Der Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert

Der Versuch eines Vergleiches der Klavierbegleitung in ausgewählten Liedern des Zyklus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

25 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die späten Jahre Franz Schuberts und die Entstehung des Liederzyklus Winterreise

3. Die Formen der Klavierbegleitung in Schuberts Kunstliedern
3.1 Die Entwicklung der Klavierbegleitung im 18. und 19. Jahrhundert
3.2 Der Unterschied zwischen einem Volks – und einem Kunstlied
3.3 Die Arten der Klavierbegleitung bei Schubert

4. Die Analyse der Klavierbegleitungen der einzelnen Stimmen
4.1 Gute Nacht
4.2 Die Wetterfahne
4.3 Gefrorne Tränen
4.4 Der Lindenbaum
4.5 Einsamkeit
4.6 Der Wegweiser
4.7 Das Wirtshaus
4.8 Der Leiermann

5. Vergleich der analysierten Lieder

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Reisen und Wanderungen – die Distanzierung eines Menschen von seiner gewohnten Umgebung – sind ein wichtiges Thema nicht nur in der europäischen Literatur. Die auch wörtlich zu verstehende Auseinandersetzung mit der Heimat, ihrer Gesellschaft und ihren Regeln endet oft mit Rückkehr: Der Wanderer erlebt sich neu und sieht auch das Vertraute in einem anderen Licht. Unter weniger glücklichen Umständen kann die Wanderung auch einem unerreichbaren Ziel gelten. Heimatlos ist der Reisende dann nicht nur in der Fremde.“[1]

Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus “. Wie im oben genannten Zitat hat auch der Protagonist in Schuberts Winterreise ein unerreichbares Ziel vor Augen; mit gemischten Gefühlen über die Vergangenheit einer verlorenen Liebe macht er sich auf den Weg. Seine Reise hat von Anfang an kein Ziel und ist pessimistisch ausgelegt. Am Anfang hat er noch die Kraft über seine Gefühle und Emotionen zu sprechen und somit die Chance, sein Leiden anderen Menschen kundzutun. Dabei begegnet er verschieden elendigen und tristen Erscheinungen in der Natur des Winters, die gleichzeitig seine innere Leere und Trauer über das Geschehene darstellen. Doch in der zweiten Hälfte nimmt Kraft des Protagonisten sowohl im Schritt des Wanderns, als auch im Reden über seine Gefühle deutlich ab. Franz Schubert war schon bei der Komposition der ersten Hälfte seines Zyklus sterbenskrank und fühlte sich deswegen nicht ohne Grund zu den Gedichten von Wilhelm Müller besonders hingezogen.

Ich glaube, dass die Klavierbegleitung nicht nur eine „Begleitung“ zur Singstimme an sich ist, sondern dass sie auch eine Art Trauerbewältigung für den sterbenskranken Komponisten war, der wusste, dass sein Leben bald ein Ende haben wird. Nicht umsonst stehen deswegen sechzehn der vierundzwanzig Lieder in Moll. Daraus resultiert meine Vermutung, dass im Gesamten Liederzyklus, vor allem aber in der Klavierbegleitung, der Komponist Schubert über sein inneres Empfinden spricht und das die Winterreise ein Abbild seines Lebens ist; von einem jungen, fröhlichen und ehelosen Mann der leider schon im frühen Alter erkrankt und ein Jahr nach Beethovens Tod verstarb. Deswegen erwarte ich, dass Franz Schubert in seinen Liederzyklus viele verschiedene Nuancen und Akzente gesetzt hat, u.a. auch in seiner Klavierbegleitung.

Auf Grund der vorgegebenen Formalitäten dieser Hausarbeit, habe ich mich auf die Lieder Gute Nacht, Die Wetterfahne, Gefrorne Tränen, Der Lindenbaum, Einsamkeit, Der Wegweiser, Das Wirtshaus und Der Leiermann beschränkt.

2. Die späten Jahre Franz Schuberts und die Entstehung des Liederzyklus Winterreise

Franz Schubert größte Schaffensphase beginnt in seinen letzten vier Lebensjahren. Allerdings machen sich schon im Jahre 1823 die ersten Anzeichen seiner Syphiliserkrankung bemerkbar. In seinem Freundeskreis hat man seine Krankheit nach außen geheim gehalten und umschrieb sie in Briefen über die liebe „junger Pfaunen“[2]. Schubert pflegte den Kontakt zu Frauen aus der höheren Gesellschaft und hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen „Gönnerinnen“. So kam es vor, dass er z.B. Katharina Lacsny von Fokusfála oder auch den Fröhlich-Schwestern etwas dedizierte. Im Laufe der Zeit nahmen die Krankheitsschübe zu und er wurde von seinem langjährigen Arzt August von Schäfer im Herbst 1823 für mehrere Wochen in das Allgemeine Krankenhaus in Wien überwiesen. Angeordnet wurde ihm von dem hochangesehenen Mediziner Josef von Vering ein Quecksilberbad. Laut einem Bericht wurde dieser Vorgang der Krankheitsbekämpfung fortgeführt, bis die Hautauschläge verschwunden waren und Fieber und Speichelfluss auftraten. Folglich litt Schubert weiter unter Haarausfall, Hautausschlag, Knochenschmerzen im linken Arm, Schwindelanfälle und Kopfschmerzen. Ende 1824 schrieb er in einem Brief an Leopold Kupelwieser, dass seine „Gesundheit nicht mehr richtig werden will [und er] aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht“[3]. Im Oktober 1827 setzten ihm die Kopfschmerzen zu und er sagte eine Einladung mit folgenden Worten ab: „Ich bin Krank, und zwar von der Art, daß [sic] ich für jede Gesellschaft gänzlich untauglich bin“[4]. In seinem Leid gefangen setzt hier Schuberts größte Arbeitsphase ein, in der er sich von den großen instrumentalen Bereichen abwendet und sich der Kammermusik zuwendet.[5]

Das Ergebnis hiervon sind u.a. die Klavierwerke Impromptus z.B. D 899, D 935 oder aber auch Werke für 2 Instrumente wie Rondo für Violine und Klavier h-Moll, D895 oder Fantasie für Violine und Klavier C-Dur, D934.[6]

Ab 1821 wendet Schubert sich aber wieder dem Lied zu. Denn dort hatte er seit Mitte der 1820er Jahre keine Probleme einen Verleger für seine Werke zu finden. Ziel war es, wie schon in seiner Jugend, „systematische Serien von Vertonungen einzelner Dichter in Hefte zusammenzufassen“[7]. Als Beispiele stehen Goethe- und Schiller-Lieder voran. Die Lieder waren allerdings nicht nach Autoren oder Dichter sortiert, sondern nach den Themen des Inhaltes. Dies änderte sich mit seinen berühmtesten Liederzyklen Die schöne Müllerin, D795 aber erst recht mit der Winterreise, D911, welche er im Jahr 1828 über den Verleger Tobias Hasslinger veröffentlichte. Beide Liederzyklen basieren auf den Gedichten von Wilhelm Müller, welcher wie Schubert ein recht kurzes Leben hatte (1794 – 1827).[8]

Müller holte sich seine Inspiration aus dem Zyklus von Ludwig Uhlands Wanderliedern. Diese Inspiration geht zum Teil sogar bis in die Wortwahl hinein. Ein paar Worte zum Inhalt des Uhland Zyklus; bei den Wanderliedern stellt sich heraus, dass Gesang, Vöglein und Blumen nur ein Traum sind. In Wirklichkeit herrscht zu jener Zeit Nacht und Winter, wo früher die Sonne geschienen hat. Also ähnliche Stimmungsverhältnisse wie in der Winterreise ; eine schöne und fröhliche Vergangenheit steht im Kontrast zur bitteren und traurigen Realität. In den Wanderliedern heißt es unter anderem „die kalten Winde tosen“ und „die welken Blätter fallen“. Dieser Ausschnitt ähnelt doch stark dem Gedicht von Wilhelm Müller namens Der Lindenbaum. Dort heißt es „die kalten Winde bliesen“ und „der Hut flog mir vom Kopfe“. Deswegen kann man ganz klar für den Zyklus von Uhland sagen, dass er ein Vorläufer des Zyklus Winterreise war. Im Liederzyklus Winterreise geht es allgemein um das Thema enttäuschte Liebe. Anders als bei der Schönen Müllerin hat die Wanderung vom Protagonisten keine wirkliche Handlung. Er wandert lediglich durch die winterliche Landschaft und die Verlassenheit sowie Trostlosigkeit der Natur, die das Abbild seines eigenen inneren Gemüts darstellt. In der ersten Hälfte des Zyklus wendet sich der Protagonist immer wieder der Vergangenheit zu. Die glücklichen Erlebnisse aus vergangen Tagen werden immer den elenden und tristen Situationen der aktuellen Ereignissen ausgesetzt. Hierzu auch wieder ein Beispiel aus Der Lindenbaum. Der Protagonist berichtet erst von dem Lindenbaum aus vergangenen Tagen, bevor er plötzlich aus seinem Tagtraum gerissen wird. Der Hut sei ihm vom Kopfe, auf Grund des starken Windes, geflogen. Im zweiten Teil des Zyklus beschäftigt sich der Protagonist nur noch mit sich selbst und evaluiert ständig sein Verhalten. Diese Evaluation wird lediglich durch die Träume, Erinnerungen aus schönen Tagen und diverse Phantasien unterbrochen. Im Grunde genommen erwartet der Zuhörer zum Ende der Winterreise den Tod des Protagonisten. Jedoch wird man hier am Ende des Zyklus sowohl von Müller, als auch von Schubert in einer „hoffnungslosen Leere“[9] zurückgelassen.[10]

An dieser Stelle tritt nun die Frage auf, wie Schubert zur Komposition der Winterreise gekommen ist. Schon im Oktober 1816 vertonte Schubert das Gedicht von Georg Philipp Schmidt Der Wanderer. Die Schlussworte des Gedichtes lauten „Dort wo du nicht bist, dort ist das Glück“, dass Motto in der Romantik schlechthin. Seit dem sieht Schubert das Wandern als Metapher zur Umschreibung der menschlichen Existenz. Dies erklärt auch den Großteil seiner Wanderlieder in seinem Œuvre.[11]

Schubert fand im Februar 1827 in einem Almanach zuerst die ersten zwölf Gedichte seines Zyklus, die in der Sammlung Urania; Taschenbuch auf das Jahr 1823 in Leipzig erschienen sind und vertonte diese auf der Stelle. Die Reihenfolge der Gedichte stimmt hier mit der ersten Hälfte der Lieder in Schuberts Zyklus überein. Kurze Zeit später erschienen in den Deutschen Blättern für Poesie, Litteratur [sic] , … zehn der zwölf weiteren Gedichten der Winterreise. Schubert änderte jedoch die Reihenfolge. Erschienen waren sie bei Müller wie folgt; nach Der greise Kopf folgten Letzte Hoffnung, Die Krähe, Im Dorfe, Der stürmische Morgen, Die Nebensonnen, Der Wegweiser, Das Wirtshaus, Mut! und zuletzt Der Leiermann. Schubert verstauschte Die Krähe mit Letzte Hoffnung und verschob Die Nebensonnen an vorletzte Stelle. Im Herbst 1827 fand er in der Bibliothek seines Freundes Schober, zu dem er im Jahre 1826 gezogen ist, den erweiterten Gesamtzyklus von 24 Liedern in Müllers Gedichten aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten und setzte die fehlenden Gedichte Die Post an zwölfte, Täuschung an neunzehnte Stelle seines Zyklus.[12]

Nicht nur die Reihenfolge der Gedichte, sondern auch am Text hat Schubert selbst gearbeitet. Als Beispiele sind folgende u.a. zu nennen; in Erstarrung die Phrase, wo es bei Schubert heißt „wo sie an meinem Arme durchstrich die grüne Flur“ und bei Müller „Hier, wo wir oft gewandelt nebeneinander durch die Flur“ oder auch in Im Dorfe, wo es bei Schubert „schlafen“ statt „schnarchen“ heißt. Als sich die Freunde zu einer „Schubertiade“ trafen, um sich den ersten Teil des Liederzyklus anzuhören, waren sie trotz seiner Vorwarnung, dass sie „einen Zyklus schauerlicher Lieder“[13] hören würden, schockiert. Spaun berichtet: „Wir waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur das Lied Der Lindenbaum gefallen“[14].

Nicht nur Spaun scheint Der Lindenbaum ganz besonders gefallen zu haben, sonst wäre das Lied nicht bis heute in unserem deutschen Volksliedgut verankert. [15]

3. Die Formen der Klavierbegleitung in Schuberts Kunstliedern

3.1 Die Entwicklung der Klavierbegleitung im 18. und 19. Jahrhundert

Zu Beginn dieser Untersuchung muss man sich kurz über die allgemeine Entwicklung der Klavierbegleitung im 18. und 19. Jahrhundert auseinandersetzen, denn in diesem Zeitraum fanden mehrere große Entwicklungen statt. Vor 1760 waren alle Begleitschemata in zwei Notationssystemen notiert. Der Begleitpart bestand aus einem durchgehenden, teilweise oder überhaupt nicht bezifferten Generalbass. Außerdem wurde die Singstimme nicht von der improvisierten Klavieroberstimme mitgespielt. Diese Art der Begleitung entwickelte sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts weiter, indem man in der Klavierbegleitung begann einige Stellen auszuschreiben. Nichts desto trotz hielt man in dieser Übergangszeit zum „Klavierlied“ an dem Schreiben in zwei Notationssystemen weiterhin fest. Die Singstimme wurde nun zumindest in den ausgeschrieben Teilen in der Begleitung mitgespielt. Nach 1750 wird das „Klavierlied“ beliebt; von nun an war es normal, dass man zum „Klavierlied“ sang oder es solo auf dem Klavier spielte. Die Notwendigkeit eines drei Liniensystems wurde dadurch immer größer, vor allem aber als man im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begann, die Klavieroberstimme melodisch und rhythmisch von der Singstimme zu variieren. Diese zunehmende Selbständigkeit nahm im Laufe der Zeit zu. Der Liederzyklus Winterreise ist ausschließlich in drei Systemen geschrieben worden.[16]

[...]


[1] Aus Dürr u.a., 1997, S. 239.

[2] Aus Bankl, 1990, S. 200.

[3] Aus Deutsch A, 1964, S. 234.

[4] Aus Ebenda, S. 458.

[5] Vgl. Hilmar, 1997, S.76 – 78.

[6] Vgl. Korff, 2003, S. 186.

[7] Aus Hinrichsen, 2011, S. 101.

[8] Vgl. Hinrichsen, 2011, S. 100 – 102.

[9] Aus Dürr u.a., 1997, S. 240.

[10] Vgl. Dürr u.a., 1997, S. 239 – 240.

[11] Vgl. Budde, 2003, S.66.

[12] Vgl. Georgiades, 1967, S. 357 – 358; vgl. Hinrichsen, 2011, S. 102; vgl. Korff S. 150 – 151.

[13] Deutsch B, 1966, S.161.

[14] Aus Ebenda.

[15] Vgl. Fischer-Dieskau A, 1996, S. 329

[16] Estermann, 1970, S. 3-8.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert
Untertitel
Der Versuch eines Vergleiches der Klavierbegleitung in ausgewählten Liedern des Zyklus
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Musik und Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Schuberts "Winterreise"
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V262433
ISBN (eBook)
9783656512080
ISBN (Buch)
9783656511809
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
liederzyklus, winterreise, franz, schubert, versuch, vergleiches, klavierbegleitung, liedern, zyklus
Arbeit zitieren
Fabio Sagner (Autor:in), 2012, Der Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262433

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