Entmachtung des ägyptischen Präsidenten im Juli 2013

Ausarbeitung eines exemplarischen Falls


Hausarbeit, 2013

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Der exemplarische Fall

Als exemplarischer Fall mittlerer Komplexität soll der durch das Eingreifen des Militärs herbeigeführte Machtwechsel in Ägypten sowie die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi am 03.07.2013 dienen. Als Informationsmaterial sind zwei Quellentexte aus dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ vom 08.07.2013 (Nr. 28) gegeben: Die Dokumentation „Revolution Reloaded“ sowie ein Interview mit dem Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, welches den Titel „Wir hatten keine andere Wahl“ trägt (vgl. ebd. S. 74ff.).

Dieser Fall soll exemplarisch für die demokratietheoretisch bedeutsame Frage stehen, inwieweit es legitim ist, dass das Militär einen gewählten Präsidenten absetzt, wenn das Volk gegen ihn protestiert. Anders formuliert: Ist die Absetzung eines zuvor demokratisch gewählten Präsidenten außerhalb der in der Verfassung vorgesehenen politischen Prozesse vor dem Hintergrund von massenhaften Protesten der Bürger als demokratisch legitimes Vorgehen anzusehen? Daran anschließend bieten sich Fragestellungen wie: „Wann sollte ein Präsident zurücktreten?“ oder: „Dürfen die Generäle den Präsidenten absetzen, der nach der Verfassung die Befehlsgewalt über das Militär hat?“ an.

Ausgehend von Wagenscheins Konzept des exemplarischen Lernens und der Idee, die Schülerinnen vor ein Ausgangsproblem zu stellen, um sich im Anschluss daran von „oben“ zum Elementaren vorzuarbeiten erscheint es sinnvoll, die Frage nach der Legitimation des Eingreifens des Militärs genauer zu betrachten. Hierfür wird den SchülerInnen die Situation zum Einstieg wie folgt erklärt:

Es gab in Ägypten Proteste sowie eine Unterschriftenaktion gegen den amtierenden Präsidenten, an welchen sich mehrere Millionen Menschen beteiligten . Im Anschluss an die damit einhergehenden Ausschreitungen stellte das Militär dem Präsidenten ein 48-stündiges Ultimatum, um die Forderung der Demonstranten nach seinem Rücktritt zu erfüllen. Als diese Frist abgelaufen war und Mohammed Mursi nicht zurückgetreten war, griff das Militär noch am gleichen Abend ein und entließ ihn aus seinem Amt und setzte die vom ihm entworfene Verfassung außer Kraft. Bis zu den nächsten Wahlen übernimmt der Präsident des Verfassungsgerichts die Amtsgeschäfte Mursis. Ist dieses Vorgehen mit einer demokratischen Staatsordnung vereinbar und überschreitet in einem solchen Fall das Militär seinen verfassungsmäßigen Handlungsauftrag?

Im Anschluss an diesen Einstieg bieten sich eine Reihe von Themen an, welche zur Beantwortung dieser Frage hilfreich sind. Es gilt zunächst zu klären, was unter dem Begriff der „demokratischen Staatsordnung“ zu verstehen ist; Welche Rolle spielt der Präsident / das Militär? Des Weiteren muss herausgearbeitet werden, in wieweit die Politik Mursis überhaupt demokratischen Grundsätzen entsprach und welche Ereignisse die Demonstrationen ausgelöst hatten. In der Bearbeitung dieser Themenbereiche durch die Schülerinnen werden Informationen gewonnen, welche eine Einschätzung der aktuellen Lage ermöglichen und diese bewertbar machen. Ganz im Sinne Wagenscheins wird hierbei nicht „auf Vorrat“ gelernt (vgl. Wagenschein 1956:6), sondern werden die thematischen Aspekte erarbeitet, welche die Schülerinnen zur Beschäftigung mit dem Ausgangsproblem benötigen. Im Hinblick auf das Schaubild der Autorengruppe Fachdidaktik (vgl. Autorengruppe Fachdidaktik 2011:170) lassen sich für diese umfangreiche Thematik die Basiskonzepte „System“, „Akteure“, „Wandel“, „Macht“ und „Bedürfnisse“ verwenden. „System“, da es um Herrschaft und die daran beteiligten Prozesse und Gruppen geht, wobei in diesem Fall besonders interessant ist, dass es durch einen nicht vorgesehenen Prozess (Demonstrationen gefolgt von einer erzwungenen Absetzung des Präsidenten durch das Militär statt Wahlen) zu dem Machtwechsel kam. Das Basiskonzept „Akteure“ repräsentieren hauptsächlich die Demonstranten, wobei hier der Fokus auf den politisch aktiven Gruppen liegt, welche die Demonstrationen planten und unter Nutzung der modernen Kommunikationstechnologien zum Sturz Mursis aufriefen. Der „Wandel“ war gewissermaßen das Ziel der Proteste, da ein großer Teil der Bevölkerung mit dem aktuellen Kurs von Mursis Regierung unzufrieden war. Ausschlaggebend war die Einschränkung der demokratischen Prozesse bzw. Vorgänge, da Mursi Verwandte anstatt gewählte Vertreter in verschiedenen Machtpositionen einsetzte sowie die zunehmende Islamisierung des ägyptischen Alltags, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung westliche Ideale in Gesellschaft, Politik und Kultur anstrebt. Das Basiskonzept „Macht“ wird von der Autorengruppe Fachdidaktik mit Begriffen wie „Gewalt“ und „Entscheidung“ assoziiert, was aufgrund der Ausschreitungen, dem gewaltsamen Absetzen des Präsidenten und dem grundlegenden Konflikt zwischen westlich orientierten Menschen und den Muslimbrüdern zutreffende Begriffe sind. Das Basiskonzept „Bedürfnisse“ wird von der Autorengruppe mit tendenziell ökonomisch geprägten Begriffen beschrieben, weshalb sich hier eine Verbindung zur höher werdenden Arbeitslosigkeit in Ägypten und der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung herstellen lässt.

Will man von diesen Verbindungen zwischen der Thematik des erzwungenen Machtwechsels in Ägypten mit den Basiskonzepten der Autorengruppe Fachdidaktik (vgl. Autorengruppe Fachdidaktik 2011:170) zu Kompetenzen gelangen, so ist zu beachten, dass ein umfassendes Thema auch eine Vielzahl an Kompetenzen erfordert bzw. anspricht.

Grundlegend für die vollständige Erfassung der Thematik ist zunächst die Analysekompetenz, welche von den Schülerinnen in diesem Fall eine Erforschung der Ursachen für die Proteste sowie den Aufbau des politischen Widerstands verlangt. Hierzu müssen zum einen die vorliegenden Artikel gründlich gelesen und unbekannte Begriffe geklärt werden. Zum anderen muss eine Recherche zur „Vorgeschichte“ erfolgen, die Informationen zum Sturz des Amtsvorgängers Husni Mubaraks, aber auch zur daran anschließenden Wahl Mursis umfasst. Je nach den gegebenen zeitlichen Möglichkeiten kann dies durch einen freien Rechercheauftrag in einer Bücherei oder an einem Computer passieren, aber auch eine Aufbereitung dieser Informationen seitens der Lehrkraft ist möglich bzw. im Falle eines Mangels an Unterrichtsstunden nötig, um die Informationen effizient zu bündeln und komprimiert an die Schülerinnen zu vermitteln.

Aufbauend auf die von den Schülerinnen erarbeitete Analyse folgt bei der Bearbeitung des hier ausgewählten exemplarischen Falls die Bildung, Formulierung und Reflexion eines Urteils zu der aktuellen Situation Ägyptens. Grundlegend für diesen Vorgang ist, dass die Schülerinnen die verschiedenen Interessenlagen und Blickwinkel der einzelnen Akteure (Muslimbrüder, politische und religiöse Gegner Mursis, Demonstranten sowie politisch inaktive bzw. desinteressierte Menschen) einnehmen können, um die Problematik der Situation angemessen einzuschätzen. Zudem werden die Schülerinnen verschiedene Zusammenhänge (wie bspw. der zum Ende seiner Zeit als Präsident islamisch geprägte Kurs Mursis und seiner Zuneigung zu den Muslimbrüdern) erst vollständig erschließen, wenn sie den Konflikt aus Sicht der verschiedenen politischen Lager betrachten. Hierfür muss zunächst einmal erarbeitet werden, welche unterschiedlichen interessengruppen es gibt und mit welchen Argumenten diese ihre Ziele begründen und durchzusetzen versuchen.

Als dritte zentrale Kompetenz des Faches Politik und Wirtschaft schließt sich die Handlungskompetenz dem zuvor gebildeten Urteil an. Ein aktives Handeln in Form einer tatsächlichen Beteiligung am Prozess der Wahl eines neuen ägyptischen Präsidenten kann und ist in diesem Fall nicht das Ziel, sondern vielmehr wird angestrebt, dass die Schülerinnen ihren eigenen Standpunkt finden und ihn anhand von kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren reflektiert begründen können. Dies kann bspw. passieren, indem die Schülerinnen sich vorstellen, sie wären Bürger Ägyptens und aufgrund der aktuellen Situation überlegen, wie sie handeln würden.

Bei der hier gewählten Thematik gibt es durchaus Überschneidungen im Falle der Urteils- und Handlungskompetenz, jedoch sollen die Schülerinnen dazu angeleitet werden bei politischen Problemen einen eigenen, begründeten Standpunkt einzunehmen und diesen auch gegenüber Widerständen vertreten zu können.

2. Umsetzung im Unterricht und Überprüfung des Kompetenzzuwachses

Wie oben dargestellt bietet sich die Thematik des durch das Militär erzwungenen Machtwechsels in Ägypten dafür an zu überprüfen, wie gut die Schülerinnen auf der Grundlage einer umfassenden Analyse des in unserer Gesellschaft eher nicht vorstellbaren Geschehens eine eigene, im Hinblick auf die oben skizzierten demokratietheoretisch bedeutsamen Fragestellungen begründete Meinung formulieren und vertreten können. Ob zur anschließenden Bewertung der Ausarbeitungen eine individuelle oder eine kriteriale Bezugsnorm gewählt wird, ist vorerst unerheblich und zudem von anderen Faktoren, wie bspw. ob der Lehrkraft überhaupt vorherige Arbeiten vorliegen, abhängig.

Eine Möglichkeit zu Überprüfung des Kompetenzerwerbs wäre der Auftrag, einen kommentierenden Leserbrief zu verfassen, der sich auf die Berichterstattung des SPIEGEL bezieht und in dem die Schülerinnen ein Urteil zur Frage der Rechtmäßigkeit des Eingreifen des Militärs formulieren und nachvollziehbar begründen sollen. Hierbei soll ein Bezug zu den drei in den Artikeln hervorgehobenen Gruppen (Muslimbrüder, Mursi-Gegner und das unpolitische Bürgertum) hergestellt werden, der die Einnahme verschiedener Sichtweisen sowie die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Argumenten repräsentiert.[1]

[...]


[1] Hierbei bietet sich eine Differenzierungsmöglichkeit im Hinblick auf die Anforderung im Rahmen der Auseinandersetzung an. Um der Heterogenität der Leistungen der Schülerinnen gerecht zu werden können unterschiedlich komplexe Argumente zur Auswahl gestellt werden oder Unterschiede in der Bereitstellung von Hintergrundinformationen erfolgen, indem ein Teil der Schülerinnen diese in ausführlicher Form erhält, während leistungsstärkere Schülerinnen sich diese im Rahmen des Rechercheauftrags erst erarbeiten müssen.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Entmachtung des ägyptischen Präsidenten im Juli 2013
Untertitel
Ausarbeitung eines exemplarischen Falls
Hochschule
Universität Kassel  (Fachbereich 05 Gesellschaftswissenschaften)
Veranstaltung
Von exemplarischen Fällen zu Kompetenzen
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
14
Katalognummer
V262184
ISBN (eBook)
9783656511427
ISBN (Buch)
9783656510857
Dateigröße
5831 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mursi, Ägypten, Präsident, Sturz, Aufstand, politische Bildung, Didaktik, Unterrichtsplanung
Arbeit zitieren
Christopher Hauck (Autor:in), 2013, Entmachtung des ägyptischen Präsidenten im Juli 2013, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262184

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