Entwicklung der Identität durch Außenorientierung als lebenslange Aufgabe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Identität
2.1. Schwierigkeit der Begriffsdefinition Identität
2.2. Möglichkeiten der Identitätsbildung

3. Identitätsbildung durch Außenorientierung
3.1. Voraussetzungen für Identitätsbildung
3.2. Identitätsentwicklung durch innere Kommunikation
3.3. Der verallgemeinerte Andere und Soziale Rollen

4. Identität und Identitätsbehauptendes Handeln
4.1. Merkmale Identitätsbehauptenden Handelns
4.2. Identität und Rolle

5. Kritische Stellungnahme zu den vorgestellten Theorien

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Habt ihr schon die Identität des Toten festgestellt?“ lautet eine Aussage aus dem Kriminalfilm „Tatort: Rechnung ohne Wirt“ mit Hauptkommissar Schimanski und verweist bereits auf die vielseitigen Vorkommnisse des Begriffs „Identität“. Eine solche inflationäre Begriffsverwendung in den heutigen Massenmedien rückt das Thema, welches früher als Diskussionsthema der Philosophie, Psychologie und Soziologie vorbehalten war, zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Auffallend dabei ist insbesondere die mittlerweile inflationäre Verwendung des Begriffs und die vielen unterschiedlichen Blickwinkel, unter denen das Thema abgehandelt wird, ohne dass die Autoren dabei aufklären, was sie selbst unter Identität verstehen bzw. auf welcher wissenschaftlichen Grundlage sie diese in ihren veröffentlichten Artikeln entwickelt haben. Als weiteres Beispiel diene der provokante Titel des populärwissenschaftlichen Buches „Wer bin ich und wenn ja wie viele“ des Philosophen David Richard Precht, der bereits im Titel auf weitere Schwierigkeiten einer Begriffsdefinition für Identität andeutet: Gibt es nur eine Identität oder besitzt man vielleicht doch eher viele Identitäten? Und wenn es Identität gibt, wie setzt sich diese zusammen?

Identität

Durch die inflationäre Verwendung mit dem Begriff „Identität“ werden sowohl positive Assoziationen wie Charakter, Persönlichkeit, Einmaligkeit, Stärke, etc. ebenso wie die negativen Assoziationen Schizophrenie, gespaltene Persönlichkeit, Narzisst oder Mitläufer verbunden. Und obwohl all diese Begriffsdefinitionen in bestimmten Geltungsbereichen ihre Berechtigung finden, so sind sie für die Problematik der Begriffsdefinition „Identität“ wenig hilfreich: „Will man Identität identifizieren, dann genügt es nicht, sie als den Ursprung aller sinnstiftenden Leistungen, als die Subjektivität, als das erste vorauszusetzen“ (Luhmann 1982, S. 231).

2.1. Schwierigkeit der Begriffsdefinition Identität

Luhmann bringt mit dieser Aussage die diffuse Verwendung des Begriffs „Identität“ auf den Punkt. Um daher Identität genauer zu bestimmen, so muss zuerst einmal der Geltungsbereich des Begriffs differenziert werden, denn die Verwendung von Identität im Bereich des oben erwähnten Kriminalfilms Tatort hat sicherlich andere Voraussetzungen als die Verwendung des Begriffs in der Mathematik für zwei Gleichungen oder in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie z.B. die Rollentheorie in der Soziologie.

Doch selbst innerhalb einer Disziplin wie beispielsweise der Philosophie scheint keine Übereinstimmung bezüglich des Begriffs zu herrschen: „Was "Identität" be- trifft, so registriert das sensible Barometer der Philosophie bereits eine Problemwolke mit Nebelwirkung“ (Luhmann 1982, S. 230).

2.2. Möglichkeiten der Identitätsbildung

Ähnlich wie die inflationäre Verwendung des Begriffs Identität haben sich durch die unterschiedlichen Forschungsbereiche auch innerhalb einer Disziplin wie z.B. der Soziologie unterschiedliche Identitätsdefinitionen herausgebildet. In der nachfolgenden Hausarbeit sollen deshalb die Möglichkeiten der Identitätsbildung nach George Herbert Mead, Erving Goffmann und Anselm Strauss untersucht werden, da trotz der unterschiedlichen Ansätze bzw. Schwerpunkte dennoch grundlegende Übereinstimmungen in ihren Theorien zu finden sind.

Der Philosoph und Sozialpsychologe George Herbert Mead konzentriert seine Erklärungen über Identitätsbildung auf Kommunikation und teilt dabei die Identität in einen subjektiven Bereich, das so genannte „I“ und einen objektiven Bereich, das so genannte „Me“. Vergangene Erfahrungen und Erinnerungen zählen dabei zum objektiven Bereich, weshalb das „Me“ das Objekt der Identität darstellt. Der subjektive Bereich, das „I“, ist in der Lage, dieses „Me“ reflexiv zu betrachten und sich so seiner selbst bewusst zu werden. In dem sich ein Individuum mit den Augen eines anderen selbst betrachtet, orientiert es sich gleichzeitig an anderen. Dieses reflektierte „Me“ bezeichnet Mead als generalisierten Anderen (generalized other).

Der Soziologe Erving Goffmann konzentriert seine Erklärungen über Identitätsbildung auf Strategien der Präsentation vor anderen. Dabei steht im Vordergrund, dass das Individuum aufgrund seiner Erfahrungen in den unterschiedlichen Rollen seine soziale Erfahrung erwirbt und deshalb stets bemüht ist, sich von seiner besten Seite zu zeigen, z.B. um Identitätsbedrohungen zu vermeiden, seine Identität zu schützen oder seine wahre Identität zu verschleiern.

Der Soziologe Anselm Strauss konzentriert seine Erklärungen über Identitätsbildung ähnlich wie Goffmanns Welt als Schauspielbühne mit der These, dass in der Interaktion mit anderen Masken als Symbole der Identität verwendet werden, mit denen dann die jeweilige Identität dargestellt werden soll. Gleichzeitig spiegeln sich Individuen in anderen, wodurch Reaktionen auf die eigene Identitätsrepräsentation bewusst und sozial verortet werden. Auch bei Strauss ist wie bei Mead der generalisierte Andere der Repräsentant der Gesellschaft innerhalb des Individuums.

3. Identitätsbildung durch Außenorientierung

Wie bereits bei der kurzen Übersicht über die Ansätze der Identitätsbildung ersicht- lich, stellt in allen 3 Theorien die Außenorientierung an anderen durch Reflexion des eigenen Verhaltens eine grundlegende Übereinstimmung dar.

3.1. Voraussetzungen für Identitätsbildung

Bei den Voraussetzungen für die Identitätsbildung kommt Gesten besondere Aufmerksamkeit zu, denn „Eine Anzahl signifikanter Gesten wird angewendet, um Kommunikation in Gang zu setzen und als ein Mittel für die Beteiligten, sich gegenseitig als legitime Partner anzuerkennen“ (Goffmann 1985, S. 41). Zweck der Auslösung wechselseitiger Kommunikation besteht folglich in der Vermittlung von Absichten, die auch als Sinn bezeichnet werden. „Sinn impliziert einen Bezug der Geste eines Organismus zur Resultante der gesellschaftlichen Handlung, auf die sie hinweist oder die sie auslöste, da ein anderer Organismus in diesem Bezug anpassend auf sie reagiert“ (Mead 1973, S. 120). Die Voraussetzung für Sinn ist im gesellschaftlichen Verhalten zu suchen, denn Sinn setzt sich durch die Dreiecksbeziehung zwischen bewusster (signifikanter) oder unbewusster (nicht-signifikanter) Geste, anpassender Reaktion und Resultat dieser durch die Geste ausgelösten gesellschaftlichen Verhaltens zusammen. Die anpassende Reaktion eines anderen Organismus, mit der letztendlich das Verhalten dieses Organismus angezeigt wird, macht folglich den Sinn einer Geste aus (vgl. Mead 1973, S. 120). Solche sinnhaften Gesten stellen wiederum eine Voraussetzung für eine Symbolisation wie beispielsweise die Sprache dar:

„Wenn nun eine solche Geste die dahinterstehende Idee ausdrückt und diese Idee im anderen Menschen auslöst, so haben wir ein signifikantes Symbol […] An dem Punkt, an dem die Geste diesen Zustand erreicht, wird sie zu dem, was wir "Sprache" nennen. Sie ist nun ein signifikantes Symbol und bezeichnet eine bestimmte Bedeutung“ (Mead 1973, S. 85).

Symbolisationen wie Sprache erschaffen neue, bisher noch nicht vorhandene Objekte, welche außerhalb des Kontextes gesellschaftlicher Beziehungen, in denen diese gemeinsame Symbolisation nicht verwendet wird, allerdings durch die fehlende Zuordnung bedeutungslos wäre. Dies liegt an dem Umstand, dass Sprache nicht nur bereits gegebene Situationen und Objekte symbolisiert, sondern dass im Verlauf wechselseitiger Kommunikation neue Situationen und Objekte erschaffen werden (vgl. Mead 1973, S. 117). „Dewey sagt, dass sich Sinn aus Kommunikation ableitet […] ein Prozess, in dem die Kommunikation die Hauptrolle spielt. Er kann die neuen Objekte in der Natur nur insoweit schaffen, als er die Kommunikation zwischen den betroffenen Organismen ermöglicht“ (Mead 1973, S. 119).

Sprache ist in Bezug auf die spätere Identitätsbildung insbesondere durch die Verwendung eines Namensgebungssystems für das Individuum von zentraler Bedeutung. „Sprache muss im Mittelpunkt jeder Diskussion über Identität stehen“ (Strauss 1968, S. 13). Durch ein solches Symbolsystem wird es dem Individuum erst ermög- licht, sich selbst sowie auch andere Objekte an der gesellschaftlichen Partizipation teilhaben lassen. So wird ein Individuum beispielsweise bereits von Kindheit an mit einer organisierten Umgebung seiner Gesellschaft konfrontiert und lernt so durch Etikettierung der verschiedensten Objekte, in welcher Umgebung bzw. Kultur es lebt. „Jeder Name ist ein Behälter, in dem die bewussten oder unbeabsichtigten Wertungen des Namensgebers hineingegossen werden“ (Strauss 1968, S. 13). Solche bewussten Wertungen können offensichtlich sein, beispielsweise wenn Kinder nach Roman- bzw. Fernsehhelden benannt werden. Unbeabsichtigte Wertungen hingegen entstehen oftmals bei Namen mit fremdsprachlichem Hintergrund, wie beispielsweise der Name Felix, der in der lateinischen Sprache „glücklich“ bedeutet.

Unabhängig davon, ob Namen bewusst oder unbeabsichtigt verwendet werden, sie üben stets Eindruck auf ausgewähltes Publikum aus und rufen dort eine breite Reaktionsskala hervor. So könnte aufgrund des historischen Hintergrundes der NS-Zeit die Verwendung des Vornamens Adolf in Deutschland gleichermaßen Bewunderung wie Entsetzen und Ablehnung auslösen. Im Gegensatz zu Kindern, die ihren Namen von den Eltern erhalten, können freiwillig angenommene Namen wie beispielsweise der Familienname des Mannes durch die Frau nach einer Hochzeit den Übergangsritus zwischen dem unlösbaren Band von Namen und Selbstbild noch viel wirkungsvoller anzeigen. Die freiwillige Annahme eines Namens bedeutet nämlich, dass das betroffene Individuum jenen Namen besitzen möchte, der es charakterisiert und nicht mehr länger die von ihrem früheren Namen bezeichnete Person sein will (vgl. Strauss 1968, S. 14). „Die menschliche Neigung, Zeichen und Symbole zu benutzen, bedeutet, dass die Bestätigung sozialen Wertes und gegenseitiger Wertschätzung durch Nebensächlichkeiten geliefert wird, und diese Dinge werden ebenso beachtet wie die Tatsache, dass sie beachtet wurden“ (Goffmann 1985, S. 40)

Mit neuen Namen entstehen oftmals auch neue Selbstbilder. „Religiöse oder sonstige Bekehrung wird oft durch einen vollständigen Namenswechsel angezeigt, der den neuen Status der Person in den Augen Gottes, der Welt und seiner selbst kundtut – ihn markiert und besiegelt“ (Strauss 1968, S. 15), so wie es sich beim Boxer Muhammad Ali ereignete: Durch die Konvertierung zum islamischen Glauben legte er seinen ursprünglichen Namen Cassius Marcellus Clay Jr. vollständig ab.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Entwicklung der Identität durch Außenorientierung als lebenslange Aufgabe
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
23
Katalognummer
V263331
ISBN (eBook)
9783656520511
ISBN (Buch)
9783656525103
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entwicklung, identität, außenorientierung, aufgabe
Arbeit zitieren
Carsten John (Autor:in), 2012, Entwicklung der Identität durch Außenorientierung als lebenslange Aufgabe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263331

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