Sexueller Kindesmissbrauch aus kriminologischer Sicht


Hausarbeit, 2004

28 Seiten, Note: 13 von 15 möglichen Punkten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einführung in die Thematik des sexuellen Kindesmißbrauchs (SKM)

3. Strafrechtliche Seite des SKM

4. Dunkelfeldproblematik

5. Phänomenologie des SKM
5.1 Einige Fakten zu den Kennzeichen des SKM

6. Exemplarische Falldarstellung
6.1 Tathergang und „Modus Operandi“
6.2 Der Täter (Erklärungsansätze)
6.3 Das Opfer (Viktimologie)

7. Prävention
7.1 Primärprävention
7.2 Sekundärprävention
7.3 Tertiärprävention

8. Schlußwort

9. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

„Aufgrund des am 01.03. diesen Jahres im belgischen Arlon begonnenen Prozesses gegen den mutmaßlichen Kinderschänder

Marc Dutroux

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[1]

und seine Komplizen“[2] und die damit verbundene aufkeimenden Aktualität des Themas sexueller Kindesmißbrauch (SKM) habe ich mich entschieden, anhand eines praktischen Falles allgemeine und spezielle Aspekte dieser Deliktsart aufzuzeigen.

Hierbei soll das Delikt in kriminologischer Hinsicht beleuchtet werden.

Eine exakte Abgrenzung zwischen Kriminologie und Psychologie wird hierbei nicht möglich sein, da gerade die Kriminologie ihre Theorien zu einem nicht geringen Teil auf psychologischen Erkenntnissen aufbaut.

Der von mir ausgewählte Fall zeichnet sich besonders dadurch aus, daß mehrere Zeugenaussagen über die Gesamtumstände der Tat vorliegen und das der Täter ein mehr oder weniger gut verwertbares Geständnis abgelegt hat, so daß es möglich wird, gewisse Strukturen und Motivationen exemplarisch darzustellen.

Die Gesamtzusammenhänge des Falles werden hinreichend deutlich, wenngleich die Arbeit natürlich kein Gutachten über Täter und Opfer sein kann.

2. Einführung in die Thematik des sexuellen

Kindesmißbrauchs (SKM)

Definition:

Sexueller Mißbrauch von Kindern ist jede sexuelle Handlung eines Erwachsenen mit einem Kind. Kinder sind aufgrund ihrer emotionalen und kognitiven Entwicklung und aufgrund des Abhängigkeits- und Machtverhältnisses zwischen Kindern und Erwachsenen nicht in der Lage, diesen Handlungen wissentlich, informiert und frei zuzustimmen (`informed consent´).Beim Mißbrauch nutzt der Erwachsene seine Machtposition und Autorität aus, um das Kind zur Kooperation zu überreden oder zu zwingen. Er übertritt dabei geltende Familienregeln und gesellschaftliche Tabus. Entscheidend ist die Absicht des Erwachsenen, sich einem Kind zu nähern um sich sexuell zu erregen oder zu befriedigen.[3]

(modifiziert nach Kempe 1979 und Sgroi 1982)

Das Thema des sexuellen Kindesmißbrauchs, im Folgenden abgekürzt durch SKM, ist ein Deliktsbereich, der schon immer existiert hat. Aber gerade in der jüngsten Vergangenheit erscheinen immer wieder spektakuläre Fälle in den Medien, wie etwa im April 2003 die sexuell mißbrauchte und ermordete 9jährige Sonja aus Eschweiler.[4]

Die Ausbeutung der Kinder in sexueller Hinsicht ist ein globales Problem, was unter anderem die Kinderprostitution in Asien sehr deutlich zeigt oder auch die Kinderpornographie, die sich längst zu einer milliardenschweren „Industrie“ entwickelt hat.

Es sind aber auch die extremen Auswüchse eines Deliktbereichs, der vielfach unentdeckt und außerhalb der Öffentlichkeit in Familien oder sonstigen sozialen Gemeinschaften stattfindet, wo auch immer Kinder mit Erwachsenen in Kontakt kommen.

Gravierend sind die psychischen Folgen für mißbrauchte Kinder, die sich ja noch in jeder Hinsicht in der Entwicklung befinden, da SKM für diese jungen Menschen oftmals ein lebenslanges Trauma bedeutet.

Insofern ist SKM ein Kapitalverbrechen. Dazu später mehr.

Die Ausmaße des SKM sind gerade deshalb so erschreckend und alarmierend, da besonders im Feld der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung die Dunkelziffer als sehr hoch anzunehmen ist. Näheres hierzu habe ich in der Dunkelfeldproblematik ausgeführt.

Das Thema ist gerade auch deshalb so brisant, weil es in der Öffentlichkeit meist zu emotionsgeladenen Reaktionen führt, wenn Fälle bekannt werden und das Delikt so aus dem Verdrängen des Gesellschaftsgewissens hervortritt.

Schnell werden dann Stimmen laut, die die Todesstrafe wieder einführen wollen oder die Forderungen nach generell härteren Strafen ohne vorzeitige Entlassung der Täter stellen.

Es ist ein Thema, welches tabuisiert wird, insbesondere von denen, die solchen Geschehnissen am nächsten stehen.

SKM ist, wie die Ubiquitätsthese lehrt, ein Delikt, welches über alle Gesellschaftsschichten gleichmäßig verteilt ist. Die Erfahrung zeigt, daß es weder vom Intellekt, Beruf, Gesellschaftsstatus, Wirtschaftskraft noch von ähnlichen Dingen abhängt, ob jemand zum Kinderschänder wird oder nicht.

3. Strafrechtliche Seite des SKM

Primär sind die Paragraphen

- 176 StGB „Sexueller Mißbrauch von Kindern“,
- 176a StGB „Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern“ und
- 176b StGB „Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge“[5]

einschlägig.

Sie schützen das Recht des Opfers auf sexuelle Selbstbestimmung bzw. die ungestörte Entwicklung von Kindern, insbesondere deren Sexualentwicklung.

Daher hat das Delikt einen potentiellen Gefährdungscharakter und bleibt somit abstrakt, da es keiner konkreten Gefahr für die kindliche Entwicklung bedarf.

Der Tatbestand umfaßt nicht nur den Koitus, sondern auch:

- die Vornahme sexueller Handlungen am Kind, in Gegenwart des Kindes oder auch durch das Kind am Täter
- die Bestimmung zu aktivem oder passivem Handeln mit oder vor Dritten
- optisches bzw. akustisches Sichtbar- bzw. Hörbarmachen von pornographischen Inhalten
- das Führen obszöner Reden
Der subjektive Tatbestand erfordert mindestens bedingten Vorsatz. §176 ist ein Vergehen, der Versuch ist strafbar (Ausnahme: Abs. 3, Nr. 3).

§§ 176a und 176b StGB sind Verbrechen.

4. Dunkelfeldproblematik

Wie bei den meisten Delikten bzw. Straftaten die statistisch ausgewertet werden, spielt das Hell- und Dunkelfeld bzw. seine Einschätzung eine Rolle dafür, welche gesellschaftlichen und politischen Maßnahmen dem Delikt entgegengestellt werden.

Das Hellfeld umfaßt dabei ausschließlich die strafrechtlich als Kindesmißbrauch definierten Fälle, also die nach den Tatbeständen des StGB verfolgbaren Straftaten, die zur Anzeige gebracht werden.

Dem steht das Dunkelfeld gegenüber, welches naturgemäß nicht exakt bestimmbar ist, da verläßliche Daten nicht existieren.

Im Dunkelfeld finden sich die Straftaten, die nicht zur Anzeige gebracht worden sind, die den Verfolgungsbehörden also nicht bekannt wurden, sowie auch die nicht zur Ausführung gelangten sexuellen Kindesmißbräuche, die nicht meßbar sind, da es keine Indikatoren hierfür gibt.

Außerdem fallen auch die nicht als SKM erkannten oder definierten Taten hierunter.

Es läßt sich gerade im Bereich des SKM feststellen, daß allgemein sehr unterschiedliche Spekulationen darüber vorliegen, wie groß das Dunkelfeld dieses Delikts einzuschätzen ist. „So schätzt das BKA die Relation zwischen Hell- und Dunkelfeld auf 1:8 bis 1:15.“[6]

Andere Schätzungen gehen von einer noch größeren Dunkelziffer aus.

Grundlage für Aussagen über das Dunkelfeld im Bereich des SKM kann eigentlich nur die Befragung von Tätern, Opfern und anderen Informanten sein. Auch die Bewertung der Erkenntnisse der Deliktsphänomenologie kommt dafür in Betracht.

In diesem Zusammenhang ist auffällig, daß es ganz entscheidend von den Aufgaben bzw. Funktionen der Stellen oder Institutionen abhängt, die sich auf diesem Feld betätigen, wie weit die Spekulationen über das Dunkelfeld gehen. Dies mag auf die jeweiligen Voreingenommenheiten und Erwartungen, aber auch auf unterschiedliche Grundlagen der Informationsgewinnung zurückgehen. So werden etwa radikal feministische Organisationen eine hohe Dunkelziffer annehmen, während sich die Polizei womöglich eher gemäßigt über die Größe des Dunkelfeldes äußert.

Erschwerend für Schätzungen kommt die Tatsache zum Tragen, daß die Täter oftmals aus dem sozialen Nahbereich des mißbrauchten Kindes stammen, so daß soziale Bindungen oder Beziehungen ein Heraustreten der Tat aus dem Dunkelfeld verhindern.

Die Gründe dafür, warum diese Mißbräuche nicht angezeigt werden können darin liegen, daß man z. B. Angst vor den Konsequenzen hat, die für das Opfer eine gedankliche Wiederholung und somit ein nochmaliges Erleben bedeuten würden. Mißtrauen in die Justiz und die Bedeutung der Strafverfolgung können ebenfalls ausschlaggebend sein. Es kann Scham hinzutreten oder eine Angst vor sozialer Ächtung der Familie. Auch die Angst vor finanziellen Schwierigkeiten, wenn z. B. der Ernährer der Familie verurteilt würde, kann gegeben sein. Rücksichtnahme auf den Täter aus den eigenen Reihen oder gar die Drohung des Täters kann auch zur Nichtanzeige führen.

Ganz wesentlich ist aber, daß ein Kind, welches auf sich allein gestellt ist, keine Chance hat, daß an ihm verübte Unrecht bekannt zu machen, wenn es Schuldgefühle, Scham oder Angst hat und die trotz allem geliebte Bezugsperson nicht verlieren möchte.

Als weiterer Grund könnte fehlende sprachliche Ausdrucksfähigkeit eines Kindes dafür angeführt werden, daß SKM nicht zur Anzeige gelangen kann und das um so eher, je jünger das Kind ist.

C Aufgrund dieser Annahmen muß man bei dieser Deliktsart von einem erhöhten Wert der Dunkelziffer, also von einem hohen Dunkelfeld ausgehen.

Die einzig verläßlichen Aussagen, die man über das Dunkelfeld treffen kann sind zum einen, daß das Dunkelfeld grundsätzlich größer ist, als das Hellfeld, weil weniger zur Anzeige gelangt als umgekehrt.

Und zum anderen das Versuche in verhältnismäßig geringem Umfang bekannt werden, im Gegensatz zu vollendeten Straftaten.

5. Phänomenologie des SKM

Die Erscheinungsformen des SKM sind sehr vielseitig. Regelmäßig handelt es sich hier um sexuelle Handlungen, die dem Kind vorgeführt oder an ihm selbst vorgenommen werden und solche, die der Täter an sich oder Dritten vornehmen läßt, z. B. Kinderpornographie.

Immer wird die Überlegenheit eines Erwachsenen dazu benutzt, um Einfluß auf das Kind dahingehend auszuüben, daß es sexuellen Handlungen ausgesetzt wird, die durch aktives oder passives Verhalten gekennzeichnet sind.

SKM kann seitens des Täters mit körperlicher Gewalt oder psychischer Einflußnahme durchgesetzt werden. Das bedeutet für das Kind in jedem Fall Hilflosigkeit gegenüber dem meist erwachsenen Täter. Die Kinderschänder können aus dem sozialen Umfeld des Kindes stammen, was auch meist zutrifft, oder Freunde sein, wobei der psychische Druck dem das Kind ausgesetzt ist um so größer wird, je näher der Täter in seiner Beziehung zum Opfer steht.

5.1 Einige Fakten zu den Kennzeichen des SKM

- Ort:

SKM ist kein Phänomen des fremden Mannes von der Straße oder eines „Buschspringers“.[7]

In etwa „60% der Fälle“[8] handelt es sich um innerfamiliären Inzest (davon die Hälfte vollzogen durch die Väter).

In „ca. 30% der Fälle um Bekannte und nur bei ca. 6 bis 8% um Fremde.“[9]

- Häufigkeit:

SKM ist nicht selten oder eine Ausnahmeerscheinung.

Nach zahlreichen Untersuchungen liegt die Prävalenz im Prozentbereich und ist damit häufig !

Genaue Zahlen sind wegen schlechter Vergleichbarkeit der Untersuchungen und zum Teil wechselnder Definitionen schlecht zu erhalten. „Bei Mädchen scheint die Prävalenz 15 – 20% und bei Jungen 5 – 10% zu betragen.“[10]

- Alter:

SKM ist kein primäres Problem von Adoleszenz, sogenannter Verführung durch „frühreife Lolitas“. „In 50 – 60% der Fälle beginnt der Mißbrauch im Vorschulalter.“[11] Sogar Säuglinge werden mißbraucht. Wichtig ist die Unterscheidung des Alters bei Aufdeckung und bei Beginn des Mißbrauchs.

- Dauer:

SKM ist fast nie ein einmaliger Akt, auch wenn selbst die Opfer dies anfangs aus Selbstschutz behaupten. „In etwa 70% der Fälle dauert er mehr als 2 Jahre, in ca. 40% der Fälle 2 – 4 Jahre, in ca. 20% der Fälle mehr als 5 Jahre.“[12] Fast immer sind es Wiederholungstaten. Nicht selten werden mehrere Kinder von einem Täter mißbraucht.

- Opfer/Täter:

SKM ist nicht nur ein Problem von Mädchen als Opfer und Männern als Täter.

„6 – 25% der Opfer sind Jungen und 6 – 10% der Täter sind weiblich, bei Jungen bis zu 20 – 30%.“[13]

Die „Täter sind keine perversen Irren oder geisteskranke Zombies.“[14] Es handelt sich um ganz normale, sozial angepaßte und meist unauffällige Menschen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen.

- Ursache(n):

Als Ursache für SKM werden einerseits gesellschaftliche, patriarchalische Machtstrukturen, andererseits eine massive Familiendysfunktion bzw. Beziehungsstörung angesehen. Dazu kommt die individuelle Psychopathologie des Täters. Nur ein Teil der Täter wurde selbst mißbraucht.

[...]


[1] www.maroc-hebdo.press.ma/html_546/who.html

[2] http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/

[3] http://home.t-online.de/home/B.Herrmann/allgem.htm

[4] http://www.tagesschau.de/archiv

[5] Polizeifachhandbuch, Band 1, „Strafgesetzbuch (StGB)“, 53. Auflage, Verlag deutsche Polizeiliteratur GmbH Buchvertrieb

[6] Lehr- & Studienbriefe Kriminalistik: „Sexualdelikte, Kindesmißhandlung“, 2001

[7] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[8] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[9] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[10] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[11] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[12] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[13] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauc h“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

[14] Bernd Herrmann: „Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmißbrauch“, 2. Überarbeitung, Kassel 1995

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Sexueller Kindesmissbrauch aus kriminologischer Sicht
Hochschule
Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung - Fachbereich Landwirtschaftliche Sozialversicherung Kassel  (Fachbereich Polizei)
Veranstaltung
Hauptstudium 1
Note
13 von 15 möglichen Punkten
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V24467
ISBN (eBook)
9783638273381
ISBN (Buch)
9783638717489
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexueller, Kindesmissbrauch, Sicht, Hauptstudium
Arbeit zitieren
Mike Finke (Autor:in), 2004, Sexueller Kindesmissbrauch aus kriminologischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24467

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