Besetzte Begriffe in der Politik. Gibt es einen Kampf um Wörter?

Eine linguistische Untersuchung der Bundestagsprotokolle des Amtsjahres 2012 zur Analyse von Krisenbegriffen im Vergleich


Hausarbeit, 2013

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Aspekte
2.1 Die aktuelle Forschungslage
2.2 Was ist Begriffsbesetzung?
2.3 Angewandte Arten der Sprachaneignung

3. Analyse der Bundestagsprotokolle 151 – 215 (Amtsjahr 2012)
3.1 „Bankenkrise“ vs. „Staatsschuldenkrise“
3.2 „Finanzkrise“
3.3 „Euro-Krise“
3.4 Diagnose eines parlamentarischen Streitgesprächs

4. Fazit & Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Für eine Partei besitzt ein Wort eine positive Konnotation und wird als Fahnenwort in den eigenen Parteijargon übernommen. Für den politischen Rivalen kann dasselbe Wort allerdings einen solch negativen Beigeschmack entwickeln, dass man es durch Begriffsbesetzung, Konkurrenz- oder Gegenvokabeln zu einem Stigmawort zu verschlechtern versucht. Gelingt dies, kennt die allgemeine Öffentlichkeit dann entweder nur noch die Definition der politischen Gegenseite oder das Wort erfährt in der breiten Öffentlichkeit sogar eine negative Konnotation.

Doch was ist nun konkret „Begriffsbesetzung“? Der Urheber ebendieses Wortes war der Juraprofessor und ehemalige CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf: „Statt der Gebäude der Regierungen werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert, die Begriffe, mit denen wir unsere staatliche Ordnung (…) beschreiben.“ (Biedenkopf 1973: 61). Und weiter schrieb er: „Indem die SPD positiv besetzte Begriffe (…) für sich beschlagnahmt (…) macht sie ihn [d. Verf.: gemeint ist der politische Gegner] im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos.“ (Biedenkopf 1982: 194). Auch wenn dank dieser Worte Biedenkopfs nach dem 22. Bundesparteitag der CDU in Hamburg ’73 sogar eine parteieigene ‚Projektgruppe Semantik‘ ins Leben gerufen wurde: Inhaltlich teilen nicht alle Linguisten diese Interpretation von ‚Begriffsbesetzung‘ (vgl. Klein 1991: 44). Ungeachtet der appellativen Funktion eines Wortes „kann der begriffliche Inhalt an Bedeutung stark variieren.“ (Dieckmann 1969: 104). Doch ebenso kann der gleichartige Inhalt von Wörtern durch unterschiedliche Bezeichnungen verschieden gewichtet werden.

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit vier Krisenbegriffen, die allesamt im Deutschen Bundestag zur Anwendung kamen und dort von den fünf Fraktionen mit unterschiedlicher Häufigkeit und Intention verwandt wurden. Dabei kommt es nicht selten zu intensiven Streitdebatten über die notwendige Begriffsverwendung und die Unverfrorenheit derer, die das nicht für notwendig erachten. Doch was bezweckt eine Partei mit einer bewusst anderen Sprache als ihr politischer Gegner? Welche Ideologien stecken hinter heterogenem parlamentarischem Sprachgebrauch? Und wie kann der ‚Kampf um Wörter‘ die Probleme der realexistierenden Krise beseitigen?

2. Theoretische Aspekte

2.1 Die aktuelle Forschungslage

Zum interdisziplinären Fachbereich der „Begriffsbesetzung“ in der Politik gibt es eine sehr große Anzahl an Aufsätzen und Monographien, die sich von linguistischen bis politikwissenschaftlichen Ansätzen der Problematik annähern. In der Linguistik gilt vor allem Josef Klein als prägend, weil er die unterschiedlichen Fachsprachen, beispielsweise die diplomatische Sprache, die Finanzsprache oder die Umweltsprache, mit dem Ressort Politiksprache vergleicht (vgl. Klein 1989: 5f.). Auch sein Fachaufsatz zum Thema findet auf Grund seiner zeitlosen Aktualität weiterhin Verwendung in neueren Arbeiten (vgl. Klein 1991). In demselben Sammelband findet sich auch ein passender Aufsatz von Petra Reuffer, worin sie sich auf die Theorie der Ungleichzeitigkeit von Ernst Bloch als Basis stützt (vgl. Reuffer 1991). Weiterhin findet sich darin ein Aufsatz von Patrick Brauns, der allerdings auf Grund seiner hohen Spezialisierung auf den Begriff ‚Modernisation‘ nicht näher für die vorliegende Arbeit herangezogen werden kann (vgl. Brauns 1991). Schon sehr viel früher erschien die Monographie von Walther Dieckmann, die sich ähnlich wie Josef Kleins Aufsatz einer beständigen Gegenwartsnähe erfreut (vgl. Dieckmann 1969). Obwohl erst im Juli 2002 erschienen, darf sich die thematische Einführung von Heiko Girnth, die in der Reihe der linguistischen Arbeitshefte erschienen ist, schon jetzt als Klassiker bezeichnen lassen (vgl. Girnth 2002: 62-68). Auch Wolfgang Bergsdorf trägt mit einer Aufsatzsammlung diverser Autoren zur Thematik bei, wenngleich der Gegenwartsbezug in Aufsätzen wie „Aktuelle Tendenzen der politischen Sprache. Ausgleichsbewegungen seit 1945“ nicht mehr völlig herzustellen sein mag (vgl. Maier 1986). Daneben ist das sechste Kapitel in seiner 1987 erschienen Monographie zu nennen, in dem er sich mit der Begriffsverwendung des Wortes ‚Freiheit‘ beschäftigt (vgl. Bergsdorf 1987). 1995 erschien eine Aufsatzsammlung unter den Herausgebern Georg Stötzel und Martin Wengeler, die mit ‚kontroversen Begriffen‘ die Thematik erneut beleuchten (vgl. Stötzel/Wengeler 1995). Sehr aufschlussreich sind darüber hinaus zwei Aufsätze im APuZ 8/2010, der von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) herausgegeben wird. Darin schreibt der Kommunikationstrainer Vazrik Bazil über das Zusammenspiel von politischer Ideologie und gelungener Rhetorik (vgl. Bazil 2010). Darüber hinaus erarbeitet Josef Klein, wie es sich generell um die Beziehung zwischen Macht und Sprache verhält, wobei er zu dem Ergebnis kommt, dass auch die ‚außerparlamentarische Zivilgesellschaft‘ eine Möglichkeit zur Machtpartizipation durch Sprache hätte, wenn sie sie nur geschickt gegen die Parlamentarier einzusetzen verstünde (vgl. Klein 2010).

2.2 Was ist Begriffsbesetzung?

Eine Definition für ‚Begriffsbesetzung‘ wäre hier ebenso unangebracht wie das in der Einleitung angebrachte Zitat von Kurt Biedenkopf unkommentiert im Raum stehen zu lassen. Es geht vielmehr darum, wie die Besetzung von Krisenbegriffen im konkreten Fall die Wahrnehmung der Öffentlichkeit verändern kann. Wenn die Bundesregierung in der Mehrheit vom ‚ausländischen Staatsbankrott‘, dem ‚Versagen der (anderen) Regierungen‘ und den ‚zu kurzen Arbeitszeiten der ausländischen Bevölkerung‘ spricht, dann tut sie das ebenso gezielt wie sie die Weltwirtschaftskrise von 2007 und die anschließende Euro-Währungs-Krise ab 2009 zusammengefasst mit „Staatsschuldenkrise“ betitelt. Und wenn beispielsweise die Linke als entschiedenste Oppositionspartei in diesem Sachverhalt vielmehr vom ‚Zocken der Banken‘, den ‚Gefahren des Finanzmarktkapitalismus‘ und den ‚privaten Interessen der Bundeskanzlerin für Finanzmanager‘ spricht, so tut sie das ebenso mit der analog zu verstehenden „Bankenkrise“. Beide Begriffe beschreiben ein und dieselbe Krise, jedoch ist die damit verbundene Schuldzuweisung eine andere. Die Entscheidung darüber, wer in dieser Diskussion letztlich den Kampf um die Begriffsbesetzung gewonnen hat, kann man in den Medien selbst überprüfen. Gibt man in der Internetsuchmaschine ‚Google‘ den Begriff „Bankenkrise“ ein, so erhält man in 0,20 Sekunden über 800.000 Treffer. Darin zuerst Artikel aus dem ‚Spiegel‘, dem ‚Handelsblatt‘ und der ‚Bild-Zeitung‘. Gibt man analog den Begriff „Staatsschuldenkrise“ in die Suchleiste ein, so erhält man in 0,37 Sekunden nur ca. 389.000 Treffer. Hier zuerst verschiedene Artikel in der ‚Welt‘ und in der ‚Frankfurter Allgemeinen‘.

2.3 Angewandte Arten der Sprachaneignung

Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Strategie des „Benennens (labeling)“ entscheidend. „Wer Dinge neu zu benennen versteht, hebt eine neue Realität aus der Taufe“ (Bazil 2010: 3). Eine eher zweitrangige Strategie für die folgende Analyse ist das tatsächliche Besetzen von Begriffen (Ebd.: 4). Denn obwohl die Begriffe „Finanzkrise“ und „Euro-Krise“ sehr viel wertneutraler zu sein scheinen als die bereits bedachten „Bankenkrise“ und „Staatsschuldenkrise“, so hatte im Untersuchungszeitraum keine der fünf Fraktionen bemerkenswerte Anstalten gemacht, diese ‚neutraleren‘ Begriffe effektiv zu besetzen.

3. Analyse der Bundestagsprotokolle 151 – 215 (Amtsjahr 2012)

Um zu verdeutlichen, in welcher Weise der Deutsche Bundestag mit dem ‚labeling‘ und dem ‚Besetzen von Begriffen‘ verfährt, wurden insgesamt 64 Bundestagsprotokolle untersucht, d. h. sämtliche Protokolle des Jahres 2012. Dabei wurden die Protokolle mit einer PDF-Suchfunktion gescannt und alle Treffer wurden personenbezogen und mit der jeweiligen Seitenangabe aufgelistet[1]. Die anschließende Auswertung erfolgt zunächst auf quantitativer Basis. Hier geht es demnach nur um die Nennung der Begriffe, nicht um deren konkreten Zusammenhang. Jeweils im Anschluss folgt eine qualitative Einordnung. Im Kapitel 3.4 findet sich zuletzt eine ‚Diagnose eines parlamentarischen Streitgesprächs‘, um den beruflichen Alltag von ‚Begriffsbesetzern‘ näher zu beleuchten.

3.1 „Bankenkrise“ vs. „Staatsschuldenkrise“

Der Begriff „Bankenkrise“ wurde in den Bundestagsprotokollen insgesamt 54 Mal genannt. Dabei erbrachte die Partei Die Linke mit 15 von 54 die meisten Nennungen. Es folgen jedoch mit 14 (CDU/CSU) und 13 (Bündnis 90/Die Grünen) Nennungen unmittelbar die nächsten Parteien. Weiter entfernt schließen sich SPD (mit 9) und FDP (mit lediglich 3 Nennungen) an. Welche Interpretation lässt diese Statistik nun zu?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Linke weist mit dem Begriff „Bankenkrise“ darauf hin, dass sie die Schuld an Weltwirtschafts- und Euro-Währungskrise den Banken gibt. Zunächst ‚Goldman Sachs Group, Inc.‘ für die Spekulationen mit der im September 2008 insolvent gegangenen ‚Lehman Brothers Inc.‘, später aber auch EZB und Deutscher Bundesbank für Spekulationen auf dem europäischen Finanzmarkt. Hierfür nennt der Parteivorsitzende Gregor Gysi allein in einer Bundestagsrede viermal das Wort „Bankenkrise“ und führt weiterhin aus:

„Immerhin macht dieBankenkrisein Spanien eines deutlich: dass der von ihnen verwende- te Begriff ‚Schuldenkrise‘ falsch ist. ‚Schuldenkrise‘ heißt nämlich, dass die Staaten zu viel Geld ausgeben. Durch die Verwendung dieses Begriffs wollen Sie erreichen, dass die Leute in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und auch in Deutschland sagen: Ja, wahrschein- lich haben wir zu hohe Löhne. Wahrscheinlich haben wir zu hohe Renten. Wahrscheinlich haben wir in den verschiedenen Bereichen zu hohe Ausgaben.“ Gregor Gysi (BTP 184/2012: 21870).

Mehr als doppelt so oft wird allerdings im selben Zeitraum der Begriff „Staatsschuldenkrise“ verwandt (insgesamt 131 Mal). Er steht dabei nicht nur für eine andere Stilauffassung von parlamentarischer Rhetorik, sondern mit dem Gebrauch dieses Begriffs bekennt sich ein Redner auch eindeutig zu einer anderen Schuldzuweisung als die Linkspartei. Hier wird die Schuld am Versagen nicht den amerikanischen Investmentbanken oder den europäischen Kreditinstituten gegeben: hier sind Staaten wegen hoher Kapitalverschuldung für die Krise verantwortlich. So wurde der Begriff von der Regierungskoalition (CDU/CSU: 73) und (FDP: 10) insgesamt 83 von 131 Malen verwandt. Die Opposition schafft es gerade einmal auf 48 Nennungen (Bündnis 90/Die Grünen: 18, SPD: 15, Die Linke: 15).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Angehörige der christlichen Unionsparteien verwenden den Begriff „Staatsschuldenkrise“ in den meisten Fällen vollkommen wertneutral. Sie benennen die Krise insgesamt 73 Mal mit einem Begriff, der unumstritten wirken sollte. Gleich zu Beginn einer Regierungserklärung äußert sich beispielswiese die Bundeskanzlerin Angela Merkel wie folgt:

„Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieStaatsschuldenkrisein Europa ist die schwerste Bewährungsprobe in der Geschichte der europäischen Einigung, und ihre Über- windung ist die große Herausforderung für uns alle – für uns alle, die wir heute politische Verantwortung tragen.“ Angela Merkel (BTP 160/2012: 19077).

Was macht die Bundeskanzlerin hier? Die ersten sechs Wörter ihrer Regierungserklärung sind reine Formalität, jede Rede beginnt auf diese Weise. Danach folgt als siebtes Wort ein unbedeutender bestimmter Artikel für das achte Wort, also das erste von Bedeutung: der Begriff „Staatsschuldenkrise“. Und mit der Wiederholung der Worte „für uns alle“ verdeutlicht sie noch im selben Satz, wie elementar die Akzeptanz dieser Begrifflichkeit für die gesamte parlamentarische Gesellschaft sein müsse. Am selben Sitzungstag äußert sich gleich drei Mal und ebenfalls wertneutral CDU-MdB Norbert Barthle:

[...]


[1] Siehe Anhang 1.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Besetzte Begriffe in der Politik. Gibt es einen Kampf um Wörter?
Untertitel
Eine linguistische Untersuchung der Bundestagsprotokolle des Amtsjahres 2012 zur Analyse von Krisenbegriffen im Vergleich
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Sprache und Politik
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
24
Katalognummer
V262297
ISBN (eBook)
9783656504382
ISBN (Buch)
9783656504702
Dateigröße
921 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
besetzte, begriffe, politik, gibt, kampf, wörter, eine, untersuchung, bundestagsprotokolle, amtsjahres, analyse, krisenbegriffen, vergleich
Arbeit zitieren
Riccardo Altieri (Autor:in), 2013, Besetzte Begriffe in der Politik. Gibt es einen Kampf um Wörter?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262297

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