Fähigkeitsorientierung als empirisch-analytische Betrachtungsweise von Bewegungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeiner Teil

3. Motorische Fertigkeiten („motor skills“)

4. Motorische Fähigkeiten („motor abilities“)
4.1. Ausdauerfähigkeiten
4.2. Kraftfähigkeiten
4.3. Koordinative Fähigkeiten
4.4. Schnelligkeitsfähigkeiten
4.5. Beweglichkeitsfähigkeiten

5. Forschungsmethodik: Sportmotorische Tests
5.1. Gütekriterien
5.1.1. Hauptgütekriterien
5.1.1.1. Objektivität
5.1.1.2. Reliabilität
5.1.1.3. Validität
5.1.2. Nebengütekriterien
5.2. Beispiel eines sportmotorischen Tests
5.3. Einzel- und Komplexdiagnostik

6. Forschungsziele und Forschungsstand

7. Probleme und Kritikpunkte

8. Schlussbetrachtung

9. Bibliographie

1. Einleitung

Die Bewegungswissenschaft ist eine wichtige Teildisziplin der Sportwissenschaft. Sie ist gleichermaßen grundlagen- und anwendungsorientiert. Allerdings sind Gegenstände von Wissenschaften immer unter einer bestimmten Perspektive zu betrachten. Es ist also nicht sinnvoll, von der einen Bewegungswissenschaft auszugehen, sondern von verschiedenen Betrachtungsweisen innerhalb der Bewegungswissenschaft.

Die Bewegungswissenschaft kann den Außen- oder den Innenaspekt von Bewegungen untersuchen. Ihr Ansatz kann ganzheitlich, empirisch-analytisch oder funktional sein. Die gängigsten Betrachtungsweisen sind in der folgenden Graphik zusammengefasst.

Abb. 1: Betrachtungsweisen der Bewegungswissenschaft

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Funktionale Betrachtungsweisen

Funktionsanalysen Handlungstheorien Modularitätshypothese

Ganzheitliche Betrachtungsweisen sind der morphologische und der systemorientierte Ansatz, sowie der Konnektionismus. Die Morphologie bezieht sich auf den Außenaspekt von Bewegungen, der systemorientierte Ansatz und der Konnektionismus auf den Innenaspekt. Die biomechanische, anatomisch-physiologische und die fähigkeitsorientierte Betrachtungsweise sind empirisch-analytische Ansätze, von denen sich die Biomechanik mit dem Außenaspekt und die fähigkeitsorientierte und die anatomisch-physiologische Betrachtungsweise mit dem Innenaspekt von Bewegungen befasst. Funktionsanalysen, Handlungstheorien und die Modularitätshypothese sind funktionale Ansätze.

Ich werde in dieser Arbeit ausführlicher auf die fähigkeitsorientierte Betrachtungsweise von Bewegungen eingehen. Dieser Ansatz richtet sich auf eine Kennzeichnung interner motorischer Leistungsvoraussetzungen und Erklärungen individueller Differenzen[1].

Definition: Die fähigkeitsorientierte Betrachtungsweise befasst sich mit der Beschrei-

bung und Erklärung von individuellen motorischen Leistungsdifferenzen. Sie ist wissenschaftshistorisch aus einer Übernahme der zentralen Gedanken und Methoden der Differentiellen Psychologie entstanden.[2]

Nachdem ich allgemein auf die theoretischen Grundlagen, insbesondere auf die Systematisierung von Motorikmerkmalen eingehe, komme ich in den folgenden Kapiteln ausführlicher zu den motorischen Fertigkeiten und den motorischen Basisfähigkeiten im Einzelnen. Bevor ich dann auf die Forschungsmethoden der fähigkeitsorientierten Betrachtungsweise, die sportmotorischen Tests, näher eingehe, erkläre ich einige testtheoretische Grundlagen, ohne die diese Forschungsmethode dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit nicht genügen könnte.

Zum Schluss der stelle ich die Forschungsziele und den Forschungsstand dieser bewegungswissenschaftlichen Betrachtungsweise dar und erläutere einige Probleme und Kritikpunkte bezüglich dieses Ansatzes.

Am Ende der Arbeit sollte deutlich geworden sein, warum der fähigkeitsorientierte Ansatz trotz einiger nicht unwichtiger Kritikpunkte zu den einflussreichsten Betrachtungsweisen der Bewegungslehre des Sports gehört.

2. Allgemeiner Teil

Die unterschiedliche Breite der Dispositionen bezieht sich auf den Aspekt der Bewegungs- oder Technikgebundenheit. So können die Motorikmerkmale auf einem Kontinuum angeordnet werden, das sich in zwei Abschnitte untergliedern lässt:

Abb. 2: Spezifität vs. Allgemeinheit der differentiellen Motorikmerkmale

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Roth/Willimczik 1999, S. 231

Links auf der Seite der Spezifität werden die motorischen Konstrukte geringer Breite erfasst. Dabei geht es um die Ausführung spezieller Bewegungsformen und damit um die internen motorischen Voraussetzungen, wie sie zum Beispiel zum Laufen, Schwimmen oder eben beim Flop-Sprung notwendig sind. Innerhalb dieser motorischen Dispositionsgruppe gibt allerdings immer noch gewisse Breitenunterschiede.

Dabei sind zwei Gesichtspunkte von Bedeutung: Die Offenheit oder Geschlossenheit: Gemeint ist damit der Grad der Variabilität innerhalb einer strukturell festgelegten Bewegungsklasse, und das Transferpotential. Geschlossene Sportarten erfordern sehr spezifische interne Leistungsvoraussetzungen, wie zum Beispiel das Gerätturnen oder Schwimmen. Für die offenen Sportarten, wie etwa Mannschaftssportarten, werden motorische Steuerungs- und Funktionsprozesse benötigt, die zwar ebenfalls strukturell spezifisch sind, aber trotzdem eine gewisse Variationsbreite in den Grundtechniken bieten.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf den Grad der Übertragbarkeit der spezifischen Leistungsvoraussetzungen auf andere Sporttechniken. Zum Beispiel können die motorischen Grundlagen des Springens oder Werfens in verschieden Sporttechniken eingebaut werden. Man spricht dabei von motorischem Transfer. Unterschiedliche „Transferkraft“ spezifischer Steuerungs- und Funktionsprozesse ergibt somit weitere Breitendifferenzierungen auf der linken Seite des Kontinuums. Die dort zusammengefassten motorischen Konstrukte werden in der fähigkeitsorientierten Betrachtungsweise als motorische oder sportmotorische Fertigkeiten bezeichnete.

Die auf der rechten Seite platzierten motorischen Dispositionen von mittlerer bis hoher Breite beschreiben generelle, bewegungsspezifische Steuerungs- und Funktionsprozesse, die gerade nicht an die Realisierung einer einzelnen, speziellen Sporttechnik gebunden sind. Sie nehmen vielmehr Einfluss auf mehrere, möglichst viele strukturell verschiedene Bewegungsmuster. Verallgemeinerungen werden hier möglich. Ausdauer-, Schnelligkeits- und Koordinationsfähigkeiten sind zum Beispiel motorische Dispositionen, die bei der Realisierung der unterschiedlichsten Fertigkeiten eine leistungsrelevante Rolle spielen können. Natürlich gibt es auch hier wieder Breitenunterschiede, die durch Begriffe wie „motorische Kondition“ (ganz rechts) und „Schnellkraft der Beinmuskulatur“ (weit links) verdeutlicht werden können. Man spricht von motorischen oder sportmotorischen Fähigkeiten.

3. Motorische Fertigkeiten („motor skills“)

Definition: Motorische Fertigkeiten („motor skills“) kennzeichnen individuelle

Differenzen im Niveau der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die der Realisierung jeweils spezifischer Bewegungen zugrunde liegen. Sie sind prinzipiell mit einer bestimmten strukturellen Ausführungsform verknüpft, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Grades der Offenheit vs. Geschlossenheit und ihres Transferpotentials.[3]

Aus dieser Definition stehen die internen motorischen Fertigkeiten quasi in einem 1:1-Verhältnis zu den äußerlich sichtbaren Sporttechniken.

Die motorischen Fertigkeiten werden in elementare und sportmotorische Fertigkeiten eingeteilt. Einfache Bewegungen wie Gehen, Laufen, Springen Heben, Tragen usw., die auch zur Bewältigung alltäglicher Aufgabenstellungen benötigt werden, bezeichnet man in der fähigkeitsorientierten Betrachtungsweise als elementare motorische Fertigkeiten. Ihre Aneignung erfolgt normalerweise im Kleinkindalter. Der Erwerb bestimmter motorischer Grundfertigkeiten gilt als ein wesentlicher Indikator der Gesamtentwicklung des Kleinkindes. Ab dem Grundschulalter bildet das Beherrschen dieser Grundfertigkeiten allerdings kein Kriterium für die Gesamtentwicklung mehr, dann spielen eher qualitative Unterschiede in der Bewegungsausführung eine entscheidende Rolle.

Die sportmotorischen Fertigkeiten bauen auf den elementaren motorischen Fertigkeiten auf. Da ihre Anzahl unüberschaubar groß ist, gab es im Laufe der Zeit verschiedene Bemühen, sie zu gliedern und zu ordnen. Heute sind Ordnungsinteressen nur noch innerhalb einzelner Sportarten zu finden. Es existiert zum einen die horizontale Ordnung, in der die strukturell unterschiedlichen Bewegungsformen einer Disziplin nebeneinander gestellt werden und zum anderen die vertikale Ordnung, in der die Bewegungsformen einer Disziplin hierarchisch eingestuft werden.

Das Ziel der horizontalen Ordnung ist es, die Techniken einer Sportart allgemein verbindlich zu beschreiben. Sie erhalten eigene Namenszuweisungen, die dann auch die Grundlage der Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden bilden. Als Gliederungsaspekt dienen zum Beispiel typische Bewegungshandlungen, Positionen der verwendeten Hilfsgeräte, beteiligte Körperregionen, charakteristische Bahnkurven, Kontaktstellen oder Bewegungsziele. Oft bleiben die Kriterien auch ungenannt oder unklar.

Dagegen ist bei der vertikalen Ordnung die Festlegung einer Aneignungsfolge das entscheidende Kriterium. Auf der untersten Stufe stehen die sogenannten Fundamentalbewegungen, von denen über verschiedene Ausdifferenzierungsrichtungen der Technikbestand der jeweiligen Sportart erlernt werden kann.[4]

Das Kriterium Beherrschen oder Nicht-Beherrschen unterscheidet in einer Sportart, sofern es sich um Grundfertigkeiten handelt zum Beispiel zwischen Turnern und Nicht-Turnern. Handelt es sich um schwierigere Elemente dieser Sportart, wird ein Vergleich zwischen den verschiedenen Sportlern innerhalb dieser Disziplin erreicht.

An qualitativen Ausführungsmerkmalen und quantitativen Ergebnismaßstäben lassen sich aber auch interindividuelle Unterschiede feststellen. Das Qualitätskriterium ist eher bei verlaufsorientierten, geschlossenen motorischen Fertigkeiten einzusetzen, das Quantitätskriterium eher bei ergebnisorientierten, offenen motorischen Fertigkeiten.

4. Motorische Fähigkeiten („motor abilities“)

Definition: Motorische Fähigkeiten („motor abilities“) kennzeichnen individuelle Differenzen im Niveau der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die bewegungsübergreifend von Bedeutung sind. Sie bilden die Voraussetzung für jeweils mehrere strukturell verschiedenartige Ausführungsformen und sind in ihrem Erklärungswert von unterschiedlicher Breite bzw. Generalität.[5]

Motorische Fähigkeiten funktionieren als Mittler zwischen der Verhaltensebene und der Ebene der biologischen Voraussetzungen. Um auf die motorischen Fähigkeiten zu schließen, gibt es zwei Wege: den induktiven und den deduktiven Weg. „Die bewegungsungebundenen motorischen Fähigkeiten sind also sowohl über Beobachtung auf der Bewegungsebene als auch über theoretische Wissensbestände ableitbar.“[6] Sie sind allerdings keine Gegensätze und schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Nachstehende Graphik veranschaulicht die beiden Verfahren, auf die motorischen Fähigkeiten zu schließen.

Abb. 3: Motorische Fähigkeiten als Mittler zwischen Verhaltensebene und biologischen Voraussetzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Roth/Willimczik 1999, S. 239

Innerhalb der motorischen Fähigkeiten werden die energetisch-bedingten konditionellen Fähigkeiten von den zentralnervös-bedingten koordinativen Fähigkeiten abgegrenzt.

Auf dieser Grundlage sind nach Bös drei Basisfähigkeiten der Motorik ableitbar: die motorische Ausdauer, die motorische Kraft und die motorische Koordination.

Für diese Grundfähigkeiten existieren mehrere Ausdifferenzierungsmöglichkeiten. Es liegen ebenfalls wechselseitige Abhängigkeiten und auch Mischformen dieser Basisfähigkeiten vor. In der Praxis kommen zwei Mischformen, der motorischen Schnelligkeit und der Beweglichkeit, eine besondere Bedeutung zu. Bei Hohmann/Lames/Letzelter wird, wie in dem nächsten Modell zu erkennen sogar der Kraft eine koordinative Komponente zugeordnet.

Abb. 4: Systematik der Kondition und Koordination unter besonderer Berücksichtigung der Wechselbezüge

bei der Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hohmann/Lames/Letzelter 2002, S. 50

Eine weitere Eigenschaft von motorischen Fähigkeiten ist ihr nomothetischer Charakter. Das bedeutet, „dass sie sich als „Messlatten“ für viele oder nach Möglichkeit für alle Menschen eignen und nicht nur auf bestimmte Personengruppen anwendbar sind.“[7]

[...]


[1] Nach Roth/Willimczik 1999, S. 12

[2] Roth/Willimczik 1999, S. 228

[3] Roth/Willimczik 1999, S. 232

[4] nach Göhner 1992, S. 108ff

[5] Roth/Willimczik 1999, S. 233

[6] Roth/Willimczik 1999, S. 242

[7] Roth 2002, S. 14

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Fähigkeitsorientierung als empirisch-analytische Betrachtungsweise von Bewegungen
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Bewegungsstrukturen und Bewegungshandlungen im Sport
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
28
Katalognummer
V24461
ISBN (eBook)
9783638273343
ISBN (Buch)
9783638648356
Dateigröße
1244 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich habe ein großes Lob für diese Arbeit bekommen. Inhaltlich sowie formal war nichts daran auszusetzen, sie wurde als vorbildlich bezeichnet.
Schlagworte
Fähigkeitsorientierung, Betrachtungsweise, Bewegungen, Bewegungsstrukturen, Bewegungshandlungen, Sport
Arbeit zitieren
Vanessa Schweppe (Autor:in), 2003, Fähigkeitsorientierung als empirisch-analytische Betrachtungsweise von Bewegungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24461

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