Der St. Galler Klosterplan. Entwurf des idealen Benediktinerklosters


Hausarbeit (Hauptseminar), 1991

19 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Klostergebäude und ihre Benutzer: Funktionale Gliederung der Gesamtanlage
2.1 Die Klosterkirche
2.2 Das Klaustrum
2.3 Der Abt
2.4 Kranke und Novizen
2.5 Der Wirtschaftsbereich
2.6 Gäste
2.7 Die Oblaten

3 Idealplan oder Bauplan?

4 Die Entstehung des Plans

5 Die Anianische Klosterreform
5.1 Das Wirken Benedikts von Aniane
5.2 Die Beschlüsse der Aachener Reformsynoden und der Klosterplan
5.3 Der Ursprung des Entwurfs

6 Fazit

Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur
Quellen
Literatur

Einleitung

Der St. Galler Klosterplan zeigt den Grundriss der Gesamtanlage eines karolingischen Benediktinerklosters. Er wurde kurz vor 830 auf der Reichenau für den St. Galler Abt Gozbert angefertigt, welcher den Neubau seiner Abtei plante. Der Plan, der noch heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt wird,[1] ist auf einem Kalbspergament vor 112 cm x 77,5 cm, das aus fünf kleineren Blättern zusammengenäht ist, in mennigroter Tinte gezeichnet und in braunschwarzer Tinte beschriftet. Die Anlage, abgebildet im Maßstab 1 : 192,[2] umfasst mehr als 40 Gebäude, deren Funktionen durch Tituli und Sinnbilder bestimmt werden.

Allerdings handelt es sich nicht um einen spezifisch auf das St. Galler Projekt abgestimmten Ausführungsplan, sondern um einen Idealentwurf, der den für ein monastisches Leben gemäß der Regula Benedicti notwendigen architektonischen Rahmen vorgibt. Dennoch wäre der Entwurf, begreift man ihn als Schnurplan, durchaus baulich umsetzbar.

Die Benediktsregel behandelt in erster Linie die Lebensweise der Mönche, nicht die architektonische Gestalt ihres Wohnortes. Die Vorschriften der Regel bedingen jedoch direkt oder indirekt das Vorhandensein diverser Baulichkeiten. Die Entstehung dieses Idealplanes steht in Zusammenhang mit der Klosterreform Benedikts von Aniane und der Aachener Reformsynoden von 816/17. Ziel der Reform, die sich nahtlos in die Politik Ludwigs des Frommen einfügte, war die Einführung der Ordensregel Benedikts von Nursia als alleingültige Regel für sämtliche Klöster des Frankenreiches. Dass den Äbten als Anleitung für den Bau einer adäquaten Klosteranlage ein derartiger Musterplan, von dem vermutlich weitere Exemplare in Umlauf waren, an die Hand gegeben wurde, erscheint plausibel. Die Frage, inwieweit der St. Galler Klosterplan die Anweisungen der Regula Benedicti und der Aachener Synoden umsetzt, soll Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein.

Als ziemlich einzige erhaltene Bauzeichnung aus der Zeit vor 1200 hat der Klosterplan eine immense Aufmerksamkeit auf sich gezogen - die Zahl der Autoren, die sich mit ihm beschäftigt haben, ist unübersehbar. An dieser Stelle werden vorwiegend zwei Arbeiten herangezogen: das groß angelegte dreibändige Werk von Walter Horn und Ernest Born: „The Plan of St. Gall“[3] und die kurz darauf erschienene Untersuchung von Konrad Hecht: „Der St. Galler Klosterplan.“[4]

Die Klostergebäude und ihre Benutzer: Funktionale Gliederung der Gesamtanlage

Das Plankloster umfasst innerhalb eines annähernd rechteckigen Areals über 40 Einzelgebäude, die für alle zur Klostergemeinschaft gehörenden Personengruppen und für sämtliche Funktionen die nötigen Räumlichkeiten bieten. Um die Klosterkirche herum gruppieren sich, grob gegliedert, vier unterschiedliche Bereiche.

Den zentralen und wichtigsten Bereich bildet das eigentliche Mönchskloster mit dem an die Südseite der Kirche angrenzenden Kreuzgang, umgeben von Dormitorium, Refektorium und Vorratshaus sowie über Gänge angeschlossenen Nebengebäuden. Dazu gehören ferner Sakristei und Bibliothek, die in die Winkel zwischen Querhausarmen und Chor eingestellt sind.

In der Nordostecke, also im ruhigsten Teil des ganzen Geländes, leben diejenigen Mönche, die noch nicht oder nicht mehr der strengen Regel unterworfen sind: Novizen und Kranke. Jeder Gruppe steht ein eigenes vollständiges Klaustrum im Kleinen zur Verfügung; so entsteht ein symmetrischer Baukomplex mit Kreuzgängen beiderseits einer Doppelkirche, die in der Achse der Hauptkirche steht. Unmittelbar daneben liegen Gärten und Friedhof.

Entlang der Südgrenze des Klosterbezirks erstrecken sich die Wirtschaftsgebäude. Hinter dem Kreuzgang schließen sich die Werkstätten an, während die landwirtschaftlichen Gebäude auf die beiden Eckzonen verteilt sind: im Südosten Geflügelhäuser, Gärtnerei und Scheune, im Südwesten die Stallungen.

Das Kloster besitzt nur einen einzigen Zugang von außen,[5] der von Westen geradlinig auf die Abteikirche zuführt. Den Bereich westlich und nördlich der Kirche könnte man als der Außenwelt aufgeschlossen bezeichnen: hier befinden sich die Unterkünfte für Pilger und Arme, für hochrangige Laiengäste und deren Gefolge. Östlich des Gästehauses schließt sich die Schule an, dahinter folgt die Abtspfalz, in der auch hohe geistliche Gäste untergebracht werden. Für durchreisende Ordensbrüder sind zwei unmittelbar an die Basilika angelehnte Räume vorgesehen.

Alles in allem sind die Räumlichkeiten so angeordnet, dass jede Gruppe einen separaten Bereich bekommt. Man begegnet sich nur dort, wo es zwingend erforderlich ist. Lange Wege werden vermieden. Jedem Wohnkomplex werden die erforderlichen Versorgungs- und Sanitäreinrichtungen zugeordnet. Grund für die Aufsplittung in eine große Zahl von freistehenden Einzelgebäuden ist die Furcht vor Brandschäden.

Im Plan ist auf eine äußere Begrenzung des Klosterkomplexes verzichtet worden; denkbar wären Wassergraben und Umfassungsmauer.

Aus der Anzahl der Bettstellen und der Grundfläche der verschiedenen Unterkünfte lässt sich auf die Zahl der im Kloster lebenden Personen schließen. Im Dormitorium der Mönche stehen 77 Betten, im Kranken- und Novizentrakt finden je 12 weitere Platz. Rechnet man die separat wohnenden Amtsträger hinzu, dürfte der Konvent aus rund 110 Mönchen bestanden haben. Das Refektorium bietet 120 Sitzplätze. Mitsamt der familia zählte die Klostergemeinschaft ca. 350 Personen.[6]

2.1 Die Klosterkirche

Die Abteikirche ist eine dreischiffige Basilika mit Querhaus und je einer Apsis im Westen und im Osten, die von halbrunden Atrien umgeben sind. Zwei isoliert stehende Rundtürme flankieren das Westatrium; von hier betreten die Laien die Seitenschiffe der Kirche. Das auffallend gestreckte Langhaus gliedert sich in neun Joche; immer zwei Mittelschiffsjoche bilden ein Quadrat von 40 x 40 karolingischen Fuß. Horn / Born sehen ein 40'-Raster als Planungsgrundlage für die ganze Kirche an.[7] Vierung und Querhausarme haben gleichfalls einen quadratischen Grundriss, während der Chor rechteckig ist.[8] Das Altarhaus ist um sieben Stufen angehoben. Darunter liegt das Grab des heiligen Gallus, zu dem, ähnlich der Confessio in St. Peter in Rom, eine tonnengewölbte Winkelstollenkrypta führt. Im Chor steht der Hochaltar, Maria und Gallus geweiht, in der dahinter liegenden Apsis der Paulusaltar und in der Westapsis der Petrusaltar.[9] Im Mittelschiff sind Taufbecken und Altar der beiden Johannes, Kreuzaltar und Ambo aufgestellt, in den Seitenschiffen jeweils vier Nebenaltäre. Schranken trennen Chor, Vierung und die östlichen 1½ Joche des Mittelschiffs ab: dieser Raum stellt die eigentliche Mönchskirche dar. Ebenso abgeteilt sind die Querhäuser und die Altäre im Langhaus. Der nördliche Querhausarm fungiert als Privatkapelle des Abtes. Pilger und Laien haben Zutritt nur zum Langhaus und zur Krypta.

Die Kirche ist im Plan mit einer Länge von rund 300' dargestellt, das entspräche der Länge der Lateransbasilika. Die beigefügte Inschrift gibt jedoch nur ein Maß von 200' an. Für diese Verkürzung, die mit dem Rest der Gesamtanlage nicht vereinbar ist, hat die Forschung noch keine überzeugende Erklärung gefunden.[10]

Das Vorspringen des Querhauses nach außen tritt im Grundriss nicht in Erscheinung, denn in die Winkel sind Anbauten eingestellt, die mit den Querhausfassaden fluchten. An das Langhaus angelehnt sind die Wohnungen für die Gastmönche, den Schulmeister, den Pförtner und den Pilgermeister. Die Anbauten zwischen Querhausarmen und Chor sind zweigeschossig: der auf der Nordseite beherbergt im Erdgeschoß das Skriptorium und im Obergeschoss die Bibliothek, sein Gegenstück im Erdgeschoß die Sakristei und darüber einen Raum für die liturgischen Gewänder. Von der Sakristei erreicht man durch einen Gang ein kleines separates Gebäude, in dem die Hostien und das heilige Öl zubereitet werden.

2.2 Das Klaustrum

Das Klaustrum bildet den eigentlichen Lebensraum der Mönche:

„As the monastery came structurally to resemble a large manorial estate, monastic integrity demanded the creation of an inner enclosure that would isolate the brothers from the serfs and the laymen and, at the same time, make it possibile for the latter to live as close to the brothers as their tasks required. Creating a cloister answered this problem. It established a monastery within the monastery. (...) Except for the times when he worked in the fields or helped to reap the harvest, or those rare occasions when he was away on journeys, the entire life of the monk was spent in this enclosure.“[11]

[...]


[1] Stiftsbibliothek Sankt Gallen, Cod. Sang. 1029.

[2] 1 : 192 = 1 : (16 x 12). 1/16 eines karolingischen Zolls auf dem Plan entspricht einem karolingischen Fuß (= 12 Zoll) in der Realität.

[3] Horn, Walter, and Born, Ernest: The Plan of St. Gall. A Study of the Architecture and Economy of, and Life in a Paradigmatic Carolingian Monastery. 3 Bde. Berkeley / Los Angeles / London 1979.

[4] Hecht, Konrad: Der St. Galler Klosterplan. Sigmaringen 1983.

[5] Wenn es tatsächlich nur diesen einen Zugang geben sollte, hieße das, dass man das Vieh durch das Paradies vor der Kirche treiben und die Ernte auf diesem Weg einfahren müsste ‑ die geringe Breite der Türen macht diese Vorstellung schwierig. Ein Extrazugang zum Wirtschaftsbereich, der mit Wagen befahrbar ist, wird im Plan nicht angegeben, wäre aber zweckmäßig.

[6] Horn / Born Bd. 1 S. 342.

[7] Ebd. S. 96.

[8] Hecht S. 92f. sieht darin einen Zeichenfehler des Kopisten.

[9] Hecht S. 264: Die Altartituli verweisen auf die Hauptkirchen Roms.

[10] Horn / Born (Bd. 1 S. 104) sehen in der Verkürzung der Kirche eine Entscheidung der 2. Aachener Synode: „The churchmen who prescribed this change demolished one of the most precious and most innovative aspects of the Plan: its square schematism. (...) We are faced here with a manifestation of the age-old conflict between architectural creativity and administrative control...“ - Hecht (S. 336f.) hält sie dagegen für zusätzliche, auf die St. Galler Verhältnisse bezogene Ratschläge des in Baufragen erfahrenen Heito für seinen Kollegen Gozbert.

[11] Horn / Born Bd. 1 S. 241.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der St. Galler Klosterplan. Entwurf des idealen Benediktinerklosters
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Kunstgeschichtliches Institut)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1991
Seiten
19
Katalognummer
V24919
ISBN (eBook)
9783638276818
ISBN (Buch)
9783638760072
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Galler, Klosterplan, Entwurf, Benediktinerklosters
Arbeit zitieren
Kathrin Ellwardt (Autor:in), 1991, Der St. Galler Klosterplan. Entwurf des idealen Benediktinerklosters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24919

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