Amma Darko - Interkulturelle Literatur in Deutschland ?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

I) Biographischer und theoretischer Rahmen
1.) Zur komplizierten Verortung der Schriftstellerin Amma Darko
2.) Der theoretische Rahmen der Untersuchung: Postkoloniale Theorie
a) Das Modell kultureller Hybridität
b) Homi Bhabhas Idee eines „third space“
c) Feministische Positionen

II) Textanalytischer Teil : „Der verkaufte Traum“ und „Spinnweben“
1.) „Der verkaufte Traum“
a) Inhaltsangabe
b) Analyse und Reflexion
b1) Kulturverständnis
b2) Identitätsmodelle, Rollenzuweisungen und Handlungsmöglichkeiten der Protagonistinnen in
„Der verkaufte Traum“
2.) „Spinnweben“
a) Inhaltsangabe
b) Analyse und Reflexion
b1) Kulturverständnis
b2) Identitätsmodelle, Rollenzuweisungen und Handlungsmöglichkeiten der Protagonistinnen in „Spinnweben“
3.) Zur Erzählhaltung bei Darko

Conclusion

Einführung

Warum eine Seminararbeit über Amma Darko im Bereich der interkulturellen Literatur in Deutschland?

Amma Darko fällt, in der neueren deutschen Literaturwissenschaft wie auch in der Komparatistik englischsprachiger post-kolonialer Literaturen, quasi „durch die Raster“ und verdient eben deshalb genauere Betrachtung. Denn ihre Situation steht symptomatisch für viele Autoren und gerade Autorinnen aus der sogenannten „Dritten Welt“, die sich den Schwierigkeiten einer eindeutigen Verortung innerhalb verschiedener Kulturen auf mehreren Ebenen ausgesetzt sehen, ohne letztlich irgendwo „beheimatet“ zu sein: Elisabeth Bronfen bemerkt, dass sich eben diese post-koloniale Identitätskrise von Ver- und Entortung eine für die multikulturelle Literatur Charakteristische ist: „a major feature of postcolonial literatures is the concern with place and displacement. It is here that the special post-colonial crisis of identity comes into being“.[1] Diese Problematik der Ver- und Entortung betrifft damit auch die Person und Autorin Amma Darko, nicht zuletzt auch in Bezug auf den „literarischen Kanon”. Ihre Texte selbst werfen darüber hinaus die Frage nach der Verortung im Schnittpunkt von postkolonialer und weiblicher Identität auf. Sie führt uns in ihren Texten auf die Ebene der Lebensrealität afrikanischer Migrant/innen unterschiedlicher Bildungs- und Herkunftsniveaus in Deutschland. Da die behandelten Texte stark autobiographisch gefärbt sind, müssen sie entgegen der sonstigen Abneigung der Literaturwissenschaft gegen biographische Rekurse, ausnahmsweise sogar in den biographischen Kontext der Autorin gestellt werden. Daher möchte ich anfangs kurz die Situation der Autorin Amma Darko umreißen, um später die Problematik kultureller Verortung genauer anhand von Analysen zweier ihrer Texte, die beide sowohl in Afrika als auch in Deutschland spielen, genauer zu untersuchen.

Als theoretischer Rahmen bietet sich die momentan in den interkulturellen Literaturwissenschaften sehr in Mode geratene „post-colonial theory“ an, die von Edward Saids Überlegungen zum Orientalismus und Homi Bhabhas Begriff der Hybridität aus seinem Buch „The location of culture“ geprägt und von feministischen Theoretikerinnen weitergedacht wurde. Dieser theoretische Rahmen soll in einem separaten Kapitel vor der Analyse der Texte umrissen werden. Meine Analysen selbst beginne ich zum besseren Verständnis mit einer kurzen Inhaltsangabe der Bücher. Es stellt sich mir die Frage, inwieweit die postkoloniale Theorie anhand der Analyse der in beiden Texten dargestellten Migrantinnenrealität sich für interkulturelle Identitätsentwürfe als brauchbar erweist. Gibt es in den Texten so etwas, wie einen von Bhabha postulierten „third space“[2], einen „dritten Raum“, aus dem ein sich immer wieder neu konstituierendes hybrides „Ich“ sprechen kann? Welche Rolle spielt dabei die Weiblichkeit der Protagonistinnen?

Amma Darkos Protagonistinnen sind sehr unterschiedlicher Herkunft, eine entstammt der ghanaischen Mittelschicht und hat Universitätsabschluss, die andere ist ein ungebildetes Dorfmädchen, das nicht lesen und schreiben kann. Trotz aller Unterschiede kollidiert die Suche nach Identitätskonzepten beider Figuren im Schnittpunkt zwischen Migrationserfahrung und der Erfahrung weiblichen Seins. Daher verdient genauere Betrachtung, inwiefern sich diese spezifisch weibliche Migrationserfahrung auf die Möglichkeiten hybrider Identitätskonstruktion auswirkt. Ein Fazit fasst die Ergebnisse meiner Untersuchung zusammen und positioniert Darko im weiteren Kontext der afrikanischen und afrikanisch-feministischen Migrationsliteratur.

I) Biographischer und theoretischer Rahmen

1.) Zur komplizierten Verortung der Schriftstellerin Amma Darko

Janós Riesz unterteilt im Handbuch „Interkulturelle Literatur in Deutschland“, herausgegeben von Carmine Chiellino, die schwarzafrikanische Literatur Deutschlands in vier Gruppen und zeigt damit die Heterogenität dieser „Gruppe“: Dies sind 1. afrikanische Autor/innen aus den ehemals deutschen Kolonien, 2. die Gruppe der in Deutschland geborenen Afrodeutschen, 3. afrikanische Autor/innen, die schon vor ihrer Ankunft in Deutschland ein substantielles literarisches Werk aufweisen können, das sie während eines dauerhaften oder zeitlich begrenzten Aufenthaltes (...) um aktuelle, auf Deutschland bezogene Komponenten erweitern und 4. Afrikaner/innen, die erst während ihres Aufenthaltes in Deutschland zu schreiben anfangen, um sich mit den in Deutschland gemachten Erfahrungen auseinander zu setzen.[3] Tatsächlich ist auffällig, dass die Mehrzahl der von Riesz vorgestellten Autoren Deutschland inzwischen wieder verlassen hat, was natürlich Fragen nach dem „warum ?“ aufwirft, die diese Arbeit sicherlich anhand des Beispiels Amma Darko ein Stück mehr erhellen wird. Amma Darko bekommt innerhalb der 4. Gruppe von Autoren von Riesz einen „besonderen Platz (Hervorheb. der Verfasserin) in der Reihe der afrikanisch-deutschen Autor/innen“[4] zugewiesen. Bereits in der ersten Zeile des Abschnittes über sie, findet sich schon ein versteckter Hinweis auf die zentrale Frage der Verortung, die hier positiv, im Sinne einer sogar herausragenden Zugehörigkeit zum „Kanon“ der „deutsch-afrikanischen Migrationsliteratur“, beantwortet wird. Riesz geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er betont: „In Deutschland gehört sie inzwischen zu den meistgelesenen (Hervorheb. der Ver.) afrikanischen Autor/innen“.[5] Amma Darko verbrachte in den 80er Jahren 6 Jahre ihres Lebens in Deutschland und versuchte vergeblich, Asyl zu erhalten. Die Erfahrungen, die sie während dieser Zeit in der „Fremde“ machte, brachten sie zum Schreiben. Mittlerweile ist die studierte, ehemalige Finanzinspektorin wieder nach Afrika zurückgekehrt und eine der wenigen hauptberuflichen Schriftstellerinnen. Sie konnte mittlerweile im Rahmen eines Stipendiums sowie im Rahmen von Lesereisen erneut den deutschsprachigen Raum besuchen, diesmal allerdings unter anderen Vorraussetzungen. Nur die beiden untersuchten Texte spielen teilweise in Deutschland, jedoch sind alle bisher veröffentlichten Romane durch die Erfahrung einer „been to“[6] geprägt. Der Großteil ihrer Leserschaft befindet sich in Deutschland, was mit Sicherheit aber auch auf ihre Publikationsgeschichte zurückzuführen ist. In einer der wenigen Arbeiten zu Amma Darko, die bisher unveröffentlicht geblieben ist, untersucht die Amerikanerin Louise Zak ihre Publikationsgeschichte. Obwohl Darko natürlich nicht nur die internationale, sondern eben auch die afrikanische Leserschaft erreichen will, um sie vor zu großem Illusionismus bezüglich des Lebens in Europa zu warnen, und sogar 1999 den Ghana Book Award erhielt, wird sie in Afrika mangels Verlagskapazitäten und Lesehaltung der Afrikaner kaum gelesen: „Difficulties in getting published – lack of publishers, inadequate financial backing, lack of marketing, lack of means for distribution of books throughout the region“.[7] Zak sieht in einem der hier behandelten und in Deutschland entstandenen Texte: „Der verkaufte Traum“, englisch „Beyond the horizon“ gar ein „deutsches“ Buch: „So in a sense, this work began its life and continues to exist as a ‚german’ book. It was not published in English until 1995”.[8] Das zweite Buch, das diese Arbeit behandelt, heisst „Spinnweben”, englisch “webs” und wurde 1996, bislang nur in Deutschland, publiziert. Tatsächlich erschienen die meisten Werke Amma Darkos in Übersetzung im Stuttgarter Schmetterling Verlag, der sie seit 1990 verlegt und viel Öffentlichkeitsarbeit für sie betreibt (Lesungen, Teilnahme an Literaturfestivals etc.).[9] „Der verkaufte Traum“ erschien zusätzlich auch bei dtv. In deutscher Sprache wurden bisher 5 Werke und eine Hörbuchfassung veröffentlicht, in englischer Sprache erschienen bislang seit 1995 demgegenüber nur 3 Werke, das letzte erst 2003 parallel zur deutschen Ausgabe. Mittlerweile erfährt Amma Darko aber auch zunehmend internationale Beachtung. Von „Der verkaufte Traum“ existiert bereits eine französische und seit neuestem auch eine spanische Übersetzung.

Wie diese Ausführungen zeigen, ist Amma Darkos Identität als Schriftstellerin auf der einen Seite durch ihren Aufenthalt, der sie zum Schreiben brachte und ihre Publikationsgeschichte, die ihre Leserschaft hauptsächlich im deutschsprachigen Raum ansiedelt, untrennbar mit Deutschland verbunden. Auf der anderen Seite wird ihr aber die Aufmerksamkeit von Seiten der interkulturellen Germanistik verweigert, weil sie in englisch schreibt und jetzt wieder in Afrika lebt, obwohl sogar das Handbuch zur deutschen, interkulturellen Literatur sie als zugehörig anerkennt. Die Lektüre der Geschichten der Ich-Figuren in ihren Büchern legt jedenfalls den Schluss nahe, dass die Autorin selbst sich in Deutschland alles andere als zugehörig gefühlt haben muss.

2.) Der theoretische Rahmen der Untersuchung: Postkoloniale Theorie

a) Das Modell kultureller Hybridität

Der Diskurshintergrund kann hier aus Gründen des Umfangs nur oberflächlich skizziert werden und folgt, soweit nicht anders angegeben, einem Aufsatz von Paul Goetsch zu den Funktionen von ‚Hybridität’ in der postkolonialen Theorie.[10]

Die postkoloniale Theorie muss eng im Kontext der Postmoderne gesehen werden, welche für erstere wegweisend war. Im Zuge der Postmoderne kam es zu einer Enthierarchisierung verschiedener kultureller Formationen in Richtung eines Nebeneinanders verschiedener Stile und einer Öffnung des kulturellen Verständnisses in Richtung Vielheit und Fragmentierung. Im Bereich der Kunst fand sich dieses Prinzip z.B. in Form der hybriden Architektur und dem Interesse für populäre Kultur seit den 60er Jahren wieder. Bachtin übertrug dieses Prinzip der Mischung verschiedener Stile auf die Alltagssprache, fand es dort z.B. in Form von Kreolisierung verwirklicht und wies damit auf die postkoloniale Theorie voraus, dessen wegweisende Vertreter Edward Said und Homi Bhabha sind.

Edward Said entlarvt in seinem Buch „Orientalism“ den Diskurs um den Orient als kulturelle Konstruktion, wobei Europa seine eigenen Projektionen auf den Orient überträgt, um diesen zu beherrschen. Damit wendet sich Said gegen ein dualistisches Kulturverständnis von Europa auf der einen Seite und Orient auf der anderen, indem er seine Konstruiertheit aufdeckt.

Bhabha geht noch einen Schritt weiter, indem er behauptet, dieser Vorgang der Konstruktion von Kultur vollziehe sich nicht nur in eine, sondern in beide Richtungen, das heißt wechselseitig zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Wie er in seinem Buch „The location of culture“ beschreibt, bedeutet dies, dass der von Said begonnene Diskurs, der das Machtverhältnis von Kolonialisierten und Kolonialisierenden festschreibt, Hybridisierungen hervorbringe. Beispielsweise müsse die Kolonialregierung vor Ort mit Einheimischen zusammenarbeiten, die ihnen erlaubt, eine Stellung zwischen den Kulturen zu erlangen. Dadurch können sie ihr Wissen einbringen und ihre Stimme erheben. So würde der Diskurs dialogisiert und könne daher unterlaufen werden. Diese Hybridisierungen decken jedoch die Problematik des Diskurses auf: Das „Andere“ des Diskurses hinterlässt nämlich eigene Spuren, da es sich nicht völlig unterdrücken lässt. Die Hybridisierung wirkt damit auf die Kolonisierenden selbst zurück: Widersprüche und Ambivalenzen der Verstrickung werden sichtbar, das eigene Selbstverständnis wird erschüttert, da die monolytische westliche Identität sich nicht so klar vom „anderen“ abgrenzen lässt wie eigentlich vom Diskurs intendiert. Die Kolonialisierenden müssen ihre eigene Hybridität anerkennen und die eigene Kultur verwandelt sich vom etwas Heimlich-vertrautem in etwas „Unheimliches“.[11] Nicht nur Bhabha, sondern auch Theoretikerinnen einer feministischen Richtung nehmen auf Freuds Aufsatz „Das Unheimliche“ bezug. Bilder, in denen sich das Moment des Heimlich-unheimlichen zeigt, benennt Bhabha z.B. in der Figur des Doppelgängers, der als Kopie des Kolonialherren auftritt, ein Aspekt, der später bei der Textanalyse wieder aufgegriffen werden wird. Da jedoch die „Mimesis“ unvollkommen ist, schrumpft die Differenz auf den rassischen Unterschied und deckt damit ein Problem der Hybridisierung auf. Allerdings erblicke Bhabha hier auch Chancen des Widerstands, wenn z.B. die christliche Botschaft einfach in die eigene Vorstellungswelt übertragen wird. Inwieweit Bhabha hier recht hat, kann im Analysekapitel kritisch hinterfragt werden. Bhabha lehnt die Idee nationaler Freiheitsbewegungen ab, da er nicht an eine „purity of culture“ glaubt. Genauso wenig in seinem Sinne sind die multikulturellen Vorstellungen eines „melting pot“.[12] Bhabha stellt sich, zusammenfassend gesagt, gegen ein zu monolythisches, fixiertes Kulturverständnis. Seiner Meinung nach ist Kultur etwas höchst dynamisches und flexibles, was vom Austausch und von performativen Handlungen lebt. Die interkulturellen Differenzen werden nicht als agonale Kräfte verstanden, sondern formieren sich immer wieder zu neuen „forms of meaning“ und „strategies of identification“[13], die jede Fixierung des Wesens einer Nation verhindern sollen. Die interkulturellen Prozesse sind dabei wie Übersetzungen: Eine Gruppe eignet sich die Normen anderer Gruppen nicht einfach an, sondern übersetzt sie in ihre eigene Sprache und es kommt zu Verfremdungen, Enthierarchisierungen, Hybridisierungen.

b) Homi Bhabhas Idee eines „third space“

“It is this third space, though unrepresentable in itself, which constitutes the discursive conditions of enunciation that ensure that the meaning and symbols of culture have no primordial unity or fixity; that even the same signs can be appropriated, translated, rehistorised and read anew“.[14]

Bhabha weist also in seinem hybriden Kulturverständnis dem Migranten einen besonderen Platz zu und meint damit in erster Linie die Migranten als „native intellectuals“, die in mehreren Kulturen gelebt haben und sich nirgends mehr richtig zu hause fühlen.[15]

Sie nämlich erschaffen zwischen den Kulturen einen sogenannten „dritten Raum“, oder „third space“, einen „Bereich, von dem aus sie immer wieder die Hybridisierung der Kulturen betreiben und das in Bewegung bringen, was in Vorurteilen, Normen und Konflikten zwischen den Kulturen fixiert zu werden droht“.[16] Die Migranten können aufgrund ihrer Erfahrungen zwischen den Kulturen oszillieren und die „stabile Instabilität“ aushalten, die die Dynamik kultureller Vermischungen mit sich bringt. Für Bhabha werden sie damit zu Kritikern der bestehenden kulturellen Verkrustungen und zu Agenten des historischen Wandels. Die Figur des Migranten löse somit den Kolonialherren ab und übernimmt die Aufgabe, ihrerseits die Entwicklungsrichtung anzuzeigen. Die Vorstellung eines kulturellen Zentrums und einer kulturellen Peripherie wird ersetzt durch einen Raum an der Grenze zwischen den Kulturen, von dem aus der Migrant als früherer Angehöriger einer marginalisierten Kultur, interkulturelle Prozesse und gar die Globalisierung vorantreiben kann.[17]

c) Feministische Positionen

Von Bhabhas Idee des „dritten Raumes“ ausgehend, haben sich feministische postkoloniale Theoretikerinnen wie Gayatri Chakravorty Spivak und Elisabeth Bronfen gefragt, was es denn bedeutet, wenn eine Frau Bhabhas Figur des postkolonialen Migranten als der eines geschlechtsneutralen Idealtypus ersetzt.

Von der Vorraussetzung ausgehend, dass das Ich, das spricht, nicht mit dem Ich identisch ist, von dem es spricht[18] präzisiert Spivak die Idee des dritten Ortes als einen, in dem das Paradox eines sprechend-gesprochenen Ichs sichtbar wird. Der dritte Ort ist dementsprechend nach Spivak jener, von dem das untergebene Ich (= the subaltern) sprechen kann. Spivak macht deutlich, dass das „Subalterne“ eine Affinität zum Weiblichen hat, weil beides in gleicher Weise vom dominanten Diskurs, einmal vom kolonialen und einmal vom patriarchalen, unterdrückt wurde. Der Diskurs der Unterdrückung des Weiblichen durch patriarchale Instanzen überschneidet sich quasi mit dem Diskurs der Unterdrückung des kolonisierten „Subalternen“. Daraus folgt, dass zwischen dem männlichem und weiblichem “Subalternen” unterschieden werden muss, wobei das Weibliche sich als doppelt kolonialisiert erweist: „For the ‘figure’ of woman, the relationship between woman and silence can be plotted by women themselves; race and class differences are subsumed under that charge.(…) Within the effaced itinerary of the subaltern subject, the track of sexual difference is doubly effected.(…) It is, rather, that, both as object of colonialist historiography and as subject of insurgency, the ideological construction of gender keeps the male dominant (Hervorheb. der Verf.). If, in the context of colonial production, the subaltern has no history and cannot speak, the subaltern as female is even more deeply in shadow (Hervorheb. der Verf.)”.[19]

Auch Elisabeth Bronfen knüpft in einer Untersuchung zu Bharati Mukherjees Roman „Jasmine“ die Frage nach der Kategorie des Weiblichen im Zusammenhang mit der Identitätssuche des „Subalternen“ in der postkolonialen Literatur auf.[20] Ihrer Meinung nach wohnt der multikulturellen Literatur eine Dialektik zwischen Ver- und Entortung inne, die sich sowohl auf geographische, sprachliche als auch kulturelle Bereiche bezieht. Demzufolge wird in dieser Literatur aus Notwendigkeit ein doppelter Blick aktiv installiert, der das wahrnehmende und schreibende Subjekt pendeln lässt zwischen der kolonialistischen und der postkolonialistischen Erfahrung. Das Subjekt bedient sich durch diesen notwendigen, doppelten Blick aktiv einer hybriden Entortung.[21] Inwieweit Bronfen mit der Annahme, dieses Verfahren sein ein aktives, recht hat, wird ebenfalls anhand von Darkos Romanen noch zu überprüfen sein. Wichtig ist, dass Bronfen die Entortung als einzig mögliche authentisch -multikulturelle Identität ansieht. Dabei folgt sie zwar Bhabhas Idee von einem „third space“, legt aber einen anderen Akzent auf diesen: An die Stelle der bei Bhabha idealisierten Idee als neue, richtungsweisende, multikulturelle Heimat des Migranten, wird bei Bronfen schlicht die Entortung selbst zum „third space“.

Interessant im Hinblick auf die Analyse von Darkos Texten ist für mich ihre Arbeit über das Beispiel Mukherjee, da sie die Suche der Protagonistin des Romans in der Verschränkung zweier entorteter Identitäten ausmacht: Der postkolonialistischen und der weiblichen. Jasmine, die Figur des Romans von Mukherjee, wird dabei zur doppelt Entorteten, die nicht erst in der Fremde entortet worden ist, sondern immer schon entortet gewesen ist, da die ethnische Problematik mit der Geschlechterdifferenz verknüpft ist. Bronfen befindet sich also mit Spivak in einer argumentativen Linie: Frauen würden, wie sie Spivak zitiert, in vielen Gesellschaften immer in die Position des „anderen“ verbannt, in die Marginalisierung, welche im Fall der „subaltern woman“ eine doppelte Unterdrückung zur Folge hat. Andererseits nimmt Bronfen auch Bezug auf Julia Kristeva, die ebenfalls eine Korrelation zwischen weiblicher und Exilserfahrung feststellt, diese jedoch psychoanalytisch begründet.[22] In der Folge wird sowohl das Fremde als auch das Weibliche zu einer Form des Unheimlichen im Sinne Freuds: Die Vorsilbe „Un“ kennzeichnet die bereits erklärte Wiederkehr des ehemals Vertrauten, „Heimlichen“ in Form des Verdrängten, Unbewussten. Beide Kulturen beherbergen ihre eigene Fremdheit in sich. Auf die weibliche Migrantin als Phantasma des „Anderen“, projiziert sich damit das verdrängte Unbewusste beider Nationen aus denen sie entstammt.[23]

Dieser diskursive Rahmen hat hoffentlich verdeutlicht, inwiefern die weibliche, postkoloniale Migrantin von einer doppelten Entortung betroffen ist. Ob sich aber die postkoloniale Theorie im hier skizzierten Rahmen für die konkrete Situation afrikanischer Migrantinnen in Deutschland, wie sie Amma Darko darstellt, als brauchbar erweist, soll im folgenden Kapitel überprüft werden. Inwieweit gelingt es Darkos Protagonistinnen, jenen Platz der Alterität, der ihnen in beiden Diskursen zugewiesen wird, zu verlassen und sich in einer eigenen Stimme einen „third space“ zu erschaffen, von dem aus sie sich als ein hybrides und zugleich weibliches Subjekt konstituieren kann, und woran scheitern sie gegebenenfalls? Um ein vollständiges Bild zu gewinnen, muss natürlich auch auf die Unterschiede, die sich in der Position der männlichen und der weiblichen Protagonisten in den beiden Büchern ausmachen lassen, bezug genommen werden.

II) Textanalytischer Teil : „Der verkaufte Traum“ und „Spinnweben“

Beide Werke schildern eindringlich die Situation zweier junger ghanaischer Frauen in Deutschland und Afrika mit unterschiedlichem Bildungs- und Herkunftshintergrund. Trotz der offensichtlichen Unterschiede weisen ihre Erfahrungen auch Parallelen auf, denen hier nachgegangen werden soll. „Der verkaufte Traum“, 1990 erschienen bei Schmetterling, 1994 bei dtv, ist eine fiktionale Geschichte, die größtenteils in Deutschland spielt und in die autobiographische Erfahrungen nur indirekt mit eingeflossen sind. „Spinnweben“, 1996 bei Schmetterling und bisher nur auf deutsch erschienen, ist eine stärker autobiographische Geschichte, in der die Autorin auf ca. 40 Seiten in fiktionaler Form ihre Erfahrungen in Deutschland literarisch verarbeitet, „a text of self-discovery“, wie Darko in einem Interview mit Louise Zak konstatiert.[24]

[...]


[1] Ashcroft, Griffiths und Tiffin, zitiert bei Bronfen 1995, S.9

[2] Bhabha 1994, S.37

[3] Riesz 2000, S.248

[4] Riesz 2000, S.257

[5] Riesz 2000, S.257

[6] ‚been to’ ist der im englischsprachigen Afrika gebräuchliche Begriff für eine/n aus Europa zurückgekehrten Landsmann oder –frau.

[7] Zak 2001, S.12

[8] Zak 2001, S.87

[9] http://www.amma-darko.de

[10] Goetsch 1997

[11] Diese Idee übernimmt er von Freuds Studie zu E.T.A Hofmanns Erzählung „Der Sandmann“ „Das Unheimliche“ In: Goetsch 1997, S.40

[12] zitiert in Goetsch 1997, S.40 ff.

[13] zitiert in Goetsch 1997, S.40 ff.

[14] Bhabha 1994, S.37

[15] Goetsch 1997, S.42

[16] Goetsch 1997, S.27

[17] Goetsch 1997, S.44 ff.

[18] nach Bronfen 1997, S.12

[19] Spivak 1995, S.28

[20] Bronfen 1995, S.9 ff.

[21] Bronfen 1995, S.10 ff.

[22] Kristeva 1990, S.199 ff.

[23] Bronfen 1995, S.15 ff.

[24] zitiert in Zak 2001, S.88. In der Arbeit finden sich mehrere Interviewstatements, die die weitest gehende Parallelität der Erfahrung in „Spinnweben“ mit Darkos Erfahrung nahe legen.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Amma Darko - Interkulturelle Literatur in Deutschland ?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und niederländische Philologie)
Veranstaltung
HS Interkulturalität und Neigung, Vermischung, Entgegensetzungen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
39
Katalognummer
V26151
ISBN (eBook)
9783638285728
ISBN (Buch)
9783638692007
Dateigröße
613 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit widmet sich einer afrikanischen Autorin, die in den 80er Jahren mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat und in der deutschen Literatur der Migration bisher wenig beachtet worden ist. Ausgehend von dieser Problematik der Verortung zwischen den Kulturen und innerhalb eines literarischen Kanons jedweder Art, untersucht die Arbeit anhand der Texte "Der verkaufte Traum" und "Spinnweben" die spezifische, von Darko dargestellte, interkulturelle Erfahrung und deckt deren Probleme auf.
Schlagworte
Amma, Darko, Interkulturelle, Literatur, Deutschland, Interkulturalität, Neigung, Vermischung, Entgegensetzungen
Arbeit zitieren
Petra Leitmeir (Autor:in), 2004, Amma Darko - Interkulturelle Literatur in Deutschland ?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26151

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