Kernbereich privater Lebensgestaltung

Objektivierbar oder auf den einzelfall anzupassen


Seminararbeit, 2013

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung in seinem historischen Kontext

C. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung in seinem grundrechtlichen Zusammenhang

D. Die „Drei-Sphären-Theorie“
1. DNA-Analyse
2. Wohnraumüberwachung / „Großer Lauschangriff“
3. Telekommunikationsüberwachung
4. Staatstrojaner
5. Die Verwertung von privaten Schriftstücken

E. Kritik an der „Drei-Sphären-Theorie“ und alternative Ansätze

F. Fälle aus der Praxis
1. Der Tagebuchfall 1
2. Der Tagebuchfall 2
3. Der Selbstgesprächs-Fall

G. Das „Zweistufenkonzept“ in der polizeilichen Praxis

H. Kritik

I. Fazit

A. Einleitung

In den vergangenen Jahren haben sich die Möglichkeiten der polizeilichen Ermittlungen zur Aufklärung von Straftaten deutlich verbessert. Die technischen Fortschritte eröffnen den Ermittlungsbehörden immer neue Wege zur Strafverfolgung. Mittlerweile lebt der Mensch in einer Zeit, in der sogar damit zu rechnen ist, dass es möglich ist das tiefste Geheimnis ans Tageslicht kommen zu lassen. Die Gesellschaft ist an einen Punkt geraten an dem darüber nachgedacht wird mittels technischer Hilfsmittel die Gedanken eines Menschen auswerten zu können. Man denke an die fast schon pervers erscheinende Idee des Lügendetektors. Diese neuen Möglichkeiten lassen die Frage aufkommen, ob diese denn eher einen gesellschaftlichen Vor- oder Nachteil darstellen.

Daher ist es aktuell noch nie so wichtig wie zu dieser Zeit gewesen einen gesetzlichen Rahmen für diese Eingriffe zu schaffen. Dieser Grundgedanke eines letzten Kernes, der absolut unantastbar für jede staatliche Behörde ist, soll hier analysiert werden. Besonderes Augenmerk wird in dieser Seminararbeit darauf gelegt, ob es sich bei dem Kernbereich privater Lebensgestaltung um ein Konzept handelt, dass für jeden ähnlichen Fall objektivierbar ist oder einzelfallabhängig speziell erwägt werden muss.

B. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung in seinem historischen Kontext

Die Idee eines den Ermittlungsbehörden vorbehaltenen und daher unantastbaren Bereichs der Persönlichkeit, ist bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch Otto von Gierke zu belegen. Er war der Meinung, dass der Staat nur in einen Teil der Persönlichkeit eingreifen dürfe und, dass es einen „unantastbare[n] Bereich der Individualfreiheit“ geben muss um der Würde des Menschen gerecht zu werden.

Diese Gierksche Überlegung hat das BVerfG schon in der Weimarer Zeit der Rechtsprechung in der Diskussion über die Reichweite des allgemeinen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts aufgenommen.

Durch die Elfes-Entscheidung im Jahr 1957 wurde diese Überlegung dann zu einem Grundsatz formuliert. Dieses von Gierke genannte „unantastbare Reich der Individualfreiheit“[1] ließ das BVerfG zu dem Urteil kommen, dass „ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist. Ein Gesetz, das in ihn eingreifen würde, könnte nie Bestandteil der ‚verfassungsmäßigen Ordnung‘ sein; es müßte durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden.“ [2]

Diesem Gedankengang ging im Jahre 1996 auch der SächsVerfGH nach und verfeinerte diesen Grundsatz bedeutend.

Der SächsVerfGH erkannte auch in Bezug auf die verdeckte Wohnraumüberwachung den Kernbereich privater Lebensgestaltung an. Er machte deutlich, dass selbst im Falle überwiegender allgemeiner Interessen ein solcher Eingriff in diesen Bereich nicht zu rechtfertigen ist. Es ist demnach ein Eingriff in das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG gegeben.

Des Weiteren entschied er, dass der Gesetzgeber die Aufgabe habe den Schutz des Kernbereiches zu regeln. Daraus resultierte auch ein umfassendes Löschungsgebot, welches es vorsah alle unrechtmäßig erlangten Daten löschen zu lassen. Als Begründung diente hierbei die Wesentlichkeitslehre. Demnach habe der Gesetzgeber durch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip die Aufgabe entscheidende Regelungen für die Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen. Denn es sei nicht zu verantworten diese Entscheidung der Hand der Exekutive zu überlassen.

Als im Jahre 2004 das BVerfG den Gedanken des SächsVerfGH erneut aufgriff, erkannte dieser ebenfalls an, dass bei überwiegenden allgemeinen Interessen nicht in diesen Bereich eingegriffen werden dürfe. Jedoch strickte das Gericht diesen Gedanken weiter. Auf der einen Seite erkannte das Gericht einen emotional-psychischen Schutzgehalt, der ermöglichen müsste Gedanken zum Ausdruck bringen zu können, ohne die „Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen“[3] dürften.

Auf der anderen Seite ließ das Gericht die gesetzgeberische Aufgabe zum Kernbereichsschutz noch viel wichtiger erscheinen als zuvor.

Aus diesem Grund wurde es als Meilenstein der Rechtsprechung des BVerfG angesehen, da es die Menschenwürde maßgeblich schützt[4]. Hierdurch hat das BVerfG dem Gesetzgeber die Aufgabe erteilt die Eingriffsgrundlage für die Wohnraumüberwachung so zu gestalten, dass eine Verletzung des Kernbereiches privater Lebensgestaltung auszuschließen ist. Dieses Urteil erhielt jedoch starke Kritik von polizeilicher Seite. Für die Polizei war diese neue Gesetzgebung in der Praxis schwierig umzusetzen. Die eingriffsrechtliche Grundlage für diese Maßnahme wurde umformuliert und stellte die Polizei vor einer neuen Vielzahl von Hürden.

C. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung in seinem grundrechtlichen Zusammenhang

Um den Kernbereich privater Lebensgestaltung in seinem Wesen verstehen zu können bedarf es einer näheren Betrachtung in seinem grundrechtlichen Zusammenhang.

„Wie sich im weiteren Verlauf der Untersuchung herausstellen wird, steht die Vorstellung eines „unantastbaren“ Bereiches innerhalb der Vielfalt des menschlichen Daseins in so engem Zusammenhang mit dem Menschenwürdesatz, dass eine vorherige Betrachtung von Art. 1 I GG zwingend notwendig ist.“[5]

Doch genau dieser Denkansatz wirft natürlich die Frage auf, was die Würde des Menschen ist. An dieser Stelle soll natürlich von vornherein gesagt werden, dass dieses höchstphilosophische Thema hier nicht in seiner vollkommenen Gänze ausgeweitet werden kann und nur oberflächlich behandelt wird.

Die Menschenwürde, die als „oberster Wert“[6] der Verfassung und als „tragendes Konstitutionsprinzip“[7] gehandelt wird, ist zunächst von allen anderen Grundrechten in zwei bedeutenden Punkten zu unterscheiden.

Erstens ist die Würde des Menschen, auch bei überwiegenden allgemeinen Interessen unantastbar. Aus diesem Grund ist, im Gegensatz zu anderen Grundrechten, verfassungsrechtlich keine Einschränkung in jeglicher Hinsicht vertretbar.

Zweitens schützt die Menschenwürdegarantie nicht einen sachlich geprägten Normbereich. Vielmehr genießt sie den Anspruch gegenüber jedem Lebenssachverhalt gültig zu sein[8].

Ausgehend von diesem Grundsatz kann in objektiv-rechtlicher Hinsicht gesagt werden, dass die Menschenwürde als „richtungsweisende Wertentscheidung“[9] zu sehen ist, die das staatliche Menschenbild prägt. Aus subjektiv-rechtlicher Sicht aber formuliert sie die Abwehrfunktion gegenüber dem Staat, die in diesem Zusammenhang natürlich von besonderer Bedeutung ist, da auch der Kernbereich privater Lebensgestaltung ein solches Abwehrkonzept darstellt.

Obwohl jedoch die Wahrung der Menschwürde von existentieller Bedeutung für das Grundgesetz ist, ist es schwierig eine handfeste Definition für diesen Begriff zu finden. Je nachdem, ob dieser Begriff eben theologisch, soziologisch, politisch oder rechtswissenschaftlich betrachtet wird, kommt man zu völlig verschiedenen Ergebnissen.

Auf rechtswissenschaftlicher Basis kann man heute jedoch sagen, dass man nach der sogenannten Objektformel unterscheidet, ob die Würde des Menschen möglicherweise angetastet ist oder nicht. Nach dieser Theorie kommt es darauf an, dass der Mensch nicht zum Objekt staatlichen Handelns degradiert werden darf. Diese Definition wirft natürlich wieder die Frage auf, wann ein Mensch zum Objekt staatlichen Handelns degradiert wird. Hierfür gibt es wiederum verschiedene Auffassungen.

Es kann also festgehalten werden, dass der Begriff der Menschenwürde als solches nie abschließend zu definieren ist. Dies hängt schon allein damit zusammen, dass eine abschließende Definition dem Wesen der Würde in sich im Zusammenhang mit der freien Entfaltung und der Individualität des Menschen widersprechen würde.

Der absolut geschützte Bereich ist vielmehr ein Versuch dem Geheimnis der Würde näher zu kommen und ihr somit gerecht zu werden.

Er hat daher die Aufgabe der Würde des Menschen zumindest Konturen zu verleihen um zu verhindern, dass die Würde zu einer leeren Hülle verkommt. Es soll verhindert werden, dass die Würde in extreme Auslegungen verfällt, die entweder jedes staatliche Handeln wegen einer Würdeverletzung unterbinden müssten oder nie eine Würdeverletzung anerkennen dürften und jeden Eingriff erlauben könnten.

Hier ist natürlich auch die Aufarbeitung der deutschen Geschichte erkennbar, in der die strenge rassenideologische Auslegung der Würde mitverantwortlich für die katastrophalen Zustände im NS-Regime gewesen ist.

D. Die „Drei-Sphären-Theorie“

Wie bereits oben angedeutet umfasst der Kernbereich privater Lebensgestaltung die Möglichkeit höchstpersönliche Informationen, Gedanken, Vorlieben geheim halten zu können. Er stellt einen Bereich dar, der für Ermittlungsbehörden absolut unantastbar ist. Allein der Begriff „Kernbereich“ lässt erahnen, dass es sich nur um einen kleinen Ausschnitt eines übergeordneten größeren Bereiches handelt.

Daher gestaltet es sich für das BVerfG besonders schwierig eine allgemeine Definition für den geschützten Bereich zu formulieren. Es ist lediglich zu sagen, dass vorrangig Gedanken, die in ihrem Wesen das Innerste offenbaren, diesen absoluten Schutz genießen. Mit anderen Worten, „wenn das Innerste nach außen gekehrt wird“[10] ist von einer Kernbereichsverletzung zu sprechen. Jedoch wirft auch diese Stütze die Frage auf, in welchem Sachverhalt wiederum das Innerste betroffen ist

Aus diesem Grund macht das Gericht deutlich, dass die Frage, ob ein Sachverhalt konkret dem Kernbereich sozialer Lebensgestaltung zuzuordnen ist von den Umständen, sowie vom Einzelfall abhängig ist[11]. Dafür schreibt es gewisse Zuordnungsregeln vor[12].

[...]


[1] Angelika Siehr in „Die Deutschenrechte des Grundgesetzes“, 1. Aufl., 2001, S.184.

[2] BVerfG vom 16.01.1957, Az. 1 BvR 253/56 Rn. 32 in NJW 1957, 297.

[3] Manfred Baldus in „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen in“: JZ. 2008, S. 219.

[4] Uwe Wesel in „Der Gang nach Karlsruhe“, 1. Aufl., 2004, S. 347 in: Manfred Baldus, „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen in“: JZ. 2008, S. 219.

[5] Maximilian Warntjen in „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“,1. Aufl., 2007, S.41.

[6] Maximilian Warntjen in „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“, 1. Aufl., 2007, S.43.

[7] Maximilian Warntjen in „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“, 1. Aufl., 2007, S.43.

[8] Maximilian Warntjen in „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“, 1. Aufl., 2007, S.44.

[9] Maximilian Warntjen in „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“, 1. Aufl., 2007, S.44.

[10] Manfred Baldus in „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen in“: JZ, 2008, S. 219 in: Marius Wallmeier in Telekommunikationsüberwachung als verdeckte polizeiliche Maßnahme der Strafprozessordnung, 1. Aufl. 2011 S. 29, BVerfGE 80, 367 v, 14.09.1989, Az. 2 BvR 1062/87 in NJW 1990, 563; BVerfGE 34, 238 vom 31.01.1973, Az. 2 BvR 454/71in NJW 1973, 891.

[11] Manfred Baldus in „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen in“: JZ. 2008, S. 219

[12] Manfred Baldus in „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen in“: JZ. 2008, S. 219; Maximilian Warntjen „Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung“, 2007 S. 53.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Kernbereich privater Lebensgestaltung
Untertitel
Objektivierbar oder auf den einzelfall anzupassen
Hochschule
Fachhochschule Bielefeld
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
25
Katalognummer
V264101
ISBN (eBook)
9783656533412
ISBN (Buch)
9783656536338
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kernbereich, lebensgestaltung, objektivierbar, Würde, Polizei, Observation, Lauschangriff, Zweistufenkonzept
Arbeit zitieren
Christian Demir (Autor:in), 2013, Kernbereich privater Lebensgestaltung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264101

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