Aufstieg, Wandel und Niedergang des mittelalterlichen "Weltmarktes" zu Brügge

Darstellung, Analyse und Interpretation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

42 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Vorgeschichte, politische und topographische Rahmenbedingungen

3. Zeitalter des Brügger Aktivhandels

4. Krise des Aktivhandels und Aufstieg zum „Weltmarkt“ – Bedingungsfaktoren des Wandels Brügges im 13. Jahrhundert

5. Handelsleben auf dem Brügger „Weltmarkt“ - ausgewählte Aspekte

6. Darstellung und Analyse des Niedergangs des Brügger Marktes

7. Resümee - Zentrale Faktoren der Entwicklung und Interpretation

8. Bibliographie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- Karte der Stadt Brügge um 1562[1] -

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit entstand als Seminararbeit im Rahmen des im Wintersemester 2003/04 von Frau PD Dr. Irmgard Fees am Historischen Seminar der Universität Leipzig gehaltenen Hauptseminars „Kaufleute im Mittelalter“, in dem anhand von typischen Quellen des mittelalterlichen Handels nicht nur Aufstieg, Lebensweise, Arbeitstechniken und typische Hilfsmittel bedeutender Kaufleute analysiert, sondern darüber hinaus auch wesentliche Grundlagen der hoch- und spätmittelalterlichen Wirtschafts- und Handelsgeschichte dargestellt und erarbeitet werden konnten.

Der Aufstieg und Niedergang des „Weltmarktes zu Brügge“ (Häpke), mit dessen Verlauf und wesentlichen Determinanten sich die vorliegende Arbeit beschäftigt, stellt dabei einen der großen Höhepunkte hoch- und spätmittelalterlicher urbaner Kaufmannstätigkeit dar, wie sie in dieser Zeit wohl nur noch in Venedig für den südeuropäischen Raum zu beobachten ist:

Nirgends anders nördlich der Alpen finden wir im 13. und 14. Jahrhundert eine solche Konzentration von Kaufmannschaften „aller Herren Länder“, die ihre Waren untereinander und auf dem wohlhabenden flandrischen Binnenmärkten absetzen und im Gegenzug die begehrten Tuche der hoch entwickelten flandrischen Produktion in ihre Heimatländer ausführen. Nirgends anders in Nordeuropa sehen wir ein solche Dichte des internationalen Finanz- und Bankenwesens, die Vorraussetzung einer „modernen“ Abwicklung des Handels war. Nirgends anders finden wir auch eine so ausgeklügelte Form der Gastpolitik, die es den Brügger Bürgern ermöglichte, durch die Bereitstellung notwendiger Infrastruktur auch über die Phase ihres eigenen florierenden Aktivhandels maßgeblich an der Prosperität des fremden Handels zu partizipieren. Und nirgends anders werden wir schließlich auch eine so intensive Konzentration und einen so regen Austausch kaufmännischen Wissens annehmen können.

Die folgende Arbeit will sich dementsprechend mit dem Aufstieg und Niedergang des Handels in Brügge befassen, ohne es allerdings lediglich bei einer reinen Darstellung zu belassen. Der Autor hat vielmehr den Versuch unternommen, die Chronologie mit einer Problemorientierung zu verbinden, indem die Arbeit die wesentlichen Ursachen des Aufstiegs, Wandels und schließlichen Abstiegs differenziert analysiert und abschließend die Bedeutung der Stadt als „intereuropäischer Handelsplatz“ diskutiert.

- In einem ersten Teil soll die frühere Geschichte Brügge und wesentliche Grunddeterminanten der Entwicklung, wie etwa der flandrische Binnenhandel, die politische Geschichte sowie die Bedeutung der geographischen Lage dargestellt werden.
- Ein zweiter Teil analysiert die Ursachen des Aufstiegs des flandrischen Aktivhandels und Brügges zum „Aktivmarkt“.
- In einem dritten Teil werden die wesentlichen Determinanten des Wandels zum passiven „Weltmarkt“ skizziert,
- während ein vierter Teil versucht, ausgewählte Aspekte des Handelslebens darzustellen.
- Der Niedergang des Brügger Handelsplatzes wird schließlich in einem fünfen Teil analysiert,
- an den sich im letzten Abschnitt eine Interpretation des intereuropäischen Handels und damit des „Charakters des Handels“ in Brügge (Häpke) anschließt.

Hinsichtlich der Literaturlage hoffte der Autor, auf mehr niederländische Literatur zu stoßen, musste im Verlauf seiner Recherche allerdings feststellen, dass das umfangreiche Werk von Häpke (1908) sowie ein Aufsatz von van Houtte (1977) auch angesichts der ausschließlichen Erwähnung in neueren Werken, die das Thema am Rande berühren, den Standard darstellen.

Daneben hat der Autor vor allem Aspekte aus der sehr umfangreichen Reihe „Hansekaufleute in Brügge“, herausgegeben von Werner Paravicini, sowie aus den Werken von Dollinger (1998), Friedland (1990) und Kürtz (1983) einfließen lassen.

2. Vorgeschichte, politische und topographische Rahmenbedingungen

Im Vergleich zu anderen Zentren Flanderns und der späteren Niederlande wie Arras, St. Omer, Gent und Ypern erfährt Brügge erst relativ spät Erwähnung im Zusammenhang mit dem Handel[2]: Zwar lassen die archäologischen Funde an importierten Keramikwaren und die Entdeckung eines Schiffs aus dem 2.Jh. die Existenz einer gallo-römischen Siedlung zu dieser Zeit[3] sowie eine relative Handelsfunktion des Ortes vermuten, das Fehlen jeglicher Nachrichten in den folgenden Jahrhunderten lässt allerdings auf keine wesentliche Bedeutung schließen. Erste konkrete Erwähnung findet der Ort als municipium Flandrense sowie als Hauptort des pagus flandrensis im frühen 8. Jahrhundert, was einen schon „städtischen Charakter“[4] sowie regional ausgeprägte herrschaftliche, administrative und kirchliche Funktionen der Siedlung vermuten lässt.

Der Name Brügge selbst erscheint schließlich zuerst auf Münzen aus der Regierungszeit Karls des Kahlen (…) mit der Aufschrift Bruggas mo[5], die zugleich den Beweis dafür liefern, dass die Stadt bereits eine eigene Münzstätte besaß, die zwar nur regionale Bedeutung hatte, nach Häpke allerdings auch darauf schließen lassen, dass es der Ort war, wo sich auf Grund der schon zu dieser Zeit günstigen topographischen Lage an Reye und Sinkfal „der vielleicht nicht unbedeutende Küstenverkehr der Karolingerzeit abwickelte“[6]. Auch die etymologische Herkunft des Namens Brügge, die nach Häpke auf das normannische Wort bryggja (= „Landungsbrücke, Anleger“)[7] und nach van Houtte auf die angelsächsische Bedeutung landing-stage[8] zurückgehen, scheint diese frühe, allerdings angesichts fehlender weiterer Belege weitgehend im Dunklen verbleibende Bedeutung im karolingischen Handel zu bestätigen.

Während die Stadt einige Jahre später um 900 erstmals zusammen mit Antwerpen als vicus[9] erwähnt wird, ergibt sich – jenseits aller Vermutungen – ein erster konkreter Beleg für die Bedeutung Brügges im Handel Mitte des 10. Jh. durch die Bezeichnung als Hafen (portus) in einem Brief Arnulfs I. an Hugo von Reims, der durch eine spätere Erwähnung um die Jahrtausendwende bestätigt wird[10].

Ausschlaggebend für die so schon grundlegend nachzuweisende Bedeutung der Stadt im Handel war vor allem ihre zumindest in einfacher Hinsicht günstige topographische Lage: Zwar war Brügge landeinwärts vom „System der Schelde“, das mit ihren Zuflüssen schon früh das Rückgrat für den aufblühenden flandrischen Binnenhandel zwischen Städten wie Gent, Douai, Arras und Lille bildete, durch einen „breiten Wald- und Heidegürtel von St. Nicolas bis Turholt“[11] weitgehend abgeschnitten und erst eine im Laufe des 12. Jh. geschaffene künstliche Wasserverbindung konnte diesen Nachteil ausgleichen.

Dafür sorgten die seit etwa 500 einsetzenden Veränderungen der Küstenlinie (sog. „Dünkirchener Transgressionsphasen“) schon früh für zeitweilige Überschwemmungen der Küstenebene zwischen dem in den Meeresarm der Nordsee einmündenden Fluß Reye und dem Brügger Umland, die es – wenn auch unter nicht einfachen nautischen Bedingungen - erlaubten, die Stadt bei Flut zu erreichen und somit schon frühzeitig einen bedeutsamen Zugang zum offenen Meer darstellten[12], der für den Aufstieg sowohl des Brügger Aktivhandels als auch des „Weltmarktes“ von größter Bedeutung werden sollte.

Umfasste die städtische Siedlung Brügge dabei in früherer Zeit nur einen kleineren Bereich um die heutige Burg, so wurde sie im 11. Jh. erweitert und hatte um 1127 eine Fläche von 86 Hektar, die von einer im gleichen Jahr angelegten, dem inneren Verlauf der Kanäle folgenden Stadtmauer begrenzt wurde und schon zu diesem Zeitpunkt als eine im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufstieg stehenden Bevölkerungswachstums und Zuzugs gekennzeichnet war, wie sinngemäß aus dem Bericht des Galbert von Brügge über die Ermordung des flandrischen Grafen Karls des Guten 1127 / 28 hervorgeht:

„Das Gebiet (…) war so dicht besiedelt, dass die großen Versammlungen und Aufläufe der städtischen Bevölkerung bei wichtigen politischen Ereignissen auf dem „Zand“, außerhalb der Stadt, stattfanden.“[13]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- Stadtentwicklung Brügges ca. 1000 bis 1300[14] -

Die Ermordung des Grafen war dabei wahrscheinlich das auslösende Moment für den Eingriff der flandrischen Städte unter Brügges Führung in die politischen Angelegenheiten der Grafschaft (1127/28), in dessen Zuge die Stadt das Recht eines eigenen Gerichts sowie die Befreiung von Zöllen und Grundzins, die die Bürger bis dahin dem Grafen von Flandern zu entrichten hatten, erreichen konnte[15].

Schon 1297 besetzten die Franzosen im Zuge der ehrgeizigen französischen Politik Philipp IV. des Schönen gegenüber Flandern die Stadt Brügge und beherrschten sie mit dem Einverständnis der Patrizier. Wiederum machte das schnelle Bevölkerungswachstum, im Zuge dessen Brügge bis etwa 1200 mit fast 40000 Einwohnern vollständig besiedelt war, es nötig, dass unter der französischen Besatzung eine zweite Stadtmauer errichtet wurde, die ein großzügiges Areal von etwa 430 Hektar umfasste.[16] Innerhalb der Bevölkerung der Grafschaft sowie der Stadt kam es unter der französischen Besetzung zum Gegensatz zwischen frankreichtreuen Patriziern und den dem flämischen Grafen verbundenen mittleren und unteren Schichten[17].

In den Jahren 1302 bis 1305 kam es schließlich zum flandrischen Aufstand gegen die französische Besatzung unter Führung Brügges: Zwar konnte die französische Armee in der Schlacht von Kortrijk 1302 vernichtend geschlagen werden, eine dauerhafte Unabhängigkeit von Frankreich musste sich Flandern und seine Städte allerdings mit dem Vertrag von Athis-sur-Orge (1305) erkaufen[18], der auch der Stadt selbst schwere finanzielle und materielle Vergeltungsmaßnahmen auferlegte.

Die antikönigliche Haltung brachte Brügge dabei einige Privilegien seitens der Grafschaft ein und die Stadt konnte seine Einflusssphäre auf die umliegenden Regionen und Städte erweitern und somit eine regionale Führungsposition erringen, „die möglicherweise im Verein mit Gent und Ypern zur völligen Loslösung von landesherrlicher Botmäßigkeit hätte führen können.“[19] und damit die politische und administrative Bedeutung der Stadt in Flandern bestätigt. Eine Unabhängigkeit vom Landesherrn, wie sie beispielsweise Lübeck 1226 mit dem Reichsfreiheitsbrief zugestanden wurde, konnte die Stadt allerdings auch nach dem Übergang der flandrischen Landesherrschaft an die Herzöge von Burgund im 15. Jahrhundert nicht erreichen[20].

3. Zeitalter des Brügger Aktivhandels

Hatte Brügge sich während des 11. Jahrhunderts schon zu einem bedeutenden Hafen für den Nordseeverkehr sowie zu einem politischen, administrativen und militärischen Zentrum Flanderns entwickelt, so trugen im Laufe des 12. Jahrhunderts verschiedene – im folgenden zu analysierende - Faktoren zu der Entstehung eines regen auswärtigen Aktivhandels und damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt bei, der schließlich erst im späten 13. Jahrhundert einer weitgehend passiven Funktion als Handelsort für fremde Kaufleute Platz machte, dabei aber trotzdem weiterhin die Grundlage für diese spätere Entwicklung zum „Weltmarkt“ bilden sollte:

„This city was, even before it was granted in 1200 one of the five fairs of Flanders, the main seaport where the export wares were concentrated, and whence the imported merchandice was distributed.”[21]

Als ein erster wesentlicher Faktor, der die Grundlage des Aufstiegs Brügges im auswärtigen Aktivhandel bildete, kann zunächst die aufstrebende flämische Tuchproduktion und der damit zusammenhängende florierende Binnenhandel innerhalb Flanderns gesehen werden: Die Gegenden Nordgalliens waren dabei, besonders in der Gegend der späteren Grafschaft Flandern, schon seit der spätrömischen Zeit berühmt wegen ihrer verfeinerten Techniken im Bereich der Textilproduktion gewesen. Während die traditionellen Künste der Herstellung besonders hochwertiger Tuche über das gesamte Mittelalter in sog. Frauenwerkstätten (gynecea) bewahrt werden konnten, setzte in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in den nun aufblühenden Städten die Entwicklung einer mittelalterlichen Tuchindustrie ein, die sich vor allem durch vorwiegend männliche Arbeitskräfte und eine für die Zeit schon weit vorangeschrittene Arbeitsteilung und –organisation auszeichnete und Flandern damit in diesem protoindustriellen Zweig „bis in das 14. Jahrhundert hinein nach Umfang und Qualität (…) gegenüber den übrigen Gebieten der Niederlande“[22], aber auch innerhalb Europas einen großen Vorsprung verschaffte und durch die Spezialisierung der Städte auf einzelne Tuchsorten zu einer schon früh wirtschaftlich prosperierenden und durch starken Binnenhandel geprägten Region machte[23].

[...]


[1] Aus: Hocquet, Jean-Claude: Venise et Bruges au Moyen Age. Paris 1999, S. 23.

[2] Häpke (1908), S. 28f.

[3] Lexikon des Mittelalters. München-Zürich 1978-1998. (Im folgenden: LMA), „Brügge“, S. 741.

[4] Asmussen, S. 38

[5] Häpke, S. 8

[6] ebenda, S. 10

[7] ebenda, S. 11

[8] van Houtte, S. 249

[9] Ryckaert, S. 132.

[10] Häpke, S. 14f. (auch Fußnote): Neben dem Brief Arnulfs I. erscheint Brügge auch in den um 1010 verfassten Translatio prima S. Bavonis MG. SS. XV als portus (nach Häpke)

[11] Häpke, S. 27

[12] van Houtte, Rise, S. 251; LMA: “Brügge”, S. 743.

[13] LMA: „Brügge“, S. 743: Bericht Galberts von Brügge über die Ermordung des Grafen Karls des Guten 1127/28 (nach LMA).

[14] Aus: Hocquet, Jean-Claude: Venise et Bruges au Moyen Age. Paris 1999, S. 23.

[15] Häpke S.23., S. 169f.

[16] LMA: „Brügge“, S. 744.

[17] LMA: „Flandern“, S. 520.

[18] LMA: „Flandern“, S.520.

[19] Häpke, S. 168

[21] van Houtte, S. 249

[22] Houtte, Jan A. van (Hrsg.): Handbuch der Europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Stuttgart 1980. (Im folgenden: Handbuch), S. 278.

[23] ausführliche Darstellung des Binnenhandels zwischen den bedeutenden flandrischen Städten bei Häpke, S. 25ff.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Aufstieg, Wandel und Niedergang des mittelalterlichen "Weltmarktes" zu Brügge
Untertitel
Darstellung, Analyse und Interpretation
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
HS 'Kaufleute im Mittelalter'
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
42
Katalognummer
V23697
ISBN (eBook)
9783638267724
ISBN (Buch)
9783656112433
Dateigröße
1425 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hauptseminararbeit analysiert in ausführlicher Weise die Entwicklungsbedingungen und -faktoren der Entwicklung Brügges vom Aktivmarkt über den Handelsplatz fremder Kaufleute bishin zum Niedergang und geht dabei auf die Einflüsse der gesamteuropäischen wirtschaftliche Entwicklung zu der Zeit ein. Ein Exkurs bietet ausgewählte Aspekte des Handelslebens (v.a. Handelsrecht) auf dem Brügger Markt.
Schlagworte
Aufstieg, Wandel, Niedergang, Brügge, Mittelalter“, Weltmarkt, Handel
Arbeit zitieren
Christian Schäfer (Autor:in), 2004, Aufstieg, Wandel und Niedergang des mittelalterlichen "Weltmarktes" zu Brügge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23697

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