Die revolutionäre Krise von 1848-51 in Frankreich

Revolutionsursachen, Verlauf und Analyse des Scheiterns der Zweiten Französischen Republik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

42 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Ursachen der Revolution von 1848 / 49 in Frankreich

3. Von der Februarrevolution zum Staatsstreich Napoleons – eine problemorientierte Darstellung der Geschichte der Zweiten Französischen Republik
a) Die Februarrevolution und das Scheitern der „sozialen Republik“
b) Das Scheitern der „gemäßigten Republik“ bis zum Staatsstreich Napoleons

4. „Ein kurzlebiges Regime …“ – eine Analyse der Ursachen des Scheiterns der Revolution und Zweiten Französischen Republik
a) Ungeschlossenheit und Spaltung der Revolutionsbewegungen
b) Wirtschaftliche Entwicklung
c) Wirtschaftlich-soziales Gefälle: Der Faktor Landbevölkerung
d) „Figur Napoleon“

5. Resümee

6. Bibliographie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- Die Provisorische Regierung im Februar 1848[1] -

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit entstand als Seminararbeit im Rahmen des im Wintersemester 2003 von Herrn PD Dr. Wentker am Historischen Seminar der Universität Leipzig gehaltenen Hauptseminars „Die Revolution von 1848/49 in internationaler Perspektive“, in dem die nationalen Revolutionen von 1848 im Rahmen von Referaten zunächst vorgestellt und in anschließenden Diskussionen in komparativer Perspektive analysiert wurden.

Innerhalb dieser gesamteuropäischen Perspektive, die sich nicht nur mit dem reinen Vergleich der weitgehend von Faktoren der nationalen bzw. regionalen Ebene determinierten Revolutionen, sondern auch mit gegenseitigen Wirkungen und Rückwirkungen der einzelnen Revolutionsverläufe beschäftigte, nimmt die Revolution von 1848 in Frankreich, mit der sich der Autor im Rahmen seines Vortrages sowie der vorliegenden Arbeit beschäftigte, in mehrfacher Hinsicht eine besondere Rolle ein:

- Zunächst kam den französischen Entwicklungen vom Februar 1848 - wie schon 1830, nur mit weit größerer Wirkung - eine wesentliche Auslöserfunktion für die Revolutionen zu, die in den Folgemonaten die anderen europäischen Länder erfasste. Zwar waren den weitgehend unfreiwillig durch die Pariser Bankettbewegung ausgelösten Ereignissen Unruhen in Italien und der Schweiz vorangegangen, doch erst der „Donnerschlag“ der Pariser Februarrevolution löste eine Kette zunächst hauptstädtischer Revolutionen aus, die von Paris auf Wien, Pest-Buda, Mailand und Berlin übersprang und schließlich zur gesamteuropäischen Revolution der Jahre 1848/49 führte:

„Zwar war in allen Staaten, die(…) von der Revolution erschüttert wurden, genügend hausgemachter Brennstoff angehäuft. Die Pariser Februarrevolution wirkte jedoch wie ein Funke, der diesen (…) hell auflodern lies.“[2]

- Hinsichtlich der vorrevolutionären politisch-gesellschaftlichen Situation und den damit korrespondierenden Revolutionszielen unterschied sich Frankreich – ebenso wie England – nicht nur durch die bereits eingelöste nationalstaatliche Einigung von den anderen europäischen Staaten: Die Forderung nach Demokratisierung bezeichnete in Frankreich nicht mehr die Überwindung absolutistischer Herrschaftsformen und ständischer Ordnung, sondern die Beseitigung der letzten Relikte, die einer modernen, egalitären Staatsbürgergesellschaft noch im Wege standen. Während in den Agrargesellschaften Osteuropas Lösung der „Bauernfrage“ im Vordergrund stand, bedeutete Neuordnung der Sozialverfassung im Zusammenhang der französischen Revolution von 1848 darüber hinaus vor allem die Lösung der „Arbeiterfrage“.
- Auch in der äußeren zeitgenössischen Sicht kann der französischen Entwicklung über die Anstoßfunktion der Februar-Revolution hinaus eine besondere Bedeutung zugemessen werden: Während die demokratischen Bewegungen Europas ihre Hoffnungen zu einem nicht unbeträchtlichem Teil aus der jungen französischen Republik speisten, zeigt besonders die Reflexion des Scheitern des Juni-Aufstandes durch die konservativen Kräfte anderer Staaten die gesamteuropäische Dimension der französischen Entwicklung:

„Auch außerhalb Frankreichs feierten Konservative und Liberale den „Sieger“ von Paris, Kriegsminister Cavaignac (…). Die Gefahr eines Weitertreibens der politischen Reform in den Umsturz der Gesellschaftsordnung schien gebannt (…) wie auch (…) die Möglichkeit, dass das republikanische Frankreich einen Revolutionskrieg zu Gunsten anderer Nationalbewegungen entfesseln könnte.“[3]

- Die durch die Februar-Revolution erreichten politischen und gesellschaftlichen Reformen ragten hinsichtlich ihrer Progressivität innerhalb Europas schließlich weit hinaus: Nur in Frankreich, sieht man von den zerbrechlichen Republiken in Rom und Venedig ab, wurde im Zuge der Revolution von 1848/49 die Monarchie vollständig durch die Republik ersetzt, mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts darüber hinaus die Grenze zu einem egalitären demokratischen System durchbrochen und schließlich durch die Einsetzung der Regierungskommission für die Arbeiterfrage unter Louis Blanc[4] ein erster Versuch aktiver Sozial- und Arbeitsmarktpolitik unternommen.

Trotz dieser im europäischen Vergleich somit günstigen Ausgangslage für die eine dauerhafte Stabilisierung des politischen und sozialen Systemwechsels und einen langfristigen Erfolg der Revolution, die nicht nur durch die vollständige Ausschaltung der Monarchie als restaurativem Faktor, sondern darüber hinaus auch durch die in der Anfangsphase ungewöhnliche Geschlossenheit der progressiven Kräfte gestützt wurde, fand die Zweite Republik als Produkt der französischen Revolution von 1848/49 schon nach kurzer Zeit mit dem Staatsstreich Napoleons 1851 ihr Ende.

Die vorliegende Arbeit will sich deshalb vor allem einer Analyse der Gründe für das Scheitern der Zweiten Französischen Republik widmen, ohne jedoch auf eine breitere Perspektive zu verzichten:

- In einem ersten Teil sollen die Ursachen der Revolution knapp anhand der wesentlichen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen vor dem Hintergrund zentraler Ereignisse analysiert werden.
- Ein zweiter Teil soll eine überblickshafte Darstellung der Ereignisse vom Beginn der Februar-Revolution bis zum Ende der Zweiten Republik geben.
- Im einem dritten Teil sollen schließlich die wesentlichen Ursachen für das Scheitern der Zweiten Republik und damit der Revolution analysiert werden.
- Ein vierter Teil soll diese Ergebnisse schließlich knapp zusammenfassen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Scheitern gewichten.

Der Autor hat dabei bewusst den untersuchten Zeitraum nicht – wie z.B. die Darstellung Botzenharts – auf die Ereignisse zwischen Februarrevolution und Juniaufstand begrenzt, da er davon ausgeht, dass eine Untersuchung des Scheiterns nicht ohne die breitere Perspektive auf die von Leveque treffend als „revolutionäre Krise der Jahre 1848-51“ bezeichnete gesamte Zweite Republik als Produkt der Februarrevolution auskommt[5].

Sowohl Darstellung wie Analyse sind dabei nicht mit dem Anspruch der Vollständigkeit unternommen worden: Die Darstellung der Geschichte der Zweiten Republik soll nicht als Totalgeschichte, sondern als problemgeschichtliche Hinführung auf die Analyse der Ursachen des Scheiterns dienen, die wiederum im Rahmen einer Seminararbeit nur die, nach Meinung des Autors sowie Gewichtung in der Literatur bedeutsamsten Faktoren des Scheitern beleuchten kann.

Hinsichtlich der Literaturlage sind die ausführlichsten Darstellungen – neben den veralteten Werken zu Revolution und Zweiter Republik von Girard (1968), De Luna (1969), Godechot (1971), Price (1972, 1975), Vigier (1979) und Murat (1987) – vor allem bei Langewiesche (1989) und Haupt et al. (2002) zu finden. Aktuelle Analysen zu Teilaspekten, v.a. des Scheiterns bieten besonders Leveque (1998), Dipper (1998) und Gersmann (1998); daneben allgemeiner in gesamteuropäischer Perspektive Timmermann (1999) und Hachtmann (2002). Eine neues Werk zu 1848 in Frankreich von Michael Fortescue erscheint im Dezember 2004 in London.

2. Ursachen der französischen Revolution von 1848 / 49

Langwiesche weißt den europäischen Revolution von 1848 / 49 zunächst abseits der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen, Verläufe und Ergebnisse neben der – in Frankreich schon abgeschlossenen - Nationalstaatsbildung zwei wesentliche Kernaufgaben zu, an der sich die folgende Analyse der langfristigen Ursachen der französischen Revolution zunächst orientieren soll[6]:

Die Demokratisierung des politischen Herrschaftssystems als eine erste Kernaufgabe der Revolution war dabei in Frankreich – ebenso wie in England – schon wesentlich weiter fortgeschritten als in den anderen europäischen Staaten: Mit dem Sturz Karls X. im Zuge der Revolution von 1830 hatte die traditionelle Legitimation monarchischer Herrschaft durch die Idee des Gottesgnadentums geendet und Frankreich war, durch die Vereidigung des Herzog von Orleans, Louis-Phillipe, auf die revidierte Charte constitutionelle von 1814[7], die dem Monarchen wesentliche Eingriffsrechte entzog und die Gesetzesinitiative auf beide Kammern erweiterte, zu einer repräsentativeren Form der konstitutionellen Monarchie[8] geworden.

Trotzdem blieb die soziale Reichweite der Reformen begrenzt: Durch ein im Zuge der Wahlrechtsreform vom April 1831 nur unwesentlich verändertes Zensuswahlrecht blieben weiterhin weite Teile des durch den ökonomischen Wandel der Industrialisierung aufsteigenden Bürgertums von der politischen Partizipation ausgeschlossen, nur etwa 2,8 % der männlichen Bevölkerung über 21 Jahre waren wahlberechtigt[9].

Hinzu kam eine weitgehende Kontinuität der politischen Führungseliten der Julimonarchie mit dem alten Regime: Zwar war es im Zuge der Revolution zu einem starken Rückzug des Adels aus politischen Positionen in Regierung, Verwaltung und den Kammern gekommen[10], trotzdem repräsentierten die neuen Funktionsträger weiterhin die gleichen Sozialschichten der Notabeln, die sich vor allem aus Landbesitz, Großbourgeoisie und Hochfinanz rekrutierten[11].

Die direkte und indirekte Wahlrechtsproblematik führte deshalb von Beginn an zu einer starken Vertrauenskrise zwischen dem Regime des „Bürgerkönigs“ und einem Großteil der bürgerlichen Schichten der Kleinbourgeoisie und selbstständigen Handwerker, die sich vom neuen Regime nicht nur weitergehende Partizipationsmöglichkeiten erhofft hatten, sondern die „dem politischen Monopol und der wirtschaftlichen Vormachtstellung der Notabeln feindlich gegenüberstanden“ und deren Forderung nach allgemeinem Wahlrecht sich schließlich mit der zunehmenden Repressionspolitik der nächsten Jahre immer stärker mit dem Republikanismus des linken „Mouvement“ verband, in dem ein „Bürgerkönig“ keinen Platz mehr hatte[12].

Verstärkt wurde die kontinuierliche Abkehr dieser „Mittelschichten“ (im heutigen Sinne des Begriffes) von einer zunehmenden repressiven Regierungspolitik als Folge einer Kette von Unruhen, Streiks und Aufständen, die sich über die erste Hälfte der 1830er Jahre hinzogen und in denen sich die Enttäuschung vieler über die bescheidenen Ergebnisse der Revolution sowie die desolate soziale Lage weiter Bevölkerungsschichten ausdrückte: Angesichts dieser Bedrohung des Regimes setzte sich innerhalb der - von Beginn an durch die Partei der Ordnung dominierten - Regierung immer stärker eine Strömung durch, die nicht in der Weiterentwicklung der Verfassung als Zugeständnis an weite Bevölkerungskreise, sondern in der Herstellung der Ordnung durch gezielte Unterdrückung jeder oppositionellen Bewegung mit militärischen und legislativen Mitteln den geeigneten Weg sah, den Fortbestand der Monarchie zu sichern[13]: Neben dem Gesetz gegen öffentlichen Auflauf von 1831 schafften vor allem ein neues Vereinsgesetz aus dem Jahre 1834 sowie die Septembergesetz von 1835 die Grundlage für eine zunehmende Radikalisierung zunächst gemäßigter bürgerlicher Schichten, indem Organisationen wie die „Société des Droits des Hommes“, die für soziale Rechte und das allgemeine Wahlrecht eintrat, in den Untergrund getrieben und zahlreiche liberale und republikanische Presseorgane als ein wesentliches Zeichen der sich entwickelnden politischen Bürgerkultur zur Aufgabe gezwungen wurden[14].

Auch hinsichtlich einer Neuordnung der Sozialverfassung als der nach Langewiesche zweiten wesentlichen Kernaufgabe der Revolutionen von 1848 waren in Frankreich im Zuge des Zerfalls der alten Agrarverfassungen wesentliche Probleme schon lange vor 1848 gelöst worden: Reste feudaler Bindungen waren durch die revolutionären Besitzumschichtungen durch moderne Formen der Agrarwirtschaft ersetzt worden, sodass die „Bauernfrage“ trotz fortwährender sozialer Probleme der Landbevölkerung (Agrarkredit, Eigentumszugang, Nutzungsrechte, Armut) im Vergleich zu den östlichen europäischen Nachbarn keine ausschlaggebende revolutionäre Dynamik entfalten konnte[15].

Dagegen hatte sich vor allem Nordfrankreich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem der bedeutendsten Zentren der kontinentaleuropäischen Industrialisierung entwickelt, die zwar im Gegensatz zu England „noch in den Kinderschuhen steckte“[16], trotzdem mit den gewaltigen sozialen Umwälzungen ein neues Konfliktfeld entstehen lies, das für die Revolution von 1848 von Bedeutung sein sollte, indem sich die „soziale Frage“ durch Landflucht, Pauperismus und Überfüllung der Städte immer mehr zuspitzte und zu einer Erweiterung der Palette politisch-liberaler Forderungen um soziale Aspekte führte.

Der soziale und ökonomische Wandel, der sich im Laufe des Juliregimes stark beschleunigte und die Probleme der entstehenden Industriegesellschaft in sozial motivierten Unruhen wie dem Lyoner Aufstand der Seidenweber von 1834 nun scharf hervortreten lies, führte zusammen mit innovativen technischen Entwicklungen wie der Eisenbahn - die als Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit galten - zu intensiven Diskussionen über die Gesellschaft der Zukunft: Zwar wiesen die in den Jahren zwischen 1834 und 1848 von Theoretikern wie Cabets, Dézamys, de Sismondi, Saint-Simons, Enfantin, Buchez, Blanc, Cabet oder Blanqui entworfenen und von breiten städtischen Schichten rezepierten Gesellschaftsmodelle ein breites politisches Spektrum auf, gemein war ihnen allerdings eine Sozial- und Kulturkritik der heraufziehenden kapitalistischen Ökonomie und der damit korrespondierende Versuch

„(…) den wirtschaftlichen Fortschritt mit Heilmitteln gegen den Pauperismus zu verbinden.“[17]

Diese Diskussion um die politische und gesellschaftliche Gestaltung der sich anbahnenden industriellen Zukunft vollzog sich in einem seit dem Beginn der 1840er Jahre zusehends erstarrenden Herrschaftssystem, das selbst bescheidenste Reformen ablehnte und weiterhin nur eine schmale Elite an der politischen Herrschaft teilhaben lies: Das im Oktober 1840 gebildete Kabinett Soult-Guizot, in dem Guizot als Außenminister im wesentlichen den politischen Kurs bestimmte, schuf zwar eine stabile Regierung, die ohne wesentliche personelle Veränderungen bis zur Revolution von 1848 regierte. Der Widerspruch zwischen der Ablehnung politischer und sozialer Reformen und des sozial-ökonomischen Wandels bereitete aber schließlich die Revolution vor, indem vor allem große Teile des Bürgertums weiterhin von jeder politischen Partizipation auf nationaler Ebene ausgeschlossen wurden[18]. Die Ablehnung eine der prominentesten Forderungen des gemäßigten Bürgertums - die Öffnung der Wahlkörper für die über einen Universitätsabschluss verfügenden sog. „Kapazitäten“ - zeigt dabei die Kompromisslosigkeit der Regierung Guizot, die schließlich zu einem der wesentlichsten Ursachen für das Scheitern der Julimonarchie wurde.

Das somit schon Mitte der 1840er Jahre labile politische System verlor schließlich im Zuge der gesamteuropäischen Wirtschaftskrise von 1846/47 weiter an Stabilität und gesellschaftlichem Rückhalt: Ausgelöst durch die Missernten von 1846 kam es zu einer rapiden Steigerung der Lebensmittelpreise, die sich wiederum durch die an sich knappen Mittel breiter Bevölkerungsschichten unmittelbar auf den Konsum industrieller Güter auswirkte und zu einem dramatischen Produktionsrückgang mit einem entsprechenden Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu 35% in einzelnen Regionen sowie einer Vielzahl an Firmenbankrotten v.a. im Kleingewerbe führte. Hinzu kam eine durch einen starken Investitionsschub der Jahre 1842-46 bedingter hoher Schuldenstand (v.a. im Eisenbahnbau), der durch den plötzlichen – ebenso durch die gesamteuropäische Wirtschaftskrise bedingten – Abzug britischen Kapitals zu einer schweren Finanzkrise der Banken führte[19]. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise erheblichen Anteil am Ende des Juliregimes hatten, indem vorhandene Oppositions- und Reformbestrebungen im Zuge der prekären Wirtschaftslage eine deutliche Radikalisierung erfuhren und die in weiten Bevölkerungskreisen schon stark ausgeprägte Unzufriedenheit mit der politischen Führung nachhaltig deutlich gesteigert wurde. Rowley urteilt hingegen, dass mit den guten Getreideernten der Jahre 1847 / 48 der Aufschwung schon in Sicht gewesen sei und die Wirtschaftskrise an sich somit nicht „den Keim der Revolution in sich getragen“ habe[20]. Trotzdem dürfen die längerfristigen Auswirkungen dieser Phase tiefer wirtschaftlicher Depression nicht unterschätzt werden: Sowohl die hohen Lebensmittelpreise als auch das niedrige Niveau der gewerblichen Produktion verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Unsicherheit hinterließen ihre Spuren für Jahre im „Leben des einfachen Mannes“[21].

Von wesentlicher unmittelbarer Bedeutung für den Ausbruch der Revolution scheint darüber hinaus die zunehmende Zusammenführung der verschiedenen Oppositionsgruppen im Rahmen der seit 1846 stattfindenden Reform-Bankette gewesen zu sein: Beteiligten sich an den „halböffentlichen Festen mit politischen Tischreden“[22] zunächst nur Liberale und gemäßigte Republikaner, so erweiterte sich seit Herbst 1847 das politische und soziale Spektrum der Teilnehmer, die sich zunehmend auf das Verlangen nach Wahlrechtsreform als Minimalkonsens der oppositionellen Gruppen einigen konnten[23].

Betrachtet man somit abschließend die Ursachen, die mit dem Verbot eines Banketts im Februar 1848 den Sturz Louis-Phillipes und das Ausrufen der Zweiten Französischen Republik auslösten, so scheint sich gerade im Konsens der Opposition auf die Forderung nach allgemeinem Wahlrecht die primäre Bedeutung liberaler Forderungen und somit der Kernaufgabe der Demokratisierung des Herrschaftssystems im Sinne Langewiesches vor einer Neuordnung der Sozialverfassung zu zeigen, die nur von einem kleineren Teil der Reformbewegung getragen wurde, die ohne den Konsens mit den gemäßigten bürgerlichen Kreisen alleine mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eine ausreichende revolutionäre Dynamik hätte entfalten können. Trotz dieser Prämisse ist die soziale Frage vor allem im Zusammenhang mit den Folgen der Wirtschaftskrise zumindest als unmittelbare Ursache des Zustandekommens der Aufstände in Folge des Bankett-Verbotes im Februar nicht zu unterschätzen, die schließlich den zivilen, gemäßigten Protest in eine gewaltsame, den politischen Systemwechsel und sehr viel weitergehende Reformen anmahnende Revolutionsbewegung umschlagen ließen.

Ausschlaggebend für das schnelle Ende der Julimonarchie scheint darüber hinaus die sehr schmale soziale Basis des Regimes gewesen zu sein: Während dem „Bürgerkönig“ Louis-Phillipe die Unterstützung der rechten Opposition auf Grund ihres Festhaltens am Ziel der „echten“ Restauration einer autoritären und patriarchalen Monarchie fehlte, kam es auf bürgerlicher Seite, bedingt durch die klare Absage an eine Ausweitung der politischen Partizipation und der verhassten „Klassenherrschaft des Großbürgertums“[24] in den 1840er Jahren zu einer starken Annäherung zur Bewegung des „Mouvement“, die Demokraten, Republikaner und Sozialisten vereinte. Von den Unterschichten in den Städten auf Grund der Verweigerung auch jeder sozialen Reform sowie der harten Unterdrückung zahlreicher Aufstände abgelehnt, konnte die Julimonarchie schließlich auch nicht auf die Unterstützung der Landbevölkerung zählen, die nicht nur wegen der fehlenden Bemühungen der Regierung um die ihr spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Probleme dem Regime passiv bis ablehnend gegenüberstand:

„Abgesehen vom religiösen Glauben, bestand der einzige, im ländlichen Milieu wirklich lebendige Mythos in der Treue zum „großen Kaiser“ und nicht zum „Bürgerkönig“.[25]

[...]


[1] Aus: Sieburg, Friedrich: Im Licht und Schatten der Freiheit. Frankreich 1789-1848. Bilder und Texte. Stuttgart 1964. (Im folgenden: Sieburg).

[2] Hachtmann, Rüdiger: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848 / 49. Tübingen 2002. (Historische Einführungen, Bd. 9). S. 44f. Im folgenden: Hachtmann (2002).

[3] Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Revolution und Restauration 1815-1849. München 1989. (OGG, 13), S. 79. Im folgenden: Langewiesche (1989).

[4] Tulard, Jean: Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851. Stuttgart 1989. (Favier, Jean (Hrsg.): Geschichte Frankreichs, Bd. 4), S. 446f. Im folgenden: Tulard (1989).

[5] Dementsprechend wurde auch der Titel der Arbeit in Anlehnung an die Formulierung von Leveque gewählt: Leveque, Pierre: Die revolutionäre Krise von 1848-1851 in Frankreich. Ursprünge und Verlauf, S. 85. In: Dowe, Dieter (Hrsg.): Europa 1848: Revolution und Reform. Bonn 1998. (Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 48), S. 87ff. Im folgenden: Leveque (1998).

[6] Langewiesche (1989), S. 71

[7] Tulard (1989), S.344ff.

[8] Während einige Autoren im Juliregime eine parlamentarische Monarchie sehen (Middel, Matthias / Höpel, Thomas: Einführung in die französische Geschichte. Leipzig 1999, S. 148. Im folgenden: Middel et.al. (1999)), schließt sich der Autor der Position von Haupt (Haupt, Heinz-Gerhard et.al.: Geschichte Frankreichs. Ditzingen 2002, S.300. (Im folgenden: Haupt (2002)) und Brandt, Hartwig: Europa 1815-1850. Stuttgart 2002. Im folgenden: Brandt (2002), S. 158 an, nach der es sich auf Grund der Unabhängigkeit der vom König ernannten Minister von den Kammern um eine konstitutionelle Monarchie handelte, in der die Kammern aber im Gegensatz zu 1814/15 mit weitergehenden Rechten ausgestattet worden waren.

[9] Langewiesche (1989), S. 50, ausführlich Brandt (2002), S. 160f.

[10] Haupt (2002), S. 300

[11] Langewiesche (1989), S. 50f., sehr ausführliche Charakterisierung der Notabelnschicht auch bei Brandt (2002), S. 159f.

[12] Leveque (1998), S. 87ff.

[13] Haupt (2002), S. 303

[14] Tulard (1989), S. 361-364, Langewiesche (1989), S. 52f.

[15] Hachtmann (2002), S. 25f.

[16] ebenda, S. 28, sehr ausführlich zu Frankreichs Position innerhalb des sich industrialisierenden Europas: Brandt (2002), S. 31f.

[17] Langewiesche (1989), S. 53

[18] Langewiesche (1989), S. 53; Tulard (1989), S. 431f.

[19] Schmale, Wolfgang: Geschichte Frankreichs. Stuttgart 2000, S. 200. Im folgenden: Schmale (2000).

[20] Rowley, Anthony: Deux crises économiques modernes: 1846 et 1848? In: Révolutions et Mutations au XIXe siècle, 2, 1986, S. 81-89. Nach: Leveque (1998), S. 90f.

[21] Botzenhart, Manfred: 1848 / 49. Europa im Umbruch. Paderborn 1998, S. 44. Im folgenden: Botzenhart (1998).

[22] Middel et al. (1999), S. 154

[23] Langewiesche (1989), S. 54

[24] Botzenhart (1998), S. 13.

[25] Leveque (1998), S. 89

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Die revolutionäre Krise von 1848-51 in Frankreich
Untertitel
Revolutionsursachen, Verlauf und Analyse des Scheiterns der Zweiten Französischen Republik
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Seminar: Die Revolution von 1848/49 in intern. Perspektive
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
42
Katalognummer
V23700
ISBN (eBook)
9783638267748
ISBN (Buch)
9783656112426
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hauptseminarsarbeit analysiert ausführlich einerseits die Revolutionsursachen, den Verlauf der Revolution sowie vor allem schwerpunktmäßig die Gründe des Scheiterns der Revolution in weiterer Perspektive auf die gesamte Zweite Französische Republik unter Einschluss differenzierter Faktoren des Scheiterns. Ausführliches internationales Literaturverzeichnis.
Schlagworte
Krise, Frankreich, Revolutionsursachen, Verlauf, Analyse, Scheiterns, Seminar, Perspektive“, Revolution, Zweite Französische Republik, Revolution 1848
Arbeit zitieren
Christian Schäfer (Autor:in), 2004, Die revolutionäre Krise von 1848-51 in Frankreich , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23700

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