Der Bologna-Prozess und seine Bedeutung in der beruflichen Orientierung und Beratung

Eine Untersuchung von Entscheidungs- und Beratungsschwerpunkten bei Studienberechtigten


Bachelorarbeit, 2010

57 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis.

Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung
1.1 Ziel der Arbeit
1.2 Beschreibung der Vorgehensweise

2. Entstehung eines europäischen Hochschulraums
2.1 International vergleichende Betrachtung der Berufsbildung
2.2 Die Bologna-Erklärung
2.3 Weiterentwicklung der vereinbarten Ziele

3. Einführung des neuen Studiensystems in Deutschland
3.1 Einordnung der Studienwege und Qualifikationen
3.1.1 Regelung der Zugangswege
3.2 Wesentliche Strukturvorgaben des neuen Studiensystems
3.2.1 Modularisierung, Leistungspunkte und Prüfungsverfahren
3.2.2 Studiendauer und Gestaltungsräume
3.3 Grundlegende Ziele der Reform
3.3.1 Mobilität und internationale Anerkennung
3.3.2 Beschäftigungsfähigkeit und Berufsqualifizierung
3.4 Stand der Umsetzung

4. Problemstellungen der reformbedingten Studiensituation.
4.1 Forderungsdruck nach Reformnachbesserung
4.1.1 Realisierungsdefizite in der Praxis
4.2 Weitere Einflussfaktoren auf die Studienbedingungen
4.3 Zukunft des Reformprozesses
4.4 Folgen für die Studien- und Berufswahl

5. Aspekte beruflicher Orientierung im Systemwandel
5.1 Orientierungsphasen an Übergängen
5.2 Relevante Kriterien der Studienwahl
5.2.1 Inhaltliche Betrachtung von Studienmöglichkeiten
5.2.2 Organisatorische und verfahrenstechnische Überlegungen
5.2.3 Arbeitsmarktaussichten
5.2.4 Studienalternativen
5.3 Auswahlprozess und Entscheidungsfindung

6. Bedeutung der Studienreform für die berufliche Beratung.
6.1 Beratungsbedarf
6.1.1 Zuordnung der Beratungsakteure
6.2 Gestaltung des Beratungsangebots
6.2.1 Rahmenbedingungen
6.2.2 Qualifizierungsverhalten von Beratungsfachkräften
6.3 Ausblick auf weitere Entwicklungen

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Individuelle Studienwege und Qualifikationsprofile..

Abbildung 2: Prognose für Anzahl der Studienberechtigten und -anfänger in Nordrhein Westfalen.

Abbildung 3: Schaubild Triales Studium Handwerksmanagement

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bundesweite Bachelor- und Masterstudienangebote im Winter- semester 2009/2010.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einführung

Die Bologna-Reform stellt die Bildungsverantwortlichen seit dem Beginn des Prozesses im Jahre 1999 vor große Herausforderungen. Diese tiefgreifenden Veränderungen im Studiensystem sollten planmäßig bis zum Jahre 2010 umgesetzt werden, wobei unterschiedliche Ausgangssituationen bei den europäischen Teilnehmerländern existierten. Die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge brachte besonders in der deutschen Hochschulausbildung essentielle Änderungen hervor, weil die ehemals vorherrschenden Studienstrukturen in Deutschland mit Diplom, Magister oder Staatsexamen traditionell tief im Bildungssystem verankert waren. Zudem wurde der entstandene Wandel in der Studienlandschaft von Betroffenen der deutschen Bevölkerung mit Zustimmung und Skepsis begleitet, weil Chancen und Möglichkeiten gleichzeitigen Risiken und Anstrengungen gegenübergestanden. Flexibilität, Mobilität und Arbeitsmarktorientierung wurden demnach als Beispiele für Schlagworte von Befürwortern[1] genutzt, wogegen Kritiker eher Qualifikationsverluste und eine unsichere Haltung zur Brauchbarkeit von neuen Abschlüssen am Arbeitsmarkt propagierten (vgl. Himmelrath & Mersch, 2008, S.13). Zwar konnte ein Großteil der Reformziele bis zum vereinbarten Jahr 2010 realisiert werden. Darüber hinaus wird jedoch ein weiteres Arbeiten an der Reform von politisch Verantwortlichen verlangt, damit eine einheitliche europäische Hochschullandschaft entstehen kann.

Die Umsetzung des Reformvorhabens hängt nicht allein vom Erfolg der Bildungsanbieter ab, sondern sie bezieht gleichermaßen Studierende ein, weil diese ihr Studium unter den neuen Bedingungen bestreiten müssen. Die praktische Realisierung der Reform hat die Studienbedingungen derart beeinflusst, dass Studierende dies als nachteilig für ihren Bildungsweg empfanden und durch bundesweite Proteste im vergangenen Jahr kundgaben (vgl. HRK, Bundesweiter Bildungsprotest, 2010). Die dadurch aufgezeigten Schwachstellen wie z.B. hohe Prüfungslasten oder Anerkennungsschwierigkeiten von Leistungen brachten eine allgemeine Diskussion über Defizite bei der Umsetzung auf. Insgesamt konnte unter diesen Umständen noch nicht von einem geregelten Studienbetrieb ausgegangen werden.

Die mit der Einführung des neuen Systems einhergehende Fülle an Möglichkeiten, die insbesondere durch die angebotene Fächervielfalt und diverse Kombinationsmöglichkeiten erreicht wird, kann den Vorgang der Studienwahl zusätzlich erschweren (vgl. Himmelrath et al., 2008, S.32). Davon betroffen sind vor allem Studienberechtigte und Schüler mit zukünftigen Studienwünschen, die sich im Orientierungsprozess befinden. In der Übergangsphase des Erreichens der Studienberechtigung bis zum Eintritt in die Hochschule erfordert die Studienwahl von den Betroffenen ein erhöhtes Informationsverhalten, welches durch Erneuerungen im Reformprozess beeinträchtigt werden kann. Dieser neue Lebensabschnitt ist häufig von Ungewissheit geprägt und benötigt eine vorhergehende Entscheidung, die durchdacht ist. Die notwendigen Informationen zur Entscheidungsfindung werden dabei von verschiedenen Quellen erschlossen. Obwohl das Internet bei Studienberechtigten als wichtigste Informationsgabe fungiert, werden für die Studien- und Berufswahl ebenfalls Beratungsangebote von Hochschulen und Arbeitsagenturen einbezogen (vgl. Heine, Willich & Schneider, 2010, S.4). Die Studienberatungen der Hochschulen fokussieren ihr Angebot entsprechend auf Studienmöglichkeiten, wogegen Berufsberatungen der Arbeitsagenturen sowohl Studien- als auch Berufsausbildungsmöglichkeiten thematisieren. Die Veränderungen, die durch den Bologna-Prozess erwachsen sind, müssen in der beruflichen Beratung von Studieninteressierten zumindest soweit berücksichtigt werden, wie es die jeweils in Frage kommenden Möglichkeiten für die Ratsuchenden erfordern. Das Verständnis über die neue Studienstruktur ist für Beratungsfachkräfte daher ebenso grundlegende Voraussetzung für dessen professionelle Arbeit wie die Kenntnisse über die Weiterentwicklung der Reform und die nicht reformbezogenen Einflussfaktoren auf die Studienbedingungen.

Richtungsweisend für die Beratungsarbeit sollten die Inhalte der Beratungsanliegen sein. Dabei ist unklar, welche Relevanz die Veränderungen im Studiensystem für die Ratsuchenden hat. Welche Aspekte vor Studienaufnahme sind von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidungsfindung? Besteht ein Zusammenhang zwischen den angesprochenen Problemen und dem Reformprozess? Die Bologna-Reform hat die Hochschullandschaft maßgeblich umgestaltet. Inwiefern macht sich diese einflussreiche Reform auch innerhalb der Beratungsarbeit für Studieninteressierte bemerkbar?

1.1 Ziel der Arbeit

In dieser Arbeit soll hinterfragt werden, ob die Schwerpunkte der Bologna-Reform umgesetzt wurden und in welchem Maß dies ausschlaggebend für die berufliche Beratung von Studieninteressierten ist. Es soll anhand von geschilderten Problemfeldern dargestellt werden, wie die aktuelle Studiensituation sich entwickelt hat und die daraus entstandenen Fragen die Studien- und Berufswahl betreffen können. Die Entscheidungsprozesse Studieninteressierter sollen damit im Bezug auf den Systemwandel analysiert werden. Somit können Beratungsbedürfnisse innerhalb der Orientierungsphase deutlich werden, was für die berufliche Beratung der Arbeitsagenturen während des Weiterentwicklungsprozesses nützlich wäre. Dabei wird unterstellt, dass die Erfahrungswerte bezüglich der Reformumsetzung bei Hochschulen und Beratungsanbietern ungleich hoch sind. Auf die Studienberatungen der Hochschulen soll dabei nicht ausdrücklich eingegangen werden, da diese sich eher auf hochschulinterne Beratungen beschränken.

Das Ergebnis der Arbeit soll Erkenntnisse hervorbringen, die reformbedingte Schwierigkeiten und aktuelle Themen der Studienwahl beschreiben. Dadurch sollen Qualifizierungsschwerpunkte von Beratungsfachkräften sichtbar werden, die vor dem Hintergrund der Reformweiterentwicklung wichtig sein können. Speziell in Nordrhein-Westfalen wird in den nächsten Jahren eine steigende Studienanfängerquote prognostiziert (vgl. MIWFT NRW, 2010, S.5). Die Berufsberatung der Arbeitsagenturen kann als neutrale Beratungseinrichtung unterstützend bei der steigenden Zahl an Studienwilligen im Orientierungsprozess wirken, was aber gleichzeitig einen hohen und aktuellen Wissensstand über die Studienbedingungen bei Beratern erfordert. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Analyse von reformbedingten Schwierigkeiten leisten, welche die zukünftige Ausrichtung der beruflichen Beratung von Studieninteressierten konkretisieren kann. Insgesamt sollen dadurch der Nutzen und die Erfordernis der beraterischen Dienstleistung im Studienwahlprozess erkennbar werden.

1.2 Beschreibung der Vorgehensweise

Im folgenden Kapitel wird zunächst der von internationalen Unterschieden geprägte Entstehungsprozess der Hochschulreform erläutert und bis zu den einheitlichen und fortgeschrittenen Zielen in Europa dargestellt. Dadurch sollen die grundlegenden Herausforderungen der Reform mit anschließender Weiterentwicklung deutlich werden. Ausgehend von der europäischen Dimension soll dann in Kapitel 3 die deutsche Ebene der Reform detaillierter betrachtet werden, indem das Studiensystem mit Bachelor und Master mit Blick auf die Vorgaben und wichtigsten Ziele aufgezeigt wird. Qualifizierungswege und Zugangsvoraussetzungen sollen einleitend das neue System darstellen, welches anschließend mit den strukturellen Konstellationen und wesentlichen Absichten charakterisiert wird. In Kapitel 3.4 wird dazu der aktuelle Stand der Umsetzung geschildert, damit die Ausgangssituation für den anschließenden Abgleich von theoretischen Zielen und praktischer Realisierung verständlich werden kann. Dieser tiefer gehende Überblick des deutschen Studiensystems wird als notwendig angesehen, weil dadurch die spätere Problemerkennung ermöglicht wird. In Kapitel 4 sollen die von unterschiedlichen Akteuren benannten Defizite der Umsetzung aufgedeckt werden, die sich ähnlich wie verschiedene andere Faktoren problematisch auf die Studienbedingungen auswirken. Verbunden mit der zukünftigen Entwicklung der Reform sollen dann in Kapitel 4.4 die daraus resultierenden Folgerungen für die Studien- und Berufswahl absehbar werden. Die bis dahin beschriebenen Erkenntnisse sollen der Darstellung des Problemschwerpunktes dienen, der im folgenden Teil auf die Studienorientierung übertragen wird, woraus sich die Grundlage für die spezielle Ausrichtung der Beratungsarbeit bilden soll.

Die bislang behandelten Studienbedingungen sollen in Kapitel 5 den darin aufgeführten Kriterien untergeordnet werden, damit anschließend aktuelle Überlegungen zum Prozess der Studienauswahl und der Entscheidungsfindung geschildert werden können. Die Klassifizierung der relevanten Merkmale der Studienwahl in Kapitel 5.2 soll im Zusammenhang mit den zuvor genannten Orientierungsphasen wesentliche Beratungsbedarfe offen legen, die für die Entscheidungsfindung von Belang sein können. Nach der Feststellung der inhaltlich wichtigen Aspekte der Orientierung soll in Kapitel 6 die daraus folgende Ausrichtung der beruflichen Beratung thematisiert werden. Nach der Feststellung des speziellen Beratungsbedarfes soll daraufhin die Ausgestaltung des Beratungsangebotes mit Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen aufgezeigt werden. Zuletzt sollen im Fazit gewonnene Erkenntnisse der Arbeit abschließend reflektiert und mit den einführenden Überlegungen in Verbindung gebracht werden, sodass die noch offenen Fragestellungen beantwortet werden.

2. Entstehung eines europäischen Hochschulraums

Die Betrachtung der Reformentstehung wird hier anfänglich beschrieben, damit der Anspruch, welcher von einer Schaffung eines einheitlichen Hochschulraums in Europa ausgeht, vor der eigentlichen Problemdarstellung deutlich werden kann. Dies soll nicht bedeuten, dass Gesichtspunkte der Mobilität oder Anerkennung von Studienleistungen auf nationaler oder internationaler Ebene heutzutage belanglos sind. Im Folgenden wird der Blick zunächst auf die deutsche Berufsausbildung als internationale Besonderheit gerichtet, woran sich eine kurze Interpretation zur gemeinsamen Erklärung der europäischen Bildungsminister in Bologna anschließt, die den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Prozesses darstellt. Zusätzlich werden die Fortschritte aus bildungspolitischer Sicht in Europa anhand verschiedener zeitlicher Stationen beschrieben, um das Ausmaß der Reform hervorzuheben.

2.1 International vergleichende Betrachtung der Berufsbildung

Beachtlich für die Entwicklung des Hochschulsystems ist, dass die Berufsausbildung in Deutschland im nicht akademischen Bereich einen sehr hohen Stellenwert hat. Das seit langem etablierte duale Ausbildungssystem mit den Lernorten Betrieb und Berufsschule qualifiziert derzeit rund 60 Prozent aller Jugendlichen zu Fachkräften für den Arbeitsmarkt (vgl. BMBF, Ausbildung, 2010). Diese Kombination aus theoretischer und praktischer Vermittlung von Kenntnissen innerhalb einer Berufsausbildung ist in anderen staatlichen Bildungssystemen (z.B. Großbritannien) kaum vorzufinden, da zumeist entweder eine schulische oder eine betriebliche Ausbildung absolviert werden kann (vgl. Hillmert, 2001, S.78). Auch die rechtliche Regelung der Berufsausbildungen über Ausbildungsordnung und Rahmenlehrplan in Verknüpfung mit dem BBiG ist inkomparabel mit Vorgehensweisen anderer Länder. Obwohl eine hohe Akzeptanz der dualen Ausbildung seitens der Wirtschaft vorherrscht und die Vorteile der praxisnahen Qualifizierung auch international anerkannt ist, wird dieser Ausbildungsweg aufgrund der Anbindung an die Berufsschule dem sekundären Bildungsbereich zugeordnet, worin keine wissenschaftliche Ausrichtung vorgesehen ist (vgl. Bensel & Schlegel, 2003, S.181). Als ähnlich qualitativ hochwertig erweist sich die Ausbildung auf der Ebene der Berufsfachschulen wie z.B. die Erzieherausbildung, in der theoretische Unterrichtungen mit Praktika in sozialen Einrichtungen gekoppelt werden, was ebenfalls zu einer beruflichen Qualifizierung führt (vgl. Berufenet, Erzieher/in Lernorte, 2010). Durch dieses insgesamt leistungsstarke Berufsausbildungssystem wird ein Großteil der Fachkräfte unterhalb einer Hochschulausbildung qualifiziert. Dazu kam bereits Kritik von Europäischer Kommission und OECD auf, wodurch eine Erhöhung der Hochschulabsolventenquote gefordert wurde. Diese Erhöhung würde dagegen die nicht akademische Berufsbildung eindämmen (vgl. Kaune, Rützel & Spöttl, 2007, S.9). Die Forderung wurde begründet mit der bisher niedrigen Hochschulabsolventenquote Deutschlands, die sich weiterhin unterhalb des Durchschnittes der Quoten der OECD-Länder befindet.[2] Das von guten Erfahrungen geprägte deutsche Berufsbildungssystem steht somit unter Druck.

Die berufliche Qualifizierung steht in enger Verbindung mit der Bologna-Reform, wobei die Einführung des neuen Studiensystems auf dem angelsächsischen Graduierungsmodell mit Bachelor und Master basiert (vgl. Wex, 2005, S.27). Die Herkunft und Anwendung des Modells sind ursprünglich auf die amerikanischen und außereuropäischen Bildungssysteme zurückzuführen. In vielen dieser Staaten existieren allerdings keine Berufsbildungssysteme unterhalb der Hochschulausbildung, die ähnlich wie das deutsche Ausbildungssystem qualitativ auf den Beruf vorbereiten (vgl. Rauner, 2010, S.67). Der Bedarf einer beruflichen Qualifizierung mithilfe eines Bachelorstudiengangs ist in Staaten ohne ausgeprägtes Berufsausbildungssystem durchaus gegeben. Bei dem hochentwickelten deutschen Ausbildungssystem ergibt sich jedoch die Frage, inwieweit ein dreijähriger Bachelorstudiengang im Vergleich zu einer dreieinhalbjährigen Berufsausbildung zu einer beruflichen Qualifizierung verhelfen kann. Die Besonderheit des deutschen Berufsausbildungssystems soll demnach bei der weiteren Betrachtung der Reformumsetzung beachtet werden.

2.2 Die Bologna-Erklärung 1999

Im Zuge des fortschreitenden Zusammenwachsens Europas und der beginnenden Harmonisierung innerhalb der EU entstand in den neunziger Jahren ein politisches Bewusstsein über die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Bildungsstandards (vgl. BMBF, Bologna-Prozess, 2010). Die erste Festschreibung grober Ziele zur Harmonisierung der europäischen Hochschulausbildung wurde im Mai 1998 mit der Sorbonne-Erklärung durch die Bildungsminister der Länder Deutschland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich verfasst. In dieser Erklärung vereinbarten die vier Teilnehmerländer den Abbau von Hemmnissen in der Hochschulbildung und die Verstärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Hochschulentwicklung auf freiwilliger Basis. Dadurch wurde den Hochschulen eine Schlüsselrolle der europäischen Kultur zugewiesen, in denen gemeinsame Rahmenbedingungen gelten sollten, die sich insbesondere auf ein einheitliches Studiensystem und die Verbesserung der Mobilität von Studierenden bezogen haben (vgl. Wex, 2005, S.50). Ausgehend von dieser multilateralen Initiative kam es im Juni 1999 zur Einigung von 29 europäischen Unterzeichnerstaaten in der Bologna-Erklärung, die als konkrete Zielvorgabe die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums bis zum Jahr 2010 beinhaltete. Dabei haben sich sechs wesentliche Punkte für ein neues Studiensystem herausgebildet (vgl. Bologna-Erklärung, 1999, S.3):

- Einführung eines Systems mit vergleichbaren Abschlüssen und eines Diplomzusatzes (Diploma Supplement)
- Einführung eines Systems mit zwei Hauptzyklen (undergraduate / graduate)
- Einführung eines Leistungspunktesystems – ähnlich dem ECTS-Modell –
- Förderung der Mobilität durch Überwindung von Hindernissen, die der Freizügigkeit in der Praxis im Wege stehen
- Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung
- Förderung der europäischen Dimension im Hochschulbereich

Werden diese Ziele genauer in Richtung der Umsetzung betrachtet, so wird den drei erst genannten Punkten die größte Bedeutung beigemessen (vgl. Wex, 2005, S.51). Aus diesen Absichten lassen sich konkrete Ansatzpunkte erkennen, da strukturelle Vorgaben enthalten sind, die den Studienaufbau und -ablauf grundlegend bestimmen. Die Einteilung des Studiums in zwei Hauptzyklen und die gleichzeitige Einführung eines Leistungspunktesystems war damals nur schwer auf europäische Staaten zu übertragen (vgl. Schwarz-Hahn & Rehburg, 2004, S.14). Die Studiensysteme innerhalb Europas waren größtenteils von uneinheitlichen nationalen Strukturen geprägt, was besonders in Deutschland mit einem langen Erststudium und einem auf den Abschluss gerichteten Prüfungssystem einherging. In Abhängigkeit von der jeweiligen Übereinstimmung der national vorherrschenden Studienstruktur mit der neuen Strukturierung konnte demnach der Anpassungsaufwand bestimmt werden. Dieser beginnende Wandel in der Studienlandschaft sollte insgesamt unter Beobachtung stehen, sodass abschließend ein weiteres Zusammenkommen der teilnehmenden Staaten nach zwei Jahren geplant wurde, worin die Fortschritte der Reform bewertet und bei Problemen Maßnahmen ergriffen werden sollten.

2.3 Weiterentwicklung der vereinbarten Ziele

In den alle zwei Jahre wiederkehrenden Konferenzen der Teilnehmerstaaten wurden die vereinbarten Ziele von Bologna weiter konkretisiert. Erstmals konnten bei einem Treffen in Prag im Jahre 2001 konkrete Vorschläge zur Verwirklichung unterbreitet werden. Zu der Einführung des zweistufigen Systems wurden bei Studiengängen die Abschlussbezeichnungen Bachelor und Master favorisiert, die ausdrücklich in ihrer Verschiedenheit und Individualität arbeitsmarktnah ausgerichtet sein sollten (vgl. Prager Kommuniqué, 2001, S.4). Die Folgerung daraus kann dahingehend gedeutet werden, dass die berufliche Qualifizierung mehr über spezielle Studienschwerpunkte und nicht über allgemeine Studienfächer erreicht werden sollte. Weiter wurde der Ansatz des Leistungspunktesystems bekräftigt, der die Übertragbarkeit und die Anrechnung von Leistungen vereinfachen und dadurch die Mobilität steigern sollte. Neben der Nennung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, die hauptsächlich durch die Autonomie der Hochschulen und dem Akkreditierungsverfahren sicher gestellt werden sollten, wurden im Jahre 2003 Vorschläge zur Definition der Qualifikationen unterbreitet, die durch die Studiengänge erworben werden können (vgl. Berlin Kommuniqué, 2003, S.4). Im Fokus standen hier Arbeitsbelastung, Niveau, erreichbare Lernergebnisse und Kompetenzen sowie Profile der Studiengänge, wodurch Transparenz und Vergleichbarkeit entstehen sollte. Strukturelle Konkretisierungen ergaben sich zusätzlich bei einer Einigung im Jahre 2005, worin ein dreistufiges System nach dem Modell Bachelor, Master und Promotion beschlossen wurde (vgl. Bergener Kommuniqué, 2005, S.2). Die weiteren Entwicklungen bis zur fünften Nachfolgekonferenz im Jahre 2009 bezogen sich primär auf die Ausweitung der Mobilität und die Fortentwicklung des lebenslangen Lernens (vgl. BMBF, Bologna-Prozess, 2010).

Die Ausweitung der Teilnehmerländer auf mittlerweile 47 Staaten und die Schwierigkeiten, die zur Erfüllung der in Bologna geplanten Ziele innerhalb der Realisierung aufgekommen sind, ließen die teilnehmenden Staaten zu der Jubiläumskonferenz 2010 die notwendige Weiterführung des Reformprozesses und ein weiteres Treffen zur Bilanzierung der erreichten Ergebnisse im Jahre 2012 vereinbaren (vgl. BMBF, Bologna-Prozess, 2010). Die in Bologna verfassten Ziele wurden überwiegend beibehalten und durch neue Erfahrungswerte konkretisiert. Dieser Rahmen auf europäischer Ebene wirkt bezogen auf Deutschland zwar komplex. Er eignet sich jedoch sehr gut für die deutsche Betrachtung, weil 16 verschiedene Ländergesetzgebungen die Umsetzung der Bologna-Reform autonomer Hochschulen zusätzlich beeinflussen.

3. Einführung des neuen Studiensystems in Deutschland

Die Übertragung der auf europäischer Ebene entschiedenen Reform auf nationale Gegebenheiten erfordert einen hohen Anpassungs- und Erneuerungswillen von allen Beteiligten. Besonders vor dem Hintergrund der traditionellen und anerkannten Studienabschlüsse Diplom, Magister und Staatsexamen stehen Fragen zur Diskussion, welche die Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt wegen neuer Studienstruktur und den daraus hervorgebrachten Absolventen betreffen (vgl. Müller-Böling & Witte, 2003, S.155). Unsicherheiten gehen mit Chancenvielfalt und Flexibilität einher, die aufgrund fundamentaler Änderungen von Studieninhalten, -abläufen und -abschlüssen entstanden sind. In diesem Kapitel sollen die wesentlichen Merkmale der Reform bezogen auf das deutsche Hochschulsystem betrachtet werden, damit Erneuerungen im Zusammenhang mit der Bewältigung eines Studiums und den relevanten Kriterien der Studienwahl sichtbar werden. Nachfolgend sollen zunächst mögliche Qualifizierungswege und strukturelle Vorgaben des neuen Systems dargestellt werden, die neben den Informationen zur inhaltlichen Orientierung bei Studiengängen für dessen Durchführung aufschlussreich sein können. Dazu werden in Punkt 3.3 Leitgedanken von Bologna mit Bezug zum Arbeitsmarkt und der Stärkung der Kompetenzausrichtung sowie Mobilität aus deutscher Umsetzungsabsicht beschrieben, welche die Ba-

sis für die später vergleichende Betrachtung der tatsächlichen Realisierbarkeit bilden. Zum Abschluss des Kapitels wird der aktuelle Stand der deutschen Reform thematisiert, welcher Bewertungen zum Umsetzungserfolg ermöglichen soll.

[...]


[1] Aus Platzgründen wird in dieser Arbeit auf die Nennung der weiblichen Geschlechterform verzichtet. Die Verwendung der rein männlichen Form schließt jeweils die weibliche Form mit ein.

[2] Zwar konnte im Jahre 2007 ein Höchststand an Hochschulabsolventen in Deutschland von 24 Prozent verzeichnet werden. Dieser Höchststand lag jedoch noch weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder von 37 Prozent im Jahre 2006 (vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 499 vom 19.12.2008).

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Der Bologna-Prozess und seine Bedeutung in der beruflichen Orientierung und Beratung
Untertitel
Eine Untersuchung von Entscheidungs- und Beratungsschwerpunkten bei Studienberechtigten
Hochschule
Hochschule der Bundesagentur für Arbeit - Mannheim/Schwerin
Veranstaltung
Berufspädagogik
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
57
Katalognummer
V233329
ISBN (eBook)
9783656520788
ISBN (Buch)
9783656527183
Dateigröße
646 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bologna-Prozess, Studienberatung, Studienreform, Studienwahl, Berufswahl, Hochschulpolitik, Berufsberatung
Arbeit zitieren
Thomas Röser (Autor:in), 2010, Der Bologna-Prozess und seine Bedeutung in der beruflichen Orientierung und Beratung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233329

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