Der Weg zur Bildung


Seminararbeit, 2004

21 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Die Grundsätze
II.I Bewegung
II.II Doxa und Paideia
II.III Aletheia und Agathon

III. Ziel der Paideia als Bewegung am Einzelnen

IV. Der Bildungsbegriff und was ihn ausfüllt

V. Anforderungen an den Bildungsbegriff

VI. Modernen Zitate des Höhlengleichnisses
VI.I „Die Matrix“ als cineastische Interpretation
VI.II „Flächenland“ als kritischer Beitrag zur platonischen Erkenntnistheorie

VII. Schlussbetrachtung
VII.I Der Bildungsbegriff
VII.II Elemente des Bildungsbegriffes verwendete Zeichen

Quellenverzeichnis

I. Einleitung

Das Ziel dieser Arbeit ist nicht ausschließlich die Ausarbeitung des Bildungsbegriffs im rein platonischen Sinne des Höhlengleichnisses. Vielmehr soll darüber hinaus versucht werden, moderne Interpretationen und Zitate des Höhlengleichnisses mit einfließen zu lassen, um damit auch zu zeigen, wie aktuell - vielleicht sogar zeitlos - das platonische Gedankengut ist. Dabei muss diese nunmehr fast zweieinhalb Jahrtausende alte platonische Vorstellung insb. an den heutigen Anforderungen gemessen werden, welche folglich zumindest im Ansatz formuliert werden müssen.

Hauptanliegen dabei bleibt die Kennzeichnung des Bildungsbegriffs, bzw. die Erziehung oder Hinleitung des Menschen zur Bildung, kurz die Paideia. Wie sieht der platonische Bildungsbegriff aus? Um diese Frage wird diese Arbeit immer wieder kreisen müssen. Wie wird eine Hinleitung zur Bildung realisiert, bzw. was ist in diesem Kontext Erziehung? Genügt der platonische Bildungsbegriff den heutigen Anforderungen der modernen Gesellschaft? Auch auf diese Frage soll zumindest der Ansatz einer Antwort versucht werden, weil immer deutlicher die Forderung nach zeitgemäßer Bildung, insb. Berufsbildung und nach gesellschaftlicher Befähigung im Sinne einer Mitgestaltung auftaucht. Verträgt sich der platonische Bildungsbegriff überhaupt mit dem so genannten Zeitgeist, bzw. mit dessen Erfordernissen? Einen Beitrag zur Formulierung zeitgemäßer Anforderungen an einen, vielleicht den Bildungsbegriff, leistet die UNESCO mit ihrem Bericht „Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum“[1]. Aber auch von zahlreichen anderen Stellen kommen entsprechende Beiträge, die immer wieder einen Aspekt ganz besonders in den Mittelpunkt stellen: die zunehmende Säkularisierung[2]. Ist der platonische Bildungsbegriff ausgerüstet, eine Anpassung an solche Verhältnisse herzustellen? Darf vielleicht die These gewagt werden, dass die platonische Vorstellung bereits alles bietet, was man von einem Bildungsbegriff erwarten können soll? Auf Fragen solcher Tragweite kann freilich nur der Ansatz einer Antwort versucht werden.

In dieser Arbeit soll es um den platonischen Bildungsbegriff gehen und in einem zweiten Schritt darum, ob dieser zur Adaption an die aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen geeignet ist. Zugriffe auf andere Genre und Medien dienen lediglich der Illustration des vorliegenden Problems und zur konzentrierteren Darstellung einiger Aspekte. Wenn im Verlauf der Arbeit beispielsweise auf den Kinofilm „Die Matrix“[3] rekurriert wird, der in großen gesellschaftlichen Kreisen ein breites philosophisches Interesses ausgelöst hat, dann geschieht dies, um damit zu zeigen, dass die platonische Vorstellungen, die der Film zitiert, keineswegs nur in den Hallen der Wissenschaft Anklang und Interesse geweckt hat. In der Hauptsache ist der Film gut geeignet, als ergänzende Illustration zu dienen. Der Roman „Flächenland“[4] hingegen zitiert ebenfalls den erkenntnistheoretischen Hintergrund des Höhlengleichnisses und fokussiert zugleich die Frage, wie das Wissen oder der erkenntnistheoretische Vorsprung eines Einzelnen gegenüber einer Gesellschaft vermittelt werden kann, womit eine ähnliche Situation geschaffen ist, wie sie sich dem aus der Aletheia in die Höhle Zurückgekehrten darstellt. Der Roman entfernt sich aber auch von diesem eher didaktischen Problem, indem er umfangreich ein gesellschaftliches Regelwerk illustriert, das dem erkenntnistheoretischen Stand der jeweiligen Gesellschaft gerecht wird. Auch hier ist das Höhlengleichnis wieder präsent, weil es ja die erkenntnistheoretische Grundlage für den idealen Staat im platonischen Sinne bildet.

Der Einstieg in das Problemfeld beginnt nachfolgend mit der Erläuterung der Entwicklungsstufen, in die der Mensch durch die Paideia genötigt wird. Dabei werden insb. die relevanten Begriffe Doxa, Aletheia und Agathon – allen voran der Begriff der Paideia[5] – gefüllt werden. Darauf folgt sowohl deren interaktive Einordnung, als auch das Aufzeigen von Beziehungen. Sodann wird der Versuch unternommen, moderne Anforderung an den Bildungsbegriff zu formulieren, um diese dann auf die platonische Idee zu transferieren. Darauf hin sollen moderne Zitate des Höhlengleichnisses - wie bereits weiter oben erwähnt - in die Betrachtung mit aufgenommen werden, um das Problem weiter zu illustrieren und auch, um einen vielleicht nicht ganz so traditionellen Transfer zu leisten.

II. Die Grundsätze

II.I Bewegung

Das kennzeichnende Merkmal des Höhlengleichnisses ist augenscheinlich eine Aufteilung in drei Stadien, deren Übergänge durch Bewegung geprägt sind. Da ist zunächst der eigentliche Aufenthalt gefesselter Menschen in der Höhle, welcher sich durch den Zustand der Doxa kennzeichnet, des Scheinwissens, dann folgt der Übergang, bzw. Aufstieg aus der Höhle in die Sphäre der Aletheia, dem Eigentlichen[6], d. h. des Wahrhaften, worauf wieder der Abstieg in die Höhle folgt. „Das Hinauf und Hinab, das Hinaufgeführtwerden und das Zurückgesandtwerden […] stellt sich als allgemeines Kennzeichen […] heraus“[7]. Dieses Hinauf und Hinab wird nicht von den Menschen in der Höhle aus sich heraus bewerkstelligt, sondern es geschieht an, bzw. mit ihnen. Es kann gar keine Motivation, sich aus den Fesseln zu lösen, existieren, da diese nicht Gegenstand irgendeiner Reflexion sind. Als Menschen seien wir in die Fesseln hineingeboren, eine andere Daseinsoption[8] liege daher auch außerhalb unserer Vorstellungsfähigkeit, will Platon sagen[9]. Die Befreiung aus den Fesseln ist Aufgabe[10] der Paideia, ein Begriff, der frei übersetzt so viel wie Hinleitung zur Wahrheit bedeutet, worunter also schon Pädagogik verstanden werden darf.

Damit sind neben der Bewegung als konstitutives Merkmal, insb. die Begriffe Doxa und Aletheia und deren Übergangsfunktion Paideia von zentraler Bedeutung. Dies soll folgend genauer beleuchtet[11] werden.

II.II Doxa und Paideia

Der altgriechische Begriff Doxa bedeutet annähernd so viel wie Meinung und Scheinwissen. Die höchste Erkenntnis der Gefesselten ist Doxa. Die Fesseln erlauben den Höhleninsassen nicht mehr als die Ansicht, bzw. Betrachtung der durch ein Feuer geschaffenen Schatten von Gegenständen, die unsichtbar für die Gefesselten, hinter ihnen vorbei getragen werden. Die Welt und das Wissen über sie und ihre Phänomene, kann also ausschließlich nur in diesen Projektionen gesucht werden, denn eine andere Erkenntnisquelle steht nicht zur Verfügung. Mit dieser Problematik hängt direkt zusammen, dass das Dasein der Gefesselten in der Höhle nicht als ein In-der-Höhle-sein wahrgenommen wird, im Sinne von in einem Raum sein, hinter dem die Welt weitergeht. Es gibt nicht nur keine Schnittstelle zwischen Mensch und Welt, die dann ja optimiert werden könnte, sondern die Menschen nehmen als Verborgene nur Verborgenes wahr[12].

Daher kann die Qualität des Begriffs der Doxa auch nicht aus Sicht der Gefesselten gedacht werden, denn von ihrem Standpunkt ist es gerade das Wahre in voller Reinheit und gewissermaßen ohne jeglichen Schatten, was sich in, durch und mit der Höhle abspielt: „Die Schatten sind ihnen das Un-verborgene“[13]. Eine Vorstellung, dass dem nicht so sein könnte, existiert nicht. Diese Tatsache ist es ja auch, die dem Zurückgesandten später zum Verhängnis werden wird, nachdem an ihm die Paideia vollzogen wurde. „Man müsse jeden, der sie [die Gefesselten] lösen und hinaufbringen wollte, wenn man seiner nur habhaft werden [könnte…] umbringen […]“[14]. Die Menschen „wissen nicht um ihren Aufenthalt als eine Höhle, nicht um den Gegensatz zur Aletheia“[15]. Das, was sich ihnen darbietet ist die Welt, wie sie - um erneut mit Heidegger zu sprechen - sich „un-verborgen“ darstellt und in der sie sich einzurichten haben[16].

Der Begriff Doxa wird in diesem Kontext also aus der Perspektive der Aletheia benutzt. Aus Sicht eines Menschen, der bereits den vollen Überblick über das Höhlenartige dieses Daseinsmodus’[17] hat. Nur in der Differenz zu diesem Standpunkt kann die Spitze erkenntnistheoretischer Befähigung der Gefesselten als Doxa, also als Meinung im Sinne von Nicht-Wissen der Wahrheit oder Scheinwissen, bezeichnet werden.

Dies also beschreibt den Zustand der Menschen vor der Einflussnahme durch die Paideia. Platon formuliert gleichnishaft den ersten Übergang: „Nun betrachte auch [, sagt er zu Glaukon,] die Lösung und Heilung von ihren Banden und ihrem Unverstande […]. Wenn einer entfesselt wäre und gezwungen würde, sogleich aufzustehen, den Hals herumzudrehen, zu gehen und gegen das Licht zu sehen“[18], befindet er sich bereits auf dem Weg zur Heilung. Die Paideia vollzieht sich an dem Gefesselten und zwar nicht durch eine Person, sondern durch irgendetwas, das über sie kommt. Der Mensch wird aus seiner Welt herausgerissen und unfreiwillig auf einen schmerzhaften Weg geschickt, denn indem der Befreite nun gehe und gegen das Licht sähe, leide er unter „Schmerzen [und sei] wegen des flimmernden Glanzes nicht [in der Lage], jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah“.[19] Unfreiwillig muss dieser Weg wahrgenommen werden, denn der nun Entfesselte wird genötigt, alles ihm Bekannte, in das er sich eingerichtet und eingelebt hat, hinter sich zu lassen.

[...]


[1] Die Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum, erschienen bei Luchterhand Neuwied; Kriftel, Berlin 1992, [im Folgenden nur: UNESCO]

[2] In Verbindung mit einem kapitalistischen Weltbild, das diese Säkularisierung zu bedingen scheint.

[3] Wachowski, A. und L., „The Matrix“, Warner Brothers, USA 1999 [im Folgenden nur: „Die Matrix“]

[4] Abbott, Edwin A., „Flächenland“, reprinta historica didactica, Franzbecker, herausgegeben und übersetzt von Peter Buck, Hildesheim 1990 [im Folgenden nur: Abbott]

[5] Diese vier Begriffe werden in der Folge ausschließlich in ihrem Originallaut verwendet werden.

[6] Hier verstanden als das, was den Dingen eigentlich zukommt, was ihnen eigen ist.

[7] Ballauff, Theodor, Philosophische Begründungen der Pädagogik: Die Frage nach Ursprung und Maß der Bildung, Duncker und Humblot, Berlin 1966, S. 63 [im Folgenden nur: Ballauff]

[8] Dieser Begriff ist bewusst gewählt, da das Dasein der Menschen in der Höhle in der Tat als eine Option betrachtet werden kann. Eine andere Option ist der Aufstieg in die Sphäre der Aletheia, bzw. der Aufenthalt außerhalb der Höhle.

[9] Dies wird allein schon durch den gleichnishaften Aufbau, insb. durch die im Höhlengleichnis zum Ausdruck kommende Dualität des platonischen Weltbildes bestätigt.

[10] Die Verwendung des Begriffs Aufgabe mag ungenau sein, ist aber dennoch dienlich. Es kann sich eigentlich nicht um eine Aufgabe handeln, die Paideia sich nicht selbst versteht, sondern gewissermaßen als Ereignis über den Menschen kommt.

[11] Der Terminus des Beleuchtens ist hier nicht zufällig gewählt. Bedenkt man, dass im platonisch gleichnishaften Sinne die Sonne als höchste Idee das Sein als tatsächliches Sein beleuchtet und es dadurch enthüllt.

[12] In enger Anlehnung an Heidegger, M., Vom Wesen der Wahrheit - zu Platons Höhlengleichnis und Theatet, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1988 [im Folgenden nur: Heidegger], wo diese Ausdrucksweise vielfach vorkommt.

[13] Heidegger, S. 26

[14] Platon, sämtliche Werke, Band 2, Politeia, Rowohlts Enzyklopädie, Hamburg 1994, herausgegeben von Ursula Wolf, Übersetzung Friedrich Schleiermacher, siebtes Buch, 517 a [im Folgenden nur: Platon]

[15] Ballauff, S. 63

[16] Vgl. auch Ballauff, Theodor, Die Idee der Paideia – Eine Studie zu Platons Höhlengleichnis und Parmenides’ Lehrgedicht, Westkulturverlag Anton Hain, Meisenheim 1952, S. 20

[17] Dieser Begriff verweist auf die prinzipielle Möglichkeit jedes Menschen aus der Doxa gelöst zu werden. Die Tatsache, dass die Menschen im Gleichnis gefesselt sind, also in ihrer ihnen eigentlich naturgemäß zugehörigen Bewegungsfähigkeit behindert sind, soll gerade zeigen, dass es das Ziel sein muss, dieses Zustandes entledigt zu werden.

[18] Platon, 515 d

[19] ebenda

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Weg zur Bildung
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Fachbereich Bildungs- und Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
Hauptvorlesung zur Pädagogik
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V23960
ISBN (eBook)
9783638269575
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Untertitel: Erkenntnistheoretische Grundlagen des platonischen Bildungsbegriffes im Rahmen des Höhlengleichnisses. Die Arbeit eignet sich sowohl für Philosophen als auch für Pädagogen und bietet einen interessanten Blickwinkel, weil auch sehr moderne Ansätze darin enthalten sind.
Schlagworte
Bildung, Hauptvorlesung, Pädagogik
Arbeit zitieren
Friedrich Fiebiger (Autor:in), 2004, Der Weg zur Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23960

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