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an das berühmte Aquarell „Goethe am Fenster der römischen Wohnung am Corso“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, welches Goethe in einer Rückansicht beim Herausschauen aus dem Fenster der gemeinsamen Wohnung am Corso darstellt.

[29] Vgl. Engelhardt, Wolfvon: Goethes Weltansichten. Auch eine Biographie, Weimar 2007,S. 149-153.

[30] Vgl. Staiger, Emil: Goethe. Band 2: 1786-1814, 2. Auflage, Zürich 1958, S. 7.

[31] Vgl. Rohde, Carsten: Spiegeln und Schweben. Goethes autobiographisches Schreiben, Göttingen 2006, S. 91-98.

[32] Vgl. Engelhardt, Wolfvon: Goethes Weltansichten. Auch eine Biographie, Weimar 2007, S. 157-158.

[33] Vgl. Meier, Albert: Goethe. Dichtung-Kunst-Natur, Stuttgart2011, S. 117-118.

[34] Vgl. Engelhardt, Wolfvon: Goethes Weltansichten. Auch eine Biographie, Weimar 2007, S. 159-160.

[35] Vgl. Meier, Albert: Goethe. Dichtung-Kunst-Natur, Stuttgart2011, S. 118.

[36] Ebd., S. 120.

[37] Ebd..

[38] Lesniak, Slawomir: Der Begriff des Klassischen bei Goethe, in: Goethe-Jahrbuch 2003, 120. Band, S. 229.

[39] Vgl. ebd..

[40] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S. 11.

[41] Auf eine exakte Darlegung der Vorstellungen von Johann Joachim Winckelmann soll an dieser Stelle aus Komplexitätsgründen verzichtet werden. Die Vorstellungen Winckelmanns lassen sich aber zum Beispiel detailliert im Werk von Manfred Riedel nachlesen. Vgl. hierzu: Riedel, Manfred: Kunst als „Auslegerin der Natur“.Naturästhetik und Hermeneutik in der klassischen deutschen Dichtung und Philosophie, (= Collegium Hermeneuticum. Deutsch-italienische Studien zur Kulturwissenschaft und Philosophie, Band 5) Köln 2001, hier: S. 47-75.

[42] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S.11.

[43] Ebd., S. 10.

[44] Ebd..

[45] Ebd..

[46] So bezeichnet Voßkamp die Weimarer Klassik als „Gipfelepoche der deutschen Literaturgeschichte“. (Voßkamp: Theorie der Klassik, S. 10)

[47] Vgl. Borchmeyer, Dieter: Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche, Weinheim 1994, S. 25-26.

[48] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Klassik als Epoche. Zur Typologie und Funktion der Weimarer Klassik, in: Simm, Hans-Joachim (Hrsg.): Literarische Klassik, Frankfurt am Main 1988, S. 248.

[49] Vgl. Karthaus, Ulrich: Sturm und Drang. Epoche - Werke - Wirkung, 2. Auflage, München 2000, S. 15.

[50] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S. 15.

[51] Vgl. Jacobs, Angelika: Empfindliches Gleichgewicht. Zum Antike-Bild in Goethes „Winckelmann und sein Jahrhundert“, in: Goethe-Jahrbuch 2006, 123. Band, S. 101.

[52] Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S. 14.

[53] Der französische Klassizismus orientierte sich eher am römischen Antikparadigma. (Vgl. Voßkamp: Theorie der Klassik, S. 14.)

[54] Vgl. Voßkamp, Wilhelm: Einleitung, in: Theorie der Klassik (= Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 18625), Stuttgart 2009, S. 13-15.

[55] Vgl.ebd..

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Details

Titel
Die Italienische Reise
Untertitel
Zeugnis über den Beginn von Goethes Klassizismus
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für neuere deutsche Literatur und Medien)
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
46
Katalognummer
V264255
ISBN (eBook)
9783656546481
ISBN (Buch)
9783656546955
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
italienische, reise, zeugnis, beginn, goethes, klassizismus
Arbeit zitieren
Patrick Holst (Autor:in), 2013, Die Italienische Reise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264255

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