Bachs Greatest Hits. Das wohltemperierte Klavier und die Goldberg-Variationen


Fachbuch, 2013

159 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Johann Sebastian Bach „Das wohltemperierte Klavier“. Analyse der Fuge in c-Moll, BWV 847 von Fabio Sagner
Einleitung
Entstehungsgeschichte des Wohltemperierten Klaviers
Analyse der Fuge in c-Moll
Fazit
Literaturverzeichnis

Bachs „Greatest Hits“: Zur Rezeptionsgeschichte des "Wohltemperierten Klaviers" von Wolfgang Völkl
Das „Wohltemperierte Klavier“ als einer von Bachs „Greatest Hits“
Die frühe Rezeptionsgeschichte des „Wohltemperierten Klaviers“
1750 -
Aspekte der Rezeption des „Wohltemperierten Klaviers“ ab dem 19.
Jahrhundert
Die Situation des „Wohltemperierten Klaviers“ heute – ein Überblick
Anhang
Bibliografie

Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen. Gattungsinterferenz in Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen
Einleitung
Entstehung und Einordnung in den Werkkontext
Variationspartita oder Chaconne/Passacaglia?
Gesamtdisposition
Stammsätze der Suite
„Galanterien“
Einflüsse der Triosonate
Langsamer Konzertsatz
Essercizo und Virtuosität
Sonderfälle: Fugetta, Französische Ouvertüre und Quodlibet
Résumé und Ausblick
Literaturverzeichnis

Anhang: Goldberg Variations von Johann Sebastian Bach, MuseScore edition by Werner Schweer

Johann Sebastian Bach „Das wohltemperierte Klavier“.
Analyse der Fuge in c-Moll, BWV 847 von Fabio Sagner
2013

Einleitung

Johann Sebastian Bach hat kaum nach dem Prinzip eines Lehrbuches seine Stücke komponiert. Ein Beispiel hierfür dürfte die von mir analysierte Fuge in c-Moll sein, die aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klavieres stammt. Alfred Dürr schreibt, dass die Fuge mehr einem Satz ähnelt, „in dem die Zwischenspiele fast ebenso viel Platz beanspruchen wie die thematischen Partien“[1]. Recht muss man ihm geben, weil die C-Dur Fuge z.B. gar kein Zwischenspiel beinhaltet und die c-Moll Fuge sogar fünf Zwischenspiele besitzt. Das Schöne an der c-Moll Fuge ist, dass die einzelnen Entwicklungen des Stückes einfach auf das Soggetto und den ersten Kontrapunkt zurückverfolgt werden können.

Entstehungsgeschichte des Wohltemperierten Klaviers

Die Entstehungsgeschichte des Wohltemperierten Klaviers besitzt bis heute viele ungeklärte Fragen. Denn Ort und Entstehungsdatum sind uns unbekannt. Zwar gibt es Dokumente, die auf einen bestimmten Zeitabschnitt verweisen, jedoch geben sie im Grunde genommen keine klare Antwort. Eine zuverlässige Quelle könnte die Nachricht von Ernst Ludwig Gerber sein, Sohn eines Schülers von Bach. Seinem Brief zufolge kann man darauf schließen, dass Bach das Werk in einem seiner traurigsten Lebensabschnitte geschrieben haben muss. Dieser muss sich vor dem Jahre 1722 befunden haben, weil dies das Entstehungsjahr der Reinschrift ist. So kommt die Zeit zwischen November und Dezember 1717 in Frage, weil der Herzog Bach nicht nach Koethen entließ. Jedoch muss man beachten, dass von diesem Zeitpunkt an nur von einer Entstehung der Rohfassung die Rede sein kann, weil das Werk mit jeweils 24 Präludien und Fugen für die kurze Dauer zu anspruchsvoll gewesen wäre. Das Stück hat zwei Funktionen; zum einen sollen wissbegierige Schüler ihr pianistisches Können an dem Wohltemperierten Klavier erweitern, zum anderen sollen erfahrene Spieler einen erlesenen Zeitvertreib an diesen Stücken erfahren. Im Laufe der Jahre gab es mehrere Revisionseintragungen von Bach, jedoch beziehen sich diese nicht auf die hier thematisierte Fuge.[2]

Analyse der Fuge in c-Moll

Genereller Aufbau der Fuge

Die vorliegende Fuge besteht aus 31 Takten und steht im 4/4 Takt geschrieben. Das für drei Stimmen geschriebene Stück lässt sich hier in drei nicht gleich große Teile separieren. Die erste Durchführung befindet sich in den Takten 1 bis 11, im letzten endet es auf der ersten Achtel. Diese erste Durchführung beinhaltet die Vorstellung des Soggettos (Takt 1 bis 3), eine tonale Beantwortung des Dux in Form eines Comes (Takt 3 bis 5), ein Binnenzwischenspiel (Takt 5 bis 7), welches auf den Dux zurückführt (Takt 7 bis 9), und ein Zwischenspiel. Die zweite Durchführung (zweites Achtel Takt 11 bis erstes Achtel Takt 15) beinhaltet einen Dux auf der Tonikaparallelen in Es-Dur und das zweite Zwischenspiel. Die dritte Durchführung beginnt auf der zweiten Achtel in Takt 15 und endet im letzten Takt. Diese greift in Takt 15 den Comes in der Mittelstimme auf, umgeben von den Kontrapunkten 1 und 2 a), bevor dieser in das zweite Binnenzwischenspiel überleitet. In Takt 20 erscheint der Dux das erste Mal im Sopran und läutet somit die Reprise ein, bevor in Takt 22 das längste Zwischenspiel beginnt. In Takt 26 wird der Dux nochmals in die Bassstimme geführt, bevor das letzte Zwischenspiel (Takt 28 bis 29), welches gleichzeitig auch das kürzeste ist, die Fuge in die Abschlusskadenz überführt (Takt 29 bis 31).[3]

Analyse der ersten Durchführung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie oben schon benannt, besteht die erste Durchführung aus der Exposition. Die Fuge beginnt mit dem Soggetto, welches allein in der Altstimme in c-Moll eingeführt wird. Charakteristisch an diesem Soggetto ist die Wellenbewegung auf der Wechselnote h‘. Es besteht zudem aus drei Teilen. Der erste Teil soll die These, der zweite Teil die Antithese und der dritte Teil die Synthese darstellen. Betrachtet man noch zusätzlich den allgemeinen Verlauf der Stimmen und die betonten Zählzeiten, so ist eine Abwärtsbewegung auf den Tönen a‘, g‘, f‘ und e‘ auffällig. Daraus kann man schließen, dass das Soggetto einen generellen abwärts verlaufenden Trend verfolgt. Das Soggetto wird im nächsten Schritt vom Comes im Sopran auf der Molldominanten in g-Moll tonal beantwortet. Vergleicht man den Achtelsprung in der These im Comes mit dem ersten Achtelsprung in der These des Soggettos, so stellt man eine Differenz in der Größe der Intervalle fest. Im Soggetto beträgt der Intervallabstand den einer reinen Quarte. Im Comes beträgt dieser Intervallabstand den einer reinen Quinte. Bach musste in diesem Fall einen Unterschied in der Größe aus tonalen Gründen eingehen, damit er weiterhin die Stimmen in g-Moll führen kann. Neben dem Comes wird in Takt 3 auch der erste Kontrapunkt im Alt eingeführt. Dieser besteht aus einer abwärtsverlaufenden sechzehntel Bewegung, der nach dem siebten Ton einen Sprung um eine große Dezime aufwärts macht und anschließend in einer Achtelwellenbewegung abwärts verläuft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vergleicht man den allgemeinen musikalischen Verlauf des Kontrapunktes mit dem Soggetto, so stellt man fest, dass der Trend der Abwärtsbewegung des Soggettos auf den Anfang des Kontrakpunktes 1 a) übertragen wird und die Rhythmik, anfangs sechzehntel, dann achtel Bewegungen, aus dem Kopfmotiv des Soggettos übernommen wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im ersten Binnenzwischenspiel kontrapunktiert der erste veränderte Themenkopf gegen den Binnenzwischenspielkontrapunkt. Der erste veränderte Themenkopf wird hierbei in halbtaktigen Wellen sequenzartig und stufenweise über die Töne es“, f“ und g“ aufwärts geführt. Auch hier lässt sich eine Herkunft aus dem Themenkopf nicht leugnen, wenn man die Zählzeiten und die Tonhöhe von dem veränderten Themenkopf 1 mit dem ersten Binnenzwischenspielkontrapunkt vergleicht.[4]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Takt 7 wird der Dux zum dritten Mal angeführt und schließt somit die Exposition des Themas ab. Der Kontrapunkt 1 erscheint hier im Sopran. Hinzu kommt an dieser Stelle ein zweiter Kontrapunkt in der Altstimme. Weil er in allen anderen Dux oder Comes Anführungen in variierter Form vorliegt, sei dieser Kontrapunkt 2 a) genannt. Der Vergleich mit dem Soggetto zeigt auch hier, dass der Kontrapunkt 2 a) von diesem abstammt. Zum einem wird hier die Abwärtsbewegung übernommen, zum anderen das Wechselnotenprinzip des Themenkopfes am Ende des Kontrapunktes und zu guter Letzt die Dreigliedrigkeit. Dazu betrachte man als Beispiel das Ende von Takt Acht. Auffällig ist, dass auch diese Übernahme der Rhythmik auf einer unbetonten Zählzeit liegt.[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im ersten Zwischenspiel führt Bach ein zweites Zwischenspielmotiv ein. Dieses besteht aus einer Tonleiter, die in Sechzehnteln abwärts verläuft. Übernommen wurde dieses Motiv aus dem Anfang des ersten Kontrapunktes, der ebenfalls in einer Sechzehntelbewegung am Anfang abwärts verläuft, deswegen sei es Zwischenspielkontrapunkt 1 a) genannt. Beim genaueren Betrachten des Taktes 9 fällt auf, dass Bach beim zweiten Motiv nicht den Oktaventon f benutzt, sondern den Ton d, um zwei Motive miteinander zu verbinden. Im Kontrapunkt hierzu wird der Themenkopf des Soggettos, zweiter veränderter Themenkopf, „fangballartig in beiden Oberstimmen hin und her geworfen“[6]. Im Gegensatz zum Binnenspiel in den Takten 5 und 6 leitet man im zweiten Zwischenspiel von g“ zu es“ in ganztaktigen Schritten in die Tonart der Tonikaparallele. Wie sich in den Takten 11 und 12 herausstellen wird, leitet dieses Zwischenspiel in den Dux der zweiten Durchführung.

Analyse der zweiten Durchführung

In Takt 11 wird erneut der Dux im Sopran angeführt. Auffällig ist, dass der Dux in der Tonart der Tonikaparallele Es-Dur auftritt. Diese Tatsache scheint bei einigen Autoren zu Verwirrungen geführt zu haben, die diesen Dux als „überzähligen Einsatz“[7] bewerten. Jedoch führt Bach bewusst die Stimmen in die Tonikaparallele und des Weiteren ist die Exposition durch das dreimalige Auftreten des Themas formal abgeschlossen. Im Bass verläuft passend zur Tonikaparallelen der Kontrapunkt 1 a) und im Alt tritt die erste Variation des zweiten Kontrapunktes auf, Kontrapunkt 2 b). Im Unterschied zum Kontrapunkt 2 a) ist das erste Glied um zwei Achtel, das zweite Glied verläuft aufwärts und das dritte Glied ist durch eine Achtelpause vom zweiten Glied getrennt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erst ab Takt 13 verschwindet das Kopfmotiv des Soggettos vollständig und das zweite Zwischenspiel beginnt. Im Sopran befindet sich hierbei der Zwischenspielkontrapunkt 1 a), welches nun allerdings umgekehrt in Aufwärtsbewegung vorliegt. Deswegen sei es Zwischenspielkontrapunkt 1 b) genannt. Die Bewegung verläuft bis zum höchsten Ton der Fuge c“‘, auf welchem in Takt 15 auf der ersten Achtel die zweite Durchführung endet. Es ist zudem der Höhepunkt der Fuge. Im Kotrapunkt dazu verläuft hier ein „Terzzwischenspielmotiv“. Es besteht durchgehend aus der Terz- und Sextverdopplung des Kontrapunkts 1 a). Da dieses Zwischenspiel nur einmal in dem ganzen Stück vorkommt, ist ihm eine ganz besondere Rolle zugewiesen; es dient als „Durchführungszwischenspiel“.[8]

Analyse der dritten Durchführung

Vergleicht man die Themeneinsätze der dritten Durchführung mit denen der ersten beiden Durchführungen, so wird erkennbar, dass die Themeneinsätze von den einzelnen Stimmen nach gleich verlaufen. Aus dieser Erkenntnis schließend findet der fünfte Themeneinsatz auch hier in der Mittelstimme in Takt 15 statt. Umgeben wird der Comes in g-Moll von dem Kontrapunkt 1 a) im Sopran und einem zweiten Kontrapunkt, Kontrapunkt 2 c) im Bass. Dieser Kontrapunkt 2 c) unterscheidet sich nur gering vom Kontrapunkt 2 a), weil nur der letzte
Achtelsprung im dritten Glied aus harmonischen Gründen abwärts verläuft. Die Unterschiede zum ersten Comes Einsatz in der ersten Durchführung sind hier der Einsatz des zweiten Kontrapunktes in der Basslinie und das Vertauschen der Stimmen des Comes mit dem ersten Kontrapunkt.[9]

Das Binnenzwischenspiel in den Takten 17 bis 20 muss man als sequenzartige Erweiterung zum ersten Zwischenspieles von den Takten 5 und 6 verstehen. Es besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil befindet sich zwischen der zweiten Achtel von Takt 17 und der sechsten Achtel von Takt 18. Der zweite Teil befindet sich auf der Zwischenzählzeit zwischen der sechsten und siebenten Achtel von Takt 18 und der ersten Achtel von Takt 20.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Zwischenspiel soll eine rhythmische Abwechslung zum ersten Zwischenspiel darstellen. Das dritte veränderte Themenkopfmotiv befindet sich sowohl in der Bass- als auch in der Sopranstimme bis Takt 18. Die Terzverdopplung, die damit suggeriert wird, steigert sich, wenn der Binnenkontrapunkt in Takt 18 in die Unterstimme geführt wird und zu einer richtigen Terzverdopplung wird. Dies zeigt, dass die ganze Dramatik, auch mittels des aufsteigenden Melodieverlaufs, im zweiten Binnenzwischenspiel gesteigert werden soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In den Takten 20 und 21 erfährt man in dem Sinne nichts Neues, als das der Dux in c-Moll im Sopran liegt, der erste Kontrapunkt in die Mittelstimme rückt und der zweite Kontrapunkt in die Unterstimme geführt wird. Jedoch ist hier der Beginn der Reprise zu verzeichnen. Der Kontrapunkt 2 d) in Takt 20 lässt sich gut mit dem Kontrapunkt 2 b) vergleichen. Der einzige Unterschied zwischen beiden Kontrapunkten bestehen darin, dass aus harmonischen Gründen im ersten Glied nach der zweiten Achtel ein Septimsprung abwärts und zwischen dem ersten und zweiten Glied ein Tritonussprung aufwärts stattfindet.

In Takt 22 beginnt das dritte und auch längste Zwischenspiel. Aufgrund des sofortigen tonalen Anschlusses wurde das Zwischenspiel vorverlegt und beginnt rückblickend auf die erste Durchführung mit der dritten Achtel von Takt Neun. Dies hat zufolge, dass die These des Soggettos in c-Moll erneut erklingt und es in Takt 22 zu einem Scheineinsatz kommt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Oberstimmen sind ebenfalls rückblickend auf das Zwischenspiel der ersten Durchführung um eine Oktave vertauscht worden. Beim genaueren Vergleich fällt auf, dass die Takte 22 bis 24 Sequenztakte sind und der letzte in variierter Form vorliegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bach erweitert dieses Zwischenspiel um weitere 2 ½ Takte, indem er das Kopfmotiv des Soggettos wie im ersten Binnenzwischenpiel in den Takten 5 und 6 steigernd verarbeitet. Jedoch wird im Bass das Zwischenspielmotiv des „Durchführungszwischenspieles“ verwendet, um es am Ende variiert in den Dux zu führen.[10]

Der Dux in den Takten 26 bis 28 befindet sich in der Tonika als finaler Bass. Kotrapunktierend stehen dazu im Sopran der Kontrapunkt 2 e) und im Alt der Kontrapunkt 1 a). Der Kontrapunkt 2 e) unterscheidet sich zu den anderen Kontrapunkten gravierend, da sein Verlauf nun abwärts, wellenartig ist und er nur noch aus einem Glied besteht. In Takt 27 erfährt die Fuge eine kleine Variation, indem harmonisch die Fuge nicht auf der vierten Stufe verläuft, sondern auf der sechsten Stufe. Diese Phänome schärfen den finalen Charakter. Die Takte 28 und 29, die von Bruhn auch „Kadenz-Takte“[11] genannt werden, sollen das Ende der dritten Durchführung besiegeln. Es folgt nun in den Takten 29 bis 31 ein
finaler Dux in c-Moll im Sopran auf einem Orgelpunkt in c, welcher die Fuge ausklingen lässt.[12]

Fazit

Als Fazit kann man festhalten, dass Bach in dieser Fuge die Zwischenspiele in den Vordergrund stellen möchte. Nicht umsonst hätte er so viele, fünf an der Anzahl, dieser Fuge gewidmet. Zudem steigern sich die Zwischenspiele von der Länge her betrachtet.

Was ihm anscheinend auch sehr an seiner Fuge gelegen haben muss, ist das Soggetto, welches er durch die gesamte Fuge hindurch, in allen Durchführungen, in jeder Stimme, sei es als Dux oder Comes, auftauchen lässt. Auch das Auftauchen des Kopfmotives in dreifach veränderter Art und Weise unterstreicht dessen Wichtigkeit. Die durchgehende Dreigliedrigkeit, angefangen vom Soggetto, über drei Durchführungen, drei verschiedene Zwischenspielarten (Binnenzwischenspiel, Zwischenspiele mit verwendetem Kopfmotiv und Zwischenspiele ohne verwendetes Kopfmotiv) u.v.m. unterstreichen das genaue und strukturierte Durcharbeiten der Fuge. Zu guter Letzt sei auch nochmal auf die Abwärtsbewegung in der ersten Durchführung und auf die Aufwärtsbewegung der letzten beiden Durchführungen hingewiesen, die zufolge haben, dass der Spannungsbogen in der gesamten Fuge durchgehend gehalten wird.

Literaturverzeichnis

Schrifttum

Czaczkes, Ludwig: Analyse des wohltemperierten Klaviers: Form und Aufbau der Fuge bei Bach Band 1. Wien: Österreichischer Bundesverlag Gesellschaft m. b. H., 3. Auflage, 1985.

Bruhn, Siglind: J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier: Analyse und Gestaltung. Waldkirch: Edition Gorz, 2006.

Dürr, Alfred: Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier. Kassel: Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH und Co. KG, 3. Auflage, 2008.

Musikalien

Bach, Johann Sebastian: Das Wohltemperierte Klavier Teil 1. Herausgegeben von: Irmer, Otto von, München: G. Henle Verlag, 1974, S. 10 und 11.

Bachs „Greatest Hits“: Zur Rezeptionsgeschichte des "Wohltemperierten Klaviers" von Wolfgang Völkl
2011

Das „Wohltemperierte Klavier“ als einer von Bachs „Greatest Hits“

Die nachfolgende Arbeit setzt sich unter bestimmten Gesichtspunkten mit der Rezeptionsgeschichte des „Wohltemperierten Klaviers“ von Johann Sebastian Bach auseinander. Im Hintergrund steht dabei immer die grundlegende Frage des Seminars, in dessen Rahmen diese Arbeit entstand: Warum gibt es in Bachs Oeuvre unter der Vielzahl von Werken immer wieder einzelne, welche die Zeiten in besonderer Weise überdauerten, die bekannter, verbreiteter oder beliebter zu sein scheinen als andere? Warum sind bestimmte Werke, salopp ausgedrückt, „Bach‘s Greatest Hits“ geworden, und andere nicht? Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher der Versuch, zu ergründen, welche Aspekte der Rezeptionsgeschichte des „Wohltemperierten Klaviers“ seine Bevorzugung vor anderen Werken begünstigten und seinen Aufstieg in die Liste von Bachs „Greatest Hits“ ermöglichten. Diese ausschließliche Fokussierung der Perspektive auf die Rezeptionsgeschichte erfolgt auch aus pragmatischen Gründen: eine eingehende Analyse des „Wohltemperierten Klaviers“ an sich würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Im Sinne Albert Schweitzers: „Die Tatsache, dass dieses Werk heute Allgemeingut geworden ist, mag über die andere hinwegtrösten, dass eine Analyse desselben ebenso unmöglich ist wie die Schilderung eines Waldes durch Aufzählen der Bäume und Beschreibung ihres Aussehens.“[13]

Die frühe Rezeptionsgeschichte des „Wohltemperierten Klaviers“ 1750 - 1850

Die meisten Werke, die man mehr oder weniger mit Recht der Liste von Bachs „Greatest Hits“ hinzufügen könnte, wie etwa die Brandenburgischen Konzerte, die h-Moll-Messe oder die Johannespassion, tauchen in der Bachrezeption nach Bachs Tod erst ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder auf.[14] Erst ab diesem Zeitpunkt, dem Anfang der „Bachrenaissance“, beginnen sich die verschiedenen Werke mehr und mehr voneinander zu unterscheiden, was ihre Verbreitung und Beliebtheit angeht, und so wird man bei manch einem der bekanntesten Bachwerke, wie vielleicht der Air in G oder der Chaconne, annehmen dürfen, dass es nicht zuletzt auch der historische Zufall der Wiederentdeckung war, der dazu beitrug, bestimmte Werke zu „Hits“ zu machen und andere nicht.

In dieser Hinsicht genießt das „Wohltemperierte Klavier“ eine Sonderstellung: Im Gegensatz zu den zahlreichen Chor- und Orchesterwerken Bachs geriet das „Wohltemperierte Klavier“ nach dem Tod des Komponisten nie in völlige Vergessenheit. Während das Ende gewisser kirchenmusikalischer Traditionen einen radikalen Bruch für die Überlieferung von Bachs sakraler Musik bedeutete, und zugleich ein Großteil seiner Instrumentalmusik der Wechselhaftigkeit musikalischer Stile und Moden als „nicht mehr zeitgemäß“ zum Opfer fiel, konnte das „Wohltemperierte Klavier“ als „Geheimtipp“ für Interessierte und vor allem als Studienobjekt die Zeiten überdauern – obwohl es zu Bachs Lebzeiten nie verlegt worden war. Abschriften des „Wohltemperierten Klaviers“ kursierten vielfach in Bachs Schülerkreisen und wurden über seine Enkelschüler immer weiter verbreitet. Zwar lassen sich „so berühmte Autographe wie das des WTK I und II [...] bis jetzt nicht oder nur hypothetisch in die Zeit vor 1800 zurückverfolgen“,[15] dennoch steht fest, dass sie, von Hand zu Hand weitergereicht, die Zeiten überdauerten. Teile einzelner Fugen wurden in Lehrwerken etwa von Marpurg , Kirnberger und Albrechtsberger abgedruckt, und wenn schon nicht im Druck, so konnten doch Handabschriften der gesamten Sammlung bei den Verlagen Breitkopf (1764) und Westphal (1776) sowie bei Verlegern in Wien und Moskau bezogen werden.[16]

Natürlich litt das „Wohltemperierte Klavier“, wie alle Werke Bachs, in den Jahrzehnten nach seinem Tod darunter, dass Bach selbst im Schatten seiner Komponistensöhne verschwand. So berichtet Albert Schweitzer über einen Besuch des englischen Kritikers Burney bei Carl Philipp Emmanuel Bach 1772. Burney „feierte ihn [Carl Philipp Emmanuel] als ‚den größten Komponisten für Klavierinstrumente, der jemals gelebt hat’, und meint, er sei nicht nur ‚gelehrter als sein Vater’, sondern lasse ihn auch ‚in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Modulation weit hinter sich zurück’. Dass ihm Emmanuel die beiden Bände des Wohltemperierten Klaviers gezeigt habe, wird nur so nebenbei erwähnt, handelt es sich doch um Kompositionen, die der selige Herr Kapellmeister ‚schon lange für seine Schüler gemacht hatte’.“[17] Diese Passage zeigt zweierlei: einerseits wie sehr Bach von seinen eigenen Söhnen aus dem Blickfeld des Publikums verdrängt wurde, andererseits aber auch, dass sich zumindest das „Wohltemperierte Klavier“ dem allgemeinen Sog des Vergessens entziehen konnte, wenn auch mit nicht zu überhörender Geringschätzung seitens Burneys.

Eine deutlich andere Einschätzung des Werkes zeigt ein oft zitierter Bericht über einen Auftritt des 13-jährigen Ludwig van Beethoven, bei welchem dieser aus dem „Wohltemperierten Klavier“ spielte: „Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt (welche man fast das Nonplusultra nennen könnte,) wird wissen, was das bedeute.“[18] Hier wird eine neue Perspektive auf das „Wohltemperierte Klavier“ zum Ausdruck gebracht, nämlich die der Wertschätzung der Sammlung als musikhistorischer und nicht zuletzt spieltechnischer Meilenstein.

[...]


[1] Aus Dürr, S. 107, 2008.

[2] Vgl. Dürr, S. 67 – 73, 2008.

[3] Vgl. Czaczkes, S. 58 u. 61, 1985.

[4] Vgl. Czaczkes, 1985, S. 59.

[5] Vgl. Bruhn, 2006, S. 77.

[6] Aus ebenda, S. 59.

[7] Vgl. Czaczkes, S. 58 und Bruhn, S. 80.

[8] Vgl. Czaczkes, 1985, S. 59 – 60.

[9] Vgl. Bruhn, 2007, S. 76.

[10] Vgl. Czaczkes, 1985, S. 61 – 62.

[11] Aus Bruhn, 2007, S. 78.

[12] Vgl. Bruhn, 2007, S. 75 und 78.

[13] Schweitzer: J. S. Bach. Leipzig, 1942. S. 313

[14] ebd. S. 241

[15] Schulze: Studien zur Bach-Überlieferung im 18. Jahrhundert. Leipzig u.a., 1984. S. 28

[16] vgl. Kube: Das Wohltemperierte Klavier. S. 832

[17] Schweitzer: J. S. Bach. S. 212

[18] Hinrichsen: Die Bach-Rezeption. in: Küster, Konrad: Bach-Handbuch. Kassel [u.a.], 1995. S. 36

Ende der Leseprobe aus 159 Seiten

Details

Titel
Bachs Greatest Hits. Das wohltemperierte Klavier und die Goldberg-Variationen
Autoren
Jahr
2013
Seiten
159
Katalognummer
V233221
ISBN (eBook)
9783656494645
ISBN (Buch)
9783956870774
Dateigröße
2462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bachs, greatest, hits, klavier, goldberg-variationen
Arbeit zitieren
Fabio Sagner (Autor:in)Wolfgang Völkl (Autor:in)Johann Sebastian Bach (Autor:in), 2013, Bachs Greatest Hits. Das wohltemperierte Klavier und die Goldberg-Variationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233221

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