Neurolinguistisches Programmieren (NLP) als Pseudowissenschaft und Blendwerk


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

41 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. NLP: „Software for the brain“

3. Ursprung und Entwicklung des NLP
3.1. Der Prozess des Modellierens
3.2. Interdisziplinäre Einflüsse
3.3. Gregory Bateson und das MRI

4. Die elementaren Modelle und Techniken des NLP
4.1. Das Meta-Modell I
4.1.1. Konstruktivistische Grundannahmen
4.1.2. Informationsverarbeitung und Filtersysteme
4.1.3. Metasprache: Die Struktur der Magie
4.2. Das Milton-Modell
4.2.1. Das Milton-Modells als Inversion des Meta-Modells
4.2.2. Muster des Erickson’schen Ansatzes
4.2.3. Erickson und das NLP
4.3. Das Meta-Modell II und weitere grundlegende Konzepte
4.3.1. Repräsentationssysteme und Zugangshinweise
4.3.2. Vom Frosch zum Prinzen - Neue Wege in der Kurzzeittherapie
4.3.3. Psychotherapie oder Verkaufsschlager?

5. Resümee

Bibliografie

1. Einleitung

Seit seiner Entwicklung hielt das sagenumwobene Neurolinguistische Programmieren (NLP) in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen westlicher Industrieländer Einzug. Mein Erkenntnisinteresse war ursprünglich von der allgemeinen Frage geleitet, was hinter der als geradezu omnipotent beworbenen Methode steckt.

Dem aktuellen Forschungstand zufolge handelt es beim NLP nicht wie von den Begründern und Befürwortern behauptet um eine effiziente moderne Psychotherapiemethode, sondern vielmehr um eine Psychotechnische Schule. Intention der vorliegenden Seminararbeit ist es, anhand der Ursprünge und grundlegenden Theorien des NLP aufzuzeigen, wie die erste Generation, auf die ich mich in meiner Arbeit fokussiere, ein Blendwerk geschaffen hat, das von Beginn an als Verkaufsschlager intendiert zu sein scheint.

Ich stelle die Hypothese auf, dass ein Gründungsmythos und darauf aufbauende Legendenbildung entscheidend zum Erfolg des NLP beitragen, denn sie begründen das gesellschaftliche Image dieses – hier soziologisch betrachteten – Phänomens. Die abenteuerliche Pionierzeit, in denen das NLP als ‚pseudo-wissenschafltliches Blumenkind’ auf dem akademisches Forschungsfeld der progressiven Gemeinde von Santa Cruz gedieh, wird in den zahllosen unkritischen NLP-Büchern attraktiv und verkaufsfördernd, aber wohl kaum wahrheitsgemäß geschildert. Die selbst-immunisierende Wirkung dieses schönen Märchens, aus dem sich schließlich alle NLP-Heilsversprechen ableiten, wird bei den unzählbaren Anbietern von NLP-Seminaren, -Anwendungen, -Workshops, -Literatur und sonstigen Produkten offenkundig.

Die folgende Untersuchung soll Licht ins Dunkel der mystifizierten Anfänge des NLP bringen und an diesem Exempel erklärbar machen, warum psychotechnische Ansätze bzw. deren Kommerzialisierung in der sozialen Realität der Postmoderne so gut funktionieren.

Als Einstieg in die Thematik werde ich in Kapitel 1 das NLP ausgehend von der wissenschafts- wie erkenntnistheoretisch interessanten Computer-Metapher des menschlichen Geistes einführen, um damit eingangs den zugrunde liegenden Denkstil zu charakterisieren.

Im zweiten Kapitel versuche ich den Ursprung des NLP als wissenschaftlicher Forschungsdisziplin zu rekonstruieren, indem ich die geistesgeschichtlichen Hintergründe und prosperierenden wissenschaftlichen Forschungsfelder untersuche, in deren Kontext das NLP entstand.

Der Hauptteil befasst sich mit der Analyse der wesentlichen Theorien und Modelle des Ansatzes, wie sie von der Gründer-Generation des NLP entwickelt wurden. Auf Grund der verwirrenden Vielfalt an Konzepten und Anwendungsmöglichkeiten ist es unerlässlich, Untersuchungsgegenstand wie –zeitraum stark einzugrenzen. Ich fokussiere mich auf das ursprüngliche Konzept, wie es zwischen 1972 und 1979 von Richard Bandler und John Grinder als psychologische bzw. psychotherapeutische Forschungsdisziplin begründet wurde. Kapitel 3.1. beleuchtet die Geburtsstunde des NLP, dem Konstruktivismus, Kybernetik und ein offener experimenteller Zeitgeist Pate standen. Meine Untersuchung des Meta-Modells I, das angeblich die Struktur der Magie aufdeckt, zeigt, inwiefern die Wahrnehmungstheorie der NLP-Pioniere und ihre Auffassung über die Veränderung des subjektiven Erlebens innovativ und wissenschaftlich fundiert sind. In Kapitel 3.2. behandle ich mit dem Milton-Modell die zweite zentrale Säule des Ansatzes. Der Einsatz von Trance nach dem Verständnis und Vorbild Ericksons bildet den Kern der NLP-Methodik, deren Verfahrensweise bei der Veränderungsarbeit im Wesentlichen auf den Sprachmustern des Begründers der modernen Hypnotherapie basiert. Eine nähere Auseinandersetzung mit der herausragenden Persönlichkeit Milton H. Erickson und seinem Lebenswerk zeigen, warum das Original dem Modell unbedingt vorzuziehen ist. Um die Betrachtungen des Hauptteils abzuschließen, untersuche ich in Kapitel 3.3, inwiefern die erste Generation des NLP wirklich neue bzw. eigene Wege in der psychotherapeutischen Forschung und Lehre, speziell in der Kurzzeittherapie, beschritt. In diesem Kontext gilt es, die grundlegende Problematik bei der Suche nach Bewertungs- und Beurteilungskriterien für das NLP anhand des Quellenmaterials zu diskutieren.

Im Resümee werde ich kritisch auf die Risiken und Nebenwirkungen der Erfolgstherapie eingehen. Mit dem Ausblick auf Tendenzen und Prognosen hinsichtlich der weiteren Entwicklung des NLP schließe ich meine Betrachtung ab.[1]

2. NLP: „Software for the brain“

Richard Bandler, der zusammen mit John Grinder das Forschungsfeld des NLP begründete, entwickelte den Ansatz nach eigener Aussage als "eine Programmiersprache für den menschlichen Biocomputer"[2]. In diesem Kontext fasst der Computer-Experte das grundlegende Prinzip des NLP wie folgt zusammen:

„Die meisten Menschen sind Gefangene ihres eigenen Gehirns. Sie verhalten sich, als ob sie am Hintersitz eines Busses festgekettet wären, während jemand anders lenkt. Ich möchte, daß Sie lernen, Ihren eigenen Bus zu fahren.“[3]

Das verheißt Unabhängigkeit wie Selbstbestimmtheit und klingt nach dem ‚Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit’. Folgende Untersuchung wird allerdings zeigen, dass den Methoden des NLP keineswegs Kants aufklärerisches Gedankengut zugrunde liegt, sondern ein simplizistisch mechanistisches Menschenbild und ein daraus geborener Machbarkeitswahn.

Der Vater der Kybernetik, Heinz von Foerster, bringt die Gefahr, die der Computer-Metapher des Geistes inhärent ist, auf den Punkt, wenn er sagt:

„Selbstverständlich ist es legitim, ein Phänomen oder eine Gruppe von Phänomenen mit Hilfe einer Metapher zu beschreiben, wobei man natürlich immer im Bewußtsein behalten sollte, daß jede Beschreibung formaler, mathematischer, quantitativer oder auch poetischer Natur immer nur einen Vergleich darstellt. Wenn man aber die metaphorische Beziehung umkehrt und sagt: So wie diese Maschine, so funktioniert auch das Gehirn, dann wird es gefährlich; man glaubt, das Gehirn zu verstehen, weil man den maschinellen Mechanismus begriffen hat, von dem man ausgeht. Man meint, das Gedächtnis zu begreifen, wenn man es als einen Speichermechanismus metaphorisiert - und beginnt vielleicht nach dem Ort zu suchen, an dem eine bestimmte Information "gespeichert" sein soll. Die Folge ist: Blindheit gegenüber dem Wunder des Gehirns. Mir ist diese Gefahr schon ziemlich früh bewußt geworden, und ich habe daher immer wieder derartige Metaphern und Analogien kritisiert. Aber man hat mir nicht zugehört; ich sprach ins Leere.“[4]

Eine eindeutige Definition des NLP ist kaum möglich, da es sich um eine äußerst heterogene Szene handelt, in der von NLP anwendenden Psychotherapeuten[5] bis hin zu VHS-Seminaren mit viel versprechenden Titel wie „Beauty Mind - Schönsein von innen mit NLP“[6] eine unüberschaubare Bandbreite vertreten ist. Das NLP in der Tradition der ersten Generation ist eine Methode der Persönlichkeitsentwicklung und des Kommunikationstrainings, die prinzipiell auf nahezu alle sozialen wie individuellen Lebensbereiche anwendbar ist.

Von Beginn an haftete dem NLP jedoch der Ruf an, vornehmlich eine manipulative Psychotechnik zu sein. Der Begriff „Psychotechnische Schule“ bezeichnet die „unüberprüften, unüberprüfbaren oder schlicht unseriösen Verfahren“[7], die angeblich jedem den Weg zum großen Glück ebnen. Um den vermeintlich therapeutischen Methoden einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, werden häufig Gründungsmythen kreiert, welche der Öffentlichkeit glauben machen, es handle sich um Entwicklungen aus Fachbereichen der Psychologie und Psychotherapie. Nach Streif lassen sich Psychotechniken definieren als vermeintlich therapeutischen Verfahren „die sich i. d. R. Bruchstücken des psychologischen und/oder medizinischen Wissens sowie vereinfachter Bestandteile etablierter Psychotherapien bedienen und diese mit unwissenschaftlichen, nicht selten pseudoreligiösen und esoterischen Inhalten zu einer angeblich neuen und unfehlbaren Heilmethode vermengen“[8].

Der ‚Flower-Power’-Optimismus der wilden Siebziger Jahre, welcher bekanntermaßen zu vielen phantastischen Ideen inspirierte, die nüchterner Prüfung oftmals nicht Stand hielten, beweist sich auch im 21. Jahrhundert als absoluter Verkaufsschlager. Mit seinen Verheißungen von besserer Lebensqualität und Leistungsfähigkeit für jeden ist das NLP meiner Ansicht nach für den Bereich der Gefühlsarbeit geradezu prädestiniert.

Nach Arlie Russell Hochschild gelten in der Gesellschaft gewisse Emotionsregeln, die nicht nur den Ausdruck, sondern auch das, was gefühlt werden soll, bestimmen.[9] Emotionsarbeit, auch unter dem Begriff Emotionsmanagement bekannt, bezeichnet Hochschild zufolge den Versuch, Gefühle bzw. Emotionen in ihrem Ausmaß oder in ihrer Qualität zu verändern.[10]

Gefühle werden im NLP nicht explizit definiert. Sie werden als Bestandteil jedes inneren Zustandes betrachtet und sind stets vorhanden, auch wenn die Person sie nicht bewusst wahrnimmt. Da alle inneren Prozesse und körperlichen Empfindungen eine Gefühlskomponente besitzen, sind Emotionen nichts Eigenständiges. Ziel der Veränderungsarbeit beim NLP ist es, dem Individuum Autorität über seine persönlichen Steuerungsmechanismen des subjektiven Erlebens zu verschaffen. Wie bei der Emotionsarbeit geht es also um Formen und Techniken des Umgangs mit der eigenen Befindlichkeit und den Erwartungen der Umwelt.[11] Auch das NLP arbeitet also sowohl an als auch mit Gefühlen.

In einer Zeit der rasanten Veränderungen und gesellschaftlichen Umbrüche suchen viele Menschen nach ‚dem Erfolgsrezept’, wie sie mit sich selbst und ihrer Umwelt besser klar kommen. In den modernen Industriezivilisationen sind viele Individuen dem sozialen Druck, ein „Gewinnertyp“ zu sein, was besonders im Berufsleben relevant ist, nicht gewachsen.[12] Auf Grund der zunehmenden Vereinnahmung des Emotionalen durch den sozialen Alltag und entsprechende Normen hat sich der Zeitgeist, wie er etwa durch Hochschilds Studie aus dem Jahre 1983 charakterisiert wurde, eher intensiviert als abgeschwächt. Soziologen beobachten verstärkte Individualisierungstendenzen, was ein Indiz dafür ist, dass sich immer mehr Menschen auf der Suche befinden.

Die biologische, neuro-physikalische, genetische oder soziale Determiniertheit gerade des Emotionalen auch nur teilweise zu überwinden, gestaltet sich jedoch für das menschliche Wesen längst nicht so einfach, wie es das NLP und andere psychotechnische Schulen versprechen.

„NLP is the science of using your brain, your language and your behavior to get what you want.“[13]

Die Art und Weise, mit der NLP-Guru Rex Sikes seinen „Ultimate NLP Home Study Course“ anpreist, ist leider exemplarisch für viele NLP-Anbieter. Die Internet-Auftritte dieser Institute und Personen belegen, wie gezielt Werbeslogans, getarnt als Definitionen, eingesetzt werden. Da Hilfesuchende bewusst in die Irre geführt und ausgenutzt werden, handelt es sich um eine gleichermaßen verwerfliche wie potente Marketingstrategie.

Auch auf der Seite des führenden österreichischen NLP-Servers, auf der das Gesamtkonzept definiert oder vielmehr werbewirksam präsentiert wird, dominieren nebulöse Formulierungen und die Inszenierung des Gründungsmythos die öffentliche Selbstdarstellung. Unter der vermeintlichen Definition „Was ist NLP?“ findet man folgende Erklärungen: „NLP ist eine Sammlung von Fertigkeiten, um Kontrolle über die eigenen mentalen Vorgänge zu gewinnen.“ Oder: „NLP ist eine Sammlung von Fähigkeiten, Einstellungen und konkreten Techniken, die aus dem Studium menschlicher Höchstleistungen entwickelt wurden. Mit ihrer Hilfe kann jede Person lernen, ihre Lebensqualität zu verbessern.“[14]

Die folgende Betrachtung wird zeigen, dass der große Kybernetiker Heinz von Foerster mit seiner Besorgnis hinsichtlich der negativen Konsequenzen der Computer-Metapher des Geistes auch bei den NLP-Gründern auf taube Ohren stieß.

3. Ursprung und Entwicklung des NLP

Das Neuro-Linguistische Programmieren entstand zu Beginn der Siebziger Jahre in den USA als Forschungsfeld aus dem Bereich der Kognitions- und Verhaltenswissenschaften. In Deutschland dagegen wurde NLP erst in den späten Achtziger Jahren bekannt und zwar vor allem als führende Außenseiterlehre auf dem Psycho- und Selbsthilfemarkt.[15]

Dieses Kapitel widmet sich den geistesgeschichtlichen bzw. wissenschaftstheoretischen Wurzeln des NLP und zeigt, wie durch den Prozess des Modellierens das grundlegende Repertoire an Methoden therapeutischer Kommunikation, die sozusagen das Standard-Instrumentarium des NLP darstellen, entwickelt wurde.

Anhand der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte werde ich zunächst die charakteristischen Merkmale des NLP herausarbeiten. Signifikant ist in diesem Kontext vor allem die Tatsache, dass der Ansatz von Anbeginn auf Effizienz ausgerichtet und praxisorientiert angelegt war.

3.1. Der Prozess des Modellierens

Anfang der Siebziger Jahre arbeiteten die Begründer des NLP, Dr. Richard Bandler[16], Student der Mathematik, Informationswissenschaften und Psychologie, und Prof. Dr. John Grinder[17], ein junger Linguistik-Professor, an der University of California in Santa Cruz zusammen.

Unter der Leitung des renommierten Kulturanthropologen und Kommunikationsforschers Gregory Bateson[18] untersuchten Bandler und Grinder die Verhaltensmuster besonders erfolgreicher Kommunikationsexperten und Therapeuten. Ihr Erkenntnisinteresse ging von der Frage aus, wie sich Menschen, die in ihrer Arbeit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen, von Personen unterscheiden, die in denselben Fähigkeiten bloß kompetent sind.

Richard Bandler hatte bereits 1972 im Auftrag des Verlegers Robert S. Spitzer die Sitzungen des berühmten Gestalttherapeuten Fritz Perls[19] studiert, transkribiert und dokumentiert. Er eruierte elementare Muster der persönlichen therapeutischen Fähigkeit Perls, welche er als Vorbild für eigene gestalt-therapeutische Arbeit nahm. Es ist darauf hinzuweisen, dass Bandler die Vorgehensweise Perls, die der Humanistischen Psychologie zuzuordnen ist, nicht als solche kopierte. Da Bandler vor allem auf Effizienz und schnelle therapeutische Wirksamkeit des Ansatzes abzielte, extrahierte er beim Modellieren nur jene Faktoren des Vorbilds, die unter dieser Prämisse dem Projekt nützlich schienen.

Der zehn Jahre ältere Professor John Grinder, der als Supervisor fungierte, begann nun seinerseits die Verhaltensweise Bandlers bei seiner gestalttherapeutischen Tätigkeit systematisch zu analysieren, um lern- bzw. lehrbare Kriterien dieser speziellen Fertigkeit herauszufiltern. Dieses Experiment markiert laut der einschlägigen Fachliteratur die Geburtsstunde des „Modellierens“.[20] Darunter versteht man, die Ableitung eines Modells durch genaue Beobachtung und Beschreibung der Strukturelemente und Prozesse einer Aktivität bzw. eines Phänomens.

„Beim Modellieren wird versucht, einen Prozeß begrifflich so abzubilden, daß es Dritten möglich ist, diesen Prozeß einzuüben.“[21]

Im Grunde handelt es sich um einen einfachen Sachverhalt, nämlich dem Lernen von Vorbildern, welches im Falle des frühkindlichen Nachahmungsverhaltens unbewusst, instinktiv und primär über die Identifikation mit dem nachzuahmenden Objekt abläuft.[22]

Bandler und Grinder wollten durch ihr Forschungsprojekt herausfinden, wie Verhaltensänderungen in einer Person bewirkt werden. Sie erprobten diverse Werkzeuge zur Informationsgewinnung, um das Wesentliche am Umgestaltungsprozess zu erfassen, zu systematisieren und dadurch vermittelbar zu machen.

Zwischen 1972 und 1974 untersuchte Richard Bandler nach diesem Prinzip die Arbeit der damals sehr berühmten Begründerin der Familientherapie Virginia Satir, zu der der Zweiundzwanzigjährige ebenfalls über die Familie Spitzer in Kontakt kam.[23] Wiederum gelang es ihm der Überlieferung zufolge, die Kunstfertigkeit seines Vorbildes zu modellieren und die Wirksamkeit der eruierten Erfolgskriterien anhand seiner eigenen Gruppenarbeit zu verifizieren.

Anfang 1974 starteten Bandler und Grinder das Projekt „Meta-Modell“. Ihre Feldforschung, ein Begriff, der in Anbetracht der wissenschaftlich unorthodoxen Untersuchungsverfahren nicht ganz unproblematisch ist, fand in den so genannten „Meta-Modell Gruppen“ statt. Das soziale Umfeld des Campus sowie das in Santa Cruz und Umgebung vorherrschende künstlerisch-kreative Milieu, das neuen Erfahrungen gegenüber sehr aufgeschlossen war, unterstützten experimentelle Gruppenaktivitäten. Es ist anzunehmen, dass der Entstehungskontext maßgeblich zu den frühen Erfolgen des NLP und der dynamischen Weiterentwicklung des Ansatzes beigetragen hat.[24]

3.2. Interdisziplinäre Einflüsse

Mag die Vorgehensweise Bandlers und Grinders mangels wissenschaftlicher Stichhaltigkeit Anlass zu Kritik bieten,[25] so liest sich die Entstehungsgeschichte des NLP jenseits des so genannten Gründungsmythos doch als ein Plädoyer für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Gunst der Stunde offenbarte sich in Form der fruchtbaren Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und fakultätsübergreifender Forschungsprojekte. Mit dem Vorsatz, zunächst unbefangen an die Thematik heranzugehen, muss man zunächst den Schilderungen in der NLP-Standardliteratur Glauben schenken. Die NLP-Gründer knüpften eigenen Aussagen nach direkt an die damals aktuellen wissenschaftlichen Erfolge an, indem sie die neuesten Erkenntnisse aus diversen Forschungsbereichen aufgriffen und in ihrem pragmatisch-progressiven Ansatz verbanden.

So haben Psycholinguistik, Neuropsychologie und Kognitive Psychologie als damals äußerst prosperierende Schulen innerhalb der Psychologie Theoriebildung und praktische Anwendungen des NLP maßgeblich beeinflusst.

Der junge John Grinder hatte sich bereits als Linguist im Bereich der auf Noam Chomsky zurückgehenden Transformationsgrammatik einen Namen gemacht und konnte seine Erfahrungen, allen voran bezüglich der Modellbildung, sehr effektiv in das neue Projekt einbringen. Bandler seinerseits hatte sich trotz seiner Jugend bereits intensiv mit den zeitgemäßen therapeutischen Schulen wie Gestalttherapie, Familientherapie, Rolfing und Reichianischer Körperarbeit beschäftigt. Das erworbene Wissen konnte er nun ebenso wie seine Begabung für Verhaltensnachahmung im Rahmen der erlebnisorientierten, kommunikationstherapeutischen Gruppenarbeit anwenden. Bandlers Interessenschwerpunkt hinsichtlich seiner akademischen Ausbildung hatte sich wohl auf Grund der günstigeren Umstände zunehmend auf das Psychologiestudium verlagert. Seiner Affinität zu Computerwissenschaft, Mathematik und Kybernetik, die mit ihren neuen Erkenntnissen ohnehin das Wissenschaftsverständnis der damaligen Zeit prägten,[26] blieb er jedoch treu.[27]

3.3. Gregory Bateson und das MRI

Wesentlichen Einfluß auf die Arbeit der NLP-Pioniere übte zweifelsohne ihr bereits erwähnter Mentor, Gregory Bateson, aus. Dieser hatte in den frühen Vierziger Jahren selbst zur Entwicklung der Kybernetik und der Informationstheorie beigetragen und galt in den Siebziger Jahren als einer der bedeutendsten US-Amerikanischen Sozialwissenschaftler dieses Jahrhunderts. Nachdem er sich um Anthropologie und Neuro-Psychatrie verdient gemacht hatte, war Bateson am renommierten Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto, Kalifornien, tätig. Das multidisziplinär forschende MRI war richtungweisend im Bereich der Systemischen Therapie und Beratung.[28]

Charakteristikum der in den „Palo-Alto-Gruppen“ praktizierten Denkschule war der Versuch, sich intrapsychischen Prozessen, etwa „emotionalen Störungen“, über deren interpersonale Aspekte zu nähern. Ansätze hierzu kamen ursprünglich aus der Familientherapie, deren prominente Mitbegründerin, Virginia Satir, die, wie erläutert, von Bandler und Grinder modelliert wurde, ebenfalls Mitglied des MRI war.[29]

Die neue Herangehensweise leitete sich vor allem aus der Kommunikationstheorie und ihrer praktischen Anwendung ab. Gregory Bateson entwickelte in diesem Kontext zusammen mit Paul Watzlawick die „Double-Bind-Theorie“, zu deutsch „Theorie der Doppelbindung“.[30] Neben dieser adaptierten und integrierten die findigen NLP-Gründer auch Batesons logische Analyse und Beschreibung von Kommunikationsprozessen wie dem “Lernen” und Grundlagen seines „Ökologie“-Begriffs in ihren Ansatz.[31] Die progressiven Ansichten, welche Psychologie und Psychotherapie revolutionieren sollten, führten zur Suche nach neuen Methoden und Werkzeugen therapeutischer Intervention. So entwickelten Paul Watzlawick und seine Mitarbeiter am MRI eine veränderungswirksame Kurzeittherapie, die nicht nur das NLP inspirierte, sondern für Psychotherapeuten weltweit wegweisend war.

Da es zu weit führen würde, hier sämtliche Theorien und Modelle der diversen Fachrichtungen und Forschungsfelder, auf die sich die NLP-Gründer bezogen, aufzuzählen, beschränke ich mich auf die meiner Ansicht nach maßgeblichsten und für die soziologische Untersuchung des Themas signifikantesten Einflüsse. Inwiefern die hier vorgestellten Konzepte Niederschlag im Neurolinguistischen Programmieren fanden, soll im nächsten Kapitel untersucht werden.

[...]


[1] Anm.: Hinsichtlich der Definitionen von NLP-Fachbegriffen empfehle ich folgende NLP-Enzyklopädie, die einen interessanten Ein- und Überblick in das aktuell in Deutschland bzw. Europa dominierende NLP-Gesamtkonzept bietet: Stahl, Thies; Ötsch, Walter: „Das Wörterbuch des NLP“. Paderborn: Junfermann-Verlag, 1997

[2] Bandler, Richard zitiert in NLP-World. „Einführung: Was ist NLP?“ Available Online: http://www.nlpworld.de/nlp/start.htm [10.09.2003]

[3] Bandler, Richard zitiert in NLP-World. „Einführung: Was ist NLP?“ Available Online: http://www.nlpworld.de/nlp/start.htm [10.09.2003]

[4] Pörksen, Bernhard; von Foerster, Heinz: „Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen.“ Bernhard Pörksen im Interview mit Heinz von Foerster, 15.04.1998. Available Online: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/robo/6240/1.html [23.01.2004]

[5] Vgl. z.B.: Homepage der Deutschen Gesellschaft für Neuro-Linguistische Psychotherapie (DG-NLPt). Available Online: http://www.dg-nlpt.de/ [23.12.2003]

[6] Bördlein, Christoph: „Das <Neurolinguistische Programmieren> (NLP) - Hochwirksame Techniken oder haltlose Behauptungen?“ Ein Essay. Available Online: http://www.boerdlein.gmxhome.de/nlpmemo.html [02.11.2003]

[7] Available Online: http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PsychotechnikSchulen.shtml [23.01.2004]

[8] Available Online: http://www.therapaed.com/entbehrlich.htm [23.01.2004]

[9] Vgl.: Gerhards, Jürgen: „Emotionsarbeit. Zur Kommerzialisierung der Gefühle.“ In: Soziale Welt, 39, 1988; S. 51. Sowie: Hochschild, Arlie Russell: „Das Gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle“. Frankfurt am Main: Campus, 1990; (Original: “The managed heart: commercialization of human feeling.” Berkeley: University of California Press, 1983) S. 159- 181. Sowie: Hochschild, Arlie Russell: “Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structure”. In: American Journal of Sociology, 85, 1979; 551-575

[10] Vgl.: ebenda

[11] Anm.: vgl. hierzu auch die Emotionstheorie von Lazarus. Available Online: http://www.uni-bielefeld.de/psychologie/ae/AE02/LEHRE/Lazarus.pdf [13.01.2004]

[12] Vgl. z.B.: Gerhards, Jürgen (1988); S. 47

[13] Homepage der “IDEA” Seminars. Practical NLP to help you to get what you want. Available Online: http://www.idea-seminars.com/about/index.htm [03.10.2003]

[14] Available Online: http://www.nlp.at/was.htm [08.01.2004]

[15] vgl.: Hemminger, Hansjörg: „NLP in der Kirche. Auf der Suche nach Beurteilungskriterien.“ Baiersbron / Stuttgart. Available Online: http://www.gemeindedienst.de/weltanschauung/texte/inmatnlp.htm, sowie: DVNLP Informationsbroschüre. Available Online: http://www.dvnlp.de/

[16] Anm.: Eine Kurzbiografie von Richard Bandler ist z.B. unter folgendem link abrufbar: „The Bio of Richard Bandler“. Available Online: http://www.nlpu.com/bandbio.htm [10.11.2003]. Aufschlussreich ist auch ein Besuch von Bandlers eigener Homepage. Available Online: http://www.richardbandler.com/ [10.11.2003]

[17] Anm.: Eine Kurzbiografie von John Grinder ist z.B. unter folgendem link abrufbar: „The Bio of John Grinder.“ http://www.nlpu.com/grindbio.htm [10.11.2003]

[18] Vgl. z.B. Available Online: http://www.creativity.co.uk/creativity/guhen/bateson.htm [20.11.2003]

[19] Vgl. z.B. Available Online: http://www.gestalt.org/index.htm [21.11.2003]

[20] Vgl. z.B.: Walker, Wolfgang: „Abenteuer Kommunikation. Bateson, Perls, Satir, Erickson und die Anfänge des Neurolinguistischen Pogrammierens (NLP)“. Stuttgart: Klett-Cotta, 1996

[21] Walker, Wolfgang: „Abenteuer Kommunikation. Bateson, Perls, Satir, Erickson und die Anfänge des Neurolinguistischen Programmierens (NLP)“. Stuttgart: Klett-Cotta, 1996; S. 29

[22] Vgl.: Bandura, Albert; Ross, Dorothea; Ross, Sheila A. (1961). “Transmission of aggression of through imitation of aggressive models.” First published in Journal of Abnormal and Social Psychology, 63, 575-582. Available Online: http://psychclassics.yorku.ca/Bandura/bobo.htm [10.10.2003]. Sowie: Bandura, Albert (1962): “Social Learning Trough Imitation”. In: John, M.R. (ed.): Lincoln: Nebraska Symposium on Motivation, University of Nebraska Press, 1962; S. 211-269

[23] Vgl. z.B.: 28. Jürgens, Gesa; Stahl, Thies: „Gespräch mit Virginia Satir.“ In: Integrative Therapie, 3, 1982. Paderborn: Junfermann-Verlag, 1982; S. 193-215. Available Online: http://www.thiesstahl.de/texte/thies/satir-in.htm [08.11.2003]

[24] Vgl. zu diesem Kapitel auch: Weerth, Rupprecht: „NLP und Imagination. Grundannahmen, Methoden, Möglichkeiten und Grenzen“. Paderborn: Junfermann-Verlag, 1992

[25] Anm.: Die Frage der wissenschaftlichen Fundierung des Ansatzes wird ausführlich im Zuge der Besprechung der grundlegenden Literatur und Modelle behandelt.

[26] Vgl. z.B.: Pörksen, Bernhard; von Foerster, Heinz: „Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen.“ Bernhard Pörksen im Interview mit Heinz von Foerster, 15.04.1998. Available Online: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/robo/6240/1.html [23.01.2004]

[27] Anm.: siehe hierzu Kapitel 1

[28] Vgl.: Homepage des MRI. The Mental Research Institute. A Research and Training Institute for the Interactional Study of Individuals, Families and their Communities. MRI Origins & Notable Contributions. Available Online: http://www.mri.org/mriorigins.html [20.10.2003]

[29] Vgl.: „Gespräch mit Virginia Satir.“ In: Integrative Therapie, 3, 1982. Paderborn: Junfermann-Verlag, 1982; S. 193-215. Available Online: http://www.thiesstahl.de/texte/thies/satir-in.htm [08.11.2003]

[30] Vgl.: Bateson, Gregory; Haley, J.; Jackson, Don D.; Weakland, John H.: „Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie“. In: Bateson, Gregory: „Ökologie des Geistes“. 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, S. 270-361

[31] Vgl.: Bateson, Gregory: „Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation“ (1971). In: Bateson, Gregory: „Ökologie des Geistes“. 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, S. 362-399

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Neurolinguistisches Programmieren (NLP) als Pseudowissenschaft und Blendwerk
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
„Powered by emotion“- Gesellschaftliche Funktion, Entwicklung und Sozialisation von Emotionen
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
41
Katalognummer
V24398
ISBN (eBook)
9783638272841
ISBN (Buch)
9783638648349
Dateigröße
845 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Stichworte: Tiefensoziologie / "Gefühlsarbeit", im emotionssoziologischen Kontext werden die wesentlichen wissenschaftstheoretischen Hintergründe des Neurolinguistischen Programmierens untersucht, anhand der Entstehungsgeschichte und Genese: Entlarvung des NLP als Pseudowissenschaft, Kommerzialisierung der Gefühlswelt, Verlust der individuellen Identität durch sozialisierte, kollektivierte Emotionen, gesellschaftlich brisant: Gefahr der Manipulierbarkeit durch Psychotechnische Schulen
Schlagworte
Neurolinguistisches, Programmieren, Pseudowissenschaft, Blendwerk, Gesellschaftliche, Funktion, Entwicklung, Sozialisation, Emotionen
Arbeit zitieren
Miriam Helisch (Autor:in), 2004, Neurolinguistisches Programmieren (NLP) als Pseudowissenschaft und Blendwerk , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24398

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