Colonial Appeasement 1938 - Mitbeteiligung Deutschlands an einem internationalen Kolonial-Régime in Mittelafrika oder Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien?

Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Adolf Hitler und dem britischen Botschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

21 Seiten, Note: sehr gut (1,0)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Englandpolitik Hitlers bis 1937

3. Die Vorgeschichte der Unterredung
3.1 Die englische Fehleinschätzung Hitlers
3.2 Die Problematik für England
a) Strategischer Gesichtspunkt
b) Weitere Gesichtspunkte

4. Der Plan eines internationalisierten Mittelafrika
4.1 Das Konzept
4.2 Die Vorteile des Konzepts
4.3 Mögliche Probleme

5. Das Gespräch am 3. März
5.1 Diplomatische Ränkespiele im Vorfeld
5.2 Der Gesprächsverlauf
5.3 Die Nachgeschichte

6. Schlußbetrachtung

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Thema des „Colonial Appeasement“ ist besonders interessant im Hinblick auf die Art und Weise, in der englische Politiker die in den Zeiten des „Scramble for Africa“ entstandene „Kolonialbörse“ wieder eröffneten und in anachronistisch anmutender Weise über Kompensationen in den Kolonien diskutierten, um den Frieden in Europa zu sichern.

Diese Arbeit versucht, die Genese des englischen Kolonialangebotes vor dem Hintergrund vielfältiger strategischer Zwänge zu erklären und vermeintliche und wirkliche Gründe für die ablehnende Haltung Hitlers zu beleuchten. Außerdem soll die Kolonialfrage in den Kontext der deutschen Englandpolitik eingebettet werden.

Für die Programmatik Hitlers werden seine publizierten Äußerungen der Zwanziger Jahre herangezogen. Die wichtigsten Quellen zu dem Thema sind neben den deutschen v. a. die englischen Akten zur Außenpolitik, die für den Zeitraum von November 1937 bis März 1938 ausgewertet werden.

Die wichtigsten Forschungsergebnisse, auf die sich diese Arbeit stützt, stammen von Hildebrand (für den Gesamtkontext des Themas von 1919-1945) und von Louis (für die Phase des „Colonial Appeasement“ von 1936-1938).

2. Die Englandpolitik Hitlers bis 1937

Hitlers in den Zwanziger Jahren gefaßter Plan war es, durch den Verzicht auf Kolonien und eine große Flotte (konträr zur wilhelminischen Außenpolitik) zu einem (vorübergehenden) Bündnis mit England zu kommen: „Wenn aber Deutschland zu einer grundsätzlichen politischen Neuorientierung kommt, die den See- und Handelsinteressen Englands nicht mehr widerspricht, sondern sich in kontinentalen Zielen [Lebensraum im Osten] erschöpft, dann ist ein logischer Grund für eine englische Feindschaft ... nicht mehr vorhanden.“[1] Eine Kontinuität der Ansichten von Wilhelm II. und Hitler bestand jedoch darin, daß beide glaubten, „daß England die kriegerische Durchsetzung deutscher Herrschaft als kontinentale Hegemonialmacht entweder wohlwollend oder doch Gewehr bei Fuß hinnehmen würde.“[2] Im März 1935 wurde der Bündnisplan Hitlers von England abgelehnt, und dennoch versuchte Hitler weiterhin, England entgegenzukommen (Abschluß des Flottenabkommens im Juni 1935), wenn auch zunehmend begleitet von einer „Taktik der kolonialen Sanktionsdrohungen“.[3] Im November 1937 wurde die Haltung Hitlers gegenüber England in dem Sinne ambivalent, daß er England nicht nur als erwünschten Bündnispartner, sondern auch als einen potentiellen Feind ansah.[4] „Nicht mehr mit England ... , sondern einfach ohne, möglichst aber nicht gegen England gedachte Hitler fortan sein „Programm“ zu verwirklichen.“[5] Hitler hoffte, daß England seine geplanten Aktionen in Osteuropa ebenso dulden würde, wie es 1935 die Annexion Abessiniens durch Italien und die Wiederbesetzung des Rheinlandes toleriert hatte.[6]

3. Die Vorgeschichte der Unterredung

3.1 Die englische Fehleinschätzung Hitlers

In seinen einleitenden Bemerkungen wies Henderson auf die Gespräche zwischen Halifax und Hitler am 19. 11. 1937 hin.[7] In diesen hatte Hitler die ungelöste Frage der Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien als das einzige direkte Problem zwischen England und Deutschland bezeichnet.[8] Hitler erschien sowohl kompromißbereit („If there were any colony which, for strategic reasons, we did not wish to give up, we might propose some other territory in compensation.“) als auch bestimmt („ ... he did not want any colony which would be a source of strategic trouble; nor a colony in the Sahara, nor in the Mediterranean (that would be dangerous), nor in the Far East (where the guns were already going off)).[9] Die Schlußfolgerung von Halifax war, „that ... it was now for Great Britain and France to propose a solution of the colonial question“[10]. Hierbei dürfte Halifax wohl an sein Gespräch mit Ribbentrop von Anfang 1937 zurückgedacht haben, in dem dieser ihm nahelegte, „England möge einmal eine freiwillige, großzügige Geste machen. Dies würde für die ganze Entwicklung unserer Beziehungen von ausschlaggebender Bedeutung sein und würde auch auf eine Lösung anderer Probleme psychologisch ganz anders wirken, als wenn, wie in den letzten Jahren, England immer erst dann Konzessionen mache, wenn die Ereignisse es dazu zwängen.“[11] In seinen Gesprächen mit Schacht erhielt Halifax einen näheren Eindruck von vermeintlichen deutschen Ansprüchen. Schacht meinte, „that, in addition to that [Kamerun und Togo], Germany should receive a block made up of parts of Belgian Congo and Angola, under something like a mandate.“[12] Die Fehleinschätzung der englischen Politik bestand in der unkritischen Aufnahme der Äußerungen Hitlers und in der Prämisse, daß Männer wie Schacht Sprachrohr Hitlers waren, der selber seine kolonialen Forderungen nicht präzisierte.[13] Die deutsche Taktik hatte schon 1937 der französische Kolonialminister Moutet erkannt: „Ich glaube nicht, daß die Frage der Kolonien eine derjenigen darstellt, um die es Deutschland und selbst dem Führer wirklich ernst ist. Deutschland bedient sich dieser Frage für sein politisches Spiel, und seine Forderungen werden erhoben oder verschwinden, je nach Bedürfnissen der deutschen allgemeinen Politik, besonders der europäischen Politik.“[14] Das eigentliche Desinteresse Hitlers an Kolonien wurde in einer Rede nach dem Besuch von Halifax deutlich, in der er dieses Thema um 3 oder mehr Jahre vertagt wissen wollte.[15] Hitler glaubte anscheinend, daß er früher oder später im Zuge eines sich abzeichnenden Krieges mit England ohnehin Kolonien erhalten würde und Verhandlungen über eventuelle Teillösungen mit deutschen Gegenleistungen pure Zeitverschwendung wären.[16]

3.2 Die Problematik für England

Bevor Henderson am 3. März 1938 den englischen Kolonialplan vor- stellte, machte er Andeutungen über „große Schwierigkeiten“ und eine „empfindliche öffentliche Meinung in England“.[17]

a) Strategischer Gesichtspunkt

Über die japanischen Mandate (ehemals deutsche Südseeinseln nördlich des Äquators) hatte England keine und über die Mandate seiner Dominien Neuseeland (Samoa), Australien (ehemals deutscher Südseebesitz südlich des Äquators) und Südafrika (Südwestafrika) nur eine geringe Dispositionsmöglichkeit („ ... the Government of the Union of South Africa had always taken up a non-possumus attitude in regard to the possibility of the return to Germany of South West Africa.“[18]). Der Verzicht auf Tanganjika hätte die englische Kap-Kairo-Linie unterbrochen, den Seeweg nach Indien gefährdet und Kenia in eine Einkreisungsgefahr durch die Achsenmächte gebracht, nachdem Abessinien 1936 von Italien besetzt worden war.[19] Eine Rückgabe von Togo und Kamerun wäre einseitig zu lasten Frankreichs gegangen (Problem des „equivalent sacrifice“[20]) und hätte nach englischer Ansicht den deutschen Ansprüchen nicht genügt[21]. Was Belgien und Portugal angeht, so war zu berücksichtigen, daß sie nach dem Ersten Weltkrieg mit Ruanda-Urundi bzw. dem „Kionga Triangle“ nur kleine Gebiete erhalten hatten[22] ; eine Übertragung anderer Gebiete an Deutschland („an extremely delicate question“[23]) wäre illegitim gewesen und wäre sowohl in Portugal[24] als auch in Belgien auf großen Widerstand gestoßen: „ ... the Belgian government ... would ... defend it [den Kongo] by all means in their power without exception.“[25] Der französische Botschafter in Brüssel skizzierte das Problem so: „Une contribution belge ne pourrait ainsi être demandée que sur un morceau du Congo. Cette colonie n’ayant jamais appartenu à l’Allemagne et n’étant limitrophe ni du Togo ni du Cameroun, ni du Sud-ouest africain, qui pourraient éventuellement faire l’objet de rétrocession, on pense pouvoir éviter tout abandon territorial, en faisant valoir au surplus que le Congo applique le système de la porte ouverte.“[26]

[...]


[1] Hitlers Zweites Buch, Ein Dokument aus dem Jahr 1928, eingeleitet und kommentiert von G. L. Weinberg, mit einem Vorwort von H. Rothfels, Stuttgart 1961, 173f.

[2] R. Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg, Hamburg 1989, 34.

[3] Vgl. K. Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich; Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945, München 1969, 772.

[4] Vgl. ebd., 772f.

[5] J. Henke, Hitlers England-Konzeption, Formulierung und Realisierungsversuche, in: M. Funke (Hrsg.), Hitler, Deutschland und die Mächte, Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf 1978, 594.

[6] Vgl. J. Henke, Hitler und England, Vom Scheitern der Bündniskonzeption bis zum Kriegsbeginn (1935 /37-1939), Phil. Diss., Koblenz 1973, 304.

[7] Vgl. Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945, Serie D (1937-1945), Bd. 1, Baden-Baden 1950 (künftig zitiert: ADAP), Nr. 138, 197.

[8] Vgl. Documents on British Foreign Policy 1919-1939, Second Series, Volume XIX, European Affairs 1. 7. 1937 - 4. 8. 1938, Oxford 1982 (künftig zitiert: DBFP), No. 354, 593.

[9] Ebd.

[10] Ebd., 594.

[11] Zitiert nach: Hildebrand, 900f.

[12] DBFP, No. 354, 594.

[13] Vgl. K. Middlemas, Diplomacy of Illusion, The British Government and Germany 1937-1939, London 1972, 170.

[14] Zitiert nach: Hildebrand, 897.

[15] Vgl. DBFP, No. 380, 658.

[16] Vgl. J. Ballhaus, Kolonialziele und Kolonialvorbereitungen des faschistischen Regimes 1933-1939, in: H. Stoecker (Hrsg.), Drang nach Afrika, Die koloniale Expansionspolitik und Herrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Ost-Berlin 1977, 305.

[17] ADAP, Nr. 138, 198.

[18] DBFP, No. 465, 785.

[19] Vgl. DBFP, No. 354, 609.

[20] Ebd.

[21] Vgl. ebd., No. 465, 784.

[22] Vgl. ebd., No. 409, 707.

[23] Ebd., No. 354, 612.

[24] Vgl. ebd., No. 349, 581.

[25] Ebd., No. 367, 645.

[26] Documents diplomatiques francais 1932-1939, 2e série (1936-1939), Tome VII (29.9.1937-16.1.1938), Paris 1972, Nr. 310, 600f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Colonial Appeasement 1938 - Mitbeteiligung Deutschlands an einem internationalen Kolonial-Régime in Mittelafrika oder Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien?
Untertitel
Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Adolf Hitler und dem britischen Botschaft
Hochschule
Universität Münster  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar: Kolonialismus ohne Kolonien
Note
sehr gut (1,0)
Autor
Jahr
1997
Seiten
21
Katalognummer
V23577
ISBN (eBook)
9783638266765
ISBN (Buch)
9783638759823
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die englische Appeasement-Politik hatte auch eine koloniale Komponente, wie ein englisches Angebot von 1938 im Hinblick auf Mittelafrika zeigt. Diese Arbeit untersucht die Genese der Kolonial-offerte vor dem Hintergrund vielfältiger strategischer Zwänge und beleuchtet vermeintliche und wirkliche Gründe für die ablehnende Haltung Hitlers. Außerdem wird die Kolonialfrage in den Kontext der deutschen Englandpolitik eingebettet.
Schlagworte
Colonial, Appeasement, Mitbeteiligung, Deutschlands, Kolonial-Régime, Mittelafrika, Rückgabe, Kolonien, Hauptseminar, Kolonialismus, Kolonien
Arbeit zitieren
Markus Laag (Autor:in), 1997, Colonial Appeasement 1938 - Mitbeteiligung Deutschlands an einem internationalen Kolonial-Régime in Mittelafrika oder Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23577

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