Fortunatus Reisen als Medium zur gesellschaftlichen Integration?


Hausarbeit, 1999

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Fortunatus’ Auszug
2.1 Ausgangssituation und Beweggründe
2.2 Das Scheitern der Integration

3 Fortunatus’ erste Reise
3.1 Voraussetzungen
3.2 Reise als ‘Mittel zum Zweck’ ?
3.3 Verwirklichung der Integration

4 Fortunatus’ zweite Reise
4.1 Motivation
4.2 Fortunatus’ Rückkehr

5 Andolosias Reisen

6 Abschlußbemerkung

7 Bibliographie
7.1 Textausgabe
7.2 Forschungsliteratur

Fortunatus

Reisen als Medium zur gesellschaftlichen Integration?

1 Einleitung

Der Prosaroman Fortunatus[1], der in dieser Hausarbeit untersucht werden soll, wurde 1509 in Augsburg herausgegeben.

Der Text aus dem Spätmittelalter nimmt Bezug auf den beginnenden strukturellen sozialen Wandel, auf die „frühkapitalistische Wirtschaftsentwicklung“[2] und den diesbezüglichen Umgang mit Geld und Reichtum. Die Glücksallegorie Fortuna, sowie die Zaubergegenstände Geldsäckel und Wünschelhütlein sind als Märchenmotive in die Handlung eingepflochten . Im Mittelpunkt des Romans stehen die Reisen des Protagonisten. Der Hintergrund dieser Thematik ist der Beginn der Entdeckungsfahrten, die zunehmende intensive Reisetätigkeit und ihre neue Aufbruchsmotivationen, die als Streben nach Erfahrungen, nach ‘experienz’ als Lern- und Erkenntnismodus , und unter dem Begriff der ‘curiositas’ , der „verwerflichen menschlichen Wißbegier“[3], der Neugier, zu verstehen sind. Das Reisen an sich ist keine zu der Zeit neue Tätigkeit, sondern ihre Motive haben sich verändert. Das Wort Reisen hat seinen Ursprung in dem althochdeutschen rîsan, das soviel bedeutet wie „aufstehen, sich erheben, aufbrechen zu kriegerischer Unternehmung“[4]. Impliziert wird die Nicht-Freiwilligkeit. Üblich waren Pilger-, Kaufmanns- und Botenreisen.

In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob Reisen Mangel an Integration beheben kann.

Fortunatus stößt auf seinen Reisen auf vorwiegend feudal strukturierte Gesellschaftskonventionen und deren Rechtsordnung. Diese ist noch nach dem Priviligienrecht organisiert, in der, der Fremde, Reisende und Nichtstandesgemäße sich in sozialer und rechtlicher Unsicherheit befindet. Fortunatus wurde in einem Zeitraum verfasst, in dem die bürgerliche Gesellschaft entstand[5]. Die Koexistenz von Feudalem System und Bürgertum wird erkenntlich, indem der Protagonist mit der in der Feudalgesellschaft fixierten Standeszugehörigkeit, in der das Individuum von Geburt an in ein soziales System integriert ist und die soziale Identität vorgegeben ist , konfrontiert wird[6].Fortunatus, als Isolierter, muß sich seine soziale Identität aktiv durch eigene Leistung konstruieren ,um sich in eine Gesellschaft zu integrieren, d.h. seinen Stand zu finden, der seinem natürlichen Status und auch seinem Besitz adäquat ist . Der Text gibt nicht genau Aufschluß darüber, welchem Stand Fortunatus’ Familie zugehörig ist. Theodorus wird als „ain edler purger/ altz herkommens “(S.5) beschrieben, während Fortunatus „nit ain geborner edelman was“(S.50). In dieser Untersuchung soll davon ausgegangen werden, daß er aus einem patrizischen Geschlechts stammt.

Ich möchte in dieser Hausarbeit folgenden Fragen nachgehen: Ist Fortunatus’ Ziel überhaupt die Integration, wenn er sagt: „es ist noch vil glüks in diser welt“(S.8). Tritt das Reisen oder der materielle Besitz, sein unerschöpflicher Reichtum, als Medium zur Integration in Kraft[7] ? Oder dient das Reisen nur der Legitimation des Geldes?

Welche Voraussetzungen Fortunatus gegeben sind, welche Motivationen seinen Reisen zu Grunde liegen , ob Integration erfolgt oder wie er mit seinem Scheitern umgeht , soll an Hand des Textes chronologisch bearbeitet werden und an wesentlichen Passagen belegt werden. Ergänzend werden Andolosias Beweggründe zur Reise, Schlüsselerlebnisse und auch sein Scheitern komprimiert dargestellt.

2 Fortunatus’ Auszug

Im Folgenden soll der Auszug Fortunatus’ aus seinem Elternhaus, seiner Heimatstadt untersucht werden. Obwohl Fortunatus quer durch Europa reist, wird dies nicht als Reisen tituliert[8].Auch hier sollen seine ersten Reisen nach Flandern, London und in die Bretagne unter dem Begriff des Auszugs zusammen gefaßt werden, da diese sich bedeutend von den nächsten , großen Reisen unterscheiden, was im Verlauf der Arbeit weiter thematisiert wird.

2.1 Ausgangssituation und Beweggründe

Fortunatus’ Situation zu dem Zeitpunkt seines Auszuges ist durch soziale Unsicherheit und finanzielle Mittellosigkeit gekennzeichnet, die aus dem verschwenderischen Lebensstil des Vaters resultiert. Dem feudalen Konventionen angepaßte Lebensführung wird folgendermaßen beschrieben:

Doch fieng er [Theodorus] an widerumb sein alt wesen zu haben mit stechen turnieren /vil knecht / costliche roß / rait dem künig zu hoff / ließ weib und kind und fragt nit wie es gieng / hewt verkaufft er ainen zinß /den andren tag versatzt er ain gelegen gutt. das traib er so lang und vil biß das er nicht mer zu verkauffen noch zu versetzen hett /und kam also zu armut/ (S.6f.)

Er verliert nicht nur sein geerbtes, materielles Gut, sondern auch sein Ansehen und seinen sozialen Halt und klagt „auch das mich alle die verlassen haben/ mit den ich mein gut so miltigklich getailt hab/ den selben byn ich yetz ain unwerder gast.“ (S.7f.) Die Familie ist isoliert, der Verlust an Integration scheint für Fortunatus in Famagusta nicht revidierbar zu sein , so daß der Auszug eine notwendige Konsequenz und auch zugleich, eine Möglichkeit zur aktiven, selbständigen Konstruktion seines Lebensraumes und seiner sozialen Identität darstellt. „Beides wird gestaltet, die Freiheit von Bindungen und damit die Fähigkeit zu Selbstgestaltung des eigenen Lebens steht neben der verlorenen Sicherheit und der schmerzhaften Erfahrung, auf sich allein gestellt zu sein“[9].

Nicht nur die materielle Notlage bewegt Fortunatus zu dem Schritt, mehr noch

der Anlaß, das Bedauern des Vaters über das eigene Fehlverhalten:

aller liebster vater laß von deinem trauren und sorg gantz nichts für mich / Ich byn jung / starck unnd gesund / ich will gan in frembde land und dienen. (S.8)

Was er an Fähigkeiten von zu Hause, aus seiner Erziehung mitnehmen kann, ist minimal. Fortunatus „kund nichts dann ploß ainen namen schreiben und lesen“(S.7) . Von seinem Vater bekam er adelige Tätigkeiten vermittelt, die nur in der Gesellschaft zur praktischen Anwendung kommen können[10]. „Die vorher traditionellen, ständischen Eigenschaften werden nun, nach der Freisetzung des Fortunatus aus diesem Zusammenhang, seine eigenen, individuellen, von denen aus er sein Ziel formulieren kann“[11].

Als sein Ziel konstituiert er das „glüks in diser welt“(S.8) , zur Umsetzung und Erreichung dessen, überlegt Fortunatus:

„o mocht ich ain knecht werden des herren [Graf von Flandern] /mitt ym farenn so verr das ich nit mer gen Cipern moht kommen“. (S.9)

Zum Ausdruck kommt diesbezüglich auch sein Wille zur Tätigkeit des Dienens.

Der Hinweis auf die Freilassung seines Falken (S.10) akzentuiert den Wunsch nach Veränderung und wird durch die plötzliche Abreise, die ohne Abschiednahme statt findet (S.10), verdichtet..

Das erklärte Reisemotiv, die Notwendigkeit seiner Ausreise, knüpft stark an die im Mittelalter gängigen Reisemodelle an, die sich im Allgemeinen durch Zwang und Pflicht auszeichneten.

2.2 Das Scheitern der Integration

Mittels dieser gegeben Voraussetzungen versucht Fortunatus in drei Etappen, als Knecht des Grafen von Flandern, im Londoner ‘Vergnügungsviertel’ und als ‘Angestellter’ des Kaufmanns Jeronimus Roberti sich in die jeweils existierenden Milieus zu integrieren .Anfangs scheint seine Absicht , sich in den gesellschaftlichen Bereichen zurecht zu finden und einen Stand zu beziehen, zu glücken.

Beim Grafen gewinnt er schnell Ansehen, durch Einsatz seiner höfischen Fähigkeiten und setzt sich somit dem Neid der anderen , nicht priviliegierten Diener unwissentlich, aus. Als er bei einem Turnier den wertvollen Preis, der „bey hundert Cronen werdt was“ (S.12), „do hub sich erst groß neid und haß / unnd allermeist under des graffen vonn Flandern diener“(S.13).Denn „Knecht an einem feudalen Hof zu sein, das bedeutet Integration in eine festgelegte Hierarchie mit genau definierten Rechten und Pflichten, und aus diesem unveränderlichen Status folgt auch soziale Sicherheit“[12]. Aus dieser Struktur löst er sich, indem er durch seinen individuellen Fähigkeiten und Leistungen, die anderen übertrumpft und sie somit herabsetzt. Veranlaßt durch deren Intrige, die Fortunatus mangels Erfahrung nicht durchschaut, bleibt für ihn als einzige Perspektive die Flucht unter Preisgabe der errungenen sozialen Existenz. Die Voraussetzung, die Erziehung des Vaters, hat ihm mehr geschadet, als geholfen. Von seinem gesuchten Glück ist er immer noch weit entfernt , isoliert wie in seiner Ausgangssituation, und der zusätzlichen Erfahrung des Scheiterns , gerät Fortunatus nach London. Dort begibt er sich mit zwei Kaufmannssöhnen bis zu seinem finanziellen Ruin in die Kreise Prostituierter , von deren Zuhältern , nachdem er „alles verthon mit schonen frawen“(S.23) als Narr bezeichnet wird. „Die Folge von Unerfahrenheit, geringem Weltwissen, Ungehorsam und mangelnder Selbstzucht[13] “ zwingt Fortunatus, seinen Versuch zur Gestaltung gesellschaftlicher Position im städtischen Milieu, zu verwerfen. Seine wieder eingesetzte Isolation und Armut wird im Text gleich doppelt artikuliert: „ALs Fortunatus allain was on gelt [...]“ (S.24), „Do Fortunatus also verlassen was [...]“(S.25).

Auch der Aufenthalt und Dienst bei seinem letzten ‘Arbeitgeber’ Jeronimus Roberti weist sich vorerst als erfolgreich aus. Seine verantwortungsvollen Tätigkeiten „vollendet er gar wol“ (S.25). Aber wieder muß Fortunatus sich externer Zwänge beugen .Durch Zufall entrinnt er dem Galgen , nicht durch seine eigene List (S.37).Er entkommt zwar der sozialen Bedrohung , aber nach erfolgloser Arbeitsuche irrt er einsam durch einen Wald „mit grossem hunger unnd sorgen so er het vonn den wilden thieren / [...] /ward er gar mud und kraftloß/ wann er het zwaien tagen nicht geessen het“(S.43). Sinnbildlich wird seine Isolation, seine Existenznot und seine Hilflosigkeit, die er in der bürgerlichen sowie feudalen Gesellschaft erfahren mußte, in dieser Waldszene dargestellt.

Dreimal versucht er, sich eine ihm adäquate Existenz in der Gesellschaft zu konstituieren und scheitert jeweils an seinen Voraussetzungen, seiner unangemessenen Erziehung , mangelnder Erfahrung und materiellem Besitz.

Einerseits ist er „unfähig zur reflektierten Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse“[14] und bleibt ihnen deshalb ausgeliefert, anderseits erfährt er, daß in einer vorwiegend feudal strukturierten Gesellschaft allein eigenen Leistungen nicht zum Gelingen einer Integration reichen[15].

Vorerst stellt das Reisen noch keine Möglichkeit zur Verwirklichung einer Integration dar.

[...]


[1] Fortunatus. Studienausgabe nach der Editio princeps von 1509. Hg. von HANS-GERT ROLOFF, Stuttgart 1981 u.ö. (RUB 7721).Wenn im folgenden aus diesem Text zitiert wird, erscheint die Seitenangabe eingeklammert unmittelbar nach dem Zitat.

[2] RAITZ,WALTER: „Fortunatus“, München 1984(UTB), S.93.

[3] KÄSTNER, HANNES: Peregrinator mundi. Welterfahrung und Selbsterkenntnis im ersten deutschen Prosaroman der Neuzeit, Freiburg 1990,S.67.

[4] OHLER,NORBERT: Reisen im Mittelalter, München 1986, S.12.

[5] vgl. RAITZ( 1984), S.71.

[6] vgl. BACHORSKI, HANS-JÜRGEN: Geld und soziale Identität im „Fortunatus“ .Studien zur Bewältigung frühbürgerlicher Widersprüche, Göppingen 1983 (GAG 376), S.113ff. Weiterhin beschreibt er die sozialen Veränderungen, die Verelendung des Adels, die Perspektiven für das Bürgertum als eine „Auflösung kollektiver Identität“(S.111).Die Detailierung dieses sich bildenden Gesellschaftsbildes ist meines Erachtens zu umfangreich für diese Arbeit. Ich gehe hier davon aus, das feudale Strukturen vorwiegend noch vorhanden waren, aber sich schon bürgerlicher Handlungsspielraum etablierte.

[7] vgl. BACHORSKI (1983), der in seiner Dissertation ausführlich , Geld als das Gestaltungsmittel zur Herstellung sozialer Identität und gesellschaftlicher Integration ,untersucht und belegt.

[8] vgl.. RAITZ, WALTER: Zur Soziogenese des bürgerlichen Romans. Eine literatur-

soziologische Analyse des „Fortunatus“, Düsseldorf 1973(Literatur und Gesellschaft 19),S.53.

[9] BACHORSKI(1983),S.121.

[10] RAITZ(1973),S.56 Bezeichnet werden sie hier , als körperliche Fähigkeiten, die eine Kategorie des feudalem Individualitätsmerkmal, das er als die Körperlichkeit definiert, dargestellt. Fortunatus betreffend, zeigt er auf ,daß „ Körperlichkeit einziges Konstituens seiner Individualität und singulär“ ist.

[11] BACHORSKI(1983),S.41.

[12] BACHORSKI(1983),S. 48.

[13] KÄSTNER(1990),S.38.

[14] RAITZ(1973),S.57.

[15] vgl. BACHORSKI(1983),S.50

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Fortunatus Reisen als Medium zur gesellschaftlichen Integration?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Germanistik)
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
17
Katalognummer
V24386
ISBN (eBook)
9783638272742
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fortunatus, Reisen
Arbeit zitieren
Sibylle Grundmann (Autor:in), 1999, Fortunatus Reisen als Medium zur gesellschaftlichen Integration?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24386

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Fortunatus Reisen als Medium zur gesellschaftlichen Integration?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden