Sollen wir wollen was wir können? Ethisch-kritische Anmerkungen zur In Vitro Fertilisation sowie zur Präimplantationsdiagnostik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. TECHNIK UND VERFAHREN
2.1 In- vitro- Fertilisation
2.2 Präimplantationsdiagnostik

3. VOM KÖNNEN UND WOLLEN
3.1 In- Vitro- Fertilisation einmal näher betrachtet
3.1.1 Gibt es ein Recht auf Kinder?
3.1.2 Ist Kinderlosigkeit eine Krankheit?
3.1.3 Reproduktionsmedizin und ärztliche Ethik
3.1.4 Folgen für die Partnerschaft und die Kinder
3.1.5 Kosten und Kostenträger
3.2 Fazit
3.3. Präimplantationsdiagnostik einmal näher betrachtet
3.3.1 Dichtung und Wahrheit: was kann die PID?
3.3.2 Gibt es ein Recht auf ein gesundes Kind?
3.3.3 Zur Notwendigkeit der Präimplantationsdiagnostik
3.3.4 Die Frage nach der Verantwortung
Verantwortungsrhetorik
3.3.5 Ist die Menschwürde- Diskussion relevant?
3.4 Fazit

4. SCHLUSS

5. LITERATURVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

Die Meldung war eher klein, lediglich am Rande der Zeitungsseite unterge- bracht: ein britisches, weißes Ehepaar hatte nach erfolgreicher künstlicher Befruchtung schwarze Zwillinge bekommen. Keine Laune der Natur, keine Mulatten im Stammbaum sondern ein fataler Fehler im Labor war hier passiert. Gleichzeitig nämlich hatte sich ein schwarzes Ehepaar künstlich befruchten lassen - ohne Erfolg allerdings. Dachten sie. Denn was das weiße Ehepaar nun hat, sind genaugenommen die Kinder des schwarzen Ehepaars, zumindest genetisch gesehen. Die befruchteten Eizellen waren im Labor vertauscht und der falschen Mutter eingepflanzt worden. Das schwarze Ehe- paar möchte jetzt seine Kinder haben, die das weiße Ehepaar jedoch nicht hergeben will, da sie sich als die Eltern der Zwillinge betrachten. Dieser Fall wird die englische Justiz - in dem Bemühen, hier ein salomonisches Urteil zu finden - voraussichtlich einige Jahre beschäftigen. Was solange aus den Kindern werden soll, ist unklar. Sie werden höchstwahrscheinlich bei ihren weißen Eltern bleiben. Ob man sie dort in ein paar Jahren jedoch wegholen und dem anderen Elternpaar geben kann, ist moralisch mehr als fragwürdig.

Neben all den Heilungsversprechen, die uns aufgrund der immer neuen Möglichkeiten in der Fortpflanzungsmedizin gemacht werden, ist dies eines der Probleme, die uns eben diese Möglichkeiten bescheren werden. Wir Men- schen wagen uns hier in ein vollkommen neues, moralisch schwer faßbares Gebiet vor. Das muß per se nichts Schlimmes sein. In unserer Geschichte gab es immer wieder Neues, das uns bedrohlich erschien, wie beispielsweise die Dampfmaschine, die ersten Eisenbahnen, Dynamit usw., woran wir uns aber letzten Endes immer gewöhnt haben und das meiste davon auch nicht mehr missen möchten. Die Möglichkeiten, die sich durch die Gentechnik jedoch eröffnen, könnten durch das extrakorporale Vorhandensein von Embryonen und damit der Verfügbarkeit menschlichen Lebens unser Verständnis von Menschsein, Elternschaft und Gesellschaft im allgemeinen in einem Ausmaß verändern, das wir bisher gar nicht abschätzen können. Durch In- Vitro- Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik, verbrauchende Embryonenfor - schung und Stammzellenzucht wird auch der Mensch verstärkt Teil eines verbrauchs- und leistungsorientierten Denkens das in dieser Form nicht wünschenswert sein kann.

Am 23. Januar 2003 hat sich der Nationale Ethikrat zur Frage der Präim- plantationsdiagnostik geäußert. Trotz heftiger Kritik der Gegner befürwortet er mit einer geringen Mehrheit eine begrenzte Zulassung des Diagnose- verfahrens. Die grundsätzliche Frage, der in dieser Arbeit nachgegangen wird, ist, ob wir tatsächlich unser Verständnis von Menschlichkeit, Ethik und Moral der normativen Kraft des Faktischen, der immer wieder betonten in- ternationalen Wettbewerbsfähigkeit und der im Zuge der bedrohlichen Arbeitslosigkeit gerne thematisierten Standortdebatte unterordnen wollen und ob dies sinnvoll wäre. Exemplarisch für die ethisch- moralischen Schwierigkeiten, die sich durch den rasanten Fortschritt in Medizin und Gen- technik vor uns auftun, werden in dieser Arbeit die In- Vitro- Fertilisation und die Präimplantationsdiagnostik behandelt. Obgleich das weite Feld der verbrauchenden Embryonenforschung sowie der Stammzellenzucht eng mit der Präimplantationsdiagnostik verbunden ist, kann hier aus Platzgründen nicht darauf eingegangen werden.

2. TECHNIK UND VERFAHREN

Im Nachfolgenden werden die Begriffe „In- Vitro - Fertilisatio n“ un d „Präim- plantationsdiagnostik“ kurz erklärt, um die Grundlage der Arbeit zu definieren. Für tiefgreifendere Erläuterungen der wissenschaftlichen Fakten ist hier nicht der Raum, weshalb auf die weiterführende Literatur in den Fußnoten bzw. im Literaturverzeichnis verwiesen werden muß.1

2.1 In- vitro- Fertilisation

Die In- Vitro- Fertilisation (IVF) ist eine in Deut sc hl a n d seit den späte n 70er Jahren angewendete Methode der künstlichen Befruchtung und damit die Grundlage der Präimplantationsdiagnostik (PID), sowie der verbr a u c h e n d e n Embryonenforschung.

Am 25.07.1978 wurde das erste IVF-Kind, Louise Brown geboren. Seitdem sind schätzungsweise über 500.000 Kinder auf diese Art und Weise gezeugt worden.2 Für die IVF wird die Frau im Vorfeld einer starken Hormonbehand - lung unterzogen, die die Produktion der Eierstöcke so anregt, daß mehr als nur ein befruchtungsfähiges Ei entsteht. In manchen Fällen kann der Arzt bis zu 20 Eizellen „ernten“. Diese Eizellen werden operativ unter Kurznarkose aus den Eierstöcken abgesaugt, indem eine Hohlnadel mit Schlauchsystem per Punktion durch die Bauchdecke oder die Scheidenwand eingeführt wird. Sie werden im Labor auf ihre Qualität hin überprüft.3 Danach werden sie mit den zuvor nach Möglichkeit per Masturbation abgenommenen und aufberei- teten Spermien des Mannes „in vitro“, d.h. in der Petrischale befruchtet. Dazu wurden bisher die Ei- und Samenzelle in einer Nährlösung 18 bis 20 Stunden in einem Brutschrank gelagert, wo der Vorgang der Befruchtung sei- nen „natürlichen“ Lauf nahm. In letzter Zeit wird jedoch verstärkt mit Hilfe von ICSI (Intracytoplasmatische- Spermainjektion) befruchtet. Hierbei werden die zuvor dem Mann per Hodenpunktion oder Masturbation entnommenen Spermien eingefangen und auf eine Hohlnadel aufgezogen, um dann vom Arzt direkt in die festgehaltene Eizelle eingespritzt zu werden. Gleichgültig wie die Befruchtung geschah, finden dann in der Petrischale - in einer spezi- ellen Nährlösung - die ersten Zellteilungen bis hin zum Mehrzeller nach ca. 60 Stunden statt. Diese Embryonen werden der Frau wiederum operativ mit einer Kanüle in die Gebärmutter eingepflanzt. In der Regel sind es drei Embryonen, um die Chancen eines positiven Schwangerschaftbefundes zu vergrößern. Danach bleibt abzuwarten, ob sich einer oder mehrere der übertragenen Embryonen einnistet und sich eine Schwangerschaft etabliert. Wenn nicht, wird der gesamte Vorgang, von der extremen Hormonstimulation, über die Eierernte bis hin zum Embryotransfer, wiederholt. Dieses Prozedere kann sich über Jahre hinziehen. In Deutschland zahlen die Kassen bis zu vier Behandlungszyklen. Danach müssen Paare, die die IVF-Behandlung weiterhin fortsetzen möchten, die Kosten selbst aufbringen.4

2.2 Präimplantationsdiagnostik

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist nur in Kombina tio n mit der IVF möglich, da das extrakorporale Vorhandensein der Embryonen hierzu zwingend notwendig ist.5

Im Zuge der PID werden den befruchteten Eizellen nach 48 Stunden, also im sogenannten Furchungsstadium (sechs bis zehn Zellen), per Embryobiop- sie eine oder zwei Zellen entnommen, die sodann auf genetische Anomalien untersucht werden. So können bestimmte krankhafte Veränderungen des Erbmaterials schon vor der Einpflanzung des Embryos in den Mutterleib er- kannt werden. Auch kann man anhand der PID das Geschlecht des Embryos feststellen.

Neben dem Ziel möglichst gesunde Kinder zu erzeugen, soll mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik die Erfolgsrate der IVF, also die Anzahl erfolg- reicher Nidationen (Einnist u n g e n) mit ansc hließe n d e r Gebur t, erhö h t werde n. Da der per PID untersuchte Embryo voraussichtlich gesund ist, wird der Frau nur noch ein Embryo eingepflanzt. Die Idee dahinter ist, daß ein nach Kennt- nisstand bis dato gesunder Embryo sich mit größerer Wahrscheinlichkeit in der Gebärmutter einnistet als drei womöglich kranke. Man hofft so bei zu- mindest gleichbleibender Erfolgsquote das Problem der riskanten Mehrlings- schwangerschaften mit all ihren Folgen umgehen zu können.

Die Präimplantationsdiagnostik ist eine Selektionstechnik. Bei einem pathologischen Befund wird der betroffene Embryo verworfen und nur ein voraussichtlich gesunder wird der zukünftigen Mutter implantiert.

3. VOM KÖNNEN UND WOLLEN

Seit Monaten nun hält sich das Thema Bioethik in der Öffentlichkeit. Dennoch kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, all die Diskussionen kämen zu keinem rechten Ergebnis, da auf verschiedenen Ebenen und also aneinander vorbei geredet wird. Einerseits werden beispielsweise wissenschaftliche Fakten, Machbarkeit und die zu erwartenden Erfolge diskutiert, andererseits wird darüber räsoniert, ob sich all dies mit der Schöpfungsidee vereinbaren läßt oder welche Dammbrüche dies zufolge haben könnte. Was fehlt ist die gemeinsame Frage, ob wir das, was wir tun können auch wollen können. Mit der Stellungnahme des Nationalen Ethikrates wird der breiten Öffentlichkeit vermittelt, daß wir es ruhigen Gewissens wollen können. Diese Einschät z u n g darf un d muß bezweifelt werden.

3.1 In- Vitro- Fertilisation einmal näher betrachtet

Ohne die verschiedenen Methoden der künstlichen Befruchtung (siehe weiter unten), die dem Menschen vor allem die weiblichen Eizellen außerhalb des Körpers zugänglich machen, gäbe es keine Diskussion über Präimplanta- tionsdiagnostik. Erst die IVF schafft die notwendigen Voraussetzungen hierfür. Die Tatsache, daß die IVF seit einigen Jahrzehnten angewendet wird, bedeutet jedoch nicht, daß die Behandlung als solche nicht in Frage zu stellen wäre. Nicht alles, was gemacht wird, muß deswegen auch vertretbar und wünschenswert sein. Daß die Vertreter einer neuen Technik große Ver- sprechungen machen und noch größere Hoffnungen wecken, erleben wir nicht zum ersten Mal. Schon bei der Einführung der Atomenergie sprach man vom Ende allen Hungers, von Tomatenzucht in der Wüste, von Arbeitsplätzen, usw. Die Tatsache, daß die hiesigen Atomkraftwerke in ab- sehbarer Zeit stillgelegt werden sollen, zeigt, daß die Gefahren wohl doch höher sind als der gewonnene Nutzen. Dieser Erfahrungswert sollte in der Debatte hinsichtlich der Frage, ob die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland zugelassen werden soll oder nicht, nicht gänzlich ignoriert werden. Es muß die Frage gestellt werden dürfen, ob die gemachten Versprechungen berechtigten Anlaß zur Hoffnung geben - oder ob nicht etwa, wie in dem Beispiel mit der Atomenergie, die Gefahren größer sind als der Nutzen. Und diese Frage stellt sich bereits bei der In- Vitro- Fertilisation.

Die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung sind heutzutage vielfältig: homologe Befruchtung (Ei- un d Samen z elle des Paares), heter ologe Befruch - tung (Eizelle der Frau un d Samen z elle eines frem d e n Mannes), Eispen d e (Ei- zelle einer fremden Frau) und Embryospende (bereits befruchtete Eizelle einer fremden Frau). In Deutschland ist im Regelfall nur die homologe Befruchtung erlaubt; für die heterologe Befruchtung bedarf es einer Geneh- migung durch eine Ethikkommission. Alle anderen Arten der Befruchtung sind bisher verboten.6 In letzter Zeit lockert sich dieses Verbot langsam. In- zwischen ist es auch weiblichen homosexuellen Paaren möglich, Kinder über In- Vitro- Fertilisation zu bekommen, wofür eine heterologe Befruchtung not- wendig ist7. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß die Partnerschaft laut dem neuen Gesetz eingetragen ist. Andere Länder sind hinsichtlich der ver- schiedenen Zeugungsmöglichkeiten weniger zurückhaltend. In Amerika bei- spielsweise ist es durchaus möglich, ein Kind durch Ei- und Samen- zellspende künstlich zu erzeugen oder eine bereits befruchtete, tiefgefrorene Eizelle zu adop tier e n un d sie von einer Leihm u t t e r aust r ag e n zu lassen. Die genetischen Verwandtschaftsverhältnisse werden unüberschaubar und ver- komplizieren sich dadurch, was kaum absehbare Folgen nach sich ziehen könnte.

Der Grund, weswegen sich ein Paar einer IVF-Behandlung unterzieht, ist schnell genannt: der unerfüllte Kinderwunsch. Diese Paare möchten unbedingt ein Kind und können aus irgendeinem Grunde auf natürlichem Wege keines bekommen. Als letzter Weg zum ersehnten Kind, bleibt nur die assistierte Reproduktion. Bei den meisten dieser Paare erhält der Kinderwunsch dabei den Status eines absoluten, nicht hinterfragbaren Wertes.8

Dennoch müssen an dieser Stelle einige ethisch relevante Fragen gestellt werden:

3.1.1 Gibt es ein Recht auf Kinder?

Dieses Recht gibt es in Deutschland. Es ist jedoch ein negatives, d.h. nicht einklagbares Recht. Einem Paar, das auf natürlichem Wege Kinder bekommen möchte und kann, darf dies in der Regel nicht untersagt werden. Im Gegenteil: der Kinderwunsch eines (verheirateten) Paares wird sehr begrüßt. Eine möglichst hohe Anzahl von Geburten liegt im Interesse des durch den Bevölkerungsrückgang gekennzeichneten deutschen Staates.

Ein Paar jedoch, das zu r Erfüllun g des Kinderw u n s c h e s auf assistie r t e Re- produktion angewiesen ist, kann hierbei nicht das Recht auf Nachwuchs geltend machen. Auch das aus dem unerfüllten Kinderwunsch entstandene Leid gewährt nicht das Recht auf staatliche Hilfe. Und obgleich dieser Wunsch eben ein „nur“ negatives Recht, wird er de facto als ein so hochge- schätztes Gut betrachtet, daß seine Umsetzung die Mittel des Solidarsystems nutzen darf.9 Ein solches Verhalten spiegelt das gesellschaftliche Interesse an der Kernfamilie als Grundstock der Gemeinschaft.10 Die Förderung von In- Vitro- Fertilisation ist trotz des grundgesetzlich verbürgten Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) zumindest fragwürdig. Denn dieser verbürgte Schutz der Familie bezieht sich erst auf die bestehende Familie bzw. den be- stehenden Elternstatus. Daraus ist nicht das Recht ableitbar, auf Kosten der Gemeinschaft Kinder zu erzeugen.

3.1.2 Ist Kinderlosigkeit eine Krankheit?

Das Unvermögen, auf natürlichem Wege ein leibliches Kind zu bekommen, ist genau genommen keine Krankheit, sondern lediglich die Folge einer Krankheit, wie beispielsweise untaugliche Spermien oder einer Eileiterverkle- bung.11

Dieser wichtige Unterschied soll an einem anderen Beispiel noch verdeut - licht werden: Einem schweren Diabetiker muß das rechte Bein bis oberhalb des Kniegelenkes abgenommen werden. Er hat also ab sofort nur noch ein Bein. Das fehlende Bein wird von niemandem als Krankheit bezeichnet werden, eher als Behinderung; das Bein fehlt aufgrund der Krankheit Diabe- tes. Der Patient hat ebenso wie alle anderen Menschen ein Recht auf seine beiden Beine. Man dürfte ihm sein Bein nicht einfach so amputieren, auch er selbst nicht, dazu muß eine schwerwiegende Diagnose (hier Diabetes) und die Zustimmung des Patienten zur Amputation vorliegen. Das Abnehmen des Beines soll das Leben des Mannes retten, der andernfalls sterben würde. Wenn das Bein jedoch erst einmal ab ist, dann ist es das auch endgültig. Der Patient kann sein eigenes, leibliches Bein danach nie wieder bekommen.

Bei ungewollter Kinderlosigkeit aufgrund krankhafter Veränderungen ist es ähnlich: nicht die Kinderlosigkeit ist die Krankheit, sie ist die Folge einer Krankheit. Der angebliche Behandlungsbedarf mit In- Vitro- Fertilisation ist aufgrund dieser Tatsache rechtfertigungsbedürftig, richtet er sich doch nicht auf die Behandlung einer Krankheit. Dies sieht auch der österreichische Gesetzgeber so: „(...) Die Kinderlosigkeit könne als solche aber nicht als Krankheit bezeichnet werden, sondern bloß krankhafte Veränderungen zur Ursache haben. (...)“12 Die medi zinisc h assistier te Repro d u k tio n ist also mit - nichten eine Heilmethode; sie umgeht lediglich die Ursachen der Kinder- losigkeit, indem sie den Zeugungsakt aus dem Körper herausnimmt und ihm nachhilft. Anders ausgedrückt: „Eine körperliche Heilung [der Sterilität, Anm. K.S.] kann auch durch In- vitro- Fertilisation nicht erreicht werden. Sie er- scheint vielmehr als eine Prothese, die den sozialen Mangel beseitigt.“13 Das empfundene Leiden ist das, was behandelt wird, nicht jedoch die tatsächliche Ursache des Leidens. Es wurde nur ein Ausweg gefunden, der die Kinder- losigkeit eventuell beseitigt. Kinderlosigkeit aber ist keine Krankheit und eine In- Vitro- Fertilisation keine Heilmethode.

3.1.3 Reproduktionsmedizin und ärztliche Ethik

Leitmaxime allen ärztlichen Handelns ist es, Krankheiten wo möglich zu hei- len und Leiden wo nötig zu lindern. Die Ursachen der ungewollten Kinder- losigkeit sind durch Maßnahmen der assistierten Reproduktion kaum bis gar nicht zu heilen. Die In- Vitro- Fertilisation ist, wie oben angeführt, keine Heilmethode.

Von ärztlicher Seite gesehen ist jedoch das durch die ungewollte Kinder- losigkeit verursachte Leiden, auch wenn es eher psychisch als physisch be- dingt ist, durchaus behandlungswürdig. Dem heutigen Arzt stehen Möglich- keiten zur Verfügung, mit denen er solchen Paaren ihr Leiden nehmen kann. Er kann, ganz im Sinne des ärztlichen Selbstverständnisses, Hilfe leisten, wo Hilfe benötigt wird. Beide Seiten, der Arzt ebenso wie das hilfesuchende Paar, reagieren auf ein unmittelbar empfundenes Gefühl und handeln gesell- schaftskonform indem sie die Kinderlosigkeit zu beseitigen versuchen. Hier wird auf der einen Seite ein Leiden konstruiert und manifestiert, auf der anderen Seite wird es prompt als solches diagnostiziert und ein Ausweg in Form einer IVF-Behandlung angeboten, wenngleich manchmal andere Lö- sungsmöglichkeiten wie etwa eine psychologische Behandlung in Betracht gezogen werden sollten.

Eine IVF- Behan dl u n g ist scho n aufgr u n d der zu r Superov ulatio n notwen - digen extremen Hormongaben nicht ohne Nebenwirkungen. Es kommt vielfach zu Stimmungsschwankungen, Depressionen, Gewichtszunahme, Wassereinlagerungen im Gewebe, Übelkeit und ähnlichem. Desweiteren ist der Mediziner im Zuge der Behandlung gezwungen, mehrfach in die körper- liche Integrität der Frau einzugreifen. „Die außerkör p erliche Befrucht u n g [...] und die Einführung von Keimzellen in die Eileiter (intratubarer Gemetentrans- fer) sind invasive (d. h. in den Körper der Frau im Grunde verletzend ein- greifende) ärztliche Methoden zur künstlichen Herbeiführung einer Schwangerschaft.[...] Wenn es aufgrund der Behandlung zu einer Schwanger- schaft kommt, bestehen [...] noch beträchtliche Risiken für Leben und Gesun d- heit von Mutter und Kind. Nach erfolgter „Sterilitäts“- Behandlung wurde häu- figer als im Durchschnitt ein schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck ge- funden, fünfmal so häufig ein behandlungsbedürftiges Schwangerschafts- erbrechen. Die Schwangerschaftsbeschwerden insgesamt waren doppelt so hoch. Die Geburt war komplizierter als im Durchschnitt zu erwarten, es gab dreimal so häufig Kaiserschnittentbindungen. Mehr als doppelt so häufig wie beim Klinikdurchschnitt kam es zu Fehlgeburten, nämlich in 26 Prozent der Schwangerschaften (Stauber, 1994, S. 96)“14

Der Arzt, der eine In- Vitro- Fertilisation durchführt, sollte abwägen, ob das körperliche Leid, das eine solche Behandlung mit sich bringt, das psy- chische Leid des Paares tatsächlich aufwiegen kann. Die meisten Frauen sind aufgrund ihres Kinderwunsches allerdings bereit, vieles zu ertragen (wenn- gleich die wenigstens Frauen sich vorstellen können, auf was sie sich ein- lassen15 ). Eine umfassend aufklärende Beratung von nicht medizinischer Sei- te wäre hier wünschenswert.

Große ethische Probleme bereitet die IVF-Technik durch den Verbrauch unzähliger Embryonen, um zu einem Wunschkind zu gelangen. Da der Frau, wie erwähnt, nicht nur eine Eizelle sondern - durch die extreme Hormonsti- mulation - so viele Eizellen wie möglich entnommen werden und sie alle mit dem Sperma des Mannes (oder eines Spenders) befruchtet werden, entstehen bis zu 20 Embryonen in einem Zyklus. Bei dem 1986 in Deutschland gebo- renen berühmten „Tiefkühlbaby“ wurden der Mutter beispielsweise neun Ei- zellen entnommen und befruchtet. Alle entwickelten sich zu Embryonen. Der Mutter wurden drei implantiert, diese starben jedoch ab. Die restlichen fünf befruchteten Eizellen wurden bei -196°C in flüssigem Stickstoff tiefgefroren und ein Jahr später wieder aufgetaut. Von den fünf Embryonen haben drei das Tieffrieren überlebt. Sie wurden der Frau eingesetzt und neun Monate später gebar sie ein gesundes Mädchen. Um zu diesem einen Kind zu ge- langen, wurden acht andere Embryonen verbraucht.16 Alle Beteiligten nehmen den Verbrauch von wie hier beispielsweise acht potentiellen Lebe- wesen für ein entstandenes Leben wissentlich in Kauf.

[...]


1 vgl. Freudenberg u.a. 1990, S. 131 ff ausführlicher, aber für Laien bei de Jong, Th. 2002, S. 40ff einen wissenschaftlich- exakten Überblick gibt Kollek, R. 2002, S. 27 ff

2 vgl. Internet: www.gyn.de , 2001 (Download am 23.01.2003)

3 vgl. Internet: www.ivfzentrum.de , 2001 (Download am 23.01.2003)

4 vgl. Internet: www.ivf-programm.de, 2000 (Download am 23.01.2003)

5 vgl. Kollek, R. 2002, S. 27 ff und im Internet: www.rzbd.haw- hamburg.de sowie ZEIT Duku me n t. 2002, S. 107

6 vgl. Internet: www3.landtag- bw.de , 2002, S. 2, § 27 a SGB V (Download am 23.01.2003)

7 Diese Möglichkeit wird beispielsweise im IVF-Zentrum Bayreuth angeboten.

8 vgl. Haker, H. 2001, S. 143

9 vgl. Haker, H. 2001, S. 144 und §5 des SGB, im Internet nachlesbar unter: www.so - zialgesetzbuch- bundessozialhilfegesetz.de (Download am 23.01.2003)

10 Man könnte in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit auch noch weiter gehen und vermuten, daß die Gesellschaft ein großes Interesse daran hat, Frauen vom Arbeitsmarkt weg in die Familie zu locken, weswegen Mutterdasein und Familie verstärkt idealisiert und gefördert werden.

11 vgl. hierzu auch: Zeller- Steinbrich, G. 1995, S. 71ff. Frau Zeller- Steinbrich macht den Unterschied zwischen Krankheit bzw. Krankheitsempfinden nach Diagnosestellung wunderbar deutlich.

12 vgl. Internet: www.volksanw.gv.at (Österreich). 2002, S. 1 (Download am 23.01.2003)

13 vgl. Freudenberg, u.a. 1990, S. 134

14 vgl. Zeller- Steinbrich, G. 1995, S. 86 ff

15 Anm.: Interessant hierzu ist ein Blick in die verschiedenen IVF- Chatrooms im In- ternet, wo Frauen sich über ihre Behandlungen austauschen und gegenseitig Mut machen. Erschreckend zu lesen ist dabei, wie uninformiert Frauen sich einer der- artigen Behandlung unterziehen! Vgl. z.B. www.gyn.de oder www.kinderwunsch.de

16 Internet: www.aktion- leben.de , 2002, S. 4 (Download am 23.01.2003)

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Sollen wir wollen was wir können? Ethisch-kritische Anmerkungen zur In Vitro Fertilisation sowie zur Präimplantationsdiagnostik
Hochschule
Universität Bayreuth  (Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Ausgewählte Probleme der Bioethik
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
41
Katalognummer
V26115
ISBN (eBook)
9783638285438
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sollen, Ethisch-kritische, Anmerkungen, Vitro, Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik, Ausgewählte, Probleme, Bioethik
Arbeit zitieren
Katharina Stolte (Autor:in), 2002, Sollen wir wollen was wir können? Ethisch-kritische Anmerkungen zur In Vitro Fertilisation sowie zur Präimplantationsdiagnostik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26115

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Sollen wir wollen was wir können? Ethisch-kritische Anmerkungen zur In Vitro Fertilisation sowie zur Präimplantationsdiagnostik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden