Kann die Phonetik des francais québécois als archaisch bezeichnet werden?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1) Einleitung

2) Forschungsstand

3) Methode

4) Das français québécois
4.1) Assibilierung von t und d
4.2) Der Diphthong <oi>
4.3) Die Nasalvokale
4.4) Der Vokal a

5) Die Frage nach dem Ursprung
5.1) Assibilierung von t und d
5.2) Der Diphthong <oi>
5.3) Die Nasalvokale
5.4) Der Vokale a

6) Fazit

1) Einleitung

Das heutige Québec wurde Anfang des 16. Jahrhunderts von Jacques Cartier im Namen des französischen Königs François Ier entdeckt. Zu einer dauerhaften Besied- lung kam es allerdings erst im Laufe des 17. Jahrhunderts (vgl. Pöll 1998: 61). Mit Beginn dieser ständigen Präsenz von Siedlern in Kanada kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Briten und Franzosen, sodass Québec bereits 1629-32 in britische Hand fiel. Durch den Friedensvertrag von Saint-Germain-en- Laye „konnte der britische König (Charles I) zur Rückgabe der besetzten französi- schen Gebiete in Nordamerika gezwungen werden“ (Wolf 1987: 2). So wurde Qué- bec wieder französische Kolonie. Mit dem Frieden von Paris 1763 wurde es jedoch endgültig zur britischen Kolonie deklariert und verlor jegliche Anbindungen an Frank- reich (vgl. ebd.: 5f). Im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu mehreren Versuchen der Briten das Englische als einzige offizielle Sprache durchzusetzen, unter anderem durch die Konstitutionsakte (1791) und die Unionsakte (1840). Trotz allem gelang es der französischsprachigen Bevölkerung Kanadas ihre Sprache zu bewahren (vgl. ebd.: 39ff). Heute ist Québec die einzige Provinz in Kanada, deren Bevölkerung mehrheitlich frankophon ist (1981: 82,4%) (vgl. ebd.: 248).

Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie sich die Phonetik des in Kanada ge- sprochenen Französisch (im Folgenden français québécois) von der des Standard- französischen unterscheidet und ob diese als archaisch bezeichnet werden kann. Denn durch die verlorene Anbindung an Frankreich 1763 erreichten die sich dort entwickelnden Neuerungen die überseeische Provinz nicht mehr. Zwar gelangten Grammatiken des Französischen für den Schulunterricht nach Québec, diese enthiel- ten jedoch kein Kapitel für Aussprache (vgl. Hoerkens 1998: 12). Da im Rahmen die- ser Hausarbeit nicht alle phonetischen Besonderheiten des français québécois un- tersucht werden können, soll sich im weiteren Verlauf auf die markantesten Merkma- le, wie die Aussprache des Diphthongs <oi> oder die Assibilierung von t und d be- schränkt werden. Dies wird anhand eines auf www.youtube.de veröffentlichten Inter- views zu dem Projet Montréal untersucht werden. Diese Quelle ist insofern interes- sant, als dass heute statistisch gesehen nur eine Untersuchung von 1900 lexikali- schen Einheiten auf Ile-aux-Grues vorliegt (vgl. Wolf 1987: 18) und auch andere Ar- beiten sich hauptsächlich auf einzelne lexikalische Einheiten und nicht auf vollständi- ge Aussagen beziehen.

2) Forschungsstand

Das in Kanada gesprochene Französisch gilt als das besterforschteste Regionalfran- zösisch (vgl. ebd.: 322). 1902 wurde die Société du parler français au Canada für die Erforschung des kanadischen Französisch gegründet, hauptsächlich um sich gegen Vorurteile zu wehren, das kanadische Französisch sei von dem englischen Einfluss korrumpiert (vgl. Pöll 1998: 69). Seit dem sind viele Arbeiten zu diesem Thema er- schienen. Zum einen der Trésor de la langue française au Québec. Dieser beachtet alle lexikalischen Einheiten, die in der Vergangenheit, wie auch heute das français québécois gegenüber dem Standardfranzösischen charakterisieren. So enthält und beschreibt er sowohl Archaismen, Dialektalismen, Entlehnungen aus Eingeborenen- sprachen, Anglizismen als auch semantische und formale Abwandlungen, die ein Lehn- oder Erbwort im français québécois erfahren hat. Zum anderen existiert ein Atlas linguistique de l‟Est de Canada, der im Laufe der Jahre sowohl nach Westen als auch noch weiter nach Osten ausgedehnt wurde. Dieser siebenbändige Sprach- atlas enthält allerdings keine Karten und vermittelt seine Informationen, im Gegen- satz zum Atlas linguistique de la France (ALF), ausschließlich anhand von Artikeln (vgl. Wolf 1987: 300ff). Diese und viele weitere Publikationen behandeln die Lexik des français québécois und den Einfluss von Adstrat- und Substratsprachen auf den Wortschatz. Für die Phonetik sind vor allem die Untersuchungen von Jean-Denis Gendron (1966) und Marcel Juneau (1972) entscheidend. Auf diese wird oft in allge- meineren Arbeiten, wie die von Bernhard Pöll und Waltraud Hoerkens verwiesen. Auch die Arbeit von Denis Dumas bietet Aufschluss über die phonetischen Gege- benheiten im français québécois. Wie bereits erwähnt kann statistisch gesehen aber nur die Untersuchung von 1900 lexikalischen Einheiten auf der Ile-aux-Grues aufge- führt werden (vgl. ebd.: 18). Neuere Forschungen beziehen sich vor allem auf den sozialen Status des français québécois, wie etwa die von Kerstin Reinke (2002) und Maeve Cornick (2002).

3) Methode

Anhand eines Beitrages von Projet Montréal (http://www.youtube.com/watch?v=P_ bS-vs5lqY) sollen im Rahmen dieser Hausarbeit die Besonderheiten des in Québec gesprochenen Französisch dahingehend untersucht werden, ob diese als archaisch bezeichnet werden können.

“Projet Montréal est le parti municipal qui propose à la population de Montréal une autre façon de vivre en ville, centrée sur le développement durable, la saine gestion, la démocratie, et la qualité de vie des citoyens. Projet Montréal souhaite que Montréal redevienne une métropole qui fera la fierté des Montréalais, à l‟avant-garde en matière d‟urbanisme, de cul- ture, d‟économie et de transparence” (http://projetmontreal.org/le-parti/ presentation-du-parti/).

Dieser Beitrag eignet sich insofern, als dass Einwohner Montréals verschiedenen Alters und Geschlechts hier zu dem Thema Leben in der Stadt befragt wurden. Um die Besonderheiten der Phonetik des français québécois herauszustellen, war es erforderlich das vorliegende Gesprächsmaterial zum einen im français standard und zum anderen im français québécois zu transkribieren.1 Hierzu wurde Le Petit Robert von Paul Robert herangezogen. Ein Wörterbuch zur Aussprache des québécois konnte nicht herangezogen werden. Zwar gibt es heute Wörterbücher, die sich aus- schließlich mit dem Französischen in Québec befassen, wie das Dictionnaire québécois d‟aujourd‟hui (1992) oder das Dictionnaire du français québécois (1985), diese enthalten jedoch keine Transkription oder geben die des Standardfranzösi- schen an. Da hier keine technischen Mittel zur Analyse zur Verfügung standen, musste sich auf das auditive Verständnis und die Sekundärliteratur verlassen wer- den.

Anhand der Transkription sollen im Folgenden zunächst die phonetischen Besonderheiten des français québécois im Vergleich zum Standardfranzösischen herausgestellt werden, um anschließend diese Besonderheiten auf ihren Ursprung hin zu untersuchen. Um diesen zu untersuchen wird die Pariser Koiné des 17. und 18. Jahrhunderts herangezogen.

„Zahlreiche, vom letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stammende Belege von Reisenden deuten darauf hin, daß [sic] in der Kolonie ein Französisch gesprochen wurde, das dem damali- gen Französisch […] der Île-de-France sehr nahe gestanden hat“ (Pöll 1998: 71).

Dies scheint zunächst verwunderlich, da der Großteil der Siedler aus dem Nordwes- ten Frankreichs stammte. Anhand der sozialen Herkunft und des hohen Grades an Alphabetisierung der Siedler (44,3% Analphabetismus im Gegensatz zu etwa 80% in Frankreich) scheint dieser Umstand aber erklärbar (vgl. Wolf 1987: 14f). So gehen unter Anderen Mougeon und Beniak davon aus, dass aus einer anfänglichen Zwei- sprachigkeit von Dialekt und damaligen Standard sich mit der Zeit eine Einsprachig- keit hin zur Pariser Koiné mit gewissen dialektalen Eigenheiten entwickelte (vgl. ebd.: 71ff).

Abschließend soll anhand des Ursprungs der phonetischen Besonderheiten des français québécois herausgestellt werden, ob es sich bei diesen Unterschieden zum heutigen Standardfranzösischen um Archaismen des 17. und 18. Jahrhunderts oder um eigene Innovationen handelt.

4) Das français québécois

4.1) Assibilierung von t und d

Die Assibilierung von t und d zu [ts] und [dz] ist charakteristisch für das français québécois. Durch Palatalisierung bildet sich hier ein Zischlaut (Sibilant) zwischen dorsalem, das heißt mit dem Zungenrücken artikulierten Verschlusslaut (Oklusiv) und dem folgenden Vokal (vgl. Bußmann 1983: 47). Letzterer ist für die Realisierung die- ses Phänomens entscheidend, da die Assibilierung von t und d nur vor [i], [u], [y] und den Halbvokalen [j], [ɥ] erfolgt. Vor anderen Vokalen ist dies nicht möglich. In dem beschriebenen Umfeld ist die Realisierung von t und d als [ts] und [dz] innerhalb des Wortes obligatorisch. Ob t und d sich dabei im An-, In- oder Auslaut befinden, ist unerheblich (vgl. Dumas 1987: 2f). In Bezug auf die Intensität sind jedoch Unter- schiede erkennbar. Gendron stellt bei seinen Untersuchungen fest, dass die Assibi- lierung im unbetonten Inlaut schwächer realisiert wird, als im unbetonten Anlaut und in betonter Silbe. Zudem variiert die Intensität der Assibilierung gemäß des Individu- ums (vgl. Gendron 1966: 120). In der aufgeführten Hörsequenz erfolgt diese, für das in Québec gesprochene Französisch typische Realisierung von t und d in den Bei- spielen (1), (3) und (4). Im zweiten Bespiel kommen t und d nicht in der für die Assibi- lierung erforderlichen Kombination mit [i], [u], [y] oder [j], [ɥ] vor.2

Zudem kann dieses Phänomen auch zwischen zwei Wörtern, die durch die Liaison miteinander verbunden sind, auftauchen. Hier ist die Realisierung jedoch fakultativ (vgl. Dumas 1987: 3f). So wird im dritten Beispiel [ameʀikdzynɔʀu] und nicht [ameʀikdzynɔʀdzu] realisiert. Dies wäre im français québécois aber ebenso möglich wie die im Beispiel realisierte Variante.

4.2) Der Diphthong <oi>

Die Aussprache des Diphthongs <oi> ist eine weitere Besonderheit des français québécois. Während die Aussprache des Standardfranzösischen auf [wa] lautet, gibt es im français québécois nur eine geringe Anzahl von Wörtern, deren Aussprache ebenfalls auf [wa] lautet. Bei dieser geringen Anzahl von Wörtern handelt es sich um solche, bei denen bereits im 17. Jahrhundert die Aussprache auf [wa] festgelegt war. Eine Aussprachevariante des français québécois ist die Realisierung von [we] am Wortende. Wörter in denen [we] realisiert wird, gehören zumeist der grammatikali- schen Klasse der Verben oder der Pronomen an (vgl. ebd.: 20ff). In Beispiel (1) wird der Subjunktiv des Verbes être , <soit> [swe] realisiert. Ebenfalls in Beispiel (1) und auch in (4) wird moi [mwe] realisiert, in Beispiel (2) und (3) wird kein Pronomen, dass auf <oi> endet, verwendet. Diese Realisierung [we] bei der Graphie <oi> am Worten- de von Verben und Pronomen ist in Québec sehr frequent und bereits von mehreren Wissenschaftlern nachgewiesen worden.3

Seit einigen Jahren treten allerdings Veränderungen in der Aussprache des français québecois auf. So merkt Gendron bereits 1966 an, dass Sprecher seiner Studie vermeiden diese Aussprache für <oi> zu verwenden und stattdessen die standardfranzösische Variante [wa] realisieren. Diese Tendenzen sind vor allem im milieu cultivé zu verzeichnen und beziehen sich auf alle Aussprachevarianten des français québécois für <oi>. Es ist aber nicht auszuschließen, dass auch hier in inoffiziellen Situationen [we] oder [wɛ] realisiert wird (vgl. Gendron 1966: 82f). Reinke kommt in ihren Untersuchungen zu einem anderen Resultat.

„[…] Peu de personnes jugent consiemment le français de France plus correct et presque personne ne serait prêt à modifiers a pronunciation en faveur d‟une pronunciation française. En majorité, les sujets mentionnent la nécessité de preserver leur proper pronunciation qui est, pour eux, l‟expression de leur culture” (Reinke/Klare 2002 : 36).

Sie stellt also fest, dass die Sprecher des français québécois sich mit ihrer eigenen Aussprache identifizieren und diese daher gegenüber der des Standardfranzösischen bevorzugen. Aus diesem Grunde kann nicht mit Gewissheit gesagt werden, wie die Sprecher aus Beispiel (2) und (3) den standardfranzösischen Laut [wa] am Wortende realisieren. Eine weitere Aussprachevariante für <oi>, in Abgrenzung zu dem im Standardfranzösischen realisierten [wa], ist [wɛ].

„On peut facilement constater que <oi> se prononce d‟habitude en oè quand il est suivi d‟une consonne qui fait partie de la mrme syllabe […] C‟est la prononciation la plus courante de mots […]” (Dumas 1987 : 24).

<Oi> wird ebenfalls am Ende der Silbe [wɛ] ausgesprochen, wenn diese nicht gleichzeitig das Wortende bildet. Dabei kann die Aussprache aber zwischen [we] und [wɛ] variieren (vgl. ebd.: 25). In dem aufgeführten Hörbeispiel lässt sich an diesem Beispiel, die eben erwähnte Tendenz zur Angleichung der Aussprach an die des Standardfranzösischen gut verdeutlichen. In Beispiel (1) kommt diese Aussprachevariante in allen möglichen Wörtern vor. So realisiert der Sprecher nicht [lwaziʀ] sondern [lwɛziʀ]. Der Sprecher von Bespiel (3) hingegen realisiert , [ɑdʀwɛ] anstelle von [ɑdʀwa]. Beide realisieren also die für das français québécois charakteristische Form [wɛ]. Dies bestätigt die von Reinke aufgeführten Ergebnisse.

Weiterhin kann es bei langer Realisierung von <oi> zur Diphthongierung kommen. Hierauf soll jedoch nur kurz eingegangen werden, da diese Variante nicht in dem aufgeführten Beispiel zu finden ist. Wenn der Diphthong <oi> lang realisiert wird, wie beispielsweise in framboise, so wird oft ein [waɛ] realisiert. Diese Aussprache findet sich bei langen Vokalen und bei solchen, die von einem längenden Konsonanten wie [r] oder [z] gefolgt sind (vgl. ebd.: 26f). Diese Bildung eines Diphthongs kann zudem in geschlossener Tonsilbe bei allen Vokalen außer [a] vorkommen (vgl. Wolf 1987: 294). In Bezug auf diese Aussprachvariante lassen sich allerdings auch regionale Unterschiede feststellen.

[...]


1 siehe Anhang 1

2 siehe Anahng 1

3 nachgewiesen von: Juneau, Pernot, Rousset etc.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kann die Phonetik des francais québécois als archaisch bezeichnet werden?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Veranstaltung
Französisch in Québec
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V262413
ISBN (eBook)
9783656511243
ISBN (Buch)
9783656512837
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Quebec, Varietäten, Französisch in Quebec, Französisch des 17. Jahrhunderts, quebecois, Phonetik
Arbeit zitieren
Janike Kyritz (Autor:in), 2012, Kann die Phonetik des francais québécois als archaisch bezeichnet werden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262413

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