Nie mehr Fleisch!

Die Ernährungsgeschichte des Menschen und die Folgen einer vegetarischen Ernährung


Fachbuch, 2013

226 Seiten


Leseprobe


Ernährungsverhalten im Wandel – Geschichte und Ausformungen des Vegetarismus. Die Zukunft is(s)t vegetarisch von Manuela Gruber 2012
Zusammenfassung
Abstract
Vorwort
Einleitung
Vegetarische Ernährung
Die Geschichte des Vegetarismus
Motive für eine vegetarische Ernährung
Vegetarische Ernährung und ernährungssoziologische Aspekte
Nachhaltige Ernährungsweise in der Zukunft
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis

Vegetarismus im geschichtlichen Kontext von Stephanie Traichel 2004
Einführung
Begriffsdefinition
Formen vegetarischer Ernährung
Geschichte des Vegetarismus
Beweggründe, Vegetarier zu werden
Tierschutz
Neueste Entwicklungen im Vegetarismus
Kritik
Zusammenfassung
Anhang

Vegetarische Ernährung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Der Effekt von fleischloser Ernährung auf den Hämoglobinwert – eine Analyse der Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) von Eveline Otte im Kampe, Johanna Föllmer, Anne Ideler 2011
Einführung
Abstract
Methoden
Ergebnisse
Diskussion
Schlussfolgerung
Quellenverzeichnis
Anhang

Ernährungsverhalten im Wandel – Geschichte und Ausformungen des Vegetarismus. Die Zukunft is(s)t vegetarisch von Manuela Gruber 2012

Zusammenfassung

Täglich viel Fleisch zu essen, ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch für das Klima und Millionen Tiere müssen aufgrund nicht artgerechter Tierhaltung leiden. Mit diesen und ähnlichen Argumenten wird der Konsum von Fleisch oft in Frage gestellt. So ist in Sachen Ernährung ein Umdenken bemerkbar und Speisen ohne Fleisch finden immer öfter ihren Platz auf dem Teller. Die vegetarische Ernährungsweise ist in unserer Gesellschaft längst akzeptiert und gilt mittlerweile sogar als vorbildlich. Die vorliegende Arbeit zeigt, inwieweit sich die vegetarische Ernährungsweise in einer fleischdominierten Esskultur durchsetzen und in der Zukunft sogar die gesellschaftliche Mitte erreichen kann. Welche soziologischen Aspekte nehmen Einfluss auf die Hinwendung zu einer vegetarischen Ernährungsweise? Dass die Zukunft der Ernährung vegetarisch – oder zumindest fleischarm sein wird und welche Bedeutung diese Entwicklung im Rahmen einer nachhaltigen Ernährungsweise hat, soll abschließend dargestellt werden. Die Zukunft is(s)t vegetarisch, denn jeder, der sich vegetarisch ernährt, egal ob immer, regelmäßig oder gelegentlich, entscheidet sich nicht nur für eine gesündere Lebensweise, sondern schützt auch die Umwelt und setzt ein Zeichen gegen die industrielle Massentierhaltung.

Abstract

There are many good reasons to avoid or reduce the consumption of meat: increase of personal health, slower the pace of climate change and getting rid of animal factory farms. Because of these or similiar arguments there seems to be a change of eating habits and a movement that begins with eating less meat. Dishes without meat are more and more common in Austrian households. Even more, being vegetarian is not only accepted but sets an example in our society. My thesis shows that the vegetarian lifestyle is going to prevail in a society where meat and meat products still have a dominating part. But the question is about the social aspects that influence the decision of becoming a vegetarian. In fact, not everyone agrees to be mostly vegetarian. But in order to establish healthier and sustainable eating habits, our way of eating will be characterized by a vegetarian lifestyle, but with a flexible approach which means to eat little meat and not too often.

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wäre nicht die Arbeit, die sie ist, wenn ich nicht selbst Vegetarierin wäre und wenn ich mich nicht auf meine eigene vegetarische Suche gemacht hätte. Seit meinem 19. Lebensjahr verzichte ich bewusst auf Fleisch und setze mich nun täglich mit der vegetarischen Ernährungsweise auseinander. Warum ich zur Vegetarierin wurde, waren vorwiegend ethische und moralische Motive, das Mitgefühl mit Tieren und die Ablehnung der Massentierhaltung. Noch vor wenigen Jahren,war man als Vegetarierin oft damit konfrontiert, mit FleischesserInnen über Einstellungen zu Fleisch bzw. über Motive für den Fleischverzicht zu diskutieren und man musste seine vegetarische Ernährungsweise argumentieren und verteidigen.

Mittlerweile kann man jedoch beobachten, dass sich die vegetarische Ernährungsweise in unserer Gesellschaft mehr und mehr etabliert. So musste man sich als vegetarisch lebende Person in vielen Restaurants vor einigen Jahren oftmals mit den Gemüse-Beilagen zufriedenstellen. Heute sind raffinierte vegetarische Speisen in den meisten Restaurants auf der Speisekarte zu finden. Durch das wachsende Gesundheitsbewusstsein und die zunehmende (mediale) Aufklärung ist der Verzicht auf Fleisch in unserer Gesellschaft nicht nur akzeptiert, sondern gilt mittlerweile sogar als vorbildlich.

Mein Bestreben mit dieser Arbeit ist es, die soziologischen Zusammenhänge offenzulegen, die Auswirkungen auf die Entscheidung für das individuelle Ernährungsverhalten und folglich für eine vegetarische Ernährungsweise haben. So war es besonders interessant, herauszufinden, dass sich im Vegetarierin-Sein auch feministische Positionen ausdrücken.

Diese Arbeit soll kein Aufruf für eine vegetarische Ernährungs- und Lebensweise sein, sondern hinterfragen, inwieweit sich dieser Ernährungstrend der Gegenwart in die Zukunft fortschreiben lässt. Denn einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen besteht darin, dass unser zukünftiges Ernährungsverhalten aufgrund der ökologischen, aber auch ethischen und sozialen Anforderungen langfristig und nachhaltig geändert werden muss. Und an einem geringeren Fleischkonsum führt kein Weg vorbei.

Einleitung

„Essen ist heute Teil der individuellen Lebensphilosophie geworden: Es geht um Gesundheit, Ethik, Lebensqualität und Status.“[1]

Dass unser Ernährungsalltag nicht nur sehr komplex geworden ist, sondern auch einem gesellschaftlichen Wandel unterliegt, zeigen gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise die steigende Erwerbsbeteiligung und die Flexibilisierung der Arbeitsmuster, der Wandel der Geschlechterbeziehungen und Werteinstellungen oder die Individualisierung und die strukturelle Entwicklung auf Produktions- und Marktseite (Stichworte: industrielle Massenproduktion, Globalisierung, Lebensmittelskandale, mediale Ernährungsdiskurse, usw.).[2] Wandlungsprozesse sind beispielsweise die starke Individualisierung, wo Menschen aufgrund der sich laufend veränderten Lebenslagen und -verläufen vermehrt mit Umbrüchen im Lebenslauf konfrontiert sind (z.B. Scheidungen, Auszeiten oder Umzüge durch gestiegene Mobilitätserfordernisse, Phasen der Arbeitslosigkeit usw.). Das bedeutet für jeden Einzelnen mehr Handlungsspielraum und somit aber auch einen Verlust an Sicherheit und Stabilität im Leben. Ein Beispiel zum Trend der Individualisierung in Bezug auf die Ernährung: Wo früher eine Mahlzeit für alle auf den Tisch kam, bestimmt mittlerweile jeder selbst, was er wann und wo essen will. Speisen werden mehr und mehr individuell zusammengestellt. „Nachdem Ernährungspraktiken (in unterschiedlichem Ausmaß) habitualisiert sind, können solche Umbrüche zum Überdenken bisheriger Routinen, zur Neubewertung von Esspraktiken und Lebensmitteln und zur Nachfrage nach neuen Produkten führen.“[3]

Das führt dazu, dass das Fleisch als Nahrungsmittel in den letzten Jahren verstärkt eine Neubewertung erhalten hat. In unserer Kultur zählte der Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten seit Jahrhunderten zur Selbstverständlichkeit. Jahrzehntelang war der Konsum von Fleisch Ausdruck für einen hohen Lebensstandard. Doch es wird gesellschaftlich immer weniger akzeptiert, große Mengen an Wurst und Schnitzel zu verzehren. Denn der übermäßige Fleischverzehr ist für viele Menschen mit gesundheitlichen Problemen verbunden. Durch das wachsende Gesundheitsbewusstsein und die zunehmende Aufklärung sind der Verzicht auf Fleisch und der bewusst geringe Fleischkonsum in unserer Gesellschaft mittlerweile akzeptiert. Große Mengen Fleisch zu konsumieren, ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch für das Klima und für Millionen von Tieren. Mit diesen Argumenten wird der Konsum von Fleisch in Frage gestellt. So ist in Sachen Ernährung ein Umdenken bemerkbar und Speisen ohne Fleisch finden immer öfter und gern ihren berechtigten Platz auf dem Tisch. Die vegetarische Küche erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der vegetarischen Ernährungsweise, die sich aufgrund des vermehrten Wandels im Ernährungsverhalten immer stärker in unserer Gesellschaft etabliert. Es soll analysiert werden, inwieweit es möglich sein wird, dass sich die vegetarische Ernährungsweise in einer tief verinnerlichten fleischbezogenen Esskultur durchsetzt und sogar die gesellschaftliche Mitte erreichen kann. Mit welchen Hemmnissen und Barrieren wird man konfrontiert? Welche soziologischen Aspekte nehmen Einfluss auf die Hinwendung zu einer vegetarischen Ernährungsweise? Dass die Zukunft der Ernährung vegetarisch – oder zumindest fleischarm sein wird und welche Bedeutung diese Entwicklung im Rahmen einer nachhaltigen Ernährungsweise hat, soll nun in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden.

Das folgende Kapitel wird in die Thematik einführen und nicht nur die in diesem Zusammenhang wichtigen Begrifflichkeiten näher darstellen sondern auch die unterschiedlichen Formen der vegetarischen Ernährung und deren Ausprägungen verdeutlichen.

Danach widme ich mich der historischen Darstellung des Vegetarismus. Es werden die für die Entwicklung der vegetarischen Ernährung wichtige Epochen näher erläutert. Im ersten Schritt wird das Zeitalter der Antike mit dem Philosophen Pythagoras als wichtigen Wegbegleiter des Vegetarismus näher skizziert. Der Vegetarismus im 19. und 20. Jahrhundert soll als zweite bedeutende Epoche der Entwicklung der vegetarischen Ernährungsweise hervorgehoben werden, da das Zeitalter der Industrialisierung sowie das entstehende Vereinswesen für eine Verbreitung des fleischlosen Lebensstils sorgte. Abschließend soll die aktuelle Situation der Vegetarier und Vegetarierinnen im 21. Jahrhundert dargestellt werden.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den Motiven und der Fragestellung, warum sich jemand entscheidet, auf Fleisch zu verzichten und sich dem vegetarischen Lebensstil zuwendet. Die wichtigsten Gründe – religiöse, ethische bzw. moralische, gesundheitliche sowie ökologische – werden in diesem Zusammenhang detailliert dargestellt.

Das Kapitel „Vegetarische Ernährung und ernährungssoziologische Aspekte“ ist im ersten Abschnitt den Grundfragen und Themenbereichen der Ernährungssoziologie gewidmet, wobei das theoretische Rahmenkonzept verdeutlicht werden soll. Der zweite Abschnitt analysiert die Ernährungspraktiken und die gegenwärtige Essmoral im Kontext des Fleischkonsums. Nachdem die Ernährungspraktiken in die alltägliche Lebensführung eingebettet sind, soll in Abschnitt 3 der Zusammenhang von der sozialen Lage und dem Ernährungsverhalten skizziert werden. Wichtige beeinflussende Dimensionen von Ernährungspraktiken wie Nahrungsnormen, schichtspezifische Unterschiede, Lebens- und Ernährungsstile, Ernährungskompetenz, Ernährung und Alter sowie geschlechtsspezifische Unterschiede sollen näher dargestellt werden. Diese Themen werden nicht nur in ihren theoretischen Grundzügen dargestellt, sondern immer auch in Bezugnahme auf die vegetarische Ernährungsweise bzw. die Bedeutung von Fleisch als Lebensmittel. So wird der Verzicht auf Fleisch in Zusammenhang mit Ernährung und Alter auch als lebensphasenspezifisches Phänomen analysiert. Im geschlechtsspezifischen Kontext des Ernährungshandelns soll vor allem auch die Bedeutung von Fleisch und die Hinwendung zur vegetarischen Ernährungsweise untersucht werden. In Abschnitt 4 werden soziokulturelle Aspekte des Fleischkonsums und in diesem Zusammenhang der Fleischverbrauch in Österreich sowie die sich gesellschaftlich verändernden Einstellungen gegenüber Fleisch analysiert. Abschließend soll in Abschnitt 5 auf die gesellschaftliche Stellung der vegetarischen Ernährungsweise und auf die praktische Umsetzung dieser eingegangen werden.

Das folgende Kapitel wird sich mit dem Konzept der Nachhaltigkeit sowie der nachhaltigen Ernährungsweise in der Zukunft auseinandersetzen, wobei als Kriterien für eine nachhaltige Ernährung ein reduzierter Fleischkonsum thematisiert wird. Abschließend soll die Ernährung von morgen unter dem Aspekt einer vegetarischen bzw. fleischreduzierten Ernährung näher skizziert werden. Als praktisches Beispiel für eine Umsetzung werden Kampagnen zum Thema „Fleischfreier Wochentag“ angeführt.

Das letzte Kapitel bildet ein Resümee mit einer Interpretation der Erkenntnisse aus den vorangegangen Kapiteln und stellt eine neue Form des Vegetarismus als zukünftige Ernährungslösung vor, die nicht dogmatisch ist, sondern sehr pragmatische Züge aufweist und so auf eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft stoßen kann.

Vegetarische Ernährung

Begriffe und Definitionen

Die Begriffe „Vegetarier“, „vegetarisch“ und „Vegetarismus“ wurden aus dem Englischen „vegetarian“ abgeleitet. Die Wortschöpfung wurde von „vegetable“ (= pflanzlich) und dem Suffix „-arian“ hergeleitet. Der Ursprung geht auf die lateinischen Begriffe „vegetare“ (= wachsen, beleben), „vegetus“ (= lebendig) und „vegere“ (= beleben, beseelen) zurück.[4]

Der Vegetarismus ist somit im ursprünglichen Sinne eine „lebendige“ und „belebende“ Ernährungs- und Lebensweise. Es ist eine besondere Form der Ernährung, bei der man auf Fleisch verzichtet. Auf dem Speiseplan eines Vegetariers stehen vorwiegend pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Je nach Ausprägung des Vegetarismus können auch Produkte von lebenden Tieren, wie Milch, Eier und Honig sowie alle daraus hergestellten Speisen enthalten sein. Ausgeschlossen sind Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch sowie alle daraus hergestellten Produkte.[5]

Das Wort „Vegetarismus“ wurde 1847 allgemein gebräuchlich, nachdem die erste europäische vegetarische Gesellschaft, die „Vegetarian Society of United Kingdom“ gegründet wurde. Davor wurden vegetarisch lebende Personen oft als „Pythagoreer“ bezeichnet, nachdem der antike griechische Philosoph Pythagoras als Begründer des klassischen Vegetarismus und als erster Vertreter des Vegetarismus in Europa gilt.[6]

Auf die Geschichte des Vegetarismus und seinen historischen Ursprung wird später näher eingegangen.

Im Jahr 1963 wurde im Rahmen einer Tagung des Deutschen Vegetarier-Rates eine umfassende Definition für Vegetarismus veröffentlicht:

„Der Vegetarismus ist die Lehre, dass der Mensch aus ethischen und biologischen Gründen ausschließlich zum Pflanzenesser bestimmt ist. Sein stärkstes Motiv ist die Überzeugung, dass möglichst kein Tier für die menschliche Existenz getötet oder geschädigt werden soll.“[7]

Formen der vegetarischen Ernährung

Es gibt keine einheitliche und allgemeingültige Ausprägung einer vegetarischen Lebensweise. Der Vegetarismus hat ein Ziel, das in allen unterschiedlichen Formen seine Gültigkeit hat und das ist der Verzicht auf Fleisch sowie auf daraus hergestellte Lebensmittel wie z.B. Wurst oder Gelatine (z.B. in Gummibärchen).

Die Unterscheidung der verschiedenen Formen der vegetarischen Ernährung lässt sich auf Basis der Lebensmittelauswahl klassifizieren. Somit ist die Einbeziehung von Lebensmitteln, die von lebenden Tieren stammen das Unterscheidungskriterium für die Hauptformen des Vegetarismus. Lakto-Ovo-Vegetarier ist die am weitesten verbreitete Form des Vegetarismus. Sie essen neben pflanzlichen Lebensmitteln auch Milch, Milchprodukte und Eier. Die Lakto-Vegetarier vermeiden den Konsum von Eiern, Milch ist jedoch erlaubt. Die Ovo-Vegetarier essen neben pflanzlicher Nahrung auch Eier, verzichten aber auf Milch und Milchprodukte – das ist eher eine seltene Form des Vegetarismus. Die strengste Form des Vegetarismus leben die sogenannten Veganer, die auch als besonders strenge Vegetarier bezeichnet werden. Sie verzichten komplett auf tierische Lebensmittel und Produkte, also neben Fleisch, Fisch, Eiern, Milch und Honig auch auf Leder oder Wolle.[8]

Menschen, die überwiegend vegetarisch leben schränken den Verzehr von Fleisch und tierischen Lebensmitteln stark ein. Diese Vegetarier-Typen werden auch als sogenannte Flexitarier bezeichnet. So wurde der Begriff „Flexitarier“ von der „American Dialect Society“ 2003 zum nützlichsten Wort des Jahres gewählt. Dabei handelt es sich um eine „Light“-Form des Vegetarismus. Flexitarier sind Personen, die viel Wert auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung legen und den Fleischkonsum bewusst deutlich reduzieren. Fleisch steht nur mehr gelegentlich auf dem Speiseplan, wie zu besonderen Anlässen. Und dann greifen Flexitarier, „Teilzeit-Vegetarier“ oder „Wochenend-Vegetarier“ wie sie auch gerne bezeichnet werden, ausschließlich zu Fleisch von besonders hoher Qualität wie z.B. aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft.[9]

Diese Gruppe, die sich überwiegend vegetarisch ernährt, sind jedoch definitionsgemäß keine Vegetarier, auch wenn sie sich in ihrer Selbsteinschätzung oft als solche einstufen. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese Menschen als „Selten-Fleischesser“ bzw. „very low meat eaters“ bezeichnet. So ist ein Fleischkonsum von ein bis zweimal pro Monat als seltener Verzehr definiert.[10]

Die verschiedenen Ausprägungen der vegetarischen Ernährung zeigen deutlich, dass es sich nicht um eine homogene Ernährungsform handelt.[11]

Vielmehr ist dieser Lebensstil bzw. diese Ernährungsweise sehr komplex gestaltet. Es entscheidet jeder für sich, welche Ausprägungsform einer fleischlosen oder fleischreduzierten Ernährungsweise letztendlich gewählt wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Formen vegetarischer Ernährung

Abbildung 1 zeigt, dass es die vegetarische Ernährung in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen gibt. Das gemeinsame Merkmal aller vegetarischen Ernährungsformen ist das Meiden von Nahrungsmitteln, die von getöteten Tieren stammen (Fleisch inklusive Geflügel, Fisch und Meeresfrüchte) sowie von allen Produkten, die diese Nahrungsmittel enthalten.

Menschen, die sich selbst als Vegetarier bezeichnen, haben oft ihre eigene Definition bzw. ihre eigene Vorstellung davon, was sie unter einer vegetarischen Lebensweise verstehen. So bezeichnen sich Menschen oft als Vegetarier oder Vegetarierin, obwohl sie zum Beispiel Fisch essen. Dadurch hat sich auch die Form des Flexitarismus oder Teilzeit-Vegetarismus entwickelt, wo nicht der strikte Verzicht auf Fleisch, sondern der bewusste Fleischkonsum vorrangig aus biologischer und artgerechter Tierhaltung im Vordergrund steht.

Die Geschichte des Vegetarismus

Über lange Zeit hinweg ernährte sich die Mehrheit der Menschen aufgrund des vorhandenen Nahrungsangebotes überwiegend vegetarisch. Die Idee vom Vegetarismus als Lebens- und Ernährungsweise ist also keinesfalls eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Der Grundstein für eine vegetarische Lebensweise als Weltanschauung, mit den damit verbundenen ethisch-philosophischen Überlegungen, wurde in der Antike, insbesondere im alten Griechenland gelegt.

Es ist hier nicht möglich, die gesamte Geschichte des Vegetarismus darzustellen, da sie sehr umfangreich ist. Nachfolgend werden zwei für die Entwicklung der vegetarischen Ernährung besonders wichtige Epochen näher erläutert: der Vegetarismus und seine Wurzeln im antiken Griechenland zu Zeiten von Pythagoras im 6. Jahrhundert v. Chr. und die moderne vegetarische Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert.

Die ersten Vegetarier in der Antike

Während Fleisch in der Antike nur von reicheren Menschen verzehrt wurde, ernährten sich das griechische und das römische Volk vorwiegend von pflanzlicher Kost wie Getreide, Gemüse und Obst. Trotzdem waren zu dieser Zeit Tierkämpfe und Hetzjagden gesellschaftlich sehr angesehen. Für das griechische Volk spielten Tieropfer eine große Rolle. Das Töten von Tieren und der Fleischverzehr hatten große Bedeutung in Zusammenhang mit Bräuchen. Wer Fleischkonsum ablehnte, verschloss sich dadurch den Höhepunkten des festlichen Lebens und hob sich bewusst als Außenseiter vom Rest der Gesellschaft ab.[12]

Eine Ablehnung der Tieropfer und des anschließend zelebrierten Fleischmahls in der griechisch-antiken Gesellschaft kam einer religiösen Revolution gleich und hatte eine radikale Selbstausgrenzung aus der Gesellschaft zur Folge.[13]

Die ersten Berichte des antiken Vegetarismus lieferte eine Gemeinschaft mit religiösem Hintergrund im 6. Jahrhundert v. Chr.: die Gruppe der Orphiker, eine religiöse Sekte. Diese Lebensweise wurde durch Platon (Philosoph, Griechenland, 427-347 v. Chr.) überliefert. Orphiker lehnten die blutigen Tieropferkulte und die religiösen Opferfeiern der Griechen ab. Durch ihren Wunsch der „Befreiung der Seele“ traten sie für Askese und Enthaltsamkeit ein und vermieden Fleisch, Eier und sogar Wolle. „Die Orphiker waren der Ansicht, die Seele sei wegen einer früheren Schuld im Körper wie in einem Grab eingeschlossen und müsse sich durch Reinigung so gut wie möglich von dieser Schuld lösen, um ein seelisches Dasein zu gewinnen. Deshalb verzichteten sie auf Fleischgenuss und lehnten Tieropfer ab.“[14]

Viele Argumente für eine fleischlose Ernährung, die heute noch Gültigkeit haben, existierten auch in der Antike. Zunächst hatte die vegetarische Ernährung aber vorrangig religiös motivierte Wurzeln. Der religiöse Vegetarismus der Orphiker wurde anschließend von Pythagoras (Philosoph, um 570 bis um 500 v. Chr.) als Begründer des ethischen Vegetarismus mit eindeutig religiösen Wurzeln aufgegriffen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Pythagoras von Samos[15]

„Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt, der ist vom Verbrechen nicht weit entfernt“, oder „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück,“ so Pythagoras, der bis heute als Begründer des europäischen Vegetarismus gilt. Viele Jahrhunderte lang nannte man die Personen, die kein Fleisch verzehrten, auch nicht Vegetarier sondern Pythagoreer.[16]

Der von Pythagoras propagierte Vegetarismus ist gut belegt und geht einerseits auf das Motiv der sogenannten Seelenlehre bzw. Seelenwanderung zurück, wo die Seele des Menschen nach seinem Tod auch in einen Tierkörper eingehen kann. Das Schlachten von Lebewesen würde also bedeuten, dass man mit dem Opfertier möglicherweise einen Artgenossen oder sogar einen nahen Verwandten verzehren würde. Deshalb wurde Fleisch von Pythagoras und seinen Anhängern und Schülern, den sogenannten Pythagoreern strikt abgelehnt. Andererseits hatte unter Pythagoras auch das Motiv der Tierschonung und somit ethische Hintergründe Bedeutung in der vegetarischen Lebensweise. Der Verzehr von Eiern sowie das Tragen von Kleidung aus Wolle waren den Pythagoreern strengstens verboten. Die „pythagoreische Diät“ bestand aus Brot, Honig, Getreide, Früchten und Gemüse. Die Geschichte des Vegetarismus ist besonders stark durch das Pythagoreertum und seine Verhaltens- und Speisevorschriften geprägt. Trotzdem ist es wichtig hervorzuheben, dass es sich um eine freiwillig gewählte Lebensweise handelt, die in der antiken Gesellschaft eine Ausnahme war. Somit waren die sogenannten Pythagoreer auch eine soziale Randgruppe.[17]

Vegetarier galten einst in der Gesellschaft als Außenseiter. Heute ist die Entscheidung für eine vegetarische Ernährungsweise zwar nicht mehr mit gesellschaftlicher Isolation verbunden, trotzdem wird ein Vegetarier oft mit Akzeptanzproblemen konfrontiert. Wie in Zeiten Pythagoras sind Vegetarier heutzutage noch immer eine soziale Randgruppe, nachdem der fleischlose Essstil ausschließlich von einer Minderheit gewählt wird. Vegetarismus ist nach wie vor ein großes Thema in der Gesellschaft, das in vielen Situationen (z. B. Weihnachtsessen, Grillparty, usw.) ein besonders starkes Selbstbewusstsein des Betroffenen erfordert, nachdem dieser seine gewählte fleischlose Ernährungsweise gegenüber „Nicht-Vegetariern“ rechtfertigen und begründen muss.

Jedoch wird die vegetarische Ernährung in der heutigen Gesellschaft nicht nur immer mehr akzeptiert, sondern gilt mittlerweile als vorbildlich und sogar erstrebenswert. Die Ernährungsweise des Vegetarismus und seine ernährungssoziologischen Aspekte werden später ausführlich erläutert.

Der Verzicht auf Fleisch in der Antike zur Zeit von Pythagoras war nicht nur eine Entscheidung aus persönlichen Gründen, auf der Grundlage religiöser und/oder ethischer Motive, sondern auch ein Zeichen gegen die herrschende Politik. Die Anhänger Pythagoras protestierten gegen die staatlichen Opfermahle, bei denen Tiere geschlachtet und den Anwesenden je nach sozialem Status Fleischstücke zugeteilt wurden. Indem die Pythagoreer das Fleisch verweigerten, dass ihnen zugesprochen wurde, zeigten sie deutlich und öffentlich, dass sie den sozialen Status, der im Rahmen der Opfermahlzeremonien bestätigt wurde, nicht akzeptierten. Somit war die vegetarische Lebensweise der Pythagoreer viel komplexer und inkludierte nicht nur den fleischlosen Lebensstil. Vielmehr war dieser Essensstil auch eine Positionierung innerhalb der Gesellschaftssysteme – insbesondere zur einflussreichen Politik und zur Religion. Diese kritische Stellung der Pythagoreer wurde im Rahmen der Nichtteilnahme an den staatlichen Opfermahlzeiten sichtbar.[18]

Auch in der heutigen Zeit hat die persönliche Entscheidung, sich vegetarisch zu ernähren, unterschiedliche und oft sehr individuelle Motive, die nicht nur das Etikett „vegetarisch“ vermuten lassen. Dieser fleischlose Ess- und Lebensstil, der von vielen mit gesunder Ernährung in Zusammenhang gebracht wird, bedeutet oft auch aktiv ein (politisches) Zeichen gegen z.B. Massentierhaltung, Klimawandel, Umweltskandale oder auch Dioxin im Tierfutter zu setzen. Somit können auch hier Parallelen zu den Anfängen des Vegetarismus während Pythagoras im Sinne der politischen Aktivität gezogen werden.

Der Vegetarismus im 19. und 20. Jahrhundert

Die von Pythagoras geprägte Lebens- und Ernährungsweise betonte über Jahrtausende die vegetarische Lebensweise. Erst im 19. Jahrhundert erlebte die alternative und fleischlose Ernährungsweise eine neue Blütezeit und der Begriff der Pythagoreer wurde vom Begriff des Vegetariers verdrängt bzw. abgelöst.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts – im Zeitalter der Industrialisierung – war eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft zu beobachten. Soziale Missstände, Luftverschmutzung, harte Arbeitsbedingungen in Fabriken und die daraus hervorgerufenen gesundheitlichen Belastungen der Menschen forcierten eine neue Bewegung. Um 1890 entstand die Lebensreformbewegung, die vor allem aus dem mittelständischen Bildungsbürgertum kam. Sie wollten ihr Leben reformieren, indem sie einen natürlichen und gesunden Lebensstil verfolgten.[19]

Die Lebensreform war nicht nur auf eine vegetarische Ernährung fokussiert, sondern bestand aus vielen Einzelbestrebungen wie Naturheilbewegung, Antialkoholbewegung, Gartenstadtbewegung, Freikörper-kulturbewegung (FKK), Reformpädagogik, usw. Neben der Naturheilkunde war die vegetarische Bewegung unter dem Motto „Zurück zur Natur“ oder „Natürlichkeit, Verzicht und Gesundheit“ die treibende Kraft.[20]

Der damalige Leitsatz stammte vom wichtigsten deutschen Wegbereiter des Vegetarismus Gustav von Struve (1805 – 1870): „Der Mensch soll so einfach als möglich leben, denn Einfachheit ist die Grundlage allen sittlichen, geistigen und körperlichen Wohlbefindens.“[21]

Durch die Aufklärung der Bevölkerung über die gesundheitlichen Vorteile bei einem Verzicht auf Fleisch und die damit verbundene gesündere Lebensführung, sollte auf ein zukünftiges „vegetarisches Zeitalter“ hingewirkt werden.[22]

Entscheidend für den Erfolg der Reformbewegung im Zeitalter der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung eines Ernährungswandels, aufgrund der Überversorgung mit (verarbeiteten) Nahrungsmitteln, Alkohol und des zunehmenden Fleischkonsums. Die Kritik an den negativen Folgeerscheinungen (wie z.B. die steigende Zahl der Zivilisationskrankheiten) aufgrund des Ernährungswandels und die Betonung einer gesunden und natürlichen Ernährung waren der Startschuss für die damalige Ernährungsreform bzw. Lebensreformbewegung. Die fleischlose Ernährung war ein wichtiger Bestandteil der Lebensreformbewegung, trotzdem lebten zu dieser Zeit bei weitem nicht alle Lebensreformer vegetarisch.[23]

Vegetarische Ernährung und Vereinswesen im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert, das auch als das „Jahrhundert der Vereine“ bekannt wurde, wurden nationale und lokale Vegetariervereine insbesondere in Großbritannien, den USA und in Deutschland gegründet. In Großbritannien wurde 1847 die „Vegetarian Society“ – die „Muttergesellschaft“ aller Vegetariervereine – ins Leben gerufen. Mit der Vereinsgründung wurde der Begriff „vegetarian“ (englisch für Vegetarier) die offizielle Bezeichnung für die fleischlose Ernährung, während in den Jahrhunderten davor von „pythagorean diet“ oder dem „Pythagoräismus“ gesprochen wurde.[24]

Im Rahmen der Vereine und der organisierten Vegetariergesellschaften war es erstmals möglich, mittels Zeitschriften, Flugblättern und Büchern die vegetarische Idee an die Öffentlichkeit zu kommunizieren und zu verbreiten. Im Unterschied zur Antike und zur pythagoräischen Diät verstand sich der moderne Vegetarismus im 19. Jahrhundert als Bewegung und Strömung, die mit der Unterstützung der Vereine und mit zahlreichen Publikationen ganz bewusst an die breite Öffentlichkeit ging. So wurde im Jahr 1892 in Deutschland der Deutsche Vegetarier-Bund gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierte sich diese Bewegung neu und die Vegetarier-Union Deutschland (VUD) knüpfte an die Arbeiten des Vegetarier-Bundes an. 1984 wurde der noch heute gültige Vereinsname Vegetarier-Bund Deutschlands e.V. (VEBU) beschlossen. Als Dachverband der nationalen Vegetarier-Verbände in Europa wurde 1985 die European Vegetarian Union (EVU) gegründet.[25]

Die Österreichische Vegetarier Union (ÖVU) wurde 1970 gegründet. Die ÖVU mit Sitz in Graz sieht sich als Interessenvertretung für alle Personen, die an einer vegetarischen Lebensweise interessiert sind. Der Vereinszweck ist die Förderung der vegetarischen Lebensweise, unabhängig davon ob diese Lebensweise aus ethischen, religiösen, gesundheitlichen, ökologischen, ökonomischen oder Tierschutz-Gründen gewählt wurde. Neben dem Hauptzweck der Förderung der vegetarischen (einschließlich der veganen) Ernährungsweise leistet der Verein auch Öffentlichkeitsarbeit zur Unterstützung der Einschränkung des Fleischkonsums, zur Forcierung tierische durch nicht-tierische Produkte zu ersetzen und zum Schutz der Tiere vor Ausbeutung und Quälerei.[26]

Zwei Epochen wurden zur Erläuterung der Geschichte des Vegetarismus näher erläutert: Die historische Entwicklung der vegetarischen Ernährung während der Antike sowie im Zeitabschnitt der Industriali-sierung. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass zwischen den ausgewählten Zeitabschnitten Parallelen bestehen.

Die Leitmotive für eine vegetarische Ernährung gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren Natürlichkeit, Verzicht und Gesundheit. Auch in der Antike war eines der Hauptmotive für eine fleischlose Ernährung die Askese. Neu war jedoch im Industriezeitalter gegen was und wen die Vegetarier mit ihrem Fleischverzicht protestierten. In der Antike protestierte man mit der Verweigerung von Fleisch gegen die staatlichen Opferfeste, die dazu verwendet wurden, die politische Ordnung zu inszenieren. Im Industriezeitalter wurden der Kapitalismus, die Industrialisierung und die Verstädterung kritisiert, weil damit soziale Probleme verbunden waren. Die Lösung für diese Probleme wurde in einem Lebensstil gesehen, der im Einklang mit der Natur steht – der vegetarische Essstil. Der Vegetarismus zu dieser Zeit beschränkte sich nicht nur auf die fleischlose Ernährung sondern inkludierte auch andere körpergebundene Bereiche des Lebens, wie z.B. Kleidung, Sexualität oder Wohnen. Auch für die Erziehung, Bildung, Familienleben und Haushaltsführung wurden exakte Vorgaben und Richtlinien formuliert. Somit gibt es eine weitere Parallele (neben dem Verzicht) zum historischen Vorläufer: der Vegetarismus des 19. Jahrhunderts war nicht nur ein Ess-, sondern gleichzeitig ein Lebensstil.[27]

Abschließend soll festgehalten werden, dass die vegetarische Ernährungsweise in der Antike ihre Blütezeit hatte und nur die fernöstlichen Religionen das Erbe einer vegetarischen Ernährungsweise bewahrten. Die Industrialisierung ab Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass sich die vegetarische Lebensweise auch in Europa über die sogenannte Lebensreformbewegung etablieren konnte. Der zunehmende Wohlstand und die mit der zunehmenden Industrialisierung negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt forcierte das neue Bewusstsein, das viele Menschen überzeugte, eine vegetarische Ernährungsweise zu praktizieren.[28]

Welche Bedeutung die vegetarische Ernährungsweise in der heutigen Zeit hat, zeigt das nächste Kapitel.

Aktuelle Situation im 21. Jahrhundert

In den letzten Jahren ist ein Umdenken in Sachen Ernährung bemerkbar und die fleischlose bzw. fleischreduzierte Ernährung wird immer mehr zum Thema in unserer Gesellschaft. Fleisch muss nicht mehr jeden Tag auf dem Tisch der Österreicher und Österreicherinnen stehen. Vielmehr erfahren vegetarische Speisen immer öfter Zuspruch und Akzeptanz. Trotzdem liegt der durchschnittliche Fleischkonsum in Österreich im europäischen Spitzenfeld. Nachfolgend sollen die aktuelle Situation der Vegetarier in Österreich und weltweit sowie die Bedeutung des Fleischverbrauchs auf Basis der Daten der Statistik Austria sowie des aktuellen österreichischen Ernährungsberichts von 2008 näher dargestellt werden.

Vegetarier in Österreich und weltweit

Die Anzahl der Personen, die fleischlos leben, ist nicht genau bekannt. Schätzungen der Vegetarierverbände oder Bevölkerungsbefragungen sind die Basis für die Berechnung der Vegetarieranzahl in Österreich und weltweit. Die Problematik bei Befragungen liegt oft darin, dass sich viele Menschen als vegetarisch lebend ausgeben, obwohl sie im eigentlichen Sinne keine sind. Deshalb sind Statistiken zu Vegetariern eher kritisch zu betrachten.

Jedoch lassen sich im Anteil an der Gesamtbevölkerung weltweit nationale Unterschiede erkennen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Anteil der Vegetarier in verschiedenen Ländern 2007[29]

Während in der westlichen Welt der Anteil an Vegetariern im einstelligen Prozentbereich liegt, schätzt man, dass in Indien rund 40 Prozent der Bevölkerung – vorwiegend aus religiösen Gründen – vegetarisch leben. Der Trend, dass beispielsweise immer mehr Menschen in Deutschland auf Fleisch verzichten, ist hingegen belegt. Laut einer Statistik der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg verzichteten 1983 nur 0,6 Prozent der deutschen Bevölkerung auf Produkte toter Tiere.[30] Heute sind es sehr viel mehr und so soll sich die Anzahl der Vegetarier in Deutschland bis heute mehr als verzehnfacht haben.

In der EU stagniert der Konsum tierischer Proteine auf hohem Niveau – zumindest in den alten 15 Mitgliedsstaaten. Bei den neuen Mitgliedern steigt der Fleischverbrauch noch. Und global ist die Verteilung der Fleischration noch sehr ungleich. So isst ein Europäer durchschnittlich 90 Kilo Fleisch im Jahr und ein Inder nur fünf.[31]

Vorreiter für den Stellenwert der vegetarischen Lebensweise in der Bevölkerung ist Großbritannien mit der ältesten Vegetarierorganisation weltweit und mit heute über 14.000 Mitgliedern. Der Vegetarier-Bund in Deutschland verzeichnet rund 2.500 Mitglieder, was einem Zuwachs von fast 50 % seit dem Jahr 2000 entspricht. Aus den Mitgliederzahlen der zahlreichen nationalen Vegetarierorganisationen auf die tatsächliche Anzahl der Vegetarier in den verschiedenen Ländern zu schließen ist nicht möglich. Die Mitgliederzahlen der großen Vegetarierverbände in Großbritannien und USA sind rückläufig, obwohl die vegetarische Ernährungsweise auch dort immer mehr Anhänger hat. Eine Erklärung liegt möglicherweise darin, dass der Vegetarismus in unserer Gesellschaft bereits so etabliert ist, dass die meisten Vegetarier keine Notwendigkeit mehr sehen, einem Verein oder Netzwerk anzugehören.[32]

Zusammenfassend können wir festhalten, dass die vielen verschiedenen Formen der vegetarischen Ernährung es sehr schwer machen, eine genaue Zahl an vegetarisch lebenden Personen zu ermitteln. Denn bei Umfragen bezeichnen sich oft auch Menschen als Vegetarier, die auf Fleisch verzichten, aber Fisch essen. Trotzdem steigt das Bewusstsein in der westlichen Welt für eine fleischlose bzw. fleischreduzierte Ernährungsweise.

So geben in zahlreichen Befragungen unter amerikanischen Studenten bereits mehr als 20 Prozent an, Vegetarier zu sein. Ob diese hohe Zahl tatsächlich stimmt, ist eher fraglich, nachdem wahrscheinlich die meisten der Studenten keine „echten“ Vegetarier sind. Vielmehr wollen sie sich aber als solche definieren, was einen Fortschritt in der Auseinandersetzung mit dieser zukunftsweisenden Ernährungsform bedeutet.[33]

Motive für eine vegetarische Ernährung

Die Beweggründe, warum jemand für sich entscheidet, auf Fleisch zu verzichten und sich dem vegetarischen Lebensstil zuwendet, sind vielschichtig. Weltweit betrachtet sind es bei Millionen von Menschen religiöse Gründe. Die vegetarische Lebensweise findet sich vorwiegend in den östlichen Religionen wie dem Hinduismus oder Buddhismus wieder. Ein weiterer Grund für den Fleischverzicht liegt im zunehmenden Gesundheitsbewusstsein unserer Gesellschaft. Aber auch ethische Motive werden in Befragungen besonders häufig als Grund für die Hinwendung zum Vegetarismus angegeben. In ethischer Hinsicht sind es vor allem die Ablehnung des Tötens und die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Mensch und Tier. Die Probleme der Massentierhaltung und der Tiertransporte werden einer immer breiteren Öffentlichkeit bewusst und sind ein bedeutender Grund, warum sich Menschen für die fleischlose Ernährungsweise interessieren und sich vermehrt vom Fleischkonsum distanzieren. Und letztlich ökologische Motive, die vielmehr darin bestehen, einen Beitrag zum globalen Klimaschutz durch die Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel zu leisten.[34]

Abbildung 4 gibt einen umfassenden Überblick zu den aus der Literatur bekannten und dem Vegetarismus zugrunde liegenden Motivationen. Diese Darstellung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll jedoch die große Vielfalt an Begründungen für eine Hinwendung zur vegetarischen Ernährungsweise darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Motive für Vegetarismus[35]

Trotz der großen Anzahl an verschiedensten Gründen lassen sich drei wesentliche Motivationen für eine fleischlose Ernährung erkennen: moralisch/ethische, gesundheitliche und emotionale Begründungen. Diese Motive werden deshalb in der Folge grafisch nach geschlechtsspezifischer Unterscheidung in einer Übersicht dargestellt und anschließend näher erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Die wichtigsten Gründe für Vegetarismus getrennt nach Frauen und Männer[36]

In der Vegetarierstudie der Friedrich-Schiller-Universität Jena zeigte sich, dass die ethischen bzw. moralischen Motive unter der Vielzahl möglicher Beweggründe, gefolgt von gesundheitlichen Motiven sehr stark dominieren. Für durchschnittlich 62 Prozent der Vegetarier und Vegetarierinnen spielen moralische Gründe die größte Rolle, für ca. 22 Prozent gesundheitliche und für 9 Prozent emotionale Gründe. Etwa 8 Prozent der Vegetarier und Vegetarierinnen konnten sich nicht mehr genau daran erinnern welche Gründe bei der Entscheidung sich vegetarisch zu ernähren die größte Rolle gespielt haben. Die Häufigkeiten der Motive spiegeln Ergebnisse früherer Befragungen gut wider. In Summe konnten 93,7 Prozent der Befragten explizit die Gründe ihres Fleischverzichts benennen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.6: Klassifizierung der Vegetarier aufgrund ihrer Motive[37]

Die Gründe, Vegetarier zu werden, sind vielschichtig und werden durch eigene Erfahrungen, Anliegen und Vorstellungen bestimmt. Dabei sind die Motive der meisten Vegetarier nicht dauerhaft gleichbleibend, sondern verändern sich im Laufe der Zeit. Wenn moralische oder ethische Motive einst ausschlaggebend dafür waren, sich vegetarisch zu ernähren, können beispielsweise später auch gesundheitliche Gründe hinzukommen und umgekehrt.[38]

Nachfolgend werden die vier wichtigsten Hauptmotive für eine vegetarische Ernährungsweise – Religion, Ethik, Gesundheit und Ökologie – näher skizziert.

Religion

„Ich sehe keinen Grund, warum man Tiere schlachten und ihr Fleisch essen soll,

da man doch so viel anderes essen kann. Der Mensch braucht kein Fleisch.“

(Dalai Lama)

Barmherzigkeit und Mitgefühl als grundlegende (ethische) Werte sowie Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen sind als Grundsätze in sämtlichen Religionssystemen angeführt. In den Schriften der verschiedenen Weltreligionen finden sich somit viele Gedanken, Leitsätze und Argumente, die für eine vegetarische Lebensweise sprechen. In den östlichen Religionen stellt der Glaube an die Seelenwanderung und an die Wiedergeburt einen ganz entscheidenden Einfluss auf das religiöse Fleischverbot dar.

Von allen großen Weltreligionen ist der Hinduismus diejenige, in der die meisten Vegetarier zu finden sind. Schon seit Jahrtausenden sind die Ideale des Gewaltverzichts und des Respekts vor allen Geschöpfen Grundlage der indischen Kultur. Erst durch den Einfluss des Islam ab dem 12. Jahrhundert und des Christentums ab ca. 1600 begann eine zunehmende Zahl von Menschen in Indien, Fleisch zu essen. Trotzdem weist die Bevölkerung Indiens mit rund 40 Prozent noch immer den weltweit höchsten Vegetarieranteil auf.[39]

Im Buddhismus sind Barmherzigkeit und eine vegetarische Lebensweise Grundvoraussetzungen für den Weg zur Selbsterkenntnis. Noch heute ist die buddhistische Lehre für ihre Friedfertigkeit und Nächstenliebe bekannt – wenngleich längst nicht mehr alle Buddhisten Vegetarier sind. Heutzutage meinen viele Buddhisten, dass Fleisch dann verzehrt werden kann, wenn das Tier nicht speziell für ihren eigenen Genuss geschlachtet wurde. Einige buddhistische Mönchen sind sogar der Meinung, dass sie Fleisch essen dürfen, das ihnen als Almosen gespendet wurde, da sie so auf diese Weise nicht selbst am Töten der Tiere beteiligt waren.[40]

Die offizielle Kirche im Christentum hatte kaum Probleme wenn es um den Fleischverzehr ging. Fleisch essen war in der christlichen Kirche kein Tabu-Thema. Außerkirchliche Kreise und solche, die für die normale Kirche als ketzerisch galten (christliche Außenseiter), befürworteten hingegen häufig den Vegetarismus. Für christlich motivierte Vegetarier ist das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ oft die Basis für ein klares Bekenntnis für den Vegetarismus.[41] Oftmals drückt sich in der christlichen Fastentradition das Ideal der Askese – in der sich die Abwendung vom Leben und die Hinwendung zu Gott manifestiert – im Verzicht von Fleisch aus. Fleischverzicht ist somit im Christentum ein Symbol der Fastenzeit.[42]

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass religiöse Motive zur Hinwendung einer vegetarischen Lebensweise in der westlichen Welt eigentlich kaum Bedeutung haben. Im Christentum spielt(e) die vegetarische Ernährungsweise – mit Ausnahme in der Fastenzeit – kaum eine Rolle. Die Religion als Grund für den Vegetarismus ist ein bedeutendes Thema in Indien, wo das Töten von Tieren nicht nur als Sünde gilt, sondern der Fleischverzehr ein religiöses Tabu darstellt. Religiöse Gründe werden oft unterstützt von ethischen Überzeugungen (oder auch umgekehrt), wenn es um die Gnade und Barmherzigkeit gegenüber Tieren geht. Das ethische Motiv ist in der westlichen Welt einer der Hauptgründe, wenn man Menschen nach Gründen für die vegetarische Lebensweise befragt. Nachfolgend wird dieser Motivbereich der Ethik näher erläutert.

Ethik

„Seit meinem Besuch im Schlachthaus habe ich aufgehört, Fleisch zu essen.“

(Vincent Van Gogh)

Bevor Ethik in Zusammenhang mit Vegetarismus näher erläutert wird, soll dieser Begriff im ersten Schritt seiner allgemeinen Bedeutung zugeführt werden: Ethik versteht sich als Wissenschaft vom moralischen Handeln. Das ist eine sittlich gute Handlung im Sinne von gut leben, gerecht handeln, vernünftig entscheiden und urteilen. Sie fragt nach dem, was aus einer Handlung eine moralisch gute Handlung macht. Ihre Aufgabe ist es nicht zu moralisieren, ideologisieren oder weltanschauliche Überzeugungen zu verbreiten. Grundvoraussetzungen für eine Ethik sind ein „guter Wille“, ein Verantwortungsbewusstsein und ein moralisches Engagement.[43] Somit kann festgestellt werden, dass die allgemeine Ethik als eine philosophische Disziplin verstanden wird, deren Aufgabe es ist, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und die Bewertung seiner Motive und Folgen aufzustellen. Ethik versucht, die Frage zu beantworten, an welchen Werten, Normen, Zielen und Zwecken die Menschen ihr Handeln orientieren sollten.

Massentierhaltung ist ein ethisches Motiv für Fleischverzicht. In Deutschland stammen beispielsweise rund 98 Prozent der verzehrten Tiere aus Massentierhaltungsbetrieben: Bei Rindern sind es 95,7 Prozent, bei Schweinen 99,3 Prozent und bei Geflügel 97,9 Prozent. Diese Zahlen basieren auf einer 2008 veröffentlichen Studie des Statistischen Bundesamtes.[44]

Landwirtschaftliche Nutztiere werden somit ohne Rücksicht auf artgerechte Haltung in großer Anzahl auf möglichst engem Raum gezüchtet sowie in immer kürzerer Zeit aufgezogen, geschlachtet, das Fleisch industriell weiterverarbeitet und dann verkauft. In Deutschland werden beispielsweise pro Person jährlich 39 Kilogramm Schwein, 11 Kilogramm Geflügel und knapp 9 Kilogramm Rind verzehrt. In der Turbomast stehen einem 90-Kilogramm-Schwein gerade einmal 0,75 Quadratmeter Stallfläche zur Verfügung. Auf einem Quadratmeter werden bis zu 25 Hühner gemästet. Entscheidend für die industrielle Massentierhaltung ist, dass die Tiere in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gewicht zulegen. Während ein Mastschwein früher mindestens ein Jahr alt wurde, genügen heute sechs bis sieben Monate für die Schlachtung, während jedoch die Lebenserwartung bei einem Schwein sogar bei rund zehn bis fünfzehn Jahren liegt. Hühnerküken werden innerhalb von sechs bis acht Wochen auf ein Schlachtgewicht von rund 1.500 Gramm gemästet. Die Lebenserwartung bei Hühnern liegt bei rund sechs Jahren.[45]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Massentierhaltung in Deutschland[46]

Weltweit sind es weit über 90 Prozent der annähernd 240 Millionen jährlich produzierten Tonnen Fleisch, das aus Massentierhaltung bzw. aus riesigen Industrieanlagen stammen. In der Fleischindustrie wird aus wirtschaftlichen Gründen auf die Bedürfnisse der Tiere keinerlei Rücksicht genommen, weshalb Massentierhaltung von der Zucht bis zur Schlachtung eine unausweichlich organisierte Tierquälerei ist. Somit ist Fleisch aus industrieller Produktion aus tierethischer Dimension ein höchst problematisches Lebensmittel.[47]

Massentierhaltung wird immer stärker in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt und erreicht dadurch, dass sich Menschen damit auseinandersetzen (müssen), wo ihr Fleisch herkommt. Das führt dazu, dass man nicht nur damit konfrontiert wird, dass Tiere für die Fleischproduktion gezüchtet und anschließend getötet werden, sondern wie eine Schlachtung erfolgt. Tiere töten berührt ein Tabu. Somit ist das ethische oder moralische Motiv mit starken Emotionen und Aufmerksamkeit verbunden. Viele Menschen wollen es nicht länger hinnehmen, dass für sie Tiere ausgebeutet, gequält und getötet werden. Das ethische Handeln ruft ein Verantwortungsbewusstsein und Engagement zur gerechten Behandlung der Nutztiere beim Betroffenen hervor. Die zunehmende Aufklärung über die tatsächlichen Zustände bei Aufzucht, Mast, Transport und Schlachtung der Nutztiere leistet somit einen großen Beitrag dazu, dass sich immer mehr Menschen für die vegetarische Lebensweise entscheiden. Das führte dazu, dass im Rahmen der Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena 63 Prozent der Befragten als Grundmotiv ihres Vegetarismus Ethik und Moral als wichtigstes Argument für den Fleischverzicht genannt haben.

Außerdem hat sich in der Diskussion pro und contra Fleischessen im Verlauf der Geschichte deutlich herausgestellt, das aus tierethischen Gründen einer Anerkennung des Wohls der Tiere jede qualvolle Massenhaltung und jedes Töten nicht zu rechtfertigen sind. Aus strikt „animal-moralischer“ Sicht sind die Menschen dazu verpflichtet, auf Fleischkonsum zu verzichten. Gegenüber diesem moralisch korrekten Rigorismus respektiert eine gastrosophische Sicht unter rein kulinarischen Gesichtspunkten einen minimalen Fleischgenuss, jedoch unter den Gesichtspunkten einer artgerechten Tierhaltung.[48]

Die Einstellung der heutigen Gesellschaft gegenüber Tieren kann in zwei Kategorien unterschieden werden: Einerseits auf der anthropozentrischen Trennung zwischen Menschen und Tieren. Hier meint man die Trennung zwischen Kultur und Natur oder auch zwischen Vernunft und Instinkt. Andererseits ist eine ethische Sichtweise basierend auf Aristoteles zurückzuführen. Ethik beinhaltet ein Weltbild, in dem es eine klare Hierarchie der Lebewesen gibt, von den höchsten, gottähnlichsten, perfektesten zu den niedrigsten. Befreiungsbewegungen versuchen schon seit der Aufklärung, den aristotelischen Perfektionismus durch eine Gleichberechtigung zwischen Mensch und Tier zu ersetzen. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich eine moderne Tierrechtsbewegung etabliert, die auch grundlegende, gleiche Rechte auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit fordert, und zwar für alle Tiere inklusive Menschen.[49]

Ethiker fordern Tierrechte ein, die bislang nur Menschen vorbehalten waren, wie das Recht der körperlichen Unversehrtheit. Demnach würden für Tiere die gleichen ethisch-moralischen Grundrechte wie für den Menschen gelten. In diesem Zusammenhang wird die Leidensfähigkeit von Tieren, hervorgerufen durch Angst, Leid und Schmerzen anerkannt und öffentlich propagiert. Insbesondere in der Antike wurden die ersten ethischen philosophischen Ansätze mit religiösen Aspekten für eine fleischlose Ernährung in Verbindung gebracht.[50]

Der Philosoph und Tierethiker Peter Singer gilt als Gründer der modernen Tierrechtsbewegung und plädiert für einen grundlegenden Wandel im Denken und Handeln gegenüber Tieren. Damit kommt er zu dem Schluss, dass es nicht richtig ist, Tiere zu töten. Er glaubt, dass jede einzelne Mahlzeit eine wichtige ethische Entscheidung darstellt. Aus ethischen Gründen erkennt Singer, dass wir unsere Ernährung ändern und zum Vegetarismus wechseln müssen. Er bezweifelt auch, dass man Massentierhaltung weiterhin rechtfertigen kann.[51] Seine Argumente gegen Massentierhaltung basieren in erster Linie auf dem Argument, dass Tiere wie Menschen Empfindungen haben und Schmerzen fühlen können. Deswegen haben sie auch Interessen, die berücksichtigt werden müssen. Singer kommt zu dem Punkt, dass Massentierhaltung aus moralischer Sicht nicht zu rechtfertigen sei und dass die einzige ethisch vertretbare Ernährungsweise der Veganismus, also die rein pflanzliche Kost ist.[52]

Ohne Frage trägt ein Fleischkonsument Verantwortung für den eigenen Konsum, mehr als in jeder anderen Ernährungsfrage. Einerseits weil mit der eigenen Bedürfnisbefriedigung der Tod eines anderen Lebewesens verbunden ist, das ausschließlich für diesen Zweck geboren, gezüchtet und gemästet wurde. Zum anderen ist er für die Lebensbedingungen dieses Lebewesens verantwortlich. Zwar nicht direkt, wie der Tierhalter, aber indirekt über seine Kaufentscheidung.[53] Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das alles Entscheidende bei der ethischen Diskussion als Grund für die Umstellung der eigenen Ernährungspraxis die Frage ist, ob man zum Vegetarier wird oder ob man es zu einem „gewissenhaften Allesesser“[54] schafft. Man benötigt vielmehr auch eine gastrosophische Einsicht, dass das individuelle Ernährungsverhalten täglich in der eigenen Küche bzw. beim Einkauf von Fleisch zum Wohle der Tiergerechtigkeit sein muss, indem man weitestgehend auf tierische Produkte verzichtet oder bei der Wahl bzw. beim Einkauf gewissenhaft und verantwortungsvoll agiert und zu Fleisch auf biologischer und artgerechter Tierhaltung aus der näheren Umgebung greift.

Gesundheit

„Nichts wird die Gesundheit des Menschen und die Chancen auf ein Überleben auf der Erde so steigern, wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung.“

(Albert Einstein)

Gesunde Ernährung hat in der heutigen Gesellschaft einen besonders hohen Stellenwert. Somit bietet die zunehmende Gesundheitsorientierung einen wichtigen Ansatzpunkt als Motiv für die vegetarische Ernährung. Die fleischlose Ernährung gilt als besonders leichte Kost und wird gerne mit bewusster und gesunder Ernährung assoziiert. Immerhin ein Fünftel der befragten Vegetarier in der Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena gaben gesundheitliche Gründe für ihre Entscheidung an. Zahlreiche Lebensmittelskandale wie Tiertransporte, Pestizide, Gammelfleisch-Skandale und tödliche BSE-Bakterien lassen das Unbehagen und die Unsicherheit bei den Menschen wachsen. Die Menschen verlieren das Vertrauen in tierische Lebensmittel. Die Konsumenten wollen „saubere“, „ehrliche“ und vor allem gesunde Lebensmittel auf dem Teller haben. Gerade solche Vorfälle und Skandale rücken das Thema der vegetarischen Ernährung verstärkt in den Fokus der Diskussion.

Die meisten Vegetarier sind vom gesundheitlichen Nutzen ihrer Ernährungs- und Lebensweise überzeugt. Sie geben in Befragungen wesentlich häufiger als die Durchschnittsbevölkerung an, dass sie ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut einschätzen oder dass sich dieser in der jüngsten Vergangenheit verbessert oder wesentlich verbessert habe. Obwohl es sich hier um subjektive Einschätzungen handelt, darf nicht übersehen werden, dass neben dem Ernährungsmuster auch andere mit dem Gesundheitszustand verbundene Verhaltensweisen von Vegetariern oft deutlich von denen der Durchschnittsbevölkerung abweichen. Vegetarier habe beispielsweise eine höhere Affinität für sportliche Betätigung und einen geringeren Genussmittelkonsum vorzuweisen. Der vegetarische Ernährungsstil impliziert vielfach auch eine gesundheitsorientierte Lebensweise.[55]

Für Claus Leitzmann, den langjährigen Leiter des Instituts für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen, steht außer Frage, dass eine pflanzliche Kost „erheblich dazu beitragen kann, ernährungs-assoziierte Erkrankungen vorzubeugen.“[56]

Eine deutsche Vegetarierstudie wies insbesondere positive Effekte der ovo-lacto-vegetarischen Ernährungsweise in Bezug auf Übergewicht, Bluthochdruck und erhöhte Cholesterinwerte nach. Durch die pflanzlich betonte Nahrung werden mehr Ballaststoffe, ungesättigte Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe aufgenommen.[57] Bezogen auf die vegetarische Ernährungsweise bedeutet das somit, dass vegetarisches Essen viele Vorteile für die Gesundheit bieten kann. Eine richtig zusammengestellte vegetarische Ernährung führt automatisch zu einem geringeren Fettkonsum und zur geringeren Aufnahme an gesättigten Fettsäuren, die den Cholesterinspiegel negativ beeinflussen können. Das wiederum kann das Risiko von Herzkrankheiten, Schlaganfall und Diabetes senken.

Ökologie

Neben gesundheitlichen Effekten hat jede Ernährungsweise und somit auch die vegetarische Ernährung Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima.

In den vergangenen 40 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch von 78 auf 250 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als verdreifacht. Der Weltagrarbericht geht davon aus, dass dieser Trend anhält, wenn der hohe Fleischkonsum der Industrieländer gleich bleibt und China und andere Schwellenländer sich diesem Niveau weiter annähern. Im Durchschnitt konsumiert der Mensch pro Jahr 39 Kilo Fleisch. In den Entwicklungsländern liegt der durchschnittliche Konsum bei 28 Kilo, in den ärmsten Ländern bei 9 Kilo. In den Industriestaaten werden dagegen jährlich über 80 Kilo pro Person vertilgt.[58]

Klimafreundlich essen bedeutet regionale und frische Lebensmittel, Produkte aus biologischer Landwirtschaft und weniger oder gar kein Fleisch zu konsumieren. Warum weniger oder gar kein Fleisch?

Studien belegen eindeutig, dass landwirtschaftliche Nutztiere mehr zum Klimawandel beitragen als das Transportwesen. Der UN zufolge ist der Nutztiersektor für 18 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, rund 40 Prozent mehr als der gesamte Transportsektor – Autos, Lkws, Flugzeuge, Züge, Schiffe – zusammengenommen. Neueste Daten lassen sogar eine quantitative Aussage über die Rolle der Ernährung zu: Fleischesser erzeugen siebenmal so viele Treibhausgase wie Veganer.[59] Im Detail soll diese Thematik später unter Nachhaltige Ernährungsweise in der Zukunft näher skizziert werden.

Nach einer Studie der GfK aus dem Jahr 2007 gaben immerhin 22 Prozent der Befragten an, weniger Fleisch essen zu wollen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Klimawandel verändert das Konsumbewusstsein[60]

[...]


[1] Bosshart D., Hauser M.: European Food Trends Report – Perspektiven für Industrie, Handel und Gastronomie, Rüschlikon/Zürich, 2008, S. 6

[2] Brunner, K.-M.: Essenskulturen in sozialen Wandel, in: Engel, G., Scholz, S.: Essenskulturen, Berlin, 2008, S. 11f

[3] Brunner, K.-M.: Risiko Lebensmittel? Lebensmittelskandale und andere Verunsicherungsfaktoren als Motiv für Ernährungsumstellungen, Wien, 2006, im Internet: www.konsumwende.de

[4] Leitzmann, C., Keller, M.: Vegetarische Ernährung, 2. Auflage, Stuttgart 2010, S. 17f

[5] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 18f

[6] http://www.vegetarismus.ch

[7] Ebd.

[8] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 20

[9] http://www.telegraph.co.uk/health/3459737/The-new-vegetarianism-introducing-the-flexitarian.html und http://www.thedailybeast.com/newsweek/2008/09/28/part-time-vegetarians.html

[10] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 21

[11] Elmadfa, I., Leitzmann, C.: Ernährung des Menschen, 4. Auflage, Stuttgart 2004, S. 615

[12] http://www.vegan.at

[13] Dierauer, U.: Vegetarismus und Tierschonung in der griechisch-römischen Antike, in: Linnemann, M., Schorcht, C.: Vegetarismus. Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise, Erlangen, 2010, S. 11f

[14] vgl. Dierauer (2010), S. 12

[15] http://www.votsalakia.com/becher/pythagoras.jpg

[16] Büchse, N., Kruse, K.: Sind Vegetarier die besseren Menschen?, in: Stern, Ausgabe 4/2011, S. 68ff

[17] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 39f

[18] Barlösius, E.: Soziologie des Essens. Eine sozial und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung, München, 2011, S. 53 und S. 119

[19] Barlösius, E.: Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform um die Jahrhundertwende, Frankfurt am Main, 1997, S. 165

[20] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 56

[21] Struve, G.: Pflanzenkost, die Grundlage einer neuen Weltanschauung, Stuttgart, 1869, S. 12

[22] Fritzen, F.: Gesünder leben. Die Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert, Stuttgart, 2006, S. 336

[23] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 57f

[24] Spencer, C.: Vegetarianism: a history, London, 2000, S. 238

[25] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 54f

[26] http://www.vegetarier.at/

[27] vgl. Barlösius (2011), S. 120

[28] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 68f

[29] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 64, (Darstellung auf Basis von Schätzungen verschiedener Vegetarier-Organisationen)

[30] http://www.sueddeutsche.de/leben/der-typische-vegetarier-weiblich-jung-fleischlos-1.21271

[31] Hamm, M.: Über den Tellerrand hinaus, in: Die Zeit Nr. 51, 2009, S. 39

[32] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 64f und https://www.vebu.de/

[33] http://www.profil.at/articles/1033/560/275891/die-ursache-klimawandel

[34] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 22ff

[35] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 24 und http://www.vegetarierstudie.uni-jena.de/

[36] Holm, C.: Eine Welt ohne Wurst, in: Der Spiegel, 3/2011, Darstellung auf Basis der Vegetarierstudie der Universität Jena, im Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76397380.html

[37] http://www.vegetarierstudie.uni-jena.de/

[38] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 22f

[39] Risi, A., Zürrer, R.: Vegetarisch leben, Zürich, 2011, S. 136

[40] vgl. Risi/Zürrer (2011), S. 134f

[41] vgl. Dierauer (2010), S. 52

[42] Mellinger, N.: Fleisch – Ursprung und Wandel einer Lust, Frankfurt/Main, 2000, S. 89f

[43] Pieper, A.: Einführung in die Ethik, Basel, 1994, S. 26

[44] http://www.vebu.de/attachments/Foer_Tiere_Essen_Anmerkungsteil_Deutschland.pdf

[45] Streck, M., Draf,. S.: Der Preis ist billig, aber das Fleisch ist schwach, in: Stern 22, 2010, S. 32ff

[46] http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-58035-4.html

[47] Mohrs, T.: Fleisch – das problematischste Lebensmittel schlechthin, in: Bio-Nachrichten Nr. 018, 2010, S. 32

[48] Lemke, H.: Ethik des guten Essen: Gastrosophisches Plädoyer für eine nachhaltige Esskultur, o.J., o. O., S. 45

[49] Baumgartner, J.: Vegetarisch im 20. Jahrhundert – eine moderne und zukunftsfähige Ernährung, in: Linnemann, M., Schorcht, C.: Vegetarismus. Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise, Erlangen, 2010, S. 122

[50] vgl. Elmadfa/Leitzmann (2004), S. 515ff

[51] Singer, P.: Praktische Ethik, Stuttgart, 1994, S. 176

[52] Singer, P.: Animal Liberation, New York, 2002, S. 7

[53] Gottwald, F.-T.: Gastrosophie – Ethische Implikationen: Essen ist keine Privatsache, im Internet: http://www.epikur-journal.at/de/ausgabe/detail.asp?id=12&art=Artikel&tit=Gastrosophie%2520-%2520Ethische%2520Implikationen

[54] Singer, P., Mason, J.: Eating. What we eat und why it matters, London, 2006

[55] vgl. Leitzmann/Keller (2010), S. 96f

[56] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76397380.html

[57] Schönhöfer-Rempt, R.: Giessener Vegetarierstudie, Gießen, 1988, S. 128

[58] http://www.weltagrarbericht.de

[59] Foer, J.: Tiere essen, Köln, 2010, S. 89f

[60] http://www.gfk.com/imperia/md/content/businessgrafics/pd_klimawandel_dfin.pdf

Ende der Leseprobe aus 226 Seiten

Details

Titel
Nie mehr Fleisch!
Untertitel
Die Ernährungsgeschichte des Menschen und die Folgen einer vegetarischen Ernährung
Autoren
Jahr
2013
Seiten
226
Katalognummer
V232830
ISBN (eBook)
9783656487975
ISBN (Buch)
9783956870675
Dateigröße
3433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vegetarische Ernährung., vegan, Tierschutz
Arbeit zitieren
Manuela Gruber (Autor:in)Stephanie Traichel (Autor:in)Eveline Otte im Kampe (Autor:in)Johanna Föllmer (Autor:in)Anne Ideler (Autor:in), 2013, Nie mehr Fleisch!, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232830

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