Klinisches Reasoning im Kontext der ernährungsmedizinischen Beratung als Bestandteil des diaetologischen Prozesses


Masterarbeit, 2013

119 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Klinisches Reasoning
2.1 Begriffsdefinition
2.2 Entwicklung des Klinischen Reasonings
2.3 Ziele des Klinischen Reasonings
2.4 Ethnographie als Forschungsmethode
2.5 Klinisches Reasoning im Therapieprozess
2.5.1 Kognition, Metakognition und Wissen
2.6 Strategien im Klinischen Reasoning Prozess
2.6.1 Hypothetisch-deduktiver Prozess
2.6.2 Mustererkennung
2.7 Entwicklung von Klinischen Reasoning Fertigkeiten
2.8 Von dem/der AnfängerIn zu dem/der ExpertIn
2.9 Die verschiedenen Formen des Klinischen Reasonings
2.9.1 Scientific Reasoning
2.9.2. Interaktives Reasoning
2.9.3 Konditionales Reasoning
2.9.4 Narratives Reasoning
2.9.5 Pragmatisches Reasoning
2.9.6 Ethisches Reasoning

3 Instrumente der Diaetologie
3.1 Berufsbild
3.2 Der diaetologische Prozess
3.2.1 Hintergrund und Ziele
3.2.2 Prozessschritte
3.3 Das ernährungsmedizinische Beratungsgespräch
3.3.1 Definition der ernährungsmedizinischen Beratung
3.3.2 Ziele der ernährungsmedizinischen Beratung
3.3.3 Gesprächsführung
3.3.4 Beratungshaltung
3.3.5 Phasen des ernährungsmedizinischen Beratungsgespräches
3.4 Nutrition Care Process (=NCP
3.4.1 Hintergrund und Ziele
3.5 Der diaetologische Prozess und der Nutrition Care Process

4 Klinisches Reasoning im Kontext der Diaetologie
4.1 Stellenwert des Klinisches Reasonings in der Diaetologie
4.2 Praktisches Beispiel des hypothetisch-deduktiven Prozesses in der Diaetologie

5 Empirische Untersuchung
5.1 Ausgangssituation der empirischen Untersuchung
5.2 Fragestellung der Untersuchung
5.3 Erhebungsmethode – Teilstrukturiertes Interview.
5.4 Auswahl der InterviewpartnerInnen
5.6 Interviewsituation
5.7 Auswertungsmethode
5.7.1 Kurzbeschreibung eines Interviews nach Flick (2007
5.8 Kategorienerstellung
5.8.1 Induktive Auswertungsmethode
5.8.2 Deduktive Auswertungsmethode
6 Darstellung der Ergebnisse

6.1 Kurzbeschreibung der einzelnen Interviews
6.1.1 Interview 1
6.1.2 Interview 2
6.1.3 Interview 3
6.1.4 Interview 4
6.1.5 Interview 5
6.1.6 Interview 6
6.1.7 Interview 7
6.1.8 Interview 8
6.2 Ergebnisse zu den einzelnen Fragestellungen
6.2.1 Gefallen am Beru
6.2.2 Erfolg einer Beratung
6.2.3 Zielerarbeitung
6.2.4 Berufserfahrung und Intuition
6.2.5 Problemlösung
6.2.6 Hilfreiche Fähigkeiten
6.2.7 Weitere Überlegungen
6.3 Ergebnisse zu den genutzten Klinischen Reasoning Formen
6.3.1 Scientific Reasoning
6.3.2 Interaktives Reasoning
6.3.3 Konditionales Reasoning
6.3.4 Narratives Reasoning
6.3.5 Pragmatisches Reasoning
6.3.6 Ethisches Reasoning
6.3.7 Kombinationen der Klinischen Reasoning Formen

7 Diskussion.

8 Zusammenfassung und Ausblick

9 Abbildungsverzeichnis

10 Tabellenverzeichnis

11 Literaturverzeichnis

12 Anhang
12.1 Leitfadeninterview
12.2 Curriculum Vitae

Abstract

Klinisches Reasoning im Kontext der ernährungsmedizinischen Beratung als Bestandteil des diaetologischen Prozesses

Verfasserin: Barbara Missoni

Betreuerin: Mag. Ursula Costa

Lehrgang zur Weiterbildung § 14a FHStG idF. BGBl. 2/2008. Klinische Diaetologie

Keywords: Klinisches Reasoning, diaetologischer Prozess, Nutrition Care Process, Diaetologie, ernährungsmedizinische Beratung

Hintergrund: Klinisches Reasoning wurde erstmals von Forscherinnen der Ergotherapie beschrieben, hat Relevanz für sämtliche Gesundheitsberufe und kommt bisher vorwiegend implizit auch in der Diaetologie zum Tragen. Methode: In dieser explorativen Pilotstudie wurden acht Diaetologinnen mittels teilstrukturierten Interviews zu ihren Gedanken im Rahmen einer ernährungsmedizinischen Beratung befragt. Einschlusskriterien waren: Tätigkeit im intramuralen Bereich sowie weniger als drei bzw. mehr als zehn Jahre Berufserfahrung. Ergebnisse: Die Interviewpartnerinnen verbinden mit einem erfolgreichen Beratungsgespräch u.a. eine ausführliche Anamne se, gemeinsames Erarbeiten praxisnaher Ziele, soziale-interaktive Fähigkeiten, wie Empathie und die Berücksichtigung von räumlichen, zeitlichen Ressourcen . Sie nutzen dabei das Scientific, Pragmatische, Interaktive, Narrative, Konditionale und Ethische Reasoning. Diskussion: BerufsanfängerInnen bevorzugen andere Reasoningformen als langjährig Berufserfahrene. Um Klinisches Reasoning in der Diaetologie zu etablieren, bedarf es dessen Integration in Aus- und Weiterbildung.

Abstract

Clinical reasoning in the context of nutritional consultation as part of the dietetic process

Student: Barbara Missoni

Mentor: Mag. Ursula Costa

Master of Science in Clinical Dietetics

University of Applied Sciences Tyrol

Keywords: clinical reasoning, nutrition care process, dietetic, nutritional consultation

Background: Clinical reasoning was first described by occupational -therapy researchers. It is relevant for many health care professions and is nowadays tacidly used in dietetics. Method: In this exploratory pilot study eight dietitians were asked in semi-structured interviews about their opinion on medical nutrition consultation. Participants were dietitans practicing in a hospital setting, and having less than three or more than ten years of work experience. Results: Most of the participants think that a successful consultation should include a detailed anamnesis, working out realistic aims with the patient - it requires social interactive skills, empathy, but also the consideration of space and time resources. The participants used scientific, pragmatic, interactive, narrative, conditional as well as interactive reasoning. Discussion: Entrants prefer using other reasoning forms and consider other aspects than experienced dietitians. To establish clinical reasoning to dietetics it has to be integrated in education and further training.

1 Einleitung

ErgotherapeutInnen wurde stets implizites Handlungswissen nachgesagt. Damit der Entscheidungsprozess im ergotherapeutischen Kontext transparenter, sowie kommunizierbarer und wissenschaftlich untersuchbarer wurde, führten Mattingly und Fleming ein großes Forschungsprojekt „Clinical Reasoning Study“ von 1986-1990 im Auftrag der American Occupational Therapy Association (AOTA) durch. Diese Studie diente zahlreichen weiteren Klinischen Reasoning Studien in den USA, in Europa, Australien und Japan als Forschungsgrundlage. (vgl. Feiler 2003: 120)

Durch die Klinische Reasoning Forschung hat sich Klinisches Reasoning als wichtiger Bestandteil, der Qualitätssicherung und der Anerkennung im Gesundheitssystem, etabliert.

Parallelen zur Diaetologie konnte ich durch die Vorlesung „Klinisches und Professionelles Reasoning“ von Frau Mag. Costa finden. Mein Interesse galt nun Klinisches Reasoning im Fachbereich Diaetologie zu thematisieren. Durch meine Arbeit möchte ich Klinisches Reasoning für DiaetologInnen zugänglicher und transparenter machen.

Klinisches Reasoning passiert fortwährend im Kontakt mit PatientInnen. Wenn ein/eine TherapeutIn einen Patienten/eine Patientin sieht, mit ihm/ihr spricht, wenn eine Anamnese erhoben und in weiterer Folge eine Ernährungstherapie bzw. Ernährungsberatung, sowie anschließende Evaluierung der Intervention durchgeführt wird, läuft klinisches Reasoning als (un)bewusster Prozess ab.

TherapeutInnen sammeln immerwährend Informationen, ordnen sie entsprechend ihres Fachwissens und der beruflichen Entscheidungsvariablen. Sie haben Bilder von Lösungsstrategien im Kopf, betrachten PatientInnen in ihrer Gesamtheit, forcieren zielführende Therapieansätze bzw. passen diese den wechselnden Erfordernissen aufgrund ständiger Reflexions- und Evaluierungsprozesse an. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 23f).

Bisweilen findet man kaum Literatur hinsichtlich des Klinischen Reasonings in der Diaetologie. Im deutschsprachigen Bereich gibt es eine Bachelorarbeit „Konzept zur Einbindung von Clinical Reasoning in die Ausbildung von Diätassistentinnen“ von Michaela Pohl. Auch ein Artikel über „Clinical Reasoning in der Diätassistenz. Eine Bestandsaufnahme“ wurde von ihr veröffentlicht. (vgl. Pohl 2011)

In dieser Studie wird untersucht, was das Denken von DiaetologInnen im Rahmen einer ernährungsmedizinischen Beratung leitet. Ich erhebe, welche Entscheidungen DiaetologInnen treffen, wie sie schlussfolgern und welche Strategien sie zur Problemlösung heranziehen.

Mit dieser Arbeit möchte ich herausfinden, inwieweit DiaetologInnen Klinisches Reasoning betreiben und welche Formen des Klinischen Reasonings dabei zum Tragen kommen.

Die Forschungsfragen lauten:

- Woran denken DiaetologInnen im intramuralen Bereich im Rahmen der ernährungsmedizinischen Beratung?
- Welche Klinischen Reasoning Formen nutzen DiaetologInnen?

Diesen Fragestellungen ging ich mittels teilstrukturiertem Interview (Leitfadeninterview) nach. Die Studienteilnehmerinnen waren Diaetologinnen, die im intramuralen Bereich tätig sind und als Berufsanfängerinnen bis zu 3 Jahren Berufserfahrung bzw. als Expertinnen mit einer Berufserfahrung über 10 Jahren fungieren.

Diese explorative Studie kann Anregungen für weitere Untersuchungen hinsichtlich der Klinischen Reasoning Forschung im Kontext der Diaetologie geben.

2 Klinisches Reasoning

2.1 Begriffsdefinition

Eine präzise, deutsche Übersetzung des Begriffs „Clinical Reasoning“ kann ohne Verzerrung nicht stattfinden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich die englische Version des Begriffes im deutschsprachigen Bereich bereits etabliert hat. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 7)

Klinisches Reasoning beinhaltet Denk-, Handlungs- und Entscheidungsprozesse, die von klinisch tätigen Personen in Interaktion mit dem Patienten/der Patientin getroffen werden. (vgl. Beushausen/Walther 2010: 30)

Higgs beschreibt, dass Klinisches Reasoning alle Denkprozesse und Entscheidungsfindungen von TherapeutInnen beinhaltet, die während einer Untersuchung bzw. Behandlung eines Patienten/einer Patientin entstehen. Der/die TherapeutIn hat die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit dem Patienten/der Patientin und den Angehörigen, sowie den sonstigen betreuenden Personen, Ziele und Strategien zu strukturieren. Dieser Entscheidungsprozess beinhaltet das Sammeln und Analysieren von klinischen Daten, die Perspektive des Patienten/der Patientin, die professionelle therapeutische Beurteilung und das therapeutische Wissen. (vgl. Higgs et al. 2008: 4)

Die Anthropologin Mattingly und die Ergotherapeutin Fleming, die als erste Klinisches Reasoning als solches untersucht und beschrieben haben, sehen Klinisches Reasoning aus phänomenologischer Sicht. Sie definieren Klinisches Reasoning als stillschweigenden, halbbewussten, komplexen Problemlösungsprozess, der den Menschen mit seinem individuellen Krankheitsempfinden in den Mittelpunkt stellt. Es steht somit nicht die biomedizinische Diagnose im Zentrum. Klinisches Reasoning sieht als Basis, den Klienten/die Klientin als Ganzes zu sehen, individuelle Rahmenbedingungen sollen dabei einbezogen werden. (vgl. Mattingly/Fleming 1994: 7)

Feiler (2003) beschreibt Klinisches Reasoning als all die Gedanken und Strategien, also den gesamten mentalen Prozess, der den therapeutischen Prozess begleitet. Das bedeutet somit das Nachdenken über die therapeutische Arbeit im Rahmen des therapeutischen Prozesses, dessen Folgen die Entscheidungsfindung und Maßnahmengestaltung sind. (vgl. Feiler 2003: 2)

Die Ergotherapeutin Ryan (1996) sieht Klinisches Reasoning als einen Prozess, der auch außerhalb eines bestimmten Settings stattfindet. Sie meint, dass verschiedene Prozessschritte implizit, unbewusst und automatisiert vor, während und nach Therapiesitzungen stattfinden. (vgl. Hütter-Becker/Dolken 2005: 9)

2.2 Entwicklung des Klinischen Reasonings

Die Entwicklung des Klinischen Reasonings geht auf die amerikanische Pionierin der Ergotherapie, Gail Fiddler zurück. Sie erkannte im Rahmen ihres Studienpraktikums (1944), dass die ergotherapeutischen Interventionen Anerkennung erhielten, jedoch die Grundprinzipien für die Praxis, wie das Formulieren von Hypothesen oder das Hinterfragen nach dem Warum, fehlten. Sie stellte sich die Frage, wie die PatientInnen wissen können, ob Ergotherapie eine wirksame Form der Behandlung ist. ErgotherapeutInnen sollten ihre grundlegenden Prinzipien, Ausführungen und Auffassungen argumentieren können. (vgl. Hagedorn 2004: 30)

ErgotherapeutInnen haben während der gesamten Entwicklung des ergotherapeutischen Prozesses Klinisches Reasoning im Rahmen der Behandlungsplanung oder des Problemlösungsprozesses betrieben. In den Anfängen galt Klinisches Reasoning als einfacher Denk- und Begründungsprozess. Fleming war die erste Ergotherapeutin, die beschrieb, dass Therapeuten verschiedene Modelle des Denkens nützen in Abhängigkeit, welches klinische Problem sie gerade bearbeiten wollen. (vgl. Feiler 2003: 2f.)

2.3 Ziele des Klinischen Reasonings

„…the goal of clinical reasoning is a treatment recommendation issued in the interests of a particular patient.“ (Rogers 1983: 601)

Roberts (1996) sieht das Ziel des Klinischen Reasonings als Reflexion von Problemen des Klienten/der Klientin und in der Lösung von Problemen an. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 22)

Klinisches Reasoning hat zum Ziel den akkuraten Einsatz von therapeutischen Denk- und Entscheidungsprozessen um klinische Maßnahmen gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin hinsichtlich Ressourcen, Ziele, Möglichkeiten und Bedürfnisse abzuwägen. In diesem qualitativen Prozess liegt die Begründung für klinische Handlungen und die anschließende kritische Reflexion. (vgl. Klemme/Siegmann 2006:9)

In Bezug dessen sollte sich der/die TherapeutIn drei Fragen stellen:

1. Wie ist der aktuelle Status in der ergotherapeutischen Behandlung?
2. Was kann getan werden, um den Status zu verbessern?
3. Was sollte getan werden, um die ergotherapeutische Kompetenz zu steigern? (vgl. Schell/Cervero 1993: 606)

Effiziente Interventionen zur Erreichung des Behandlungserfolges können durch das gemeinsame Erkennen und Hinterfragen des klinischen Problems durch TherapeutIn und PatientIn erbracht werden.

Strategien des Klinischen Reasonings beinhalten ein stetes Anpassen an den Ist-Zustand und können dadurch eine Optimierung der Therapie gewähren. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 9)

2.4 Ethnographie als Forschungsmethode

Einen hohen Stellenwert in der Klinischen Reasoning Forschung stellt die Ethnographie als qualitative Untersuchungsmethode dar. Die Ethnographie stammt aus einem Bereich der Feldforschung und hat folgende Merkmale zu verzeichnen:

- Es wird eine Population in ihrer natürlichen Umgebung über einen längeren Zeitraum erforscht
- Der/die ForscherIn nimmt an ausgewählten Lebenswelten teil, mit dem Ziel Daten zu erheben und Beschreibungen für die weitere Analyse anzufertigen
- Nicht nur reine Datenerhebung, sondern ein Verfahren zur Generierung von Erfahrungen und Erlebnissen, welche den/die ForscherIn zunehmend zu einem Teil des Feldes macht
- Ziel ist es, so viele Beobachtungen als möglich zu machen, die Hypothesenbildung wird aufgeschoben
- Theoretische Erkenntnisse sollen mit den TeilnehmerInnen besprochen und überprüft werden
- Jeder/jede ForscherIn sollte in der Lage sein eigene Theorien zu verwerfen bzw. sollte die eigene Interpretation immer in Frage gestellt werden (vgl. Feiler 2003: 121, www.univie.ac.at 2013)

Mattingly und Fleming führten von 1986-1990 ein großes Forschungsprojekt namens „Clinical Reasoning Study“ durch. In dieser Studie wurden reale Menschen bei ihren alltäglichen Handlungen sowie ihre Sprache und Werte untersucht. Ethnographische Untersuchungsmethoden waren in dieser Studie die Beobachtung der ErgotherapeutInnen, Videoaufzeichnungen der TherapeutInnen und PatientInnen während verschiedener Therapieeinheiten, sowie eine schrittweise Befragung.

In den Interviews wurden die ErgotherapeutInnen aufgefordert, Geschichten über ihre Arbeit mit den PatientInnen zu erzählen und den Grund für ihre Handlungsdurchführung zu schildern. Weitere Inhalte der Befragung waren die Einzelheiten des Therapieprozesses, die Identifikation besonderer Merkmale, sowie die Beschreibung von positiven und herausfordernden Erfahrungen. (vgl. Mattingly/Fleming 1994: 5ff)

Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie ist das „unausgesprochene Wissen“ (tacit knowledge). Dies besitzt jeder/jede, es wird durch persönliche Erfahrungen geprägt und leitet das Handeln. TherapeutInnen vertrauen darauf, dass sie in Situationen abschätzen können, was in diesem Moment für den Patienten/die Patientin wichtig ist und welche adäquate Entscheidung getroffen werden muss. Es fehlen aber oftmalig die Worte, das Wissen über das Handeln und Tun, ausdrücken zu können. Die Einstellung zu dieser Art von Wissen ist individuell und kulturabhängig. Betrachtet man dies aus der westlichen Kultur, so wird intellektuelles Wissen, das auf verbalen Erklärungen beruht, geschätzt. Wissen, das auf Erfahrungen beruht und nicht präzisiert werden kann, wird oftmalig als geringwertig betrachtet. Basierend auf den Erkenntnissen dieser Studie folgten zahlreiche Studien in den USA, in Europa, Australien und Japan zum Thema Klinisches Reasoning. (vgl. Feiler 2003: 120ff)

2.5 Klinisches Reasoning im Therapieprozess

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1 Spiralmodell des Klinischen Reasoning Prozesses nach Higgs & Jones (2000)

Klinisches Reasoning beeinflusst den ganzen Therapie- und Behandlungsprozess. Higgs und Jones veranschaulichen diese stete Weiterentwicklung zur Erkennung und Verständlichkeit des klinischen Problems als Prozessspirale. (Abb.1.)

Die Spirale zeigt die Erweiterung des Verständnisses von unten nach oben.

Eine durch den Therapeuten/die Therapeutin aufgestellte Diagnose stellt eine aktuelle Arbeitshypothese dar, die weitere Schritte im Entscheidungsprozess ermöglicht. Es sollte aber immer die Offenheit einer Überarbeitung der Hypothesen hinsichtlich der Datensammlung und eine Anpassung der bereits erfolgten Diagnose bestehen. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 9)

Ein wichtiger Punkt in diesem Spiralmodell ist für Higgs und Jones (2000) die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Patienten/der Patientin und seine/ihre Rolle im Entscheidungsprozess. Eine Beteiligung an der Entscheidung bedeutet, dass der/die PatientIn eine aktive Rolle einnimmt und ein Behandlungserfolg durch die Mitarbeit gewährt wird. Durch die partizipative Entscheidungsfindung fließen Informationen in beide Richtungen, beide Seiten bringen ihre Kriterien mit ein und in einem Abwägungsprozess wird eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Diese Veränderung in der Sichtweise bedarf eines Therapeuten/einer Therapeutin mit guten Reasoning-Fähigkeiten. Es sollte eine professionell gestaltete mit fachlich fundiertem Wissen untermauerte Beziehung entstehen, in der kulturelle, interaktive, kommunikative, sowie ethische Aspekte einfließen können. Beim Klinischen Reasoning Prozess sollten von dem Therapeuten/der Therapeutin alle situationsbestimmenden Faktoren berücksichtigt werden. Der/die PatientIn sollte in seiner/ihrer Gesamtheit erfasst und in den Reasoning Prozess einbezogen werden. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 10)

Im Spiralmodell nach Higgs und Jones (2000) wird auch ein Augenmerk auf das klinische Problem gelegt, das im Mittelpunkt steht und von allen anderen Faktoren beeinflusst wird. Die Erfassung der Ursachen und der Wechselwirkung ist vorrangiges Ziel des Klinischen Reasonings und ist die Basis für jedes klinische Management.

Die Fülle an beeinflussenden Faktoren weist auf die Komplexität des Prozesses hin. Klinisches Reasoning läuft daher in verschiedenen Formen, auf verschiedenen Ebenen ab. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 11)

2.5.1 Kognition, Metakognition und Wissen

Weiteres zentrales Element des Klinischen Reasonings sind die Kognition, Metakognition und das Wissen.

Der Begriff Kognition umfasst komplexe, geistige Aktivitäten, die mit Denken assoziiert werden, wie Aufmerksamsein, Erinnern, Urteilen, Vorstellen, Antizipieren, Planen, Entscheiden, Problemlösen und das Mitteilen von Ideen.

Im Klinischen Reasoning Prozess bezieht sich Kognition auf das Wahrnehmen relevanter Informationen, das Interpretieren von Daten und das Ableiten von Folgerungen, das Ziehen von Schlüssen, das Generieren von Hypothesen und das Testen konkurrierender Hypothesen.

Wissen und Kognition entwickeln sich parallel und stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Eine fundierte, fachspezifische Wissensgrundlage ist Voraussetzung, um klinische Probleme bearbeiten und lösen zu können. Entscheidend dabei ist die Fähigkeit, auf das gesammelte Wissen zurückzugreifen und in gewissen Situationen erfolgreich einsetzen zu können.

Die Metakognition lässt sich als das Denken über das Denken beschreiben. Die Metakognition versteht sich als ein übergeordnetes Element von Kognition und Wissen, da sie sich auf die Wahrnehmung und Kenntnis der eigenen Denkprozesse, als auch auf das Wissen, sowie Wissensbasis mit deren Organisation beziehen kann. In Bezug auf den Klinischen Reasoning Prozess wäre dies das Wissen über klinische Probleme, welche Strategien hilfreich sein und welche persönlichen Stärken eingesetzt werden können, um schnell zu einer Problemlösung zu kommen. (vgl. Higgs et.al 2008: 5, Klemme/Siegmann 2006: 15ff)

2.6 Strategien im Klinischen Reasoning Prozess

2.6.1 Hypothetisch-deduktiver Prozess

Rogers (1983) behandelte als eine der Ersten den Klinischen Reasoning Prozess in der Ergotherapie und wies darauf hin, dass dieser im Rahmen des diagnostischen Reasonings auch in anderen Professionen abläuft. Der klinische Reasoning Prozess ist ein hypothetisch-deduktiver Prozess, in dem durch das Sammeln von Informationen Hypothesen generiert werden. Im Anschluss werden diese getestet, evaluiert und diejenige, die am genauesten zutrifft, wird ausgewählt. Dies stellt die Basis zur Diagnosebildung dar und beinhaltet als nächsten Schritt die Behandlungsplanung.

Es handelt sich dabei um einen fortlaufenden, dynamischen Prozess, da der/die TherapeutIn während des gesamten Therapieprozesses Informationen sammelt, interpretiert, in Beziehung zu früheren Informationen setzt und neue Schlüsse daraus zieht. Dabei kann es durch die ständige Reflexion und Evaluation der Maßnahmen zur Revidierung anfänglich gestellter Hypothesen kommen bzw. können verworfene Hypothesen wieder an Wertigkeit gewinnen. Jones (1997, 1998) siehe Abb. 2 beschreibt in seinem Modell, dass der hypothetisch-deduktive Reasoning-Prozess einem fortlaufenden Rückkopplungsmechanismus unterliegt. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 26f)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2 Der Prozess des Clinical Reasoning nach Edwards (1995) in Jones

“Pre-assessment image”

Der/die TherapeutIn hat Vorstellungen und Annahmen hinsichtlich des Patientens/der Patientin, bevor ein Erstkontakt stattgefunden hat. Als Grundlage dienen Informationen, wie die ärztliche Diagnose, das Alter, das Geschlecht. Diese Annahmen stützen sich auf Vorerfahrungen mit PatientInnen mit ähnlicher Diagnose und ähnlichem Verlauf.

“Cue acquisition” (= Erwerb von Stichwörtern/Schlüsselwörtern)

Auf Basis der “Pre-Assessment Erkenntnisse” erlangt der/die TherapeutIn Informationen (“Cues”) über den funktionellen Status des Patienten/der Patientin.

“Hypothesis generation” (Hypothesenentwicklung)

In diesem Schritt werden häufig mehrere Hypothesen anhand der therapeutischen Sammlung, Organisation, Strukturierung von Daten gebildet.

Generierte Hypothesen können weiter verwendet oder verworfen werden. Es kann sich aber eine Richtung für den Therapeuten/die Therapeutin auftun, in der er/sie die Behandlungsmaßnahmen lenken kann.

“Cue interpretation”

In dieser Phase holt der/die TherapeutIn weitere Informationen „Cues“ ein und ordnet sie bestimmten Hypothesen zu. Dabei können bestehende Hypothesen widerlegt oder unterstützt werden.

“Hypothesis evaluation”

Konkurrierende Hypothesen werden verglichen. Die anhand der gesammelten Daten am meisten gesicherte Hypothese wird ausgewählt und stellt die Basis für den nächsten Schritt dar.

“Therapeutische Diagnose”

Die therapeutische Diagnose beinhaltet in der Regel eine Problemidentifizierung, auf die sich dann die Planung der weiteren therapeutischen Vorgehensweise stützt. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 26, Klemme/Walkenhorst 2003: 28, Pohl 2011: 18)

2.6.2 Mustererkennung

Die Wiedererkennung von Mustern (=Pattern recognition) ist ein komprimierter Prozess der Diagnosefindung. Der/die TherapeutIn sammelt aufgrund von Anamnese und Diagnose Informationen und ordnet diese bereits bestehenden, mentalen Mustern zu. Dadurch muss nicht jedes Detail einer zuvor aufgestellten Hypothese ausgetestet werden, sondern die Diagnose wird anhand weniger Schlüsselwörter („Cues“) erkannt. (vgl. Beushausen/Wenke 2010: 32f)

Jones (1997) sieht Pattern Recognition als Vergleich aktueller Fakten oder Ereignisse mit abgespeicherten Schemata, diese bezeichnet er als Prototypen häufig erlebter Situationen. Wenn bestimmte Merkmale oder Zustände vorliegen, dann werden bestimmte klinische Muster und Behandlungsstrategien ins Gedächtnis gerufen.

Elstein und Schwartz (2000) beschreiben diesen Prozess als Kategorisieren, in dem neue Fälle durch das Erkennen von Ähnlichkeiten in vorliegenden Kategorien eingeordnet werden. Pattern Recognition stellt eine fortgeschrittene Strategie dar und kann auch nur von Experten in vertrauten Situationen durchgeführt werden. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 28f)

2.7 Entwicklung von Klinischen Reasoning Fertigkeiten

Hooper (1997) beschreibt, dass Klinische Reasoning Fertigkeiten durch Lebenserfahrung entstehen. Sie nennt dies „vortheoretische Meinungen und Überzeugungen“, da sie vor dem Erwerb ergotherapeutischer Theorien entstehen. Das Fundament unseres Weltbildes sind soziokulturelle Überzeugungen, wobei jedes Individuum die Welt anders sieht.

Tornebaum (1991) nennt vier sich ergänzende Sichtweisen, die die individuellen Lebensparadigmen beeinflussen und auf die sich professionelles Wissen stützt. Dies ist das Wissen des Menschen über die Welt, seine individuelle(n) Lebensansicht/Bedürfnisse, die Fähigkeit, mit der Umwelt in Beziehung zu stehen und das Interesse an der Umwelt bzw. in dieser Welt leben zu wollen. Die Kombination von dem Wissen über die Welt und den Grundsätzen der Ergotherapie ergibt die Fähigkeiten/Fertigkeiten eines Therapeuten/einer Therapeutin. Sind die Paradigmen von ErgotherapeutIn und PatientIn ähnlich, erhöht sich die Effektivität der Therapie. Durch Erfahrung und Reflexion dieser Erfahrung verändert sich die persönliche Einstellung in Bezug auf Wissen. (vgl. Feiler 2003: 100ff)

2.8 Von dem/der AnfängerIn zu dem/der ExpertIn

Nach Hagedorn (1996) können ExpertInnen die verschiedenen Formen des Klinischen Reasonings gut untereinander verknüpfen und wenden sie nicht isoliert an. Hagedorn beschreibt, dass ExpertInnen, die drei zeitlichen Ebenen, wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, miteinander vereinbaren. Sie verknüpfen Gegenwärtiges mit den Erkenntnissen der Vergangenheit und bilden somit Konstruktionen bezogen auf die Zukunft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Vorgehen von AnfängerInnen nach Hagedorn (1996)

AnfängerInnen können kaum bzw. in geringem Ausmaß Verknüpfungsleistungen erbringen, sie sind auf feste Strukturen angewiesen. Der Klinische Reasoning Prozess unterliegt bei AnfängerInnen einer starren Vorgehensweise, in denen therapeutische Schritte bewusst gesetzt werden. Ihre Denkweise ist noch wenig dynamisch, sie brauchen eine Anleitung für ihre Handlungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Vorgehen von ExpertInnen nach Hagedorn (1996)

ExpertInnen denken dynamisch. Sie nehmen Informationen und Erfahrungen wahr und sammeln diese nach allen Richtungen hin. Der Klinische Reasoning Prozess von ExpertInnen ist nicht mehr linear, sondern systemisch. Sie haben eine flexible Denkweise, wie auch Urteils- und Handlungsfähigkeit. Eine fortwährende Anpassung und Modifizierung von Zielen, Situationen, Interventionen ist somit gegeben. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 14f)

ExpertInnen können im Vergleich zu AnfängerInnen schnell Probleme erkennen, klassifizieren und kategorisieren. Sie besitzen die Fähigkeit, rasch Prognosen und Vorhersagen zu erkennen, sowie mehrere Hypothesen gleichzeitig zu bilden. AnfängerInnen erkennen Probleme, haben jedoch Schwierigkeiten bei der Strukturierung. Sie können anfänglich auch nur eine Hypothese bilden. (vgl. Fleming 1991: 991)

Des Weiteren haben AnfängerInnen Einschränkungen bei der Gesprächsführung. Sie agieren noch wenig intuitiv und ihre Kommunikation ist wenig spontan. ExpertInnen können Gespräche zielgerechter steuern und Fragestellungen adäquater platzieren. ExpertInnen können Situationen in der Regel gut einschätzen und sich auf ihr Gegenüber passend einstellen. Sie erkennen Bedürfnisse und Erwartungen schneller.

Auch ohne ausgedehnte Anamnese können ExpertInnen rasch Ziele benennen und passende Interventionen aufzeigen. AnfängerInnen tendieren dazu, bereits gesehene Vorgehensweisen zu kopieren und machen die Zielsetzung von einer umfassenden Befundung abhängig.

Berufserfahrene haben im Gegensatz zu NeustarterInnen Automatismen, die unbewusst stattfinden. Durch das Fehlen dieser Automatismen bei AnfängerInnen können folgende Schwierigkeiten auftreten:

- Verschiedene Faktoren werden nicht einbezogen, wie die Familie, Umwelt, Alltag des Patienten/der Patientin
- Entscheidungen werden anhand strikter Regeln getroffen
- Geringe Flexibilität bei der Setzung von Handlungen

AnfängerInnen stehen weniger Lösungsstrategien zur Verfügung. Sie planen vermehrt und handeln bewusst, indem sie zeitintensiv über ihr Handeln nachdenken. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 12 ff)

ExpertInnen benutzen selbsterarbeitete und erprobte Strategien, hingegen halten sich AnfängerInnen an vorgegebene Leitlinien und Strategien, bei denen sie schrittweise vorgehen. AnfängerInnen konnten noch wenig Erfahrungen sammeln, die ihnen für die Mustererkennung zur Verfügung stehen. Sie haben auch wenige, strukturierte Wissensnetze. ExpertInnen hingegen haben zahlreiche gespeicherte, klinische Muster. Hinsichtlich der Metakognition benötigen AnfängerInnen externe Supervision. Damit erlangen sie Sicherheit, dass alle Aspekte des Problems ihrer PatientInnen erfasst werden. (vgl. Klemme/Siegmann 2006: 44f)

Es gibt verschiedene Modelle zur Darstellung der beruflichen Erfahrung. Die auf die Ergotherapie überarbeitete Version von Slater u. Cohn 1991, sowie Shell 1998 beinhaltet folgende Einteilung:

- NovizInnen/AnfängerInnen,
- Leicht fortgeschrittene AnfängerInnen
- Kompetente TherapeutInnen
- MeisterInnen
- ExpertInnen

Vorweg muss erwähnt werden, dass dieses Modell auf der Annahme beruht, dass Erfahrungen zu gewissen Handlungen zu bestimmten Situationen führen. Eine Entwicklung wird durch praktische Erfahrungen und persönliche Erfahrungen, sowie Reflexion über die Praxis ermöglicht. So kann ein/eine TherapeutIn mit langjähriger Berufserfahrung im geriatrischen Bereich ein Experte/eine Expertin auf diesem Gebiet sein, aber sich als AnfängerIn fühlen, wenn er/sie als Erfahrener/Erfahrene in der Pädiatrie tätig werden muss. Allerdings ist noch zu erwähnen, dass nicht die Erfahrung alleine einen Experten/eine Expertin ausmacht. Bei der Stadieneinteilung handelt es sich um zeitliche Schätzungen hinsichtlich der Erreichung eines bestimmten Stadiums anhand der Erfahrungen. (vgl. Feiler 2003: 103)

Ein/eine AnfängerIn bzw. ein Novize/eine Novizin kann einen Studenten/eine Studentin bzw. StudienabgängerIn sein. Er/sie hält sich an Theorien und lässt sich von strikten Regeln leiten. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 19)

Diese Phase ist vom Scientific Reasoning geprägt. AnfängerInnen glauben an das „absolute Wissen“ und möchten die exakt zutreffende, therapeutische Intervention kennen. (vgl. Feiler 2003: 103)

Auch das Narrative Reasoning ist ein fixer Bestandteil des Therapieprozesses. Dabei geht es überwiegend um die Gestaltung einer Beziehung zu dem Patienten/der Patientin, als um den Erwerb von Informationen über die Person. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 20)

Fortgeschrittene AnfängerInnen haben eine Berufserfahrung bis zu einem Jahr. Sie besitzen ein mentales Ordnungssystem, in dieses können sie ihre gesammelten Erfahrungen mit den PatientInnen einordnen. Dies dient als Grundlage bei der Interpretation von Theorien und bei der Maßnahmengestaltung und -auswahl. (vgl. Feiler 2003: 104)

Durch ihre Erfahrungen beginnen sie immer mehr umweltabhängige Informationen über den Patienten/die Patientin zu erhalten. Sie können zwischen Theorie und Praxis differenzieren. Muster können sie, aufgrund der fehlenden Berufserfahrung, noch kaum erkennen.

Fortgeschrittene AnfängerInnen beginnen auch Aspekte des Pragmatischen Reasonings einzubeziehen, die über die aktuelle Situation hinausgehen. Ein Defizit besteht noch im Bereich des Narrativen Reasonings, hingegen gewinnen ethische Faktoren an Bedeutung.

In den ersten drei Jahren befinden sich TherapeutInnen im Kompetenzstadium. Durch die Berufserfahrung werden Fähigkeiten im Bereich Datenselektion, -sortierung und –klassifikation, sowie Prioritätensetzung forciert. TherapeutInnen können unter Berücksichtigung kontextabhängiger Fragestellungen gezielt und effizient planen. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 20)

Was ihnen noch fehlt, ist die Flexibilität erfahrener Professioneller. Ethisches Reasoning gewinnt in diesem Stadium an Bedeutung. ErgotherapeutInnen erkennen in der Praxis entstandene Problemsituationen, sind jedoch noch nicht feinfühlig genug, um diese mit verschiedenen ethischen Antworten zu begegnen. (vgl. Feiler 2003: 104)

Im fortgeschrittenen Stadium mit einer Praxiserfahrung von bis zu fünf Jahren können TherapeutInnen den Patienten/die Patientin in der Regel in seiner/ihrer Gesamtheit betrachten. Die Sammlung an Mustern und Strategien ist gebildet und dies erlaubt flexibel und adäquat auf die Bedürfnisse des Patienten/der Patientin eingehen zu können. (vgl. Klemme/ Walkenhorst 2003: 20)

ErgotherapeutInnen nutzen Pragmatisches Reasoning, um die gegebenen Ressourcen auf die Ist-Situation des Patienten/der Patientin abzustimmen. Ihre Fähigkeiten hinsichtlich des Ethischen Reasonings nehmen zur Problemlösung ebenfalls zu. (vgl. Feiler 2003: 105)

Bei ExpertInnen mit einer Berufserfahrung ab zehn Jahren zeigt sich das Klinische Reasoning als intuitiver und verinnerlichter Prozess, der eine Analysearbeit mit geringerer Intensität benötigt. (vgl. Klemme/Walkenhorst 2003: 20)

ExpertInnen wenden kompetent Narratives Reasoning an. Sie können den Patienten/die Patientin in der Gesamtheit seiner/ihrer Betroffenheit verstehen. Durch das Setzen von Fernzielen geben sie dem Patienten/der Patientin ein Gefühl der Zufriedenheit über seine/ihre aktuelle Leistung.

Des Weiteren bringen ExpertInnen ihre persönlichen, moralischen Standpunkte in ihre praktische Arbeit ein. (vgl. Feiler 2003: 106)

2.9 Die verschiedenen Formen des Klinischen Reasonings

In der nachstehenden Tabelle wird ein kurzer Überblick hinsichtlich der verschiedenen Klinischen Reasoning Formen je nach deutsch-, englischsprachiger Literatur, sowie nach Kategorisierung der AutorInnen dargestellt.

Die verschiedenen Formen laufen kombiniert, nicht getrennt voneinander ab. ErgotherapeutInnen denken im klinischen Handeln auf verschiedenen Ebenen und wenden mehrere kognitive Strategien parallel an, wobei je nach Gewichtung bestimmte Faktoren in den Vordergrund rücken können. Mattingly und Fleming (1994) prägten in diesem Zusammenhang den Begriff „the therapist with the three track mind“, dieser besagt, dass ErgotherapeutInnen zahlreiche Wege über den Klinischen Reasoning Prozess weiterverfolgen. In der nachstehenden Tabelle (Tab.1) werden die in der Literatur am häufigsten beschriebenen Formen geschildert. (vgl. Fleming 1991: 1013, Siegmann/Klemme 2006: 32f).

[...]

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
Klinisches Reasoning im Kontext der ernährungsmedizinischen Beratung als Bestandteil des diaetologischen Prozesses
Veranstaltung
Klinische Diaetologie
Autor
Jahr
2013
Seiten
119
Katalognummer
V264047
ISBN (eBook)
9783656532637
ISBN (Buch)
9783656536390
Dateigröße
988 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zur Note: Betreuerin: 1 Zweitleser: 2
Schlagworte
klinisches, reasoning, kontext, beratung, bestandteil, prozesses
Arbeit zitieren
Barbara Missoni (Autor:in), 2013, Klinisches Reasoning im Kontext der ernährungsmedizinischen Beratung als Bestandteil des diaetologischen Prozesses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264047

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