Armenfürsorge bei Wilhelm Löhe und das Werk „Das Armenwesen nach all seinen Richtungen...“ von Charles Duchatel und François Naville


Hausarbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biographische Stationen Lohes unter Berucksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Verhaltnisse
2.1 Kinder-, Jugend- und Studienzeit Lohes (1808-1831)
2.2 Vikariats- und Verwesertatigkeitszeit Lohes (1831-1837)
2.3 Lohes Zeit als Pfarrer in Neuendettelsau (1837-1872)
2.4 Kritische Reflexion

3. Interpretation des Werkes „Das Armenwesen nach all seinen Richtungen als Staatsanstalt und als Privatwerk und seine dermalige Gestaltung in den civilisierten Staa- ten in und aufier Europa“ von Charles Duchatel und Francois Naville
3.1 Analyse der Quelle
3.2 Der historische Rahmen
3.3 Zusammenfassung der Quelle
3.4 Kritische Reflexion

4. Lohes Konzept der Armenfursorge unter Berucksichti­gung der Privatmildtatigkeit von Duchatel und Naville
4.1 Die Mitte: Christus
4.2 Der innere Kreis: Die Kirche
4.3 Der mittlere Kreis: Die Christen
4.4 Der aufiere Kreis: Der Staat
4.5 Kritische Reflexion

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Sekundarliteratur.

Die Abbildung auf dem Titelblatt befindet sich als Mosaik in der Laurentiuskirche in Neuendettelsau und wurde zum Zweck dieser Arbeit einem Lesezeichen entnommen. Sie stellt Leben, Wirken und Tod des Laurentius von Rom dar.

1. Einleitung

Als wahren Reichtum der Kirche prasentierte, laut Legende, Laurentius von Rom die Armen und Kranken dem romischen Kaiser Valerian, wo- raufhin dieser ihn foltern und toten liefi. Kurze Zeit davor verschenkte der Archdiakon Roms Laurentius das gesamte Vermogen der Kirche an die Bedurftigen.

Wilhelm Lohe nahm Laurentius zum Vorbild seines diakonischen Wir- kens und widmete sich mit Hingabe der Armenfursorge. Im Folgenden soll seine Vorstellung von Armenfursorge analysiert und mit dem Kon- zept von Charles Duchatel und Franfois Naville verglichen werden, um etwaige Einflusse auf Lohe herauszustellen. Zunachst werden die fur die Analyse wichtigen biographischen Stationen Lohes rekonstruiert. Hierauf folgt die Analyse und Zusammenfassung des Werks von Duchatel und Naville. In einem dritten und letzten Schritt werden die Konzepte von Lohe und Duchatel bzw. Naville gegenuber gestellt, um Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Einflusse herauszufiltern. Beim Aufbau der Ge- genuberstellung diente Lohes Bild der konzentrischen Kreise1 als In­spiration.

2. Biographische Stationen Lohes unter Berflcksichtung der sozialen und wirtschaftlichen Verhaltnisse

2.1 Kinder-. Jugend- und Studienzeit Lohes (1808-1831f

Wilhelm Lohe wurde am 21.02.1808 in Furth als Kind einer kleinburger- lichen und keineswegs armen Familie geboren. Besonders Lohes Mutter pflegte Kontakte mit der Further Gemeinde der Herrenhuter und ver- suchte stets karitativ zu wirken. Sie ist auch verantwortlich fur die reli­giose Sozialisation Lohes, die vor allem auf der Theologie und Glaubens- praxis des Spat-Pietismus und der Erweckungsfrommigkeit basierte.2 Es ist anzunehmen, dass Lohe dadurch auch sehr bald in Beruhrung mit dem sozialen Motiv der Erweckungsbewegungen3 kam. Andererseits wuchs er in einer von sozialen und wirtschaftlichen Umbruchen gekennzeichneten Zeit auf und erfuhr laut BLESSING „mit sinkender Wohlfahrt, Sekuritat und Sittlichkeit die Bedrohung einer Ordnung, die in seinem kleinburger- lichen Elternhaus als verbindlich galt“4. Zu dieser Zeit namlich zeichnete sich die noch kleine Stadt Furth durch ein enormes Wachstum der In­dustrie und einer damit verbundenen Enge aus, die sowohl aus der Bevol- kerungsexplosion als auch aus der Landflucht der armen Landbevol- kerung resultierte.5

Wahrend seiner Zeit als Student kam er mit zwei verschiedenen Arten der Anstaltsdiakonie in Kontakt, die mehr oder weniger stark von der Er- weckungsfrommigkeit gepragt und getragen wurden. Als Mitglied des Erlanger Kreises der Erweckungsbewegung lernte er von Raumer und das von ihm 1824 in Nurnberg gegrundete Rettungshaus kennen. In Ber­lin dagegen besuchte er die 1806 von Freiherrn von Kottowitz in Berlin gegrundete Armenbeschaftigungsanstalt. Bestand das Konzept des Ret- tungshauses darin, arme und verwahrloste Kinder durch Erziehung zur christlichen Erweckung zu fuhren (Seelsorge), so zielte die Armenbe­schaftigungsanstalt darauf ab, den Armen Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten (Leibsorge).6 Inwieweit diese fruhen Erfahrungen und Eindrucke des ka- ritativ-diakonischen Handelns Lohe pragten, soll spater geklart werden.

2.2 Vikariats- und Verwesertatigkeitszeit Lohes (1831-18371

Im Jahr 1831 begann Lohe seine Vikariatszeit in dem armen Dorf Kir- chenlamitz und sah sich das erste Mal mit der landlichen Form des Pau­perisms konfrontiert. Besonders befremdlich wirkte jedoch auf ihn die scheinbare Unsittlichkeit der Bewohner, vor allem der Jugendlichen.7 Das unsittliche Verhalten sah er als direkte Ursache der Not und Armut. Infolgedessen unternahm er in Form des Traktats „Dina“ den Versuch, die Jugendlichen mit Hilfe der Geschichte der Jakobstochter weg von der Unsittlichkeit hin zu einem frommen Leben zu fuhren.8 So schrieb er: „Eilend tanzt sich Dina Gottes Wort aus dem Sinn, 'welches sie am Mor­gen gehort hatte, und Sichem beschwichtigt mit derben Tritten sein schreiendes Gewissen, welches sich dem Willen seines Fleisches wider- setzen wollte. [...]. Aus der Lustsaat ist nie etwas anderes als eine Fluch- und Leidensernte aufgewachsen.“9 Lohe glaubte, vor allem durch erzieh- erisches Handeln in der Schule und Jugendarbeit der vorwiegend geist- igen Not entgegenwirken zu konnen. Ebenso unterstutzte er den 1833 ge- grundeten Armenverein vor allem aus missionarischen und seelsor- gerischen Grunden und weniger, um der auBeren materiellen Not Abhilfe zu verschaffen.10

Nach seiner Zeit in Kirchenlamitz bekleidete Lohe ab 1834 in Nurnberg und den umliegenden Dorfern das Amt des Pfarrverwesers. Das AusmaB der pauperistischen Krise trat in diesen Jahren bereits verstarkt zum Vor- schein und Lohe nahm dies auch immer mehr als Bedrohung fur die Ge- sellschaft und besonders aber fur das Christentum wahr. So legte er wei- terhin seinen Schwerpunkt auf die padagogische Seelsorge. Durch die Verkundigung des horbaren und sichtbaren Wort Gottes in Form von Pa- dagogik, Katechese und Predigten sollten einerseits die Sittlichkeit und Gottesnahe gestarkt und bewahrt, andererseits soziale Missstande ver- mieden werden.11 Signifikant fur Lohes Wahrnehmung der Notlage der armen Bevolkerung und seinen Versuch, kerygmatisch-padagogisch den Sittenverfall offenzulegen und den Geist der Barmherzigkeit zu wecken, ist die Predigt zu Mt 18, 1-11 im Jahr 1834. Dort ging er sehr konkret auf die fehlende Barmherzigkeit und die Habsucht der reichen Nurnberger Gemeindemitglieder ein.12 Er beschrieb die Situation folgendermaBen: ,,Um die hungrigen, jungen Raben, die jugen Kinder, die auf allen Land- strafien, an Hecken und Zaunen nach Nahrung und Kleidung - und nach Gott schreien, kummert sich niemand. [...]. Aber erschrecklich ist es, zu- zusehen, wie die reichen sogenannten Christen, welche mit dem Abfall ihres Tisches manchem armen Kinde leibliche und geistliche Nahrung schaffen konnten, [...], an den verwahrlosten Pflanzen voruberfahren konnen, ohne dafi auch nur eine leise Ruhrung, nur ein leiser Wunsch zu helfen, in ihrem Herzen aufsteig}."13 Auch wenn Lohe naturlich verkann- te, dass das habgierige Verhalten einzelner Personen nicht der Ausloser der pauperistischen Gesellschaftskrise sein konnte 14 und er auch weiter- hin eine zu enge Verbindung zwischen Lastern und Armut sah, so zeigt sich hierjedoch schon, dass Lohe auf eine Wohlfahrt hoffte, die aus der Gemeinde selbst herauswachsen sollte.

2.3 Lohes Zeit als Pfarrer in Neuendettelsau (1837-1872)

Ab 1837 trat Lohe seine Pfarrstelle in Neuendettelsau an, wo er bis zu seinem Tode im Jahr 1872 wirkte. Dort wohnte vor allem das verarmte Landproletariat, das sich in starker Abhangigkeit von den Subventionen des Grundherren Freiherr von Eyb befand.15 Lohe erhielt einen aufierst detaillierten Einblick in die Situation der Armen vor Ort, da ihm als Pfarrer die Vorstandschaft der Lokalarmenpflege oblag und er standiger Teilnehmer des Armenpflegeschaftsrats der Kommune war. Bald schon begann erjedoch diese Art der Armenpflege scharf zu kritisieren, da ei- nerseits die ubermassige Burokratie eine effektivere und schnellere Ver- teilung der Gelder ermoglichte, andererseits seiner Meinung nach sehr geizig mit den anvertrauten Geldern umgegangen wurde.16 Je mehr Lohe begriff, wie unzulanglich das lokale und kommunale Armenwesen die Notleidenden unterstutzte, desto mehr suchte er nach anderen Moglich- keiten, die sozialen und wirtschaftlichen Note zu beseitigen. Zunachst engagierte er sich in den beiden von Brandt gegrundeten Anstalten - das Haus fur verwaiste Pfarrersohne (1837) und das Padagogium (1840) - da ihm der padagogisch-diakonische Ansatz gefiel, den verwaisten Kindem eine gute christliche Erziehung zukommen zu lassen. Ebenso unterstutzte er die 1834 gegrundete Industrieschule des Freiherrn von Eyb, obwohl in dieser Schule das Konzept der sozialen Diakonie verwirklicht wurde, folglich die aufiere Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund stand.17 Wie sehr Lohe nun das padagogisch-diakonische und das sozialdiakonische Element gleichermafien bedachte, wird noch deutlicher, betrachtet man sein personliches Konzept des apostolischen Diakonats. Dessen Stellung innerhalb der Kirche untermauerte er in seiner Rede uber die Innere Mission 1850, indem er die „Abhilfe lokaler Ubelstande des geistlichen und leiblichen Lebens“18 als vierte Abteilung der Inneren Mission be- zeichnete. Im Jahr 1854 kam es letztlich zu der Grundung des Mutter- hauses, das unverheirateten und arbeitslosen Frauen Arbeit bieten sollte und nach dem Genossenschaftsprinzip organisiert wurde, die Diakonisse folglich auf ihren Lohn verzichtete, im Gegenzug jedoch vom Mutter- haus versorgt wurde.19 Lohe legte bei der Ausbildung der Diakonissen- schulerinnen neben der christlichen Erziehung sehr viel Wert auf eine gute Sprach- und Allgemeinbildung. Ferner durchliefen die Schulerinnen eine Stufenleiter der Ausbildung und Kompetenzen, die sowohl dienende und pflegende als auch padagogische und seelsorgerische Elemente be- inhaltete.20 Auch hier zeigt sich, dass im Diakonieverstandnis Lohes die Seelsorge nur mit der Leibsorge wahres apostolisches Diakonat sein und nur so den Armen und Kranken wahre Hilfe zuteil werden konnte. Wahrend die Diakonissenanstalt erfolgreich blieb, wurden viele der Ar- menwesen- und Krankenpflegeprojekte Lohes nicht verwirklicht, da er die Kirchengemeinden selbst als Trager der Wolhfahrtsanstalten sah.21

2.4 Kritische Reflexion

Im Verlauf der Vikariats-, Pfarrverweser- und Pfarrerstatigkeit Lohes tauchen immerzu drei Momente auf. Zum einen stellten fur Lohe die so- zialen Missstande eine stete Bedrohung fur die Gesellschaft und das Christentum dar, die seines Erachtens nach nur auf dem Fundament des Wortes Gottes abgewehrt werden konnte. Zum anderen stand der innere geistige Verfall in direkter Verbindung mit dem aufieren, sozialen und wirtschaftlichen Elend, was sich auch nicht mafigeblich anderte, als er einen Einblick in die Probleme der Nationalokonomie und die Ausmafie der pauperistischen Gesellschaftskrise erhielt. Ausserdem lasst sich sa- gen, dass es Lohe auch immer darum ging, ,,das diakonische Bewusstsein in den Gemeinden zu wecken“22, da sie der wahre Trager der Barm- herzigkeit sein sollten. Allerdings durchlauft Lohe einen wichtigen Pro- zess in Bezug auf die Armenfursorge als Teil der Diakonie. Betatigte er sich besonders in Kirchenlamitz und Nurnberg rein padagogisch-seel- sorgerisch, so besann er sich in Neuendettelsau darauf, auch die soziale Diakonie verstarkt in seine Vorstellung von Armenwesen aufzunehmen. Im nachfolgenden ist zu klaren, inwieweit dies mit der Lekture des Wer- kes ,,Das Armenwesen nach all seinen Richtungen als Staatsanstalt und als Privatwerk und seine dermalige Gestaltung in den civilisierten Staaten in und aufier Europa“ von Charles Duchatel und Franfois Naville zu- sammenhangt, das er laut STEMPEL-DE FALLOIS „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“23 bereits 1837 las.

3. Interpretation des Werkes ..Das Armenwesen nach all seinen Richtungen als Staatsanstalt und als Privatwerk und seine dermalige Gestaltung in den civilisierten Staaten in und aufier Europa“ von Charles Duchatel und Franyois Naville

3.1 Analyse der Quelle

Bei der vorliegenden Quelle handelt es sich um eine deutsche zusammen- fassende Ubersetzung der Werke Considerations d’Economie politique sur la bienfasance, ou de la charite dans ses rapports avec l’etat moral et le bien-Etre des classes inferieures“ (1836) von Charles Duchatel und „De la charite legale, de ses effets et de ses causes, et specialement des Maisons de travail et de la proscription de la mendicite“ (1836) von Franfois Naville. Duchatel hatte zu dieser Zeit das Amt des franzo- sischen Finanzministers inne und Naville war als Prediger in Genf tatig. Bei der Person des Ubersetzers handelt es sich um einen nicht naher be- kannten deutschen Staatsbeamten am Weimarer Hof.24 Die Werke in ihrem Orginal wurden als wissenschaftliche Abhandlungen im Rahmen einer Preisaufgabe der Academie francaise zum Thema „Die Mildtatigkeit, nach ihren Grundsatzen, nach ihrem verschiedenen Wirken und nach ihrem Einflufi auf die Sitten und auf die Organisation der bur- gerlichen Gesellschaft“ verfasst. Als bemerkenswert zeigen sich vor allem die profunde Analyse der Problemlage und die klar begrundeten Losungsvorschlage, wobei stets eine Vielzahl von Quellen25 zitiert wird, um die jeweiligen Argumentationsschritte zu untermauern. Allerdings kann, aufgrund der nicht vorliegenden Orginalwerke26, nicht festgestellt werden, inwieweit der Ubersetzer eigene Gedanken in die Ubersetzung eingearbeitet hat und etwaige Aussagen verfalschte. Aus dem Titelblatt gehtjedoch hervor, dass die Werke so bearbeitet wurden, dass sie fur die deutsche Situation eine gewisse Relevanz erhielten. Ferner gibt der Uber­setzer zu, bei der Verschmelzung beider Werke dem von Naville Vorzug gegeben zu haben, da ihn dessen Stil und Argumentation mehr uber- zeugten. Nichtsdestotrotz nahm er das von Duchatel vertretene System der Armenverfursorge in seine Ubersetzung mit auf, um es dem Leser selbst zu uberlassen, diese fur sich selbst zu prufen .27 Sowohl Duchatel und Naville als auch der Ubersetzer wollten vor allem die Unzulanglichkeiten des staatlichen Armenwesens darlegen und pro- pagierten das private und freiwillige Armenwesen in Form von Wohl- tatigkeitsvereinen. Der Ubersetzer richtete seine Ubersetzung an „alle Menschenfreunde, Schutzer und Pfleger der Armen“28, um ihnen so neue Anregungen fur die private Armenfursorge zu verschaffen.29 30

3.2 Der historische Rahmen

Die erste Halfte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich besonders durch ei- nen rasanten Bevolkerungsanstieg, ein rasches Stadtewachstum und eine Verschiebung vom primaren zum sekundaren und tertiaren Sektor. Diese drei Faktoren leiteten zunachst die kapitalistische Wirtschaftsordung und die burgerliche Gesellschaftsordnung ein. Da das Bevolkerungs- und das Wirtschaftswachstum nicht gleich schnell verliefen, trat aufgrund feh- lender Arbeitsplatze eine pauperistische Krise ein, die in 1820er Jahren zusatzlich durch eine grofie Agrarkrise verstarkt wurde und schliesslich in den 1830er Jahren zu der pauperistischen Dauerkrise fuhrte.31 Vor allem auf dem Land kommt es zu einer Bevolkerungs-explosion. Obwohl die Landbevolkerung generell durch die Subventionen und Hilfe- leistungen der Gutsherren abgesichert waren, erwiesen sich diese Unter- stutzungen im Fall von grofien Krisen als vollkommen unzulanglich. Wahrend der pauperistischen Dauerkrise kam es also auch zu einer hohen Landflucht in die Stadte, da sich die Menschen auf dem Land ihrer Subsistenzmittel beraubt sahen und auf Arbeit in den Fabriken hofften.32 Da sich die Aufnahmekapazitaten in den Stadten bald erschopften und dort kaum Absicherungen wie auf dem Land herrschten, formierte sich ein Bettelwesen und als Konsequenz daraus entstand allmahlich das kommunale Armenwesen.33 Das Recht auf Armenfursorge war eng ver- bunden mit dem Heimatrecht, welches man lediglich durch Geburt erhielt oder - im Falle der Migration - in vielen Fallen von der Arbeitsfahigkeit abhangig gemacht wurde.34 Neben dieser Diskriminierung durch Unter- teilung in arbeitsfahige und nicht arbeitsfahige Arme, kam es ebenso zu einer Kriminalisierung von Bettlerei und Landstreicherei.35 Wahrend nicht arbeitsfahige Arme in der offenen Armenpflege meist unzureichend finanziell unterstutzt wurden36, teilte man die arbeitsfahigen Armen fur gewohnlich der geschlossenen Armenpflege zu, verpflichtete sie also da- zu, in Armen- und Arbeitshausern zu leben und zu arbeiten.37 Die burger- liche und kirchliche Privatwohltatigkeit existierte zwar bereits in den meisten Gemeinden, war der staatlichen Armenfursorge jedoch nachge- ordnet, da die Staatsorgane versuchten, die vollstandige Ubergabe des Armenwesens an private Wohlfahrtsvereine zu verhindern.38

3.3 Zusammenfassung des Textes

Zu Beginn des Textes werden diverse Ursachen der Verarmung und der Armut benannt, wobei es sich einerseits um immanente und andererseits um emmanente Faktoren des Wirtschaftssystems handelt. So befindet sich zum einen der Wohlstand einer Gesellschaft in der Abhangigkeit vom Durchschnitt der Arbeitslohne, welcher sich aus dem Quotienten des verfugbaren Kapitals und der Anzahl der Arbeiter ergibt. Foglich fuhrt der rasche Bevolkerungszuwachs zunachst zu einer vermehrten Anzahl von Arbeitskraften, woraus ein niedrigerer Arbeitslohn und die Verar­mung der arbeitenden Volksklasse resultiert. Die Bildung des Kapitals wiederum ergibt sich aus dem Wirtschaftswachstum, das allerdings in hohem Mafie der Natur unterworfen ist. Aufgrund der Naturkatastrophen und der Ungleichheit der Guter und Chancen, muss die Wohltatigkeit stets als ein Korrektiv zu all diesen Schicksalschlagen bestehen blei- ben.39 Zudem verpflichtet das Mitleid und die Moral dazu, wohltatig zu

[...]


1,,Da ist ein weitester Kreis: Er heifit menschlich; ein engerer, zweiter, der heifit christ- lich, und ein dritter, engster, der heifit kirchlich: Und im Zentrum von allem ist Jesus, der nach dem Mafie der Empfanglichkeit aller seine Strahlen in alle Kreise schickt, Strahlen der Gnade und des Segens.“ Siehe Lohe, in: GW 4, S. 663.

2 Vgl. Geiger, Lohe, S. 20-27.

3 Vgl. Graf, Art. Erweckungsbewegung, in: RGG 4, Sp. 1490-1495.

4 Blessing, Lohes Zeiterfahrung, in: Schoenauer, Lohe, S. 153f.

5 Vgl. Sachfie/Tennstedt, Armenfursorge, S. 179-188.

6 Vgl. Stempel-de Fallois, Diakonisches Wirken, S. 71 - 77.

7 Vgl. Blessing, Zeiterfahrung, in: Schoenauer, Lohe, S. 155.

8 Vgl. Lohe, Dina, in: GW 3/1, S. 13-19.

9 A.a.O., S. 14.

10 Vgl. Geiger, Lohe, S. 77-81.

11 Vgl. Stempel-deFallois,Diakonisches Wirken, S. 102-115.

12 Vgl. Lohe, Predigt zu Matth. 18, 1-11, in: GW 6/1, S. 170-179.

13 A.a.O., S. 176.

14 So z.B. in Stempel-de Fallois, Diakonisches Wirken, S. 104.

15 Vgl. a.a.O., S. 124-130.

16 Vgl. a.a.O., S. 130-132.

17 Vgl. a.a.O., S. 151-161.

18 Lohe, Innere Mission, in: GW 4, S. 185.

19 Vgl. Schoenauer, Bedeutung Lohes, in: ders., Lohe, S. 49.

20 Vgl. Strohm, Geistliches Amt, in: Schoenauer, Lohe, S. 261.

21 Vgl. Schoenauer, Bedeutung Lohes, in: ders., S. 51.

22 Turre, Diakonik, S. 24.

23 Stempel-de Fallois, Diakonisches Wirken, S. 132.

24 Vgl. Duchatel/Naville, Armenwesen, III-IV.

25 Man beachte im Anhang B die Menge der studierten und zitierten Quellen.

26 Fur die Fragestellung der Arbeit ist dies nicht notwendig, da Lohe selbst nur die deutsche Ubersetzung kannte und somit nur mit Hilfe dieser eine notwendige Grundlage gegeben ist, um Lohes Konzeption des Armenwesen mit den Vor- stellungen von Duchatel und Naville zu vergleichen.

27 Vgl. Duchatel/Naville, Armenwesen, III-V.

28 A.a.O., VI.

29 Vgl. a.a.O., IV-VI.

30 Im Folgenden wird lediglich die wirtschaftliche und historische Situation in Deutschland aufgezeigt, da der historische Rahmen der Ubersetzung mit dem von Lohes Leben und Werk ubereinstimmt.

31 Vgl. Sachfie/Tennstedt, Armenfursorge, S. 179-181.

32 Vgl. a.a.O., S. 181-184.

33 Vgl. a.a.O., S. 188.

34 Vgl. a.a.O., S. 195-199.

35 Vgl. a.a.O., S. 203-209.

36 Vgl. a.a.O., S. 214-222.

37 Vgl. a.a.O., S. 244-251.

38 Vgl. a.a.O., S. 222.

39 Vgl. a.a.O., S. 4-33.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Armenfürsorge bei Wilhelm Löhe und das Werk „Das Armenwesen nach all seinen Richtungen...“ von Charles Duchatel und François Naville
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V262991
ISBN (eBook)
9783656517603
ISBN (Buch)
9783656517498
Dateigröße
1071 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
untersuchung, konzepts, armenfürsorge, wilhelm, löhe, berücksichtigung, werkes, armenwesen, richtungen, charles, duchatel, françois, naville, brüder
Arbeit zitieren
Michael Martin Nachtrab (Autor:in), 2009, Armenfürsorge bei Wilhelm Löhe und das Werk „Das Armenwesen nach all seinen Richtungen...“ von Charles Duchatel und François Naville, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262991

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