Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Erklärung jugendlicher Gewaltbereitschaft - Ein Vergleich empirischer Studien und ihrer Erklärungsansätze


Bachelorarbeit, 2004

38 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Versuch einer Definition Personaler Gewalt 3
2.1 Physische Gewalt
2.2 Psychische Gewalt

3 Ursachen und Formen Jugendlicher Gewalt
3.1 Gewalt in der Schule
3.1.1 Jugendliche Gewalt in der Schule
3.1.2 Erklärungsansätze
3.2 Gewalt und Familie
3.2.1 Bedeutung der Familie bei Jugendlicher Gewalt
3.2.2 Erklärungsansätze
3.3 Freizeitverhalten, Gewalt und Rechtsextremismus
3.3.1 Jugendliches Freizeitverhalten und Gewalt
3.3.2 Erklärungsansätze

4 Schlussfolgerung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Besonders durch medienbekannte Vorfälle, in denen Schüler schwer bewaffnet in ihre Schule eindringen und Lehrer und Schüler töten, wird die öffentliche Aufmerksamkeit zumindest kurzfristig auf die Frage nach den Ursachen jugendlicher Gewalt gelenkt. Leider jedoch hält das öffentliche Interesse nicht lange genug an, um allein durch das Verfolgen von Medienberichten zu befriedigenden Erklärungen und Vorschlägen im Sinne präventiver Maßnahmen zu gelangen. Im Rahmen der vorangegangenen Hausarbeit zum Thema: „Jugendliche Subjektwerdung im Zeitalter der modernen Individualisierung“[1] wurde bereits explizit auf das Phänomen der Entstrukturierung der Kindheits- und Jugendphase und den damit verbundenen Problembelastungen eingegangen. Im Bereich der psychosozialen Belastungen und Formen der Stressverarbeitung ging es dabei um die nach innen gerichtete Stressverarbeitung, die sich mitunter auch durch Konsum und Missbrauch von Arzneimitteln und Drogen kenntlich macht.[2] Außerdem wurde versucht, eine Verbindung zwischen den erwähnten nach innen gerichteten Stressverarbeitungsformen und den Auswirkungen des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses zu ziehen. In dieser Arbeit soll es nun um die nach außen gerichtete jugendliche Stressverarbeitung, in Form jugendlicher Gewalt gehen, wobei im ersten Teil zunächst ein Versuch einer Definition personaler Gewalt vorgenommen wird, um dann auf die Gewalt Jugendlicher einzugehen. Der Fokus des zweiten Teils der Arbeit liegt daher auf verschiedenen Erklärungsansätzen basierend auf empirischen Untersuchungen. Dabei wird zunächst der Bereich der schulischen Gewalt beleuchtet, um danach die familiäre Sozialisation und zuletzt die Freizeitsituation in einen Zusammenhang mit devianten Verhaltensweisen Jugendlicher zu stellen. Im letzteren Bereich wird außerdem auch der Aspekt der „rechten“ Gewalt mit in die Betrachtung einbezogen.

2 Versuch einer Definition Personaler Gewalt

Zunächst ist zu konstatieren, dass es sich bei der Ausübung von Gewalt um eine Ungleichverteilung von Macht handelt, in der die Person oder Institution, die über einen höheren Grad an Macht verfügt, den Gegenpart mit dieser Macht zu beeinflussen oder gar zu schädigen vermag. Gewalt kann auch von einer einzigen Person gegen sich selbst gerichtet werden, in Form von selbstdestruktivem Handeln. Gegenstand dieser Arbeit soll jedoch nicht die nach innen gerichtete Gewalt, sondern die nach außen gerichtete Gewalt sein.

Eine Konfrontation mit personaler Gewalt ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit, bereits jedem Mitglied der Gesellschaft mindestens einmal in seinem Leben wiederfahren. Dabei sind die Grenzen zwischen Machtausübung, tadelnden Zurechtweisens und dem ‚Luft machen’ aggressiver Energien schwierig zu konstituieren, da sie in vielen Fällen im Kontext gesellschaftlicher Glaubenssätze und Einstellungen verschleiert werden. So kann unter Umständen ein ‚Klaps auf den Hintern’ eines Kindes bereits als physische Gewalteinwirkung, die möglicherweise schwere psychische Folgen während der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes nach sich ziehen kann, interpretiert werden. In der Realität ist jedoch die Meinung, dass es sich hier nur um eine harmlose Erziehungsmethode handelt, immer noch Teil einer gesellschaftlich als legitim empfundenen Grundauffassung. Grundsätzlich gilt, dass Gewalt individuell unterschiedlich, bezüglich ihrer Gründe, wie auch der Intensität der Auswirkungen, empfunden wird. Sei es aus Sicht des Opfers, des Gewalttäters oder des Beobachters. Die Verschiedenheiten der Wahrnehmung basieren dabei auf unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen, im Zusammenhang mit internalisierten Wahrnehmungs- und Einstellungsmustern, die ihre Ursprünge besonders während der Phase der primären Sozialisation haben.

Wer demnach schon in der Familie täglich mit Formen der Gewalt konfrontiert wurde und Gewalt als ‚legitimes’ Mittel der Durchsetzung persönlicher Interessen vorgelebt bekam, wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine grundlegend differente Wahrnehmung von Gewalt entwickelt haben, als jemand, der in einer harmonischen Familienatmosphäre aufwuchs, in der Streitigkeiten z.B. in Form von verbalen Diskursen gelöst wurden. Im Folgenden sollen nun die beiden grundlegenden Erscheinungsformen personaler Gewalt dargelegt werden, der physischen und der psychischen Gewalt.

2.1 Physische Gewalt

Physische Gewalt kann zunächst im Hinblick auf das Zielobjekt der Gewaltausübung differenziert werden. Hierbei kann es sich um ein Tier, einen Gegenstand oder einen Menschen handeln.

Für die sozialwissenschaftliche Perspektive ist die jeweilige Motivation für Gewalt im Zusammenhang mit Tieren dann interessant, sofern es sich um die Gewaltausübung an Tieren oder durch Tiere (als Gewaltmittel) zum Zwecke der Schädigung eines Menschen handelt. „Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Hund von seinem Besitzer auf einen Menschen gehetzt wird und ihn verletzt“[3] oder aber, wenn die absichtliche Schädigung eines Tieres erfolgt, um dem Tierbesitzer emotionale Schmerzen zuzufügen. Ähnliches gilt für die Gewalt an Gegenständen, bei der unterschieden werden kann zwischen ‚sinnloser’ Zerstörung und der beabsichtigten Schädigung eines Menschen durch Gewalt gegen dessen Besitz. In diesem Zusammenhang kann Gewalt gegen Gegenstände auch als direktes oder symbolisches Drohmittel genutzt werden, um emotionale Verletzungen zu bewirken, was diese Form der physischen Gewalt gleichzeitig zu einer Form psychischer Gewalt macht.

„Ein krasses Beispiel hierfür sind die Bücherverbrennungen im Nationalsozialismus: Zerstört wurden vordergründig Bücher, also Sachwerte; gerichtet war diese Gewalt jedoch auf die Autoren, auf ihr Denken und auf alle, die diesem Denken nahestanden.“[4] Die enge Verbindung physischer und psychischer Gewalt wird insbesondere beim Bereich physischer Gewaltanwendung gegen Menschen offensichtlich. Physische Gewalt gegen Menschen kann in Form eines Vorenthaltens essentieller Energiequellen, einer Behinderung der Bewegungsfreiheit, einer körperlichen Verletzung bis hin zur tatsächlichen Zerstörung (Tötung) des Individuums in Erscheinung treten.[5] Alle diese Schädigungen haben in der Regel auch psychische Folgen für das Opfer, seine Angehörigen wie auch für den Täter selbst, wobei das Opfer als Folge einer Gewalterfahrung zumindest mit Ängsten, seine Angehörigen mit Sorgen (oder gar mit Trauer) und der Täter mit eventuellen Schuldgefühlen oder verstärkter sozialer Ablehnung umgehen müssen.

2.2 Psychische Gewalt

Der Bereich der psychischen Gewalt ist hinsichtlich der Art und Weise der Ausübung, wie auch ihrer jeweiligen Folgen in einer weitreichenden Perspektive zu betrachten. Psychische Gewalt kann, wie bereits erwähnt, in Form physischer Gewalt auftreten wie auch in verbaler Form, wozu „Beschimpfung, Beleidigung, Drohung, [...]“[6] gehören und in verhaltens- und handlungsorientierter Form, wie z.B. durch „Abhängigmachen oder –halten, Unterdrückung, Vorenthalten von Information, sozialen Kontakten, Kommunikation, Kreativität; [...]“[7].

Sie kann somit offensichtlich aber auch unterschwellig ausgeübt und wahrgenommen werden, was die Identifikation und die Wahl geeigneter Schutzmassnahmen, im Vergleich zur reinen physischen Gewalt, deutlich erschwert. In dem Zusammenhang ist psychische Gewalt besonders deswegen häufig schwierig zu perzipieren, da sie in vielen Fällen Teil eines individuellen Überzeugungs- und gesellschaftlich legitimierten Normsystems sein kann. „Der Ausübende ist sich seiner Gewalttätigkeit gar nicht bewusst, begeht sie nicht absichtlich; er verhält sich ‚so wie immer“.[8] Selbiges gilt für die Rolle des Gewalt-Betroffenen, der möglicherweise nicht erkennt, dass und weshalb er psychische Verletzungen erlebt.

Psychische Gewalt kann zunächst insbesondere auf kognitiver Ebene der menschlichen Psyche stattfinden und ihren schädigenden Einfluss ausüben. Neben der kognitiven Ebene der menschlichen Psyche existieren noch zwei weitere Ebenen, die emotionale und die kommunikative Ebene, wobei alle drei Ebenen einen wechselseitigen Einfluss aufeinander haben. „Einzubeziehen sind auch die emotional-affektive, also Gefühle, Irrationalitäten, und die kommunikative Ebene, also Ausdrucks- und soziale Interaktionsfähigkeit. [...] Deformationen in einer Ebene zeitigen in der Regel auch Folgen in den anderen: [...]“.[9] So haben eine Drohung oder die systematische Manipulation der persönlichen Ansichten eines Individuums nicht nur Auswirkungen auf die kognitiven Denkprozesse, sondern ebenfalls auf die Gefühlswelt, die beispielsweise mit Angst reagieren wird. Auf kommunikativer Ebene können Folgen psychischer Gewalt besonders in Form von Problemen bezüglich der sozialen Kontaktfreudigkeit, sowie im Bereich der verbalen Ausdrucksfähigkeit zu Tage treten. Die Auswirkungen psychischer Schädigungen können, je nach Intensität der Gewalt, nach individueller Wahrnehmung der Gewalt und nach den zur Verfügung stehenden Handlungskompetenzen im Umgang mit der Gewalt, ursächlich zu psychischen Erkrankungen führen.

Dieser Bereich ist auch als Psychosomatik bekannt und betrifft alle drei Ebenen der Psyche, wie auch häufig die körperliche Gesundheit. „In ihrer Kulmination können solche psychischen Schädigungen zu psychischen Krankheiten werden, die die Lebensfähigkeit von Menschen zerstören.“[10] Die Folgen, ausgelöst durch mehr oder minder dauerhaft (chronisch) erlebten psychischen Stress, machen sich nicht selten auch durch ernsthafte physische Erkrankungen bemerkbar. Die Palette psychosomatischer Erkrankungen reicht hier beispielsweise von Schlaf-Störungen bis Allergie, von Magen-Darm-Störungen bis zu einer generellen Schwächung des Immunsystems, Depressionen, Drogensucht und Ess-Störungen.[11] Wird der Leidensdruck unerträglich und ist keine Hoffnung auf Erleichterung mehr spürbar, gilt für viele Betroffene der Selbstmord als letzter Ausweg.

3 Ursachen und Formen Jugendlicher Gewalt

Um auf den Hauptgegenstandsbereich dieser Arbeit hin zu leiten, sollen im folgenden basierend auf den eben genannten Kenntnissen zur Definition personaler Gewalt die Gründe, Erscheinungsformen und Auswirkungen jugendlicher Gewalt dargelegt werden. Grundsätzlich gelten die zuvor beschriebenen Aspekte beider Formen personaler Gewalt auch für den Bereich der Jugendgewalt. Von Jugendlichen ausgeübte Gewalt nimmt im Kontext der Gewaltforschung einen besonderen Stellenwert ein, vergleichbar mit der Gewalt in der Ehe, in der Familie oder am Arbeitsplatz, der sich speziell durch die Einzigartigkeit der Gründe, Erscheinungsformen und Folgen auszeichnet. Die Einzigartigkeit jugendlicher Gewalt besteht dabei insbesondere in der Tatsache, dass die Jugendphase, wenngleich sie im Verlauf des Individualisierungsprozesses entstrukturiert und nicht mehr als solche allgemein definierbar ist, vorwiegend eine Phase der Identitätsfindung ist. In dieser Phase begegnen dem Jugendlichen eine Vielzahl von Problemen und Anforderungen, deren Bewältigung die Verfügung über Handlungskompetenzen voraussetzen, die im Idealfall besonders während der familiären Sozialisation erlernt werden. Verfügt der Jugendliche nicht über befriedigende Problemlösungsstrategien, ist der Schritt zu Gewalthandlungen, seien sie nach innen oder nach außen gerichtet, oft nicht weit entfernt. Dabei stellt sich die Frage, welche Faktoren Gewaltbereitschaft begünstigen, wonach Untersuchungen und Erklärungsansätze zur Entstehung nach außen gerichteter Gewalt Jugendlicher nun im zweiten Teil der Arbeit im Vordergrund stehen sollen.

3.1 Gewalt in der Schule

Da die Entstrukturierung der Jugendphase bekanntlich eine Verlängerung der Schulzeit beinhaltet, gilt die Schule im Verlauf der Jugend als eine der wichtigsten Instanzen der Sekundärsozialisation und muss daher bei der Beobachtung jugendlichen Verhaltens einbezogen werden. Im Folgenden werden empirisch ermittelte Anhaltspunkte anhand von drei Studien vorgestellt, die Erklärung für jugendliche Gewalt in der Schule geben sollen.

3.1.1 Jugendliche Gewalt in der Schule

Nach Klaus Hurrelmann zeigen Studien über Aggression und Gewalt in der Schule, dass zwischen 1973 und 1984 bundesweit die Zunahme von Normverstößen innerhalb der Institution Schule (Jahrgänge 7 bis 9) bei ungefähr 5% lag. „Eine dramatische Steigerung lässt sich nicht erkennen.“[12] Demgegenüber stellt eine „Überblickstudie“ von Ferstl, Niebel und Hanewinkel (1993) „für die letzten zehn Jahre vor allem eine Zunahme von verbalen und psychischen Aggressionsformen“ fest.[13] Zu den Formen der psychischen Gewalt gehören dabei insbesondere „Beschimpfungen, Auslachen, Verächtlichmachen, [...]“, die von den Wissenschaftlern als „Vorläufer für physische Gewaltanwendungen“[14] interpretiert werden. Mit dem Ausbruch physischer Gewalt, kommt es häufig zu brutalen Übergriffen, die die Opfer vielfach schwer verletzt zurück lassen. Auch eine Zunahme sexueller Gewalt, sowie der Verstärkte Einsatz von Waffen wurde festgestellt. „Alle Gewaltformen zusammen werden von 14% der Schülerinnen und Schüler als ‚häufig’ eingestuft“.

[...]


[1] Vgl. Mathews, Linda (2003): Hausarbeit zum Thema: Zusammenhänge zwischen jugendlicher Subjektwerdung und Konsum und Missbrauch von Rauschmitteln durch Jugendliche im Zeitalter der modernen Individualisierung. Bochum.

[2] Vgl. Mathews, Linda, S. 15 – 20.

[3] Theunert, Helga (2000): Gewalt in den Medien – Gewalt in der Realität. Gesellschaftliche Zusammenhänge und pädagogisches Handeln. München, S. 87.

[4] Theunert, Helga, S. 87.

[5] Vgl.: Theunert, Helga, S. 88 ff.

[6] Theunert, Helga, S. 90.

[7] Theunert, Helga, S. 90.

[8] Theunert, Helga, S. 90.

[9] Theunert, Helga, S. 89.

[10] Theunert, Helga, S. 90.

[11] Eigene Schlussfolgerungen der Autorin.

[12] Vgl. Hurrelmann, Klaus (1999): Lebensphase Jugend, S. 205.

[13] Vgl. Hurrelmann, Klaus, S. 205.

[14] Hurrelmann, Klaus, S. 205.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Erklärung jugendlicher Gewaltbereitschaft - Ein Vergleich empirischer Studien und ihrer Erklärungsansätze
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Sozialwissenschaft)
Veranstaltung
Sozialisation
Note
3,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
38
Katalognummer
V23689
ISBN (eBook)
9783638267656
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialwissenschaftliche, Beiträge, Erklärung, Gewaltbereitschaft, Vergleich, Studien, Erklärungsansätze, Sozialisation
Arbeit zitieren
Linda Mathews (Autor:in), 2004, Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Erklärung jugendlicher Gewaltbereitschaft - Ein Vergleich empirischer Studien und ihrer Erklärungsansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23689

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