Heterotopische Räume auf der Leinwand. Das Filmbeispiel "Knallhart"

Sozialkritik und der Darstellung sozialer Randbereiche im Film und Fernsehen der Gegenwart


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung: Das Zeitalter der Medien
1. Was sind Heterotopien ?
1.1. Der Begriff Heterotopie nach Michel Foucault
1.2. Das Konzept von heterotopischen Räumen übertragen auf Film und Fernsehen

2. Heterotopien im Film
2.1. Die Darstellung von sozialen Randbereichen im Filmbeispiel
Knallhart und ihre Bedeutung
2.2. Ist das im Film Knallhart geschilderte Neukölln nach dem Konzept von Michel Foucault eine Heterotopie?

3. Der sozialkritische Film
3.1. Der sozialkritische Film – zwischen Aufklärung und Polarisierung

Schluss

Literaturverzeichnis

Filmverzeichnis

Einleitung: Das Zeitalter der Medien

Das 21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Medien. Film und Fernsehen bestimmen den Alltag, auf der Leinwand formen sich andere Welten oder Abbilder von unserer Gesellschaft und der Mensch ist seit jeher schon des Menschen liebstes Forschungsobjekt. Soziologen, Geisteswissenschaftler, Psychologen, und Philosophen erforschen seit Jahrhunderten die Natur des Menschen und jegliche Formen sozialen Zusammenlebens. Innere und äußere Faktoren wirken willkürlich oder unwillkürlich auf eine Gesellschaft ein und jede Generation kreiert eigenständig ein diachrones Abbild von ihrer Gesellschaft im Lauf der Geschichte und der Zeit.

Unser Bild, das wir uns von einer Gesellschaft und von zwischenmenschlichen Zusammenleben gemacht haben, können wir subjektiv oder objektiv wahrnehmen, je nachdem ob wir gerade unsere eigene Gesellschaft analysieren oder ob es sich um eine Gesellschaft handelt, der wir nicht angehören. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist in einem stetigen Wandel, da es sich einerseits historisch von Generation zu Generation verändern kann, aber es zum anderen auch möglich ist, dass sich innerhalb einer Generation unterschiedliche Typen von Gesellschaften herauskristallisieren können.

Diese Beeinflussung des Menschen und die daraus resultierenden Gesellschaften sind abhängig von unterschiedlichen Faktoren, so galt das 19. Jahrhundert beispielsweise als ein Jahrhundert der Geschichte, das geprägt war von einer emphatischen Denkweise für Geschichte und Geschichtlichkeit, so dass das Leben der Menschen und die Gesellschaft eng mit dem Lauf der Geschichte verflochten war, - wohingegen sich das 20. Jahrhundert zunehmend für Räume und Raumbeziehungen interessierte - und im 21.Jahrhundert dann das Zeitalter der Medien anbrach, durch die sich der Mensch heute selbst versucht - so gut es geht - zu reflektieren und sehr darum bemüht ist, das gesellschaftliche Leben zu analysieren und ein künstliches Abbild des realen Lebens in der Medienwelt zu erzeugen.

Wie die Gesellschaft haben sich auch Film und Fernsehen weiterentwickelt. Die Geschichten auf der Leinwand ermöglichen uns einen Ausblick in eine fremde Welt oder einen Einblick in unsere Welt, indem sie einer Gesellschaft einen Spiegel vorhält und um diese Räume zu orten, die jenseits des Spiegels oder im Spiegel zu sehen sind, bietet sich das Konzept der Heterotopologie von Michel Foucault an.

1. Was sind Heterotopien?

1.1. Der Begriff Heterotopie nach Michel Foucault

Die Thematik der Heterotopologie setzt bei den Räumen und den jeweiligen Raumbeziehungen an, die schon im 20.Jahrhundert Gegenstand der Forschung waren.

Der Begriff der Heterotopie wurde maßgeblich durch den französischen Geisteswissenschaftler Michel Foucault geprägt, der erstmalig 1967 das Konzept der Heterotopie in einem Vortrag mit dem Titel Des espaces autres vor dem Cercle d'études architecturales vorstellte, der sich allerdings erst 1984 durch die Publikation Dits et écrits weitgehend in der wissenschaftlichen Welt durchsetzte.[1]

Die Tatsache, dass er den Vortrag damals vor Architekten hielt, verdeutlichte, "dass Foucault den Begriff nicht in seiner kaum vertrauten medizinischen Bedeutung meint(e) - als Entstehung von Gewebe an einem falschen Ort (...) sondern in der allgemeinen Bedeutung 'anderer Räume', anders im Bezug auf uns vertraute räumliche Organisationen wie Serien, Baumdiagramme oder Vernetzungen".[2]

Nach Foucault gibt es den 'Raum des Innen', den espace du dedans, der sich vom 'Raum des Außen', dem espace du dehors, unterscheidet und eben in diesem äußeren Raum können sich auch noch die 'anderen Räume', die espace autres, befinden.

Diese heteroi topoi werden zu Außenräumen, weil sie sich aus den 'Platzierungen', den emplacements, die den Innenraum konstituieren, in spezifischer Weise ausgrenzen und dadurch sehr wohl über ein räumliches Substrat verfügen.

Heterotopien liegen deshalb nahe bei Utopien, sind nach der zentralen Definition von Foucault aber keine Utopien. Er setzt hier eine klare Differenzierung zwischen Utopie und Heterotopie. Utopien sieht er als unwirkliche, virtuelle Räume, die entweder ein Gegenentwurf oder eine Perfektionierung von realen gesellschaftlichen Verhältnissen sind und Heterotopien spiegeln wirkliche und wirksame Orte wieder, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet werden und sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerleger, tatsächlich realisierter Utopien sind, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und angewendet werden, so dass gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte entstehen, die tatsächlich geortet werden können.[3]

Als Heterotopien können also diejenigen Orte in einer Gesellschaft bezeichnet werden, deren Struktur sich ganz oder nur zu einem Teil einem eigenen internen Ordnungsprinzip unterwirft oder sich dieses interne Ordnungsprinzip gegen angenommene Unordnung in der Gesellschaft wendet.

Insofern bilden Heterotopien ein verkleinertes Abbild der Gesellschaft oder ein Gegenbild zur Gesellschaft. Eine Gesellschaft wird allerdings nicht nur durch eine einzige Metastruktur geordnet, sondern ist eine Agglomeration verschiedenster, heterogener Machteffekte und die Heterotopien repräsentieren genau diese imaginären Metastrukturen, können insofern als "realisierte Utopien" bezeichnet werden, in denen genau jene ideale Ordnung funktioniert, die in der Gesamtgesellschaft immer schon von den heterogenen Kräfteverhältnissen durchkreuzt wurde.

Auf der Grundlage dieser Ausgangsdefinition entfaltet Foucault sein Konzept der Heterotopie, das sich auf sechs wesentliche Aspekte konzentriert:

1) Heterotopien sind kulturelle Konstanten, die in jeder Kultur existieren, universell sind und dem historischen Wandel unterworfen sind.
2) Heterotopien können innerhalb einer Gesellschaft aufgrund kultureller Rahmenbedingungen umfunktioniert werden und es ist möglich, dass sie so andere Bedeutungen annehmen können.
3) Die Heterotopie kann an ein- und demselben realen Ort mehrere Orte nebeneinander platzieren.
4) Heterotopien sind häufig an Zeitsprünge gebunden, die so genannten Heterochronien, womit beispielsweise ein Museum gemeint sein kann, die "die Zeit speichern" und auf diese Weise die Geschichte konservieren.
5) Heterotopien bestehen in einem System der Öffnungen und Schließungen,
was beispielsweise die Zugehörigkeit und Zugänglichkeit der Heterotopie
anbetrifft.
6) Heterotopien haben eine Funktion gegenüber dem verbleibenden Raum
inne und können binär bestimmt werden als Orte undurchsichtiger Illusionen oder reflektierter Kompensationen.[4] [5]

Der Begriff der Heterotopie kann somit also auch auf das 21.Jahrhundert und das Medienzeitalter angewendet werden, da es sich bei ihnen um kulturelle Konstanten handelt, die sich dem historischen Wandel unterwerfen und jede Generation seine eigenen Heterotopien kreiert.

1.1.2. Das Konzept von heterotopischen Räumen übertragen auf Film und Fernsehen

Foucaults Konzept der Heterotopie schafft es, in Gleichzeitigkeit die unterschiedlichen Gebrauchsformen desselben geografischen Ortes zu beschreiben. Die Heterotopie ist ein Zusammenspiel aus miteinander konkurrierenden Räumen, - so konkurrieren der espace du dedans, der espace du dehors und die espace autres zwar miteinander, würden aber ohne einen existenten Ort, der sie in gewisser Weise beeinflusst, gar nicht existieren können - und dennoch lassen sich die unterschiedlichen Räume nicht eindeutig durch diesen existenten Ort definieren.[6]

Überträgt man diese Terminologie auf das Medienzeitalter und auf den Film und das Fernsehen der Gegenwart, so finden sich auch hier die konkurrierenden Räume wieder.

Film und Fernsehen charakterisieren sich durch ein System, das Informationen und Zeichen verarbeitet, die durch das Medium Film und Fernsehen vermittelt und verbreitet werden sollen, so dass sie möglichst eine große Anzahl an Menschen erreichen, die wiederum die Inhalte rezipieren und verarbeiten bzw. weiterverarbeiten.[7]

Wenn man die materielle Basis des Films einmal beiseite lässt, dann " besteht ein Film immer aus einer geordneten Menge von Zeichen, seien sie gegenständlich und/oder abstrakt, und ist damit eingebettet in die Austauschprozesse unserer Kultur insgesamt, in denen vielfältigste Zeichenmengen, Zeichensysteme bzw. Texte ausgetauscht werden. In seiner Eigenschaft als Zeichensystem ist Film daher auch als ein solches analysierbar ".[8]

[...]


[1] Foucault, Michel (1954-1988), Dits et écrits, Paris: Gallimard.

[2] Warning, Rainer (2009), Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München [u.a.] : Fink.

[3] vgl. Warning, Rainer (2009), Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München [u.a.] : Fink, S. 12.

[4] vgl. Warning, Rainer (2009), Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München [u.a.] : Fink, S. 13.

[5] Foucault, Michel (1990), Andere Räume, in: Barck, Karlheinz (Hrsg.), Aisthesis: Wahrnehmung

heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam, S. 34-46.

[6] vgl. Truniger, Fred / Wolf, Sabine ,Heterotopien, http://www.christiaanse.arch.ethz.ch/upload/RC14.pdf

[7] vgl. Borstnar, Nils / Pabst, Eckhard / Wulff, Hans Jürgen ( 2002 ), Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, Konstanz : UVK Verl.-Ges..

[8] Borstnar, Nils / Pabst, Eckhard / Wulff, Hans Jürgen ( 2002 ), Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, Konstanz : UVK Verl.-Ges., S. 12

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Details

Titel
Heterotopische Räume auf der Leinwand. Das Filmbeispiel "Knallhart"
Untertitel
Sozialkritik und der Darstellung sozialer Randbereiche im Film und Fernsehen der Gegenwart
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Neuere Deutsche Literatur und Medien)
Veranstaltung
Neukölln und anderswo. Filmische Konstruktionen sozialer „Randbereiche“ im deutschen Film und Fernsehen der Gegenwart.
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V262617
ISBN (eBook)
9783656511991
ISBN (Buch)
9783656511687
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Analyse der filmischen Konstruktion von sozialen Randbereichen im Film "Knallhart" von Detlef Buck anhand Michel Foucaults Theorie der heterotopischen Räume.
Schlagworte
Medienwissenschaft, Medien, Heterotopie, Foucault, Knallhart, DetlefBuck, Film, Fernsehen, Sozialkritik, Randbereiche, Neukölln
Arbeit zitieren
Jan-Christian Hansen (Autor:in), 2010, Heterotopische Räume auf der Leinwand. Das Filmbeispiel "Knallhart", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262617

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