Der Machtwechsel in Ostberlin. Von Ulbricht zu Honecker


Seminararbeit, 2004

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Vorbereitung des Machtwechsels – Das Verhältnis Ulbricht – Honecker

3. Im Vorfeld des Machtwechsels – die Politik Ulbrichts in den 60er Jahren im Innern und ihre Auswirkungen
3.1 Das wirtschaftspolitische Scheitern Ulbrichts
3.2 Das massive Versorgungsproblem im Winter 1969/70
3.3 Die neue Verfassung und das neue Strafgesetzbuch der DDR aus dem Jahr 1968 als Beispiele der Abgrenzungspolitik gegenüber der BRD

4. Die außenpolitische Situation um 1970 – Entspannung im Ost – West Konflikt nach dem Machtwechsel

5. Die Ära Honecker beginnt
5.1 Der 8. Parteitag der SED – Programmatische Grundlage der neuen Ära
5.2 Die Einleitung der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
5.3 Die liberalisierte Kultur- und Jugendpolitik Anfang der 70er Jahre
5.4 Das Verhältnis SED – KPdSU

6. Abschließende Betrachtung

7. Literatur

1. Einleitung

Von Ulbricht zu Honecker: Schlicht ein Austausch des mächtigsten Mannes der DDR? Wohl kaum. Die Geschehnisse unmittelbar vor und nach dem Mai 1971 müssen betrachtet werden, sollen Gründe, Vorraussetzungen und Auswirkungen des Machtwechsels adäquat reflektiert werden. Eine solche Perspektive schließt die Analyse der politischen Ereignisse mit ein, welche dem Machtwechsel vorausgingen sowie die Betrachtung der Neuakzentuierungen im Zuge der teilweisen Revision Ulbricht’scher Politik zu Beginn der Ära Honecker. Der Mangel an Kontinuität in der Herrschaft der SED im Zeitraum von Mitte der 60er bis Anfang der 70er Jahre offenbarte den Bürgern vor dem Hintergrund sich verändernder wirtschaftlicher Prozesse, jugend- und kulturpolitischen Reformen und deren Überarbeitung sowie der stets im Wandel begriffenen deutsch-deutschen Beziehungen, inwiefern ostdeutsche Liberalisierungstendenzen ausgelebt und letztendlich seitens der politischen Führung doch beschränkt wurden. Dies charakterisiert das Leben in der DDR der 60er und 70er Jahre maßgeblich – trotzdem unterscheiden sich die Politiken der beiden einstigen Machthaber evident.

Im Mittelpunkt steht daher nicht nur die Frage nach dem Wie, sondern auch dem Warum des Machtwechsels. Gerade im Zuge der Beantwortung der Frage nach dem Warum sind die Politikbereiche näher zu betrachten, bei deren Gestaltung Ulbricht scheiterte. Dazu wurden diejenigen Gebiete ausgewählt, deren offensichtliche Defizite seine Gegner im Zuge der Entmachtung argumentativ bekräftigten. Im Innern beispielsweise das Scheitern der Wirtschaftsreformen der 60er und ihre Folgen. Dabei stellt sich die Frage, welche DDR Ulbricht seinem Nachfolger hinterlassen hat: Welche Maßnahmen ergriff Honecker, so dass es tatsächlich zu einer Zäsur in der Politik der SED nach dem Machtwechsel kam?

Auch das Verhältnis der Machthabenden zur Bevölkerung spielt hier eine nicht unerhebliche Rolle. In diesem Zusammenhang soll fortwährend auch der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Bürger der DDR in Folge Ulbricht’scher Innen- und Außenpolitik letztendlich den Amtsantritt Honeckers mit berechtigten Hoffnungen verbanden: Welche Veränderungen der Lebensverhältnisse durch eine Umgestaltung der SED-Politik wurden ermöglicht und in welcher Form gestaltete sich das deutsch-deutsche Verhältnis nach dem Machtwechsel?

2. Die Vorbereitung des Machtwechsels – Das Verhältnis Ulbricht – Honecker

Den gesamten Prozess des Sturzes Ulbrichts betrachtend, ist der Beginn einer solchen Chronologie im Jahr 1958 unumgänglich. Im Juli des Jahres wurde Honecker zum Vollmitglied des Politbüros gewählt. In den Jahren bis 1971 „musste er noch häufig genug politischen Frondienst leisten, Selbstverleugnung und Heuchelei üben, Intrigen spinnen und Verbündete gegen seinen Herrn und Meister mobilisieren […]“[1] Honecker verstand es, das Vertrauen Ulbrichts zu gewinnen, ohne dass seine offene Loyalität der Wahrheit entsprach. Kritik am Ersten Sekretärs des ZK der SED wurde vom späteren Nachfolger beständig unterdrückt, eine Infragestellung der Richtigkeit seiner Politik ließ Honecker nicht zu – zumindest bis er später selbst den Sturz in die Wege zu leiten verhalf. Seine Drohungen gegen Kritiker auf dem 14. Plenum des ZK der SED verdeutlichen 1963 das Verhältnis zum Parteiführer. Seine eigene negative Beurteilung des so genannten Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL/NÖS) wurde erst im Nachhinein deutlich. Nicht nur das NÖS stand im Mittelpunkt der Kritik. Auch das von Ulbricht auf dem 7. Parteitag verkündete so genannte Ökonomische System des Sozialismus (ÖSS), welches dem NÖS 1968 folgte.[2] Honecker stellte in einer Betrachtung „Zur Korrektur der Wirtschaftspolitik auf der 14. Tagung des ZK der SED 1970“ die katastrophale ökonomische Lage DDR fest. Ebenso kam das Verhalten Ulbrichts in den Diskussionen im Politbüro, deren Sachlichkeit unter dessen Arroganz und Realitätsverlust litt, in diesem Zusammenhang zum Ausdruck. Trotzdem hatte Honecker den Politikstil des Ersten Sekretärs jahrelang widerstandslos hingenommen.[3]

Nicht nur in wirtschaftlichen Fragen lagen Ulbricht und die Parteiführung letzten Endes weit auseinander. Die seit den Wahlen zum 6. Bundestag 1969 in Bonn regierende sozialliberale Koalition drängte in ihrer Ostpolitik die DDR in die Defensive. Bundeskanzler Willy Brand bekannte sich in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 „[…] zur Einheit einer deutschen Nation und zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR komme nicht in Betracht; wenn auch zwei deutsche Staaten in Deutschland existieren, so seien sie füreinander doch nicht Ausland.“[4] Trotzdem hielt Ulbricht am Dialog beider Staaten fest; die Parteispitze lehnte dieses Vorgehen ab.[5]

Daneben regte sich zunehmend Widerstand in der sowjetischen Staats- und Parteiführung, indem Ulbrichts selbstgerechter Führungsstil innerhalb des Ostblocks verstärkt auf Missfallen stieß. Ulbricht betonte stets die Eigenständigkeit der DDR, wodurch sich ein eigenständiger nationaler Sozialismus entwickeln sollte. Eine entsprechende Reaktion der Sowjetunion folgte bereits kurz nach dem Sturz von Nikita Chruschtschow. Dessen Nachfolger Leonid Breschnew schilderte Honecker im Juli 1970 in einem persönlichen Gespräch, in welcher Weise Ulbrichts „Überheblichkeit […], seine Missachtung des Denkens, der Erfahrung anderer“[6] in einer Begegnung 1964 zum Ausdruck kam, indem dieser den ostdeutschen Sozialismus als beispielhaft, den sowjetischen hingegen als verbesserungswürdig charakterisierte.[7] Dieses Gespräch kennzeichnet das Verhältnis von Ulbricht zur sowjetischen Staats- und Parteiführung kurz vor seinem Sturz. Dabei genoss er noch vor der Staatsgründung der DDR übermäßiges Vertrauen seitens der UdSSR. Schon in den Jahren 1946 bis 1952 gehörte er allen zentralen Führungsgremien der SED an, was in erheblichem Maß mit seinem hervorragenden Verbindungen zur sowjetischen Militäradministration in der Sowjetischen Besatzungszone und der Parteiführung der KPdSU in Moskau zusammenhing.[8]

Honecker, „Anführer einer Gruppe von Gegnern in der SED-Spitze“[9], wurde schließlich die eigene spätere Machtübernahme durch den sowjetischen Machthaber zugesichert. Auslöser war ein Brief von Mitgliedern und Kandidaten des SED-Politbüros an das Politbüro der KPdSU und damit Leonid Breschnew vom 21. Januar 1971. Darin wird jenes vorgeschlagen, was in der Folge tatsächlich stattfand, nämlich die Ämter des Staatsratsvorsitzenden und des Ersten Sekretärs des ZK der SED zu trennen und Ulbricht allein den Staatsratsvorsitz zu überlassen, wobei dessen Kompetenzen eingeschränkt und unter Kontrolle des Politbüros gestellt wurden, sowie ihn zum Vorsitzenden der SED zu wählen. Begründet wurde die geplante Entmachtung Ulbrichts unter anderem damit, dass das Schlusswort, welches er auf der 14. Tagung des Zentralkomitees im Dezember 1970 hielt, „[…] in seiner Grundtendenz nicht mit dem, was auf dieser Tagung gesagt wurde, und unserer gemeinsamen Linie übereinstimmte. Das Politbüro war gezwungen, die Veröffentlichung dieses Schlusswortes abzulehnen.“[10] Dadurch wird die Auffassung der Gegner Ulbrichts ebenso deutlich, wie in der Kritik an seinen wirtschaftlichen Fehleinschätzungen, die in einer auch nach damaligen Verhältnissen wissenschaftlich fragwürdigen Vorausschau bis zum Jahr 1990 gipfelten und „erneut die Partei auf irreale Ziele zu orientieren“[11] versuchten – so etwa eine jährliche Zuwachsrate der Industrieproduktion und der Arbeitsproduktivität von 10% zu erreichen.[12]

Bereits im Juli 1970 führte Honecker mit Breschnew hinter dem Rücken Ulbrichts ein Gespräch, nach welchem er sich sicher sein konnte, die Unterstützung des sowjetischen Staats- und Parteichefs auf dem Weg an die Spitze der Macht zu erhalten.[13] Ende April 1971 reiste der Honeckervertraute Werner Lamberz, seit 1970 Kandidat und 1971 Mitglied des Politbüros[14], in einer geheimen Mission nach Moskau, um die Entmachtung Ulbrichts endgültig zu besiegeln. Er überbrachte das „grüne Licht“[15] und Walter Ulbricht bemerkte in diesem Zuge auch, dass Widerstand gegen seine Absetzung jeglichem Sinn entbehrte und trat offiziell aus Gründen seines fortgeschrittenen Alters und der Gesundheit am 3. Mai 1971 zurück. Das Zentralkomitee der SED wählte Honecker zu seinem Nachfolger.[16] In den Medien der DDR wurde der Machtwechsel seitens der SED folgendermaßen dargestellt:

„Das Zentralkomitee der SED beschloss einstimmig, der Bitte des Genossen Walter Ulbricht zu entsprechen und ihn aus Altersgründen von der Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees zu entbinden, um diese Funktion in jüngere Hände zu geben.“[17]

Eine weitere signifikante politische Einflussnahme des einstigen mächtigsten Mannes der DDR wurde dadurch verhindert, dass Ulbricht „[…] systematisch aus allen Positionen und Funktionen herausgedrängt“[18] wurde. Dieser hatte als neuer Vorsitzender der SED – ein Posten der im Statut der SED nicht vorgesehen war – und weiterhin als Staatsratsvorsitzender keine Möglichkeiten der Mitgestaltung. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass der Staatsrat seine politischen Kompetenzen weitgehend verloren hat, nachdem auf Beschluss der Volkskammer Mitte Oktober 1972 die Rechte des Ministerrats erweitert wurden.[19] Somit verblieben ausschließlich repräsentative Aufgaben. Erst als Honecker als Nachfolger von Willi Stoph, welcher 1973 Ulbricht nach seinem Tod in dieser Funktion beerbte, 1976 das Amt des Staatsratsvorsitzenden selbst übernahm, gewann diese Funktion nahezu die alte Bedeutung zurück.[20] Zuvor, am 24. Juni 1971, übernahm der neue Erste Sekretär des ZK der SED auch den Vorsitz im Nationalen Verteidigungsrat und damit der obersten Entscheidungsebene des Gremiums für Landesverteidigung und die innere Sicherheit.[21]

[...]


[1] Przybylski, Peter: Tatort Politbüro. Die Akte Honecker, Bd. 1, Berlin 1992, S.101.

[2] Vgl. Heydemann, Günther: Entwicklung der DDR bis Ende der achtziger Jahre, in: Informationen zur politischen Bildung 270, Deutschland in den 70er/80er Jahren, Bonn 2001, S. 19 – 33, hier S. 19.

[3] Vgl. Przybyslki: Tatort Politbüro, S. 102 f.

[4] Lehmann, Hans Georg: Deutschland-Chronik 1945 bis 2000 (= Schriftenreihe, Bd. 366), Bonn 2002, S. 215 f.

[5] Vgl. Heydemann: Entwicklung der DDR, S. 19.

[6] Mählert, Ulrich: Geschichte der DDR 1949 – 1990, Erfurt 1997, S. 47.

[7] Vgl. ebd., S. 47.

[8] Vgl. Kaiser, Monika: Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972 (= Zeithistorische Studien, Bd. 10), Berlin 1997, S. 29.

[9] Heydemann: Entwicklung der DDR, S.19.

[10] SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED (hier Büro Honecker), Nr. 41 656, o. Bl., in: Judt, Matthias (Hrsg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse (= Schriftenreihe, Bd. 350), Bonn 1998, S. 552.

[11] Ebd., S. 552.

[12] Vgl. ebd., S. 552.

[13] Vgl. Kaiser: Machtwechsel, S. 380 f.

[14] Vgl. Müller-Enbergs, Helmut/ Wielgohs, Jan/ Hoffmann, Dieter (Hrsg.): Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon, Bonn 2001, S. 496.

[15] Mählert: Geschichte der DDR, S. 48.

[16] Vgl. ebd., S. 46 ff.

[17] Ebd., S. 46 – 47.

[18] Heydemann: Entwicklung der DDR, S. 19.

[19] Vgl. Borowsky, Peter: Die DDR in den siebziger Jahren, in: Informationen zur politischen Bildung 258, Zeiten des Wandels. Deutschland 1961 – 1974, Bonn 1998, S. 40 – 44, hier S. 42.

[20] Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Zur Geschichte der DDR. 40 Jahre unter Ulbricht und Honecker, Bonn 1988, S. 100.

[21] Vgl. Borowsky: Die DDR in den siebziger Jahren, S. 42.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Machtwechsel in Ostberlin. Von Ulbricht zu Honecker
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Zur Geschichte einer geschlossenen Gesellschaft. Die DDR 1961 - 1989.
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V25218
ISBN (eBook)
9783638279147
ISBN (Buch)
9783638730310
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Machtwechsel, Ostberlin, Ulbricht, Honecker, Geschichte, Gesellschaft
Arbeit zitieren
M.A. Stefan Waldheim (Autor:in), 2004, Der Machtwechsel in Ostberlin. Von Ulbricht zu Honecker, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25218

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