Die Personenkonstellation in "Le Silence de la Mer" (Vercors)


Seminararbeit, 1999

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

I. Einführung

II. Skizzierung der Ausgangssituation

III. Herausbildung der Dreier-Konstellation und Oppositionsbildung
3.1 Charakterisierung der Figur des Onkels
3.2 Charakterisierung der Figur des Offiziers
3.3 Charakterisierung der Figur der Nichte

IV. Auflösung der Personenkonstellation

V. Schlußbemerkung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einführung

1.1 Die texttheoretische Bedeutung und Funktion der Personenkonstellation

Für die Interpretation der Personenkonstellation eines literarischen Textes erscheint es zunächst sinnvoll, die zugrundeliegende Methodik und die Zielsetzung bzw. den Sinn dieses Analyseelements zu erläutern.

Die Kohärenz eines Textes, also der innere thematische Zusammenhang, ist ausschließlich durch die fortdauernde Wiederaufnahme von semantischen Merkmalen bedingt, in anderen Worten durch die Rekurrenz einzelner kontextueller Seme. Diese Klasseme konstituieren Isotopien, das heißt, homogene Bedeutungsebenen, die es dem Leser ermöglichen anhand der Kohärenz des Textes diesem inhärente Zusammenhänge zu erfassen und dessen eigentliche Bedeutung zu erfassen; sie sind ferner Bedeutungsaspekte von ganzen Motiven, Handlungseinheiten, Raum,- oder eben auch Figurenkonstellationen.[1]

Für die Analyse der Personenkonstellation bedeutet dies folgendes: Jeder literarischen Figur wird eine Anzahl von bestimmten Merkmalen zugeordnet, sie ist durch diese einmalig definiert. Demzufolge ist kein Protagonist mit dem anderen identisch. Es ergeben sich aber bei vielen Figuren Berührungspunkte in dem Sinne, daß bei ihnen das jeweilige Merkmal ähnlich schwach, stark oder sogar gegenteilig ausgebildet ist. Auf diese Weise ist die Möglichkeit der Veränderung jeder Figur im Laufe der Handlung gegeben, auf der anderen Seite auch selbst die Handlung durch die Modifikation ihrer Eigenschaften und Verhaltensweise vorantreibt. Die Entwicklung und Variierung der semantischen Charakteristika ist unerläßlich für den Fortgang der Handlung.

Die semantischen Merkmale können in verschiedenen Anordnungen gegeneinander ausgerichtet werden. In vielen Fällen, wie auch im zu behandelnden Werk Le silence de la mer, finden sich Binäroppositionen wie auch andere mehrgliedrige Konstellationen. In der fiktiven Welt eines erzählenden Textes ist die Figuration immer nach bestimmten Gesichtspunkten gegliedert und bewußt angelegt, so daß das Modell einer dem Text eigenen Realität entworfen wird. Auf diese Weise entstehen mehrere Personen oder Personengruppen, die kompatible Merkmale aufweisen und sich so einander zuordnen oder auch voneinander abgrenzen lassen.

Zum Ende der Handlung hin verschiebt sich die Personenkonstellation so, daß die Bedeutung und die zu vermittelnde Botschaft des Textes für den Leser eindeutig zu Tage treten. Die veränderte Figuration wirkt konfliktauflösend, das heißt, die Personen stehen einem neuen Verhältnis zueinander, Oppositionen haben sich umgekehrt, die Modifizierung der semantischen Merkmale hat zu neuen Paarbildungen geführt, etc. Am Ende des Romans steht somit der Entwurf eines im Gegensatz zur Ausgangssituation eventuell ganzheitlich veränderten Weltmodells, dessen Konsequenzen der Leser deuten muß.

II. Skizzierung der Ausgangssituation

Die Personenkonstellation in Le silence de la mer setzt sich aus drei deutlich voneinander abzugrenzenden Figuren zusammen. Hintergrund des Geschehens ist die Zeit der „Occupation“ Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg im Jahre 1941. Die Figuration innerhalb des Werkes zielt darauf ab, das zu Anfang der Handlung schon eindeutig definierte Feindbild, mit anderen Worten die „Anti-Person“ der Erzählung, nämlich des Deutschen, durch den Aufbau einer Oppositionsbildung und deren schrittweise erfolgenden Abbau, zu modifizieren und als nicht gültig zu deklarieren.

Vercors bedient sich dabei einer Zusammensetzung von drei Personen, von denen jede einzelne, die innerhalb des von ihm entworfenen Weltmodells ihre Funktion erfüllt, semantische Merkmale zugeordnet sind, durch die sie als eigene Figur charakterisiert ist. Dieses Bündel an Merkmalen wird im Laufe der Handlung aufgebaut, differenziert entwickelt und von der Funktion der Person abhängig auch variiert. Demzufolge wird es in den folgenden Arbeitsabschnitten die Aufgabe sein, zunächst die Herausbildung der semantischen Charakteristika jeder einzelnen Figur auszuarbeiten, ihre Veränderung und den damit einhergehenden Bedeutungswechsel des jeweiligen Protagonisten zu demonstrieren und zum Abschluß der Handlung die entstandene Figuration erneut zu interpretieren und die resultierenden Stellungswechsel zu bewerten.

Gleich zu Beginn werden durch die einleitenden Sätze des Ich-Erzählers die zwei kontrastiven Bedeutungsebenen herausgestellt, durch welche die Personenkonstellation geprägt ist und die im Werk immer wieder aufgenommen wird, zum einen die negativ besetzte Isotopie „Besetzer“ und im Gegensatz dazu die Isotopie „Unterworfener“.

Determinierend wirkt das Kriegsgeschehen als Handlungshintergrund schon im Einleitungssatz: Il fut précédé par un grand déploiement militaire[2]. Die aus der Sicht des Ich-Erzählers geschilderte bedrohliche Besatzungsstimmung lenkt die Erwartungshaltung des Lesers in die Richtung, daß analog zu der entworfenen Isotopie des „Besetzers“ nun auch ein dementsprechender Protagonist in die Handlung eingeführt wird. Dies unterstreichen die für die damalige Zeit klischeehaften Beschreibungen der Nebenfiguren, der übrigen deutschen Soldaten: ...un jeune soldat, mince, blond et souriant (Vercors 1951: 17) An dieser Stelle bleibt festzuhalten, daß sich folgende semantische Merkmale auf die Person des Deutschen im allgemeinen konzentrieren, die handlungsbegleitend beibehalten werden und auf welche sich die oben geschilderten Isotopien stützen: fremd, militärisch geprägt und dominant.

Zu diesem Zeitpunkt ist dem Leser als handlungsrelevante Figur ausschließlich der Ich-Erzähler, ein alter Schreinermeister, bekannt, der aus seiner subjektiven Sicht das Eindringen der Soldaten in sein Haus bzw. im entferntesten Sinne in seine Heimat beschreibt. Obwohl er, wie sich im Laufe der folgenden Kapitel zeigen wird, gemeinsam mit seiner Nichte das „Paar“ bildet, das konträr zur Figur des „Eindringlings“, d.h., des Deutschen, steht, so verzichtet der Erzähler im folgenden auf detaillierte Schilderungen der Ausgangssituation, das heißt, des Alltags, des Lebens dieser Zweierbeziehung. Der Leser wird über das Verhältnis von Nichte und Onkel weitestgehend im Unklaren gelassen.

Im ersten Teil wird auf eine genaue Beschreibung der Protagonisten „Nichte“ und „Onkel“ fast vollständig verzichtet. Auf den ersten Seiten lassen sich somit nur wenige semantische Merkmale feststellen, die diese Figuren verläßlich charakterisieren. Der Leser scheint nur die notwendigsten Informationen zu erhalten, damit sich die Konzentration auf die Figur des deutschen Offiziers richtet, der durch sein bevorstehendes Auftreten die Konstellation in Form einer Binäropposition (Paar Onkel/Nichte – deutscher Offizier) vervollständigt.

[...]


[1] Schulte-Sasse, Jochen; Werner, Renate, 1997, Einführung in die Literaturwissenschaft, 151 ff

[2] Vercors, Le silence de la mer, 1951, 17 (Jedes folgende Zitat beruft sich auf dieses Werk.)

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Personenkonstellation in "Le Silence de la Mer" (Vercors)
Hochschule
Universität Münster  (Romanistisches Institut)
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
16
Katalognummer
V23317
ISBN (eBook)
9783638264617
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Personenkonstellation, Silence
Arbeit zitieren
Sabine Halbach (Autor:in), 1999, Die Personenkonstellation in "Le Silence de la Mer" (Vercors), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23317

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