Kindheit im Wandel. Veränderte Bedingungen des Aufwachsens in jüngerer Zeit


Referat (Ausarbeitung), 2002

38 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Anzeichen und Ursachen des beginnenden Wandels der Kindheit

3. Kindheit heute: Veränderungen und Umbrüche

4. Aspekte veränderter Kindheit heute
4.1. Veränderung der familialen Lebenswelt (und der Erziehungsnormen)
4.1.1. Reduktion der Geburtenrate
4.1.2. Müttererwerbstätigkeit
4.1.3. Vielfalt an Familienformen/-konstellationen
4.1.4. Eineltern-Familien
4.2. Verändertes Spiel- und Freizeitverhalten, sowie Raum- und Zeiterleben
4.3. Veränderung der Kindheit durch Medien
4.4. Pluralisierung derErziehungsnormen
4.5. Kinder in einer Vielfalt der Kulturen /multikulturelle Gesellschaft

5. Veränderte Schulkinder heute
5.1. Lern- und Arbeitsverhalten
5.1.1. Konzentration, Ausdauer, Unruhe
5.1.2. Lern- und Leistungsorientierung
5.1.3. Vorbereitung auf die Schule
5.2. Soziales Verhalten und Selbständigkeit
5.3. Sprachentwicklung

6. Verändertes Schulleben und veränderter Unterricht
6.1. Verändertes Unterrichtsverhalten seitens der Lehrpersonen
6.1.1. Differenzierung und Individualisierung
6.1.2. Zeit- und Unterrichtsplanung, sowie Unterrichtsstil
6.1.3. Spielerische Angebote und Verschnaufpausen
6.2. Elternarbeit

7. Persönliche Stellungnahme
7.1. Anschauungsunterricht (Realbegegnung)
7.2. Ganzheitliches Lernen
7.3. Handlungsorientiertes (handelndes) Lernen
7.4. Soziales Lernen
7.5. Schülerorientiertes Lernen

8. Schlussfolgerung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In den letzten Jahrzehnten hat ein schneller und tiefgreifender Wandel in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens stattgefunden. Der rasante gesellschaftliche Wandel hat einschneidende Veränderungen für das Aufwachsen der Kinder mit sich gebracht und damit auch für die Schule; man spricht auch von einem sozialen Wandel der Kindheit. Als Hauptmerkmal heutiger Kindheit wird häufig die Entsinnlichung der Lebenswirklichkeit genannt. Kinder wachsen überwiegend in einer mediatisierten und verinselten Welt auf, die von Leistungskonkurrenz geprägt ist und sinnlichen Erfahrungen nur wenig Raum lässt. Gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen haben die Erfahrungsmöglichkeiten heutiger Kinder stark eingeschränkt, bzw. verschoben, so dass es für sie immer schwieriger wird, sich ihre Lebenswelt zu erschließen und soziale Kompetenz zu erweben. Beispiele sind die dicht besiedelten Wohngebiete und die Verhäuslichung, die sogenannten Erfahrungen aus zweiter Hand und ein veränderter Umgang mit der Zeit.

Die heutigen „Multimedia – Kids“ sind nicht mehr mit Kindern früherer Jahrgänge zu vergleichen. Sie wachsen in einer ganz anderen Welt auf, die geprägt ist durch Fernsehprogrammvielfalt, Videoclips und aufwändige Computerspiele. Die Fähigkeit zur Abstraktion und zur Konzentration ist bei vielen Schülern stark zurück gegangen.

Die Konsequenzen dieses Wandels, dessen Anfänge bereits in der Nachkriegszeit liegen, und deren Bedeutung für das Schulwesen wurden allerdings erst in den letzten Jahren wahrgenommen. Dieser Entwicklung kann die Schule entgegenwirken, indem sie den Unterricht darauf einstellt und es sich zur Aufgabe macht, zur Rückgewinnung von Erfahrungsräumen für Kinder beizutragen. Im folgenden werden wir versuchen, den Beginn, sowie den historischen Ablauf dieses Wandels darzulegen. Dabei beschreiben wir, was sich an Lebenszusammenhängen von Kindern geändert hat; denn nur durch den Blick auf verschiedene Generationserfahrungen in Kindheit und Jugend, ist es möglich diverse Phänomene des heutigen Wandels von Kindheit zu erfassen.

2. Anzeichen und Ursachen des beginnenden Wandels der Kindheit

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein Wandel der Sozialisationsbedingungen vollzogen. Preuss-Lausitz1 bestätigt, dass historisch einmalige gesellschaftliche Bedingungen zu spezifischen Kindheitserfahrungen führen, welche sich dann später auch in unterschiedlichen Einstellungen gegenüber allgemeinen Entwicklungen und Ereignissen äußern. Diese Gesamterfahrungen charakterisieren die Sozialisationsgeschichte einer Generation.

Um diese These zu belegen, hat er in seinem Buch „Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder“ verschiedene Artikel unterschiedlicher Autoren zusammengeführt, die alle jeweils das Ziel verfolgen, diese Kindheitserfahrungen und ihre Auswirkungen zu schildern. Die Berichte sind das Resultat von Diskussionen, in denen die Autoren untereinander sowie mit anderen Personen verschiedener Generationen in Kontakt traten.

Im folgenden werden wir die Anfänge, den Verlauf und die Folgen dieses Wandels aufzeigen, indem wir zuerst versuchen eine jeweils zusammenfassende Beschreibung der verschiedenen Artikel, die sich in „Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder“ befinden, zu geben. Anschließend nehmen wir den Versuch vor, eine Schlussfolgerung dieser Dokumentationen hinsichtlich der Relation zwischen Sozialisationsgeschichte und Kindheit im Wandel zu formulieren.

Die „Nachkriegskinder“ und die „Konsumkinder“- Kindheitsverläufe zweier Generationen (Yvonne Schütze/Dieter Geulen)

Die Autoren vergleichen hier die Generation der 40er mit der der 60er Jahre, um die unterschiedlichen Folgen, sowie Auswirkungen, der jeweiligen Kindheitserfahrungen und erlebten Erziehung aufzuzeigen.

- Charakteristiken typischer Kindheit der 40er Generation:

Mangel an allem, vaterloses Aufwachsen in den frühen Kindheitsjahren, Versorgung durch die Mutter die auch den Mittelpunkt der Familie darstellt, Selbstständigkeit der Mutter, Rückkehr des VatersÞVerschärfung familiärer Konflikte, Geringe Autoritätsanerkennung der Kinder in Bezug auf ihren Vater, Kinderarbeit im Haushalt, ständige Suche nach etwas Essbarem, Spielen draußen in Umgebung und in Trümmern zerfallener Gebäude, während Freizeit waren Kinder der elterlichen Kontrolle entzogen, räumliche Enge, keine kindgerechte- zentrierte Erziehung, körperliche Strafe durch Prügel, Tabuisierung von Politik und Sex.

Im Jugendalter werden viele dieser Kinder zu Rebellen, teilweise auch zu Vandalen, was zahlreiche Jugendbewegungen in den 60er Jahren verdeutlichen. Diese Generation hat den persönlichen Wunsch andere Erziehungsstile (meistens antiautoritäre Erziehung) für ihre Kinder anzuwenden als sie selbst erleben mussten.

- Charakteristiken typischer Kindheit der 60er Generation

Leben in einer geordneten Welt, stabile Familienverhältnisse (bürgerliche Kleinfamilie), gute materielle Versorgung, Liberalisierung im Erziehungsstil, Eltern kümmern sich um ihre Kinder, vorgefertigtes Spielzeug, vermehrtes Spielen zu Hause, Erziehungs- und Bildungsreform, Verbreitung des Fernsehens, Kinder werden zu Trägern des Massenkonsums.

Als Jugendliche entwickelt diese Generation eine eigene „alternative“ Kultur mit einer eigener Infrastruktur und politischen Motiven, an Stelle des herrschenden Systems.

Bei dieser Generation kommt es im späteren Jugendalter ebenfalls zu einer Rebellion, die im Gegensatz zu jener der 40er Generation allerdings gewaltfreier ist und auf einer eher verbalen Ebene erfolgt. Ziel dieser Rebellion ist ein Entziehen der Bevormundung und Kontrolle sowohl durch den Staat, als auch durch das Elternhaus.

Halbstarke 1958, Studenten 1968: Eine Generation und zwei Rebellionen

(Marina Fischer-Kowalski)

Die Autorin fasst die Kinder, die zwischen 1938 und 1948 geboren sind, unter einer Generation zusammen. Diese Generation hat die Träger zweier weltweiter Jugendbewegungen hervorgebracht: Die Halbstarkenbewegung (Höhepunkt 1958) und die Studentenbewegung (1968). Diese Generation stellt etwas wie einen Wendepunkt in der Geschichte dar.

Diese Jugendlichen haben eine ganz andere Beziehung zu sich selbst und zur Umwelt erfahren und entwickelt, die in Untersuchungen unter der Trennung von Körper und Geist, der Trennung von männlich und weiblich und der Trennung nach Klassen gegliedert wurde. Die Gesellschaft hat Widersprüche in den Lebensgeschichten dieser Menschen hervorgebracht, die diese in die Lage versetzt haben, sich zu wehren.

Wie kennzeichnen sich die Bewegungen?

- Halbstarken

Die Bewegung erstreckt sich über den Zeitraum zwischen 1955 und 1960 und wird hauptsächlich von Jugendlichen der Arbeiterklasse, eines Alters von etwa 12 bis 18 Jahren, getragen. Sie verfolgen die Ziele freiere Handlungsräume und Zugang zu bestimmten Kulturelementen zu erhalten, sowie die Bevormundung der Erwachsenen zurückzudrängen. Sie schließen sich oft in Straßenbanden zusammen. Das Erscheinungsbild der Jungen ist durch Motorräder, Jeans, Lederjacken und langes fettiges Haar geprägt, das der Mädchen meist durch schwingende Röcke und breite Gürtel, toupiertem Haar und aufreizender, durch Jeans unterstrichene, Kurven. Das Hören von Rock ‘n Roll Musik gehört zu ihrer Rebellion. Das Provozieren von Autoritäten und eine hohe Gewaltbereitschaft charakterisieren das Agieren der Halbstarken, die wenig Verständnis von der Gesellschaft erhielt. Die Jugendlichen wurden eher kriminalisiert und viele fanden den Tod in Eskalationen von Gewalt und Selbstzerstörung.

- Studentenbewegung

Sie fand zwischen 1965 und 1970 statt und wurde hauptsächlich von der neuen Mittelklasse und den Intellektuellen getragen, die zwischen 17 und 27 waren.

Ziele sind die Verbesserung der Studierbedingungen und die Destruktion des bürgerlichen Subjekts. Das Erscheinungsbild dieser Jugendlichen ist meist das allseitig bekannte Hippieaussehen. Auch wenn es bei dieser Bewegung noch oft zu Auseinandersetzungen kam, verlief das Agieren der Studenten auf einer eher verbalen und theoretischen Ebene.

Es gibt eine gewisse Überlappung der Geburtsjahre der Träger der Halbstarkenbewegung und jener der Studentenrevolte, wegen unterschiedlichen Charakters und Klassenunterschieds ist es jedoch kaum wahrscheinlich, dass Jugendliche an beiden Bewegungen teilnahmen. Es können viele gemeinsame Merkmale beider Bewegungen lokalisiert werden:

- Beide Bewegungen sind durch einen beträchtlichen Anteil Jugendlicher gekennzeichnet
- Sie entstanden als Massenerscheinungen fast gleichzeitig in den meisten industriellen Ländern
- Männliche Abkömmlinge ganz bestimmter sozialer Klassen dominierten jeweils die Bewegungen
- Beide umfassten im Gegenteil zu früheren Bewegungen auch weibliche Jugendliche
- Die Träger befanden sich jeweils in der Lebensphase nachlassender elterlicher Kontrolle
- Beide Bewegungen werden durch Berichterstattungen, die von den aufkommenden Massenmedien erstellt werden, unterstützt
- Musik stellte jedes Mal einen wichtigen Faktor dar

Was macht diese Generation, geboren während des Krieges oder in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, so rebellisch?

Ihre Kindheit ist hauptsächlich durch soziale Desorganisierung geprägt. Die Eltern waren mit dem täglichen Überleben beschäftigt und hatten somit keine Zeit ihre Kinder zu erziehen und zu kontrollieren. Letztere konnten in ihrer Freizeit relativ tun und lassen was sie wollten. Zu Hause mussten sie jedoch bei den Aufgaben des täglichen Überlebens mithelfen, so dass ein Widerspruch zwischen Freiheit und Gehorsam entstand.

Im Kontrast hierzu steht wiederum die politische und familiale Rekonstruktion, welche diese Kinder wenig später im Alter zwischen Schuleintritt und Pubertät traf.

Nach Meinung der Autoren haben die Jugendbewegungen drei konstitutive Elemente des „bürgerlichen Subjekts“ aufgebrochen. Die Einstellungsänderungen vollziehen sich auf den bereits oben erwähnten drei grundlegenden Trennungen: In der bisherigen Gesellschaft war der Körper stets dem Geist unterworfen; es wurde nur Kopfarbeit geleistet. Außerdem herrschte eine latente Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Körper vor. Die Jugendlichen haben allerdings versucht Körper und Geist wiederzuvereinigen und auf gleichberechtigte Weise zu gebrauchen und zu befriedigen. Auch galt die Frau in der Gesellschaft bis dato als untergeordnet. In beiden Bewegungen treten Elemente von „Frauenbefreiung“ auf, so dass der zuvor strikte Geschlechtsrollenstandard zu zerfallen beginnt. Die letzte Veränderung betrifft das Anfechten der Neigung der Gesellschaft alles hierarchisch ordnen zu wollen und das Kritisieren repräsentierender Autoritäten.

Altrebellen und Neurebellen zwischen Annäherung und Abgrenzung.

Zur Veränderung des Protestverhaltens Jugendlicher. (Christine Kulke)

Die Autorin bezeichnet unter dem Begriff Altrebellen jene Rebellen der 68er, also um 1940 Geborenen, und unter dem Begriff der Neurebellen die, die um 1960 und später geboren sind. Sie versucht herauszufinden, wieso die Altrebellen, trotz eigener Rebellion, Probleme mit den protestierenden Jugendlichen der 80er haben. In ihrem Beitrag beschreibt sie die ihrer Meinung nach erheblichen Unterschiede, die zwischen diesen beiden Generationsgruppen bestehen.

Das Verwenden anderer Protest- und Artikulationsformen markiert den Wandel von Sozialisationsbedingungen der letzten Jahrzehnte. Zudem hat sich während der Jahrzehnte ein grundlegender politischer Deutungswandel vollzogen: im Gegensatz zum Wirtschaftswachstum, neuem technischen Fortschritt und sozialstaatlichen Interventionen mit Umverteilung des erwirtschafteten Gewinns (Verteilungs- paradigma) basiert die Politik heute auf ökologischen und bedürfnisorientierten Qualitäten mit einer hohen Bewertung sozialer Interaktionen (Lebensweiseparadigma).

Die Altrebellen geraten heute in Konflikt mit den Neurebellen, weil beide eine andere Parteienpräferenz haben und andere Ziele mit Hilfe anderer Mittel hinter einem anderen sozial-gesellschaftlichen Hintergrund verfolgen. Vielen Begriffen wie Politik oder Demokratie werden heute ein anderes Verständnis und andere Interpretationen gegenübergebracht. Politik ist heute nicht mehr auf Klassenkämpfe und politische Realität, sondern auf die eigene Befindlichkeit gerichtet. Autonomie ist das neue Stichwort. Das Politikverständnis der Altrebellen ist starr auf konventionelle Politikbereiche bezogen, womit sie sich gegen die neuen Tendenzen und Politikäußerungen verschließen. Dies beweist auch ihre Ignoranz gegenüber den neuen Frauenbewegungen. Somit muss es zu einer Konfrontation von Altrebellen und Neurebellen kommen, weil beide einfach durch ganz andere Vorstellungen geprägt werden.

Vom gepanzerten zum sinnstiftenden Körper (Ulf Preuss-Lausitz)

In seinem Beitrag geht Preuss-Lausitz der Fragestellung nach, ob der Wandel der letzten 40 Jahren des Verhältnisses der kindlichen und jugendlichen Körper zu sich selbst und den Körpern anderer mit der Wandlung der Republik selbst erklärbar ist. Er stellt fest, dass es generationsspezifische Körpersozialisationen gibt. Um diese These zu beweisen, vergleicht er die Generation der um 1940, die der um 1950 und die der um 1960 Geborenen miteinander.

Die Generation der um 1940 Geborenen erlebte eine Zeit voll von Körper- und Sexualitätsfeindschaft. Der Freiraum der Trümmerlandschaft war jedoch Schauplatz für kindliche Körperexkursionen. Viele Kinder spielten Doktor-Spiele oder Auszieh-Spiele, wenn auch nicht ohne Schuldgefühle, denn ihre Erziehung war geprägt durch Verbote und Gebote. Kinder dieser Zeit hatten sich „anständig“ und verantwortlich zu benehmen. Die Freiheit außerhalb der eigenen Wohnung kontrastierte somit stark mit dem Zwang zur Tabuisierung und Unterdrückung von Körperlichkeit in der Familie, die wenn nötig auch durch Schläge anerzogen wurde. Die 40er Generation hat früh gelernt, dass das Vergnügen am eigenen wie am fremden Körper schädlich sei. Das Prinzip des „schlechten Gewissens“ wurde somit gleich mit anerzogen. Dies hat natürlich weitreichende Konsequenzen des Gesamtverhaltens einer Person. Zusätzlich kommt hinzu, dass diese Körper durch Nahrungsmangel und Anstrengung durch Arbeit gekennzeichnet waren. Die moralisch repressive Erziehung und körperliche Arbeit ließen keine gesunde Körper- und Selbstliebe zu.

Mit einer solchen Körpersozialisation ging auch eine politische Funktion einher: sie liegt im „Züchten“ arbeitsfähiger und realistischer Subjekte, die keinerlei Visionen vom Lustprinzip haben und sich somit gut in das ökonomische Bild der damaligen Politik einfügten.

Die Generation der 50er erlebt Anfang der 60er Jahre einen Umschwung, durch das Beenden der Spar- und Aufbauzeit. Es blieb die repressive häusliche Erziehung, die Konsumgesellschaft begann jedoch langsam sich zu entwickeln. Der Konsum zeigte sich zuerst nur auf der Ebene der Alltagskost, breitete sich in den frühen 60ern dann auch auf andere Bereiche aus. Ebenso wie die körperlichen Mangelerfahrungen verschwindet auch langsam der Zwang zur Arbeit. Sinnliche Bedürfnisse der Menschen wurden jetzt aufgegriffen und moralische Normen änderten. Sexualität wird aus der Tabu-Zone herausgeholt und schlägt sich in der Werbung, in den Zeitschriften, in der Mode und in der Musik nieder. Es beginnt die Sexualisierung der Gesellschaft, die bis heute anhält, was gleichzeitig das Aufbrechen des aufgezwungenen Körperpanzers für die Jugendlichen bedeutet. Diese eignen sich die neue Körperlust immer mehr zum Symbol der Rebellion gegen die repressive Erwachsenenwelt an.

Die um 60 Geborenen haben erstmals die neue Erziehung und die Körperlust als akzeptiertes Bedürfnis in der Gesellschaft erfahren. Die 60er Generation entwickelte eine neue Körperkultur, aus der auch eine neue Sprache der Politik entstand. Durch die ansteigende Perspektivlosigkeit durch verringertes Wirtschaftswachstum und

der Perspektivlosigkeit in der Gesellschaft, erlangen Jugendliche zunehmend das Gefühl, dass es außerhalb des Ichs nichts Sicheres mehr gibt und wenden sich daher noch verstärkter dem einzig vermeintlich sicheren Ort von Glück zu: ihrem Körper. Es geht um Echtheit und um authentisch sein. Authentizität des Körperlebens ist das Gemeinsame aller neuen Ausdrucksformen des Körpers und prägt auch die Bewegungen der späten 70er und frühen 80er Jahre.

Aufwachsen mit Rockmusik- Rockgeschichte und Sozialisation

(Peter Zimmermann)

Er zeigt auf, wie sich Musik seit den 50er Jahren zu einer stetig bedeutsamer werdenden Sozialisationsbedingung entwickelte und warum sie seit diesen Anfängen für einen Großteil der Heranwachsenden etwas ganz Wichtiges darstellt. Das Aufkommen von Rockmusik ging immer einher mit einem oppositionellen Gebrauchszusammenhang, der über die verschiedenen Generationen hin beibehalten wurde.

In den 50ern war Rock ‘n Roll ein Mittel des kulturellen Ausdrucks, das ein bestimmtes Lebensgefühl signalisierte. Es erlaubte mit vorherrschenden Normen zu brechen und sich von Eltern kulturell unabhängig zu machen. Dieses Verhalten beschränkte sich noch auf eine Minderheit der Unterschichtjugend, was sich in den 60ern jedoch stark änderte. Der Liverpooler Beat Anfang der 60er erlaubte es, sich der harten und unschönen Wirklichkeit zu entziehen und etwas Eigenes zu genießen. Er vereinte eine Durchsetzung von bestimmten Äußerlichkeiten, die das Angehören an eine musikalische Gemeinschaft darstellte. Das allgemeine Erscheinungsbild sollte bewusst eine Distanz zum Leben und zu den Anschauungen der Erwachsenen aufzeigen. Die darauffolgende Hippie-Kultur wurde zur Konsum-Kultur und prägte das Lebensgefühl der Befreiung, das immer auch in der Musik gepriesen wurde. Dieser Aufschwung war Ausdruck sozialer und kultureller Umbrüche der 60er Jahre. Aus den 70er Jahren ist die Bewegung des Punk hervorzustreichen, der ebenfalls in Zusammenhang mit der damaligen sozialen und gesellschaftlichen Atmosphäre steht. Massenarbeitslosigkeit und Angst vor atomarer und chemischer Verseuchung führte zu einer Auflehnung der Jugendlichen, die zu einer kulturellen Rebellion wurde. Punkmusik sollte schockieren und anprangern. Sie legte die Grundlage für die nachher weit verbreitete Deutsche Welle.

[...]


1 Ulf Preuss-Lausitz (Hrsg.) u.a., Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder, Weinheim 1995

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Kindheit im Wandel. Veränderte Bedingungen des Aufwachsens in jüngerer Zeit
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Veranstaltung
Kindheit, Kindsein
Note
1,5
Autoren
Jahr
2002
Seiten
38
Katalognummer
V23668
ISBN (eBook)
9783638267472
Dateigröße
681 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kindheit, Wandel, Veränderte, Bedingungen, Aufwachsens, Zeit, Kindsein
Arbeit zitieren
Géraldine Haller (Autor:in)Antonia Kirsch (Autor:in), 2002, Kindheit im Wandel. Veränderte Bedingungen des Aufwachsens in jüngerer Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23668

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