Die Familie in Lessings "Emilia Galotti" und Schillers "Kabale und Liebe"


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Familie – Ein historischer Überblick

2. Die Familie bei Lessing und Schiller
2.1 Die Familie Galotti
2.2 Die Familie Miller

3. Die einzelnen Familienmitglieder
3.1 Die Väter
3.2 Die Mütter
3.3 Die Töchter

Schlussbetrachtung

Einleitung

Diese Hausarbeit versucht einen Einblick in die Struktur und die in der Familie herrschenden Verhältnisse der bürgerlichen Trauerspiele „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing und „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller zu vermitteln.

Die beiden Trauerspiele haben die Konfrontation des Bürgertums mit der Adelswillkür zur Grundthematik. Die in diesen Dramen stark ausgedrückte Gesellschaftskritik und der Ständekonflikt wurden in der Forschung intensiv als zentrale Themen dargelegt und analysiert. Absicht dieser Hausarbeit ist die Ausblendung vieler dieser in der Forschung herausgearbeiteten Aspekte. Die Familie soll so weit es geht aus dem Kontext ge-nommen werden, um eine Konzentration auf das Beziehungsgeflecht und die Problematik der Struktur der Kernfamilie zu erreichen.

Nach der Auflösung der traditionellen Hausgemeinschaft im 17. Jahrhundert, vollzog sich ein Wandel des Familienverständnisses, das nun als ideale Liebesgemeinschaft empfunden wurde. Dieser Wandel führte zu innerfamiliären Konflikten, was die Funktion und Rollensicherheit einzelner Familienmitglieder betraf. Innerhalb der Familie herrschten Gefühle, außerhalb Normen, Regeln und Interesse. Die Schwierig-keit lag darin, keine Kluft sichtbar werden zu lassen, was sich als problematisch erwies. Der höfischen Welt der Kabale setzen Lessing und Schiller die private Welt der Familie gegenüber. Es ist die bürgerliche Kleinfamilie, mit ihrer patriarchalischen Struktur, die ins Licht gerückt werden soll. „Emilia Galotti“ und „Kabale und Liebe“ sind, wie die meisten Dramen Lessings und des jungen Schillers, Dramen der Familie in der Krise. An der Oberfläche formuliert sich diese Krise als Ausdruck des Ständegegensatzes aber in der Tiefenschicht ist ablesbar, dass es um die Geburtskrise der modernen Familie mit ihrer Ideologie und um die Dauerkrise dieser Einrichtung geht.

Ziel dieser Arbeit ist es, anhand dieser beiden Trauerspiele die sich mit der Zeit verschärfende Problematik der Institution Familie und der bürgerlichen Ideologie darzustellen und zu beschreiben.

Angesichts der Menge vorhandener Forschungen speziell zu diesen beiden Dramen, erwies sich die Auswahl der Literatur als äußerst schwierig. Werke, die die Familien der beiden Trauerspiele im Vergleich untersuchen, waren nicht zugänglich. Daher wurde hauptsächlich auf Aufsätze in Zeitschriften, die beide Familien in ihre Betrachtungen aufnehmen, zurückgegriffen.

Kapitel eins befasst sich zunächst mit dem Wandel und der historischen Entwicklung der Familienstruktur, sowie mit deren Auswirkungen auf den innerfamiliären Bereich und dessen Autoritätsverhältnissen. Im zweiten Kapitel werden die Kernfamilien der beiden Trauerspiele in ihrer Gesamtdarstellung vorgestellt, um so einen Überblick über die innerfamiliären Beziehungsverhältnisse zu vermitteln. Anschließend erfolgt im dritten Kapitel die Darstellung der einzelnen Familienmitglieder mit Hinblick auf die Problematik und die Konflikte der einzelnen Familienfiguren.

1. Die Familie - Ein historischer Überblick

Lessing und Schillers Drama wie auch die Gattung, der sie angehören, und die Moral der gesamten Literatur seit der Aufklärung sind nur verständlich, wenn man die Wandlungen in der Familienstruktur einbezieht, die im 18. Jahrhundert relevant wurden.

Im 17. Jahrhundert heißt „Familie“ noch Hausgemeinschaft und umfasst alle, die unter einem Dach wohnen. Der Vater ist als „pater familias“ Stellvertreter Gottes und des Fürsten. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kann man eine allmähliche Ausgliederung der Familie aus der Gesellschaft beobachten.[1] Die ältere Form der „großen Haushaltsfamilie“, die so genannte traditionelle Hauswirtschaft, wird durch die neue Form der bürgerlichen Kleinfamilie abgelöst.

Das wichtigste Merkmal der Familienstruktur des Mittelalters, wie sie noch bis ins 19. Jahrhundert hinein herrschte, war die prinzipielle Einheit von Arbeits- und Wohn-bereich. In der bürgerlichen Kleinfamilie liegt die Arbeitsstelle des Vaters außerhalb des Hauses. Diese Trennung von Erwerbs- und Familiensphäre hat weitreichende Folgen: Die Frau arbeitet nicht mehr und wird auf den enger werdenden Familienbereich beschränkt, Haushalt und Kindererziehung werden ihre Aufgaben. Entsprechend der Absonderung vom Arbeitsbereich, bildet sich innerhalb der Familie eine größere Möglichkeit des intensiven Beziehungsgeflechts aus. Zusammengenommen führten diese neuen Bedingungen zu einer Intimisierung der Familie und zur emotionalen Auf-ladung der Eltern-Kind-Beziehung. Durch diese Emotionalisierung und Intimisierung wird die Kindererziehung nun zum eigentlichen Problem, welche zu einer wachsenden Rollentrennung zwischen strengem Vater und lieb-gewährender Mutter führt.

Das patriarchalische Prinzip, die Vorherrschaft des Mannes in der Familie, ist in der Kleinfamilie nicht etwa aufgehoben, sonder eher noch verstärkt, denn die Dominanz des Mannes und seine Autorität sind jetzt auch in seiner Abwesenheit zu sichern. Auch die Vermittlung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen muss jetzt im von der Gesell-schaft abgeschlossenen Raum Familie vor sich gehen. Das bedeutet, dass die Kinder nicht mehr durch Nachahmung im lebendigen Kontakt mit der Arbeits- und Lebenswelt der Erwachsenen lernen, sondern durch die Verinnerlichung von Werten.[2] Zu bemerken ist auch ein Wandel der Autorität des Vaters hin zu einer physisch indirekten, die sich durch den Appell an die Gefühle der familiären Liebe auszeichnet. Die psychologischen Bestrafungsmittel stellen somit ein wichtiges konstituierendes Merkmal der Autoritäts-verhältnisse in der neuen Familiensituation im 18. Jahrhundert dar.[3]

Das Prinzip der hausväterlichen Gewalt bestimmt also sowohl die Beziehungen zwischen Mann und Frau als auch die zwischen Vater und Kindern. Der Hausmutter kommt entsprechend eine Zwischenstellung zu. Wohl vermag sie im Auftrag des Hausherrn zu handeln, aber dabei wird ihr jedoch jegliche Selbständigkeit abge-sprochen. Denn auch in diesem Fall muss der Hausvater unterweilen in den ihr an-vertrauten Sachen selbst mit nachsehen, damit er innewird, wie weit er sich auf sie zu verlassen hat. Damit die Ordnung der patriarchalischen Familie nicht gestört wird, muss der Hausvater letzten Endes über alle Familienmitglieder ein wachsames Auge haben.[4] Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Vater gegenüber der Mutter, die als Repräsentantin des familialen Binnenraums gesehen wird, Geist, Geschichte und Gesetz repräsentiert. Als Garant des familiären Freiraums der Liebe und Harmonie ist er Schutzmacht der Familie, Verkörperung von Normen und Anforderung.[5]

Trotz dieser vorherrschenden patriarchalischen Struktur innerhalb der Familie wird das neue Familienleitbild selbst aber auch durch eine veränderte Liebes- und Eheauffassung bestimmt, d.h. eine stärkere Betonung der Liebe für die Ehe und Ehe als Gefühls- und Geistesgemeinschaft.[6] Aber das eigentliche Interesse der neuen bürgerlichen Schichten gilt dem Funktionieren ihrer zentralen Sozialisationsinstanz, der Familie.

Die Freiheit der Gattenwahl ist der einzige Punkt, in dem die Frauen im 18. Jahrhundert an der Forderung der Aufklärung nach Selbstbestimmung des Menschen teilhaben. „Tugend“ und „Vernunft“ sind die Werte, über welche die männlich-patriarchalische Gesellschaft ihre Aufsicht auch über die notwendig gewordene Liebeswahl der Frau auszuüben sucht. Für beide Werte stand in der Familie der Vater, wie in der Familie der späteren Ehefrau der Gatte.[7] Von ähnlichem epochalem Rang wie die Idee der modernen Familie ist die der Individualität, die auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die entscheidende Formulierungsphase kommt. Das ‚Ich’ wird zum Fokus des Erlebens. Originalität und Eigentlichkeit werden zum Schlagwort des Sturm und Drang.

Am Ende können aber Familie und Individuum auch untereinander wie mit der Gesellschaft in Konflikt geraten. Denn mag die moderne Familie als Liebes-gemeinschaft gedacht sein, sie bleibt doch zugleich in einer nahezu paradoxen Verschränkung damit Institution, Rechtsordnung und Versorgungsinstitut.[8]

2. Die Familie bei Lessing und Schiller

Sowohl bei Lessing als auch bei Schiller kann man sofort die überragende Bedeutung der Familie als Ort und Bezugspunkt des Dramas erkennen: Die Ideologie der Familie als Liebes- und Vertrauensverhältnis, als Maßstab für Stabilität und Harmonie in der Welt. Trotz der zentralen Bedeutung der Familie fehlt bei Lessing und Schiller ein sie konstituierendes Element, nämlich die Mittelpunktstellung der Mutter und der mütterlichen Ehefrau innerhalb der Familie. Bei beiden ist die Familie vom Vater dominiert, in dessen Rollenbild noch etwas von der patria potestas der alten patriarchalischen Familie der ständischen Gesellschaft fortlebt.[9] Die beiden Familien sind kaum standescharakteristisch bestimmt, mit der Familie Miller kommt eine ausgeprägte Kleinbürgerfamilie auf die Bühne. Ihre altertümlichen Züge – z.B. Millers betontes Unverständnis für moderne Subjektivität, seelenhafte Liebe und Bildung – sind schichtenspezifisch. Sie zeigen, dass die alte patriarchalische Familienstruktur umso hartnäckiger überdauert, je tiefer sie ständisch angesiedelt ist.[10]

In den Dramen lässt sich jene eigenartige Dialektik der Moral beobachten, die sich auch in der bürgerlichen Familie entfaltet, wenn z.B. der Hausvater als strenger Herrscher und liebevoller Vater zugleich auftritt. Offensichtlich konnte sich die bürgerliche Familie keineswegs einen gewaltfreien Raum erobern, abgeschirmt von den Einflüssen der feudalistischen Gesellschaft und seiner frühaufklärerischen Gleichheitsidee.[11]

[...]


[1] vgl. Kaiser, Gerhard: Krise der Familie. Eine Perspektive auf Lessings „Emilia Galotti“ und Schillers „Kabale und Liebe“, in: Recherches Germaniques 14 (1984), S.7.

[2] vgl. Herrmann, Hans Peter/Herrmann, Martina: Grundlagen und Gedanken. Friedrich Schiller „Kabale und Liebe“, Frankfurt a. M. 1997, S.16.ff.

[3] vgl. Wurst, Karin: Familiale Liebe ist die ‚wahre Gewalt’. Die Repräsentation der Familie in G.E. Lessings Dramatischem Werk, Amsterdam 1988, S.46ff.

[4] vgl. Fischer-Lichte, Erika: Geschichte des Dramas. Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart, 2 Bde., Tübingen 1999 (Bd.1, Von der Antike bis zur deutschen Klassik), S. 279ff.

[5] vgl. Kaiser, Gerhard: Krise der Familie, S.8.

[6] vgl. Rosenbaum, Heidi: Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1982, S.261ff.

[7] vgl. Herrmann, Hans Peter: Musikmeister Miller, die Emanzipation der Töchter und der dritte Ort der Liebenden. Schillers bürgerliches Trauerspiel im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 28 (1984), S.235.

[8] vgl. Kaiser, Gerhard: Krise der Familie, S.9ff.

[9] Ders. S.13ff.

[10] Ders. S.18

[11] vgl. Scheuer, Helmut: Theater der Verstellung. Lessings „Emilia Galotti“ und Schillers „Kabale und Liebe“, in: Der Deutschunterricht, Jg. 43 (Heft 6,1991), S.61.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Familie in Lessings "Emilia Galotti" und Schillers "Kabale und Liebe"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar - Das Bürgerliche Trauerspiel
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V24026
ISBN (eBook)
9783638270052
ISBN (Buch)
9783638848152
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familie, Lessings, Emilia, Galotti, Schillers, Kabale, Liebe, Proseminar, Bürgerliche, Trauerspiel
Arbeit zitieren
Clara La Terra (Autor:in), 2002, Die Familie in Lessings "Emilia Galotti" und Schillers "Kabale und Liebe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24026

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