Marieluise Fleißers Roman 'Eine Zierde für den Verein' - Porträt einer modernen Frau


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2013

17 Seiten


Leseprobe


Einführung

Mit beiden Beinen fest im Leben stehend

"Eine Zierde für den Verein" (1972)[1], die überarbeitete Fassung der ursprünglichen Textversion von 1931 mit dem Titel "Mehlreisende Frieda Geier", ist Marieluise Fleißers einziger Roman. In ihm wird uns eine alleinstehende junge Frau vorgestellt, die - anscheinend mit beiden Beinen fest im Leben stehend - sich in einer von Männern dominierten Umgebung behauptet und unbeirrt einen selbst gewählten Weg geht. Sie trägt männliche Kleidung und einen männlichen Haarschnitt. Aus männlicher Perspektive betrachtet, sind ihre Blicke "nicht weiblich". (23) In ihrer kleinstädtischen Umgebung wirkt sie "nicht einmal landläufig schön". (81) Mit ihrem großstädtischen Erscheinungsbild eckt sie überall an und wird als Fremdkörper gesehen, der sich nicht in die erwarteten Verhaltensmuster einfügt. Als Handlungsreisende verdient sie ihren eigenen Lebensunterhalt. Sie ist daher nicht auf einen Mann als Ernährer angewiesen. Ihrem Freund und Liebhaber Gustl Gillich gegenüber strebt sie ein partnerschaftliches Verhältnis an, das auf ein wechselseitiges Geben und Nehmen gegründet ist und in dem Liebe und Sexualität einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Sie denkt an eine Beziehung ohne Über- oder Unterordnungsschemata, die sich auf der Basis von Gleichberechtigung entwickeln und entfalten kann. Durch eine Heirat nach tradiertem Muster würde sie sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, das ihrem Freiheitsdrang zuwider laufen und ihren Bewegungsspielraum erheblich einschränken würde. Die Ehe ist für sie daher "der alte Karren, mit dem man nicht mehr fahren kann". (128) Damit unterscheidet sie sich diametral von ihrem Partner, für den die Ehe eine auf "ökonomisches Verwertungsdenken" (vgl. hierzu 89) gegründete Zweckgemeinschaft ist, in der Liebe zwar eine Rolle spielt, im wesentlichen aber der Mann das Sagen hat.

Der Mythos der "Neuen Frau"

Auf dem Hintergrund dieser ersten groben Skizzierung der weiblichen Hauptfigur des Romans stellt sich die Frage, ob Frieda Geier mit ihrem äußeren Erscheinungsbild und den beschriebenen Persönlichkeitsmerkmalen einem Frauentypus entspricht, der in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als "Neue Frau" bezeichnet wurde. Um dieser Frage nachzugehen, ist es zunächst notwendig, diesen Frauentypus von dem damals durch die Massenmedien verbreiteten Schlagwort der "Neuen Frau" abzugrenzen, das ein oberflächliches Verständnis dieses Begriffs widerspiegelt. Nach diesem Zuschnitt konnte man in Illustrierten und Zeitschriften Bilder von perfekt gestylten Frauen mit kurzem Rock, glatt zurückgekämmter Kurzhaarfrisur oder auch mit Hemd, Krawatte und Zigarette erblicken. Man sah Bilder von boxenden Frauen (wie die Autorin Vicki Baum am Punching-Ball im Boxstudio) oder Frauen im Automobil (wie die berühmte Marlene Dietrich oder die Schauspielerin und Sängerin Trude Hesterberg). Durch diese und andere Beispiele entstand der Eindruck von karrierebewussten, erfolgreichen, sportlichen, emanzipierten

Großstadtfrauen, die es den Männern in jeder Weise gleichtun konnten. Dabei wurde gern übersehen, dass viele dieser Frauen in Bezug auf Ehe und Familie traditionellen Weiblichkeitsbildern verhaftet waren, die zu den Lebensentwürfen emanzipierter, berufstätiger Frauen offensichtlich in einem unauflöslichen Widerspruch standen.

Die "Neue Frau" in der Literatur der "Neuen Sachlichkeit"

Als Romanfigur gehört Frieda Geier zu den nach Emanzipation strebenden, fortschrittlichen "Neuen Frauen", die nicht von der Ehe als höchste Erfüllung weiblichen Strebens träumen, sondern selbstbewusst auf dem Boden der Tatsachen stehen und mutig und konsequent, allen Widrigkeiten zum Trotz, ihren Weg gehen. Für sie ist der Begriff "Neue Frau" kein glänzendes Etikett, mit dem sie sich als modisch und zeitgemäß ausweisen will, sondern entspricht einer Lebenseinstellung, die von der Überzeugung getragen wird, sich in einer von Männern dominierten Welt behaupten zu können. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Marieluise Fleißer sich mit dem literarischen Porträt Frieda Geiers als eine Autorin erweist, die im Stil der "Neuen Sachlichkeit" schreibt, der ihr schriftstellerisches Selbstverständnis und ihr Schreiben maßgeblich beeinflusst hat. Neusachlich zu schreiben - das hieß die Rolle eines Beobachters einzunehmen und schmuck- und schnörkellos, nüchtern und distanziert über selbst Gesehenes und Erlebtes zu berichten. Es bedeutete, sich auf Tatsachen zu konzentrieren, die in der aktuellen Gegenwart und der Zeitgeschichte verankert sind, sich als Vermittler zwischen dieser realen Lebenswelt und dem Lesepublikum zu verstehen und für die Authentizität des Berichteten zu verbürgen.

Marieluise Fleißer als Autorin der Neuen Sachlichkeit

Dieser neusachlichen Sicht- und Darstellungsweise liegt die Auffassung vom Autor als Beobachter und Regisseur zugrunde, in dessen Händen die Fäden des Wahrgenommenen zusammenlaufen und von ihm zu einem überschaubaren Muster geknüpft werden, dessen Komponenten klar konturiert sind. Um einen Vergleich zum Medium des Films zu ziehen, könnte man auch von der Arbeit eines Kamermannes sprechen, der seinen Fokus so einstellt, dass ein möglichst scharf umrissenes Bild entsteht. Für Marieluise Fleißer gilt außerdem, dass sie als Autorin zu ihren Figuren eine unpersönlich-distanzierte, versachlichte Beziehung anstrebt und sie - in ihren eigenen Worten - mit dem "fremden Blick" oder "Röntgenblick" betrachtet.[2] (Briefwechsel, S. 598 f.) Anstatt sich in jede Figur mitfühlend hineinzudenken, geht es ihr darum, seelische Vorgänge und Gefühle im Sinne einer "entpsychologisierten bzw. antipsychologisierenden" (Becker, in: Jürgs, S. 75) oder behavioristischen Schreibweise indirekt durch Gesten und beobachtbares Verhalten mitzuteilen. Diese Überlegungen sollen im weiteren Verlauf dieser Untersuchung als Leitlinien dienen, wenn es darum geht, Frieda Geier als literarisches Porträt einer modernen Frau im Kontext der Zwanziger Jahre zu beschreiben.

Zur Entstehungsgeschichte und Rezeption des Romans

Die ursprüngliche Version "Mehlreisende Frieda Geier"

Die ursprüngliche Version des Romans, geschrieben 1930 - 1931 in Berlin, erschien unter dem Titel "Mehlreisende Frieda Geier" (Untertitel: "Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen") im Herbst 1931 im Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin. Als sie auf Drängen ihres damaligen Freundes Hellmut Draws-Tychsen ihrem bisherigen Verleger Ullstein, von dem sie 1926 einen kleinen Rentenvertrag erhalten hatte, kündigte, erhielt Marieluise Fleißer 1930 beim Kiepenheuer Verlag einen auf ein Jahr befristeten Rentenvertrag und verpflichtete sich, dafür einen Roman zu schreiben. Unter großem Zeitdruck beendete sie im Frühjahr 1931 die letzten Kapitel der "Mehlreisenden", weil der Verlag das Buch unbedingt im Herbst auf den Markt bringen wollte und auf einer vollständigen Version bestand, damit der Text rechtzeitig in Satz gehen konnte. Dies war für die Autorin, die sich selbst als "Langsamschreiberin" (Brief an Klaus-Peter Wieland vom 14.12.1973, in: Briefwechsel, S. 599) bezeichnete und nach eigener Einschätzung noch mindestens ein weiteres Jahr an ihrem Roman hätte schreiben müssen (vgl. Schüller, S. 72 f.), eine enorme Belastung.

Zeitgenössische Rezensionen der "Mehlreisenden"

Diese erste Fassung wurde von zeitgenössischen Rezensenten überwiegend wohlwollend besprochen, wie die folgenden Beispiele zeigen[3]: Marieluise Fleißer "hat viel Menschliches, viel Ernstes und Dummes, Lächerliches, Böses und Heiteres niedergelegt in einem Buch, das groß und wahr durchatmet ist von dichterischer Potenz." (Alexander M. Frei in der Vossischen Zeitung, "Literarische Umschau", vom 20. 12.1931) Herbert Ihering bezeichnet die Autorin in seiner Rezension im Berliner Börsen Courier vom 04.06.1932 als "eine der wertvollsten deutschen Erzählerinnen". Hermann Hesse nennt den Roman

ein liebevolles schönes Buch, voll von menschlichen und fraulichen Weisheiten, voll von Kenntnis und Zeichenkunst, wissend um die Kleinstadt und ihre Bürger, um den Fleischer hinterm Ladentisch und die Stör-Näherin, den Schwimmclub und die Rauferei im sonntäglichen Bierkeller, wissend auch um Liebe und um einsamen Frauenkampf mit der Liebe um Wahrung der Persönlichkeit. Die kräftigen Bilder sind nicht nur von Virtuosenhand gezeichnet, zur Begabung kommt auch die Liebe.

In seiner Besprechung im Berliner Tageblatt vom 22.12.1931 bringt Max-Hermann Neisse den Begriff "Heimatdichtung" ins Spiel und lobt den Roman als Beispiel einer "Dichtung als Naturkraft und bildnerische Stärke". Ganz im Sinne einer neusachlichen Darstellungsweise bescheinigt er dem Roman besondere Qualitäten, wo es auf "Menschen- und Lebensbeobachtung, Gestaltung leibhaftiger Bayernexemplare, Lebenslagen und Lebensräume ankommt". Lediglich Paul Fechter beurteilt den Roman abwertend. Die Autorin bemühe sich zwar, das unmittelbare Leben der wirklichen Welt zu erfassen. Aber da es ihr nicht gelinge,

verliert sie vor Verzweiflung immer mehr die Fäden ihrer Geschichte aus der Hand, läßt

Schicksale und Gestalten verschwinden und weiß sich am Ende nur noch mit der beliebten

Rauferei zu helfen, die immer wieder herhalten muß, wenn der Atem und die Kenntnis für das

wirkliche Volk nicht mehr ausreichen. (Deutsche Allgemeine Zeitung vom 09.12.1931:

"Literarische Beilage")

[...]


[1] Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Ausgabe ist im zweiten Band der "Gesammelten Werke" im Suhrkamp Verlag erschienen (2. Auflage 1983). Die Seitenangaben zu den zitierten Passagen stehen jeweils in Klammern dahinter.

[2] Vgl. hierzu den Brief der Autorin an Klaus-Peter Wieland vom 14.12.1973, in dem sie ausführlich auf ihre Arbeit am Roman "Mehlreisende Frieda Geier" eingeht. Mit "Röntgenblick" ist hier gemeint, dass sie das Verhalten ihrer Protagonisten durchleuchtet und deren Motive durchschaut, dass sie sie aber nicht mit psychologisierenden Deutungsmustern aus der Perspektive einer auktorialen Erzählerin beschreibt, sondern sich auf das beobachtbare Verhalten konzentriert, durch das die unter der Oberfläche verborgenen Beweggründe sichtbar werden.

[3] Die zitierten Beispiele sind im vollständigen Wortlaut nachzulesen in "Materialien", S. 145 - 151.

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Details

Titel
Marieluise Fleißers Roman 'Eine Zierde für den Verein' - Porträt einer modernen Frau
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Philosophische Fakultät)
Autor
Jahr
2013
Seiten
17
Katalognummer
V262841
ISBN (eBook)
9783656513292
ISBN (Buch)
9783656513230
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
marieluise, fleißers, roman, eine, zierde, verein, porträt, frau
Arbeit zitieren
Hans-Georg Wendland (Autor:in), 2013, Marieluise Fleißers Roman 'Eine Zierde für den Verein' - Porträt einer modernen Frau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262841

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