Die wirtschaftliche Entwicklung in Mitteleuropa im frühen 19. Jahrhundert - der Beginn der Industrialisierung


Seminararbeit, 2003

27 Seiten, Note: 1 (sehr gut)


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Großbritannien- Geburtsland der Industrialisierung
2.1 Beginn und 1.Phase der Industrialisierung 1760-1840
2.2 Ein neuer „leading sector“- England ab 1830/ 1840

3. Frankreich- die Macht auf dem Kontinent 10
3.1 Handel, Finanzen und Landwirtschaft
3.2 Produzierendes Gewerbe: Textil- und Schwerindustrie
3.3 Die Französische Revolution und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft

4. Belgien- Staatlich geförderte Industrialisierung

5. Inseln der Industrie- Frühindustrialisierung auf dem Gebiet des Deutschen Bundes

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit, die auf meinem Referat „Wirtschaftliche Entwicklung in Mitteleuropa im frühen 19. Jahrhundert- Beginn der Industrialisierung“ vom 04.11.2002 aufbaut, untersuche ich die Bedingungen, die für den Beginn der „Industrialisierung“ in den wichtigsten westeuropäischen Staaten signifikant waren. Dabei versuche ich sowohl die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Regionen, als auch gewisse Vernetzungen und Interdependenzen zwischen den Ländern herauszuarbeiten und in ihrer Bedeutung für den Industrialisierungsprozess einzuordnen.

Trotzdem soll der Überblickscharakter der Hausarbeit nicht verloren gehen, da auch das Referat die wirtschaftlichen Verhältnisse in Mitteleuropa im Zusammenhang mit der Entstehung des „Deutschen Zollvereins“ eher allgemein betrachten sollte.

Der Aufbau der Arbeit wird im Wesentlichen chronologisch sein, d.h. Großbritannien wird als Geburtsland der Industrialisierung am Anfang stehen, danach werden die diesseits des Kanals gelegenen Länder Frankreich und Belgien vorgestellt, um zum Schluss schlaglichtartig das Gebiet des Deutschen Bundes zu beleuchten.

Zunächst soll aber eine terminologische Annäherung an den von mir benutzten Begriff der „Industrialisierung“ erfolgen.

In der neueren Forschung hat sich dieser Begriff gegenüber dem als Äquivalent gebrauchten Terminus der „Industriellen Revolution“ durchgesetzt, da er den „evolutionären Charakter“[1] des Vorgangs betont. Dem gegenüber steht der erstmals von Friedrich Engels und Louis Auguste Blanqui verwendete Ausdruck der „Industriellen Revolution“. Hier sollte der gravierende Umbruch in der Lebens- und Arbeitswelt der damaligen Bevölkerung im Zuge des Industrialisierungsprozesses in den Vordergrund gestellt werden, einer Veränderung mit ähnlichen Auswirkungen wie die „Französische Revolution“ auf politischem Gebiet. Doch schon Fischer bemerkte mit Blick auf die Dauer der Industrialisierung: „Trotz des eingefleischten Terminus von der Industriellen Revolution ging die Industrialisierung, wenn man den ganzen Kontinent betrachtet, eher gemächlich voran.“[2] Wie ich versuchen werde zu zeigen, gewinnt unter vergleichenden Aspekten Fischers Behauptung an Solidität, denn bezüglich des Beginns, Ablaufes, der Intensität und Dauer des Industrialisierungsprozesses unterscheiden sich die Länder Europas erheblich.

Inhaltlich beschreibt der Begriff der Industrialisierung einen Vorgang, der „ gekennzeichnet [ist] durch den zunehmenden Einsatz neuer Techniken mit hoher Kapitalintensität, durch Massenproduktion in Folge von Mechanisierung, durch Arbeitsteilung und Rationalisierung sowie durch Nutzbarmachung und Einsatz neuer Energien (Kohle, Erdöl, Elektrizität).“[3] Als Begleiterscheinungen sind die Entwicklung eines Finanzsektors, des Verkehrs- und Nachrichtenwesens sowie in sozialer Hinsicht die Auflösung traditioneller Bindungen und eine wachsende Mobilität zu nennen.

Doch zunächst will ich den ursächlichen Bedingungen für den Beginn, den „Ausbruch“ der Industrialisierung auf den Grund gehen und dazu Großbritannien, gemeinhin als das „Mutterland der Industrialisierung“ bezeichnet, untersuchen.

2. Großbritannien- Geburtsland der Industrialisierung

2.1. Beginn und 1. Phase der Industrialisierung 1760-1840

Dass Großbritannien das Mutterland der Industrialisierung ist, darüber besteht in der wissenschaftlichen Diskussion Einigkeit. Die Frage, welche viel kontroverser diskutiert wird, ist, wann deren Beginn anzusiedeln sei. Einige Forscher[4] sehen frühindustrielle Erscheinungen in Großbritannien bereits im 16./ 17. Jahrhundert in Verbindung mit der Auflösung der Klöster, eines verstärkten Kohlebergbaus, sowie einer starken gewerblichen Entwicklung. Ohne Zweifel ist das „elisabethanische Zeitalter“ mit seinen Reformen eine wichtige Scharnierepoche der britischen Wirtschaftsgeschichte, aber die oben genannte Definition von Industrialisierung und einschneidende politische Veränderungen wie z.B. die „Glorious Revolution“ 1688 rechtfertigen kaum einen so frühen Beginn des Industrialisierungsprozesses. Außerdem verlief diese frühe Expansion relativ langsam und betraf nur einen kleinen Teil des nationalen Gewerbes. Es ist kein nennenswerter Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion für einen längeren Zeitraum zu verzeichnen und schließlich wuchs auch der inländische und internationale Güteraustausch nur unwesentlich an.

Das begann sich erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts allmählich zu ändern[5]: Eine

Reihe von ungewöhnlich guten Ernten in den Jahren von 1720-1750 führten ab ca. 1740

zu einem stetigen Bevölkerungswachstum. Die Gründe für die guten Ernten liegen einmal

in zufälligen klimatischen Gegebenheiten, andererseits aber in der Einführung neuer

Techniken (Eisenpflug) und Anbaumethoden (Brachennutzung für Futterpflanzen,

Kartoffelanbau). Auch eine Reihe von Gesetzen des Parlamentes, die die sogenannten „Enclosures“ förderten, d.h. das Einziehen oder Aufkaufen der Bauernhöfe durch die Grundherren, steigerten die Produktivität der Landwirtschaft[6]. Als Nebenerscheinungen kam es zu einer teils beträchtlichen Kapitalakkumulation bei den Großbauern und zu einer Abwanderung von ehemaligen Kleinbauern in die Städte. Sie standen für neu entstehende Manufakturen und Fabriken als Arbeitskräfte zur Verfügung.

Der Nahrungsmittelüberschuss führte einerseits zu einem Bevölkerungswachstum ohne dass dabei die Preise für Lebensmittel nennenswert stiegen. Das schuf ein günstiges soziales Klima für eine positive Wirtschaftsentwicklung. Andererseits setzte er Kapazitäten für einen verstärkten Export von Getreide frei, der den britischen Außenhandel stark beflügelte.

Dieser Außenhandelsaufschwung wurde entscheidend für diese erste Phase der Industrialisierung in Großbritannien, da er neben der Landwirtschaft eine „breite Spanne der einheimischen Fabrikationszweige“[7] erfasste. Hier ist anzumerken, dass der Außenhandel / Seehandel auf Grund der insularen Lage des Landes schon immer eine herausragende Rolle spielte. Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch erlebte der britische Außenhandel einen in dieser Dimension bis dahin unbekannten Aufschwung. Wiederum zeigen sich eine Vielzahl von Gründen, politische wie wirtschaftliche, dafür verantwortlich. Zum einen re-investierten die ursprünglich nur landwirtschaftlich geprägten Großgrundbesitzer ihre aus den Überschüssen resultierenden Gewinne verstärkt im Handel. Niedrige Zinssätze mögen diese Entscheidungen ebenso befördert haben, wie die mangelnden Expansionsmöglichkeiten und Gewinnspannen im agrarischen Sektor[8]. Das unternehmerische Risiko sank für große maritime Handelsunternehmungen erheblich, sowohl wegen der verbesserten Schiffstechnik, als auch wegen der schon erwähnten niedrigen Zinssätze. Die „Neuunternehmer“ erwarben z.T. beträchtlichen Reichtum, den sie vor allem im neuen europäischen Finanzzentrum London zur Schau stellten. Und das damit verbundene steigende Ansehen der Kaufmannschaft ermunterte immer neuen „Geldadel“ in diesem Bereich zu investieren.

Sozusagen im „Schlepptau“ der expandierenden Seefahrt entwickelte sich ein völlig neues Gewerbe: das Versicherungswesen (genannt sei nur das berühmte Haus Lloyds) und ein verbessertes Kreditwesen; beides kam mehr und mehr auch dem Binnenhandel in Großbritannien zu Gute.

Die politischen Akteure nahmen die Interessen der großen Schiffseigener und Handelshäuser bereitwillig auf und versuchten ihre Handelsschifffahrt vor allem durch den Ausschluss der holländischen Konkurrenz zu unterstützen. Geradezu beispielhaft für die zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen um die Hegemonie zur See steht die Eroberung Neu-Amsterdams (New York), die schon 1664 den Grundstein für die Vorherrschaft auf dem expandierenden nordamerikanischen Markt legte. Insgesamt wurde ein immer größer werdendes Augenmerk auf überseeische Besitzungen gelegt und Frankreich erwuchs dabei im 18. Jahrhundert zum Hauptkonkurrenten.

Doch zurück zur wirtschaftlichen Entwicklung: Die wachsenden (Außen-) Märkte und gleichzeitig steigende Löhne gaben Anreize, nach arbeitssparenden Neuerungen zu suchen

und sie dann auch einzuführen.

Vor allem bei den arbeitsintensiven Branchen lohnten sich die Innovationen. James Hargraeves erfand 1764 ein Spinnmaschine, die gleichzeitig acht Fäden spinnen konnte und benannte sie nach seiner Tochter „Spinning Jenny“. Als schließlich Richard Arkwright 1769 seine ein Jahr zuvor erfundene Baumwollspinnmaschine in der ersten modernen Textilfabrik zur Anwendung brachte, war der Startschuss für die eigentliche gewerbliche Industrialisierung gegeben. Rostow führte den für die britischen Verhältnisse durchaus anwendbaren Begriff des „take-off“ in die Wissenschaft ein[9]: „Der take-off kennzeichnet eine industrielle Revolution, die unmittelbar mit radikalen Veränderungen in den Herstellungsmethoden verknüpft ist, deren entscheidende Konsequenzen sich über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum erstrecken.“

Die Einführung der Dampfmaschine durch James Watt 1769/85 und die schon genannten technischen Verbesserungen ließen die Kosten der Herstellung von Textilien beträchtlich schrumpfen. Gleichzeitig erhöhte sich die Qualität, was wiederum die Nachfrage in Kontinentaleuropa erhöhte und die Baumwollindustrie zum führenden Wirtschaftszweig („leading sector“) in Großbritannien machte.[10] Als Indikator für die Menge der gefertigten hochwertiger Stoffe gilt der Import von Rohwolle[11]: Dieser stieg in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von 1770-1810 um das 20-fache an! Außerdem betrug der Wert der Baumwollexporte 1815 40% aller aus Großbritannien ausgeführten Güter. Das veranlasste Hobsbawm zu dem paradigmatisch anmutenden Ausspruch: „Wer industrielle Produktion sagt, meint Baumwolle.“[12] Dieses recht absolute Statement kann von der modernen Forschung nicht uneingeschränkt befürwortet werden. Vielmehr wird das Phänomen Industrialisierung im gesamtwirtschaftlichen Kontext betrachtet. Ist die Baumwollindustrie auch unumstritten der „leading sector“ in der ersten Phase der Industrialisierung, so wird doch auch immer auf ihre räumliche Begrenztheit (Lancashire) verwiesen.

[...]


[1] Mieck, Ilja (1993)

[2] Fischer, Wolfram (1962)

[3] Schäfer, Hermann; Ott, Hugo (Hg.): Wirtschaftsploetz. (1984) S. 145f.

[4] vgl. zuerst Nef, J.U.: The Progress of Technology and the Growth of Large-Scale Industry in Britain 1540- 1640. In: Wilson, Carus (Hg.): Essays in Economic History, Bd.1, S.89f.

[5] die folgenden Zahlen sind alle aus Fischer, Wolfram u.a. (Hg.): Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 4. (1993).

[6] Weis, Eberhard: Der Durchbruch des Bürgertums. In: Mitte, Wolfram u.a. (Hg.): Propyläen Geschichte Europas. Bd.4. (1981) S.49f.

[7] Vgl. Daivs, Ralph: English Foreign Trade 1700-1774. In: Economic History Review. Dez.1962. S.293 8 Hartwell, R.M.: Die Ursachen der Industriellen Revolution. Ein Essay zur Methodologie. In: Braun, R. u.a. (Hg.): Industrielle Revolution. Wirtschaftliche Aspekte. (1972) S. 305-358

[9] Rostow, Walt W.: The stages of Economic Growth (1969). S.57.

[10] Deane, Phyllis: Output of the British Woolen Industry in the Eighteenth Century. In: Journal of Economic History (1957).

[11] Anmerkung: wichtigster Handelpartner der Briten und Erzeuger von Merino-Rohwolle war Portugal, ein Umstand, der bei der Betrachtung der britischen Politik auf der iberischen Halbinsel während der napoleonischen Kriege gern übersehen wird.

[12] Hobsbawm, Eric J.: Industrie und Empire, Bd.1. (1969) S.55

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die wirtschaftliche Entwicklung in Mitteleuropa im frühen 19. Jahrhundert - der Beginn der Industrialisierung
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Der Deutsche Zollverein 1834-1871
Note
1 (sehr gut)
Autor
Jahr
2003
Seiten
27
Katalognummer
V23994
ISBN (eBook)
9783638269834
ISBN (Buch)
9783638648189
Dateigröße
575 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Mitteleuropa, Jahrhundert, Beginn, Industrialisierung, Deutsche, Zollverein
Arbeit zitieren
Cornelius Stempel (Autor:in), 2003, Die wirtschaftliche Entwicklung in Mitteleuropa im frühen 19. Jahrhundert - der Beginn der Industrialisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23994

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