Inglorious Basterds: Tarantinos Nazijäger. Die Umerzählung von Geschichte


Fachbuch, 2013

132 Seiten


Leseprobe


Britta Wehen (2010): Selbstreflexivität in Tarantinos “Inglourious Basterds“. „Es existiert allein auf der Leinwand und im Projektor.“
Einleitung: The Man And His (Postmodern) Movies
Selbstreflexivität in „Inglourious Basterds“
Bruch mit Stereotypen und Kino-Mythen
Schlussbemerkung: Selbstreflexivität vs. Selbstreferentialität
Quellen- und Literaturverzeichnis

Yannick Lowin (2011): Die filmische Umsetzung von Geschichte in „Der Untergang“ und „Inglourious Basterds“. Zwischen „Fetisch der Authentizität“ und „Hitler goes kaputt“
Einleitung
Zum Verhältnis von Geschichte und Film
Der Untergang – authentischer als die Realität
„Hitler kaputt, Bormann kaputt, Goebbels kaputt, Goering kaputt, Geschichte kaputt?“
Fazit
Literaturverzeichnis

Marc Backhaus (2013): Tarantinos Selbstreferentielle Welt im Zeichen des Postmodernismus. “Reservoir Dogs“ & “Inglourious Basterds“ im kritischen Vergleich
Einleitung
Was wird dargestellt – Fiktion oder Wirklichkeit? Teil 1
Mediale Selbstwahrnehmung
Was wird dargestellt – Fiktion oder Wirklichkeit? Teil 2
Darf Der Das? - Fazit
Bibliographie

Katharina Ströhl (2009): Dekonstruktion in Tarantinos postmodernem Film “Pulp Fiction“ und in “Inglorious Basterds“
Eine kurze Einführung in die Begrifflichkeiten
Dekonstruktion in Pulp Fiction (1994)
Verschiedene Überlegungen zu Inglorious Basterds (2009)
Zusammenfassung
Literaturangaben

Einzelpublikationen

Britta Wehen (2010): Selbstreflexivität in Tarantinos “Inglourious Basterds“. „Es existiert allein auf der Leinwand und im Projektor.“

Einleitung: The Man And His (Postmodern) Movies

„Und dann kommt eines Tages eine Supertrash-Variante von einem dirty war movie, in dem Juden nicht Opfer sind, sondern Helden einer blutigen revenge fantasy, in dem die Résistance gewinnt und Hitler, ohne Rücksicht auf historische Fakten, mitsamt seiner widerlichen Entourage – Kaboooom! – in die Luft gesprengt wird.“[1]

Was passiert, wenn sich Quentin Tarantino den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus vornimmt, ist in diesem Zitat prägnant auf den Punkt gebracht: Den Zuschauer erwartet ein ungewöhnliches Kino-Märchen, in dem die Guten Rache an den mordenden Nazis nehmen dürfen, das sich hemmungslos bei cineastischen Vorbildern bedient, unterschiedlichste Genres zu einem neuen Ganzen mischt und die Künstlichkeit des Films niemals verhüllt, sondern sie sogar offen in den Kern der Erzählung rückt: Dem Kino wird dadurch die Chance gegeben, über die historische Wirklichkeit zu triumphieren.

Ein Blick zurück erklärt, dass Quentin Tarantinos Weg fast unweigerlich ins Filmbusiness und zum filmischen Pastiche führen musste – immerhin wurde ihm der filmische Bezug buchstäblich in die Wiege gelegt, ist er doch nach „Quint Asper“, einer Figur aus der TV-Western-Serie „Gunsmoke“, benannt. Als Kind verbrachte er außerdem viel Zeit in so genannten „Grindhouses“, eher schäbigen US-Vorstadtkinos, die für Trash, B-Movies und Exploitationfilme bekannt waren und sich als Referenzpunkte in Tarantinos Filmen niederschlagen sollten. Mit 17 Jahren verließ er die Schule, um Schauspielunterricht zu nehmen und bekam dank seines enormen Filmwissens fünf Jahre später einen Job in den „Video Archives“ in Kalifornien. Hier baute Tarantino seine umfangreichen Kenntnisse über Filme jeglicher Art weiter aus.[2]

Es erscheint daher kaum verwunderlich, dass Tarantino „[…] einfach weg[wirft], was [er] nicht mag, und [behält], was [ihm] gefällt“[3] und am Ende eine cineastische „Pastetenfüllung“ herauskommt – Tarantino macht das Kino selbst zum Gegenstand seiner Filme und könnte daher als „Meister“ des postmodernen Films angesehen werden. Die postmoderne Filmästhetik umfasst immerhin vier zentrale Merkmale, die auch in Tarantinos Werk eine große Rolle spielen: Intertextualität, Spektakularität und Ästhetisierung, Selbstreferentialität sowie Anti-Konventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren.[4] Intertextualität bezieht sich auf die Rückgriffe des postmodernen Films auf erzählerische Traditionen, Bilder und Muster, die vielfach dekonstrukiert und zu etwas Neuem transformiert werden. Die Dichte der intertextuellen Verweise ist auch bei Tarantinos „Basterds“ enorm, die Internet Movie Database listet für diesen Film mehr als 50 Referenzen.[5] Durch die Kombination und Variation werden neue Bedeutungen erzeugt und „dadurch die in den Versatzstücken sedimentierten Sinnelemente und Affektstrukturen [kommentiert]“.[6] Dennoch ist es keineswegs Voraussetzung, diese Codierungen verstehen zu müssen, um den Film genießen zu können. Zwar können Zuschauer mit einem reichen Filmwissen die angeführten Versatzstücke auch als solche begreifen und dadurch zusätzliche Sinnebenen entschlüsseln, andererseits ist es möglich, als „naiver“ Zuschauer bloß den oberflächlichen Handlungsverlauf zu verfolgen.[7]

Durch die filmischen Anspielungen ergibt sich als Effekt die Selbstreferentialität. Hierunter ist ein System zu verstehen, das sich auf sich selbst bezieht. Auf Film und Kino angewendet bedeutet dies also, dass sich das System Film auf sich selbst bezieht, indem es Anleihen bei bestimmten Erzählmustern, filmischen Mitteln oder Darstellungsstrategien nimmt und sich dadurch auf diese bezieht. So entsteht ein in sich geschlossenes System ohne Bezüge zur (außerfilmischen) Umwelt. Dieses selbstreferentielle Vorgehen muss aber nicht zwangsläufig selbstreflexiv sein – selbstreflexiv ist ein Film erst, wenn auf seine eigene Identität als Film aufmerksam gemacht wird, wenn beispielsweise die filmischen Anleihen bewusst herausgestellt werden und so ein Blick auf den Prozess des Filmemachens ermöglicht wird. Ein Film ist demnach also nur selbstreflexiv, wenn er die Selbstreferenz thematisiert.

Inwiefern aber ist Tarantinos neueste cineastische Pastetenfüllung, „Inglourious Basterds“, nicht nur postmodern, sondern auch selbstreflexiv?

Selbstreflexivität in „Inglourious Basterds“

Tarantino betont gleich mehrere Konstituenten des Mediums Film in „Inglourious Basterds“ und vereint mehrere Typen selbstreflexiver Filme: Er greift ästhetische Funktionsweisen von Sergio Leone und anderen Größen des Faches auf, stellt die Wahrnehmungsstrukturen von Filmen und ihre Rezeption ins Zentrum, indem er die nationalsozialistische Ästhetik im „Film im Film“ zeigt und doch mit ihr bricht. Außerdem zeigt er in diesem Rahmen auch den Film als Industrie-Produkt, immerhin entwickelt sich ein regelrechter Star-Kult um Fredrick Zoller, den „Helden“ aus „Stolz der Nation“. Ebenfalls wird der Film als politischer Faktor gespiegelt, nicht nur durch den Propagandafilm im Film, sondern auch durch die Handlungsführung, in der ein Film politische Auswirkungen haben kann und zum Ende des „Dritten Reiches“ führt – wenn auch mit einem gehörigen „Kaboooom“.[8]

Selbstreflexivität ist demnach als Prinzip der ästhetischen Selbstbespiegelung zu verstehen und als eine Kategorie, die dem filmischen Illusionismus entgegenwirkt und auf seinen artifiziellen Status aufmerksam macht.

„Inglourious Basterds“ – Ein Titel mit (mehr als) doppeltem Boden

Die Selbstbespiegelung kann bereits am Titel von Tarantinos neuestem Werk verdeutlicht werden: Ein „Bastard“ ist ganz allgemein etwas Unordentliches, das gegen das „Reinrassige“ abzugrenzen ist. In der Rassenideologie der Nationalsozialisten wurde der Begriff auf die jüdische Bevölkerung übertragen, da es sich in Augen der Nazis hierbei um eine minderwertige Rasse handelte. Der historisch Kundige kann also schon anhand des Titels erkennen, dass im Mittelpunkt der Erzählung wahrscheinlich eine jüdische Gruppierung stehen wird. Bastarde, gemischtrassig oder unehelich geboren und insofern nicht anerkannt, sind darüber hinaus auch immer auf der Suche nach ihrer eigenen Identität und streben nach Gerechtigkeit bzw. vielmehr nach Rache an dem Menschen, der das eigene (Familien-)Glück zerstörte. So verstanden verweist der Titel also auch darauf, dass es in dem Film nicht nur um jüdische Opfer gehen wird und deutet das revenge-Motiv an, das als Reaktion auf eine Aktion immer „eine Überbietung, eine maßlose Gegen-Gabe“[9] erfordert. Daher verlangt Lt. Aldo Raine auch von jedem seiner Basterds 100 Nazi-Skalps und Shosanna lässt als Reaktion auf die Ermordung ihrer Familie gleich ein ganzes Kino voller Nazis in Flammen aufgehen. Außerdem ist das revenge-Motiv unter anderem konstituierend für das Western-Genre, insofern reflektiert der Titel ein erhebliches Maß an Kinotraditionen. Weiterhin deutet der Titel auf seine Nähe zum italienischen dirty war movie „Quel maledetto treno blindato“ hin, der 1978 unter dem internationalen Titel „Inglorious Bastards“ bekannt wurde – auch wenn Tarantino ein U zuviel und ein E statt A verwendet und den englischsprachigen Kinogänger dadurch auf sein offensichtliches Spiel mit der Vorlage stößt.

Deutlich ist, dass anhand des Titels wesentliche Elemente des Plots und somit des Films selbst gespiegelt werden. Zumindest dem geneigten Filmkenner ist klar, dass es um ein „dreckiges Dutzend“ gehen wird, dass moralisch zwiespältig hinter den feindlichen Linien operieren wird.

„Ein bisschen Western, ein bisschen dirty war und ganz viel Rache – fertig ist ein Tarantino-Film“

Die Zahl der filmischen Verweise, Zitate und Variationen in „Inglourious Basterds“ ist vermutlich endlos und könnte für sich genommen ganze Bücher füllen, gilt Tarantino doch als „Archivar […] eines lebenden Museums der amerikanischen, europäischen und asiatischen B-Movies“[10]. Bei den „Basterds“ füllt Tarantino dieses lebende Museum mit einem Schuss Western, einer Prise Krieg und dem zentralen Rache-Motiv, das sich durch alle seiner Filme zieht. Er selbst sagt über seinen Film: „Es ist mein Haufen-von-Kerlen-mit-einer-Mission-Film. Es ist meine Version von ‚The dirty dozen’, ‚Where eagles dare’ und ‚The Guns of Navarone’.“[11]

Im Kern des Films steht ein Western, der eng an Sergio Leones Werk angelehnt ist, das Tarantino in jedem seiner Filme mit Anspielungen bedenkt. Doch vielleicht war der Hinweis auf Leone noch nie so deutlich wie in „Inglourious Basterds“, da Tarantino das erste Kapitel mit der Überschrift “Once upon a Time in Nazi-Occupied France” beginnen lässt. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine märchenhafte Eingangsformel, sondern auf einen deutlichen Hinweis auf Leones “Once upon a time in the west”. Tarantinos Märchen beginnt folgerichtig mit einer klassischen Western-Szene, in deren Zentrum ein kleiner, einsamer Bauernhof steht, der in raumschaffenden Einstellungen gezeigt wird, die ebenfalls typisch für Leone sind. Zudem gehört diese Szene SS-Oberst Hans Landa, der das absolut Böse und den „Ober-Nazi“ verkörpert und vergleichbar mit der Einführung Franks (Henry Fonda) in „C’era una volta il west“ ist.

Das zentrale Western-Motiv der Rache wird in Kapitel zwei ebenfalls aufgegriffen, die Basterds schulden ihrem Lt. Aldo Raine, der den für sich sprechenden Beinamen „Aldo, der Apache“ trägt, je hundert Nazi-Skalps. Das Schuld- und Blut-Ritual des Westerns wird also aufgegriffen und von Tarantino auf gute (jüdische) amerikanische Jungs beim (ernst gewordenen) Indianerspiel übertragen. Exemplarisch für den Western-Bezug sei noch auf den Mexican-Standoff in der Keller-Taverne im vierten Kapitel hingewiesen, schließlich stammt das Urbild des Mexican-Standoff aus dem Italo-Western.

Doch Tarantino bezieht sich nicht nur in selbstreferentieller Manier auf das System Film, sondern überführt die Western-Anleihen in einen Film über den Zweiten Weltkrieg und stellt die Anleihen betont deutlich heraus. Auf den ersten Blick passen Western und Weltkrieg nicht zusammen und durch das Zusammenfügen dieser beiden unpassenden Teile bricht Tarantino mit den Genrekonventionen und entlarvt sie dadurch als statisch – es ist eben ein (selbstreflexiver) Film über Kino-Klischees und deren Wirkungen

Noch deutlicher kann dieses Vorgehen in Bezug auf Horrorfilme herausgearbeitet werden. Der „Bärenjude“, Sgt. Donny Donowitz (Eli Roth), wird im zweiten Kapitel dem gefangenen Feldwebel Rachtman angekündigt, der dem Tod lieber heldenhaft ins Auge sehen will als seine Kameraden zu verraten. Sergeant Donowitz ist dafür bekannt, den deutschen Soldaten mit einem Baseballschläger den Schädel zu zertrümmern, daher hört man nach seiner Ankündigung auch das unheildrohende Schlagen des Baseballschlägers an die Tunnelwand – eine klassische Horrorfilm-Situation zur Vorbereitung des Auftritts des Monsters. Doch überraschenderweise tritt mit Sgt. Donowitz ein relativ normaler Mensch aus dem Tunnel und nicht etwa ein Golem, wie von vielen Deutschen gerüchteweise verbreitet. Zunächst hat es den Anschein, dass der Auftritt des Bärenjuden verschenkt ist, es hat sogar einen leichten Anflug von Ironie, wenn statt des jüdischen Racheengels ein einfacher Sergeant das Bild betritt, doch genau dies zeichnet Tarantino aus. Durch die verweigerte Spannung ergibt sich eine völlig neue Pointe: Tarantino zeigt erneut etwas, das nicht im Kino, sondern mit dem Kino spielt. Eine weitere Ebene erhält die Szene dadurch, dass Eli Roth – der „Bärenjude“ in dieser Szene – im wahren Leben Regisseur von Horrorfilmen (wie „Hostel“, 2005) ist und auch die Regie beim Film-im-Film „Stolz der Nation“ führte. Wenn nun ausgerechnet ein Horrorfilm-Regisseur einen klassischen Horrorfilm-Auftritt „verschenkt“, ist Tarantinos Spiel mit dem Kino noch eindrucksvoller.

Neben dem Western ist Tarantinos Film eine deutliche Anspielung auf die „Haufen-von-Kerlen-mit-einer-Mission-Filme“, die in den 1960er und 1970er als dirty war movies bekannt wurden. Schon in den späten 1950ern gab es in Hollywood-Filmen vermehrt feige Offiziere, Neurotiker und Verbrecher an der Front. Dies wurde wenig später zu einem eigenen Subgenre ausgebaut, das sich auf subjektive Schilderungen konzentrierte, einzelne Missionen verfolgte und in sich höchst widersprüchlich ist. Es zeigt sowohl, dass der Krieg Spaß macht und ein Männervergnügen ist, als auch, dass Krieg keinen Sinn ergibt. Die „Verschmutzung“ der Kriegsfilme betraf insbesondere die Moral der Helden. Die Guten waren nicht mehr wirklich gut und die Bösen ihrerseits moralisch zwiespältig. Robert Aldrichs „The dirty dozen“ aus dem Jahre 1967 stellt die vielleicht gelungenste Mischung aus Action und Grauen im und am Krieg dar und wurde von Tarantino selbst als Referenz für seinen Film genannt.[12] Demzufolge sind die Parallelen auch recht offensichtlich: In „The dirty dozen“ setzt sich das Kommando aus Gangstern und Psychopathen zusammen und auch bei Tarantino finden wir mit Hugo Stiglitz und dem „Bärenjuden“ Charaktere, die an gewalttätige Psychopathen erinnern (wobei ihr Motiv, das der Rache, verständlich erscheint). Aldo Raine offenbart durch eine Strangulierungs-Narbe am Hals schon rein äußerlich, dass er wahrscheinlich für ein Verbrechen gehenkt werden sollte. Auch er verhält sich moralisch zwiespältig, dem Abkommen mit Landa entzieht er sich, allerdings nur, um Landa für immer als Nazi zu kennzeichnen und ihm so die Möglichkeit zu nehmen, als US-Bürger auf Nantucket unterzutauchen. Ebenfalls quält er Bridget von Hammersmark und legt ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Finger in die Wunde – solche Verhaltensweisen traute der Zuschauer vor den dirty war movies eigentlich nur dem „bösen“ Gegner zu. Eine weitere Anleihe besteht im Versagen der Tarnung durch sprachliche Defizite: das Deutsch von Lee Marvin in „The dirty dozen“ besteht nur aus „Mhm“ und „Hm“ und auch das Deutsch Hicox’ sowie das Italienisch Aldos im Rachefeldzug Tarantinos versagen, im letzten Fall schon fast in komödiantischer Manier.

Mit dem Rekurs auf Castellaris „Quel maledetto treno blindato“ mischt Tarantino außerdem eine gehörige Portion Italo-Trash in seinen Film, für den es charakteristisch ist, dass die Ordnungen und Werte des Krieges wie auch das Geschichtsbild zerfallen.[13] Immer geht es um Helden, die weder richtig gut noch richtig böse sind. Würde man also genrespezifisch Gesetzlose und Außenseiter im „Basterd“-Kommando erwarten, bricht Tarantino mit dieser Konvention: Bei ihm handelt die Gruppe im Einverständnis mit der offiziellen Seite, sein Krieg hat die Basterds legitimiert und lässt sie am Ende gewinnen. Bei Tarantino werden europäische Kino-Helden, die nur als Verlierer denkbar sind (ein „dreckiges Dutzend“ eben) auf diese Weise zu amerikanischen Gewinnern, und das bedeutet nicht nur einen Bruch zwischen Erzählung und Geschichte, sondern auch einen Bruch innerhalb des Kino-Mythos. Seine Figuren sind im wahrsten Sinn kinogeschichtlich „unmöglich“, dies betrifft mit dem (tatsächlich) kultivierten Bürger als Nazi-Täter (Landa) und dem heroischen Jüngling (Zoller), der geläutert scheint und sich dann doch als das mörderische Monster entpuppt, auch die deutschen Figuren in der Erzählung. Außerdem wird „dem Bösen“ keine Möglichkeit zur Wiederkehr gelassen, wie es in Trash-Movies sonst die Regel ist. Hitler und die Vertreter der Führungsriege sind nicht einfach nur tot, sondern mehr als tot: zerschossen, verbrannt und zerstückelt.

Das fünfte Kapitel zeigt am eindrücklichsten wie Tarantino mit den unterschiedlichen Genres operiert. Er fügt – natürlich in einem Kino als Schauplatz – zusammen „eine Groteske (die schlecht nachgemachten Italiener im Smoking und ein Aldo Raine, der seinen angeblichen italienischen Namen in seinem Südstaaten-drawl mehrfach aussprechen muss), eine Tragödie (Shosanna, die sich auf das Attentat wie auf den Opfergang in einer griechischen Tragödie vorbereitet), ein Suspense-Drama (tickende Bomben an den Beinen der Basterds) und eine Klamotte (Hitler und Goebbels, geifernd und sentimental vor Stolz der Nation).“[14]

Durch die antiklassische Verbindung dieser verschiedenen Genres erhält Tarantinos Film ein selbstreflexives Moment, da jeweils klassische Genre-Situationen aufgebaut, aber nicht erfüllt werden. Vielmehr wird der „Charakter der Stereotype als vorfabrizierte Konstrukte offen [gelegt]“ und eine „reflektierte Sicht des Ineinandergreifens der Stereotype als eines Spiels von Zeichen [nahegelegt]“.[15] Die demonstrative Präsentation von Stereotypen, die in Genres immer wieder auftauchen, ist ein zentraler Fall von Reflexivität – die Künstlichkeit des Films wird von Tarantino somit betont und auf den Status als Film zurückverwiesen.

Dekonstruktionsstrategien

In postmodernen Filmen erfolgt oftmals ein Bruch mit filmischen Konventionen, um die Illusionsbildung der geschlossenen filmischen Erzählung zu durchbrechen. Dieser Bruch kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass der Film durch Titeleinblendungen und -einteilungen unterbrochen wird. Diese Strategie setzt Tarantino in „Inglourious Basterds“ ein und stellt den einzelnen Szenen jeweils eine Schwarzblende voran, die das jeweilige Kapitel sowie den Titel zeigt. „Die kommentierenden Zwischentitel erschaffen eine Art dazwischengeschnittene ‚literarische’ Erzählung, eine andere, durchbrochene Erzählung, die in mehr als einem Punkt der narratologischen Ordnung des Romans entspricht.“[16]

Zum einen wird die Erzählung also in die Nähe von fiktiven, schriftlichen Erzählungen gerückt, zum anderen ist im ersten Kapitel mit der Phrase „Es war einmal …“ ein deutlicher Bezug zum Märchen hergestellt. Beides führt dazu, dass die typische geschlossene Illusionsbildung des Films durchbrochen wird. Der Zuschauer wird bereits zu Beginn darauf gestoßen, dass eine Erzählung beginnt, die wortwörtlich gesehen keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Durch die fortlaufenden Kapitel- und Titeleinblendungen wird der Zuschauer immer wieder aus der filmischen Illusion herausgerissen und ihm so vor Augen geführt, dass es sich bloß um eine fiktive Erzählung und nicht um die (historische) Realität handelt. Auch filmästhetisch wird dieser Funktion Rechnung getragen, nach dem ersten Kapitel auf dem Hof von Monsieur LaPadite sowie der Einführung der Basterds steht Shosanna im Mittelpunkt. Bei diesem dritten Kapitel handelt es sich fast um einen völlig anderen Film, die Dialoge werden in Französisch mit Untertiteln geführt und die Bildausschnitte sind nicht so weitschweifig gewählt wie vorher. Außerdem ist das Licht in diesem Kapitel noir-inspiriert. Diese ästhetischen Brüche sorgen dafür, dass der Film im Vergleich zu den vorherigen Kapiteln visuell verfremdet und die Illusion der Realität durchbrochen wird.

Eine Dekonstruktion der filmischen Geschlossenheit erzielt Tarantino auch durch das Einblenden der Namen seiner Protagonisten. „[…] Mit Darstellungselementen des Comic lassen sich standardisierte Handlungsabfolgen verfremden […]“[17] und in diesem Comic-Stil wird in Kapitel 5 „Hermann Göring“ nicht nur namentlich gekennzeichnet, sondern auch noch mit einem Pfeil auf ihn verwiesen, als er das Kino betritt. Genauso wird mit „Martin Bormann“ verfahren“, der in einer der Logen im Kino Platz nimmt. Bei diesen Bezeichnungen handelt es sich also um intermediale Verweise, die wiederum nur im Film möglich sind. Mit leichten Unterschieden trifft dies auch auf die Bezeichnung von Hugo Stiglitz in Kapitel 2 zu. Sein Name wird in großen, grellen Lettern eingeblendet und die eigentliche Handlung stoppt. Der Buchstaben-Stil erinnert stark an Filmplakate der B-Movies der 1960er und 1970er, dazu wendet sich ein Erzähler (im Original Samuel L. Jackson, Schauspielerzitat Tarantinos) an den Zuschauer, der Stiglitz mit Hilfe von Zeitungsausschnitten und Rückblenden vorstellt. Dies suggeriert im ersten Moment Authentizität, da es „Belege“ für diese Person gibt. Gleichzeitig ist so etwas – das Heraustreten aus der Handlung und die Rückblende zu früheren Szenen – natürlich nur im Film möglich. Ein Heraustreten aus der Handlung und insofern selbstreflexiver Umgang mit dem System Film erfolgt außerdem in Kapitel 3, als Goebbels ebenfalls in großen Lettern als „Dr. Joseph Goebbels – Die Nummer Zwei in Hitlers Reich“ vorgestellt wird.

Das Prinzip der filmischen Geschlossenheit wird außerdem durch eine Überwindung der Logik von Zeit und Raum aufgehoben. Anders als noch in „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“, in denen die Figuren der Diegese in einer neuen Szene wieder auftauchen, obwohl sie vorher getötet wurden, thematisiert Tarantino diese Möglichkeit in „Inglourious Basterds“ mit einem direkten Verweis auf die Kino-Leinwand: Während sich Shosanna Dreyfuss und Fredrick Zoller im Projektionsraum gegenseitig erschießen, sind sie auf der Leinwand noch lebendig. Nachdem Fredrick bereits tot ist, zieht sich die schwer verwundete Shosanna verzweifelt am Projektor hoch. Derweil ist auf der Leinwand Fredrick zu sehen, der seinen Gegnern entgegenschleudert: „Who wants to send a message to Germany?“. Die reale Shosanna fällt zu Boden und stirbt, die beiden Einstellungen auf der Leinwand und im Projektorraum sind parallel, Shosanna sieht von der Leinwand auf die Nazis im Auditotium herunter, so wie Fredrick auf die russischen Soldaten blickte. Und die Shosanna auf der Leinwand „antwortet“ Fredrick nun „Ich habe eine Botschaft für Deutschland.“ Das Kino triumphiert in dieser Szene in zweifacher Hinsicht über die Realität, zum einen da es eigentlich tote Personen weiterhin lebendig erscheinen lässt, zum anderen da es die gesamte Führungsriege des „Dritten Reiches“ vernichtet. Der Zuschauer weiß immer um die Märchenhaftigkeit der Handlung, insofern verfolgt Tarantino also dekonstruktive Strategien.

Die Überwindung der filmischen Geschlossenheit funktioniert auch im Kleinen, Aldos Strang-Narben verweisen auf eine historische Realität: Die Attentäter des 20. Juli wurden nicht einfach nur gehenkt, sondern es geschah auf eine besonders langsame und quälende Art. So gesehen wäre Aldo Raine als ein „wiedergekehrter gehenkter Attentäter“ zu verstehen. Bezieht man bei diesen Überlegungen ein, dass Tarantino in der Regel nach dem Prinzip „Answers first, questions later“[18] verfährt, ist bereits in der ersten Szene mit Aldo Raine eine Bestrafung für ein Fehlvergehen angedeutet – vielleicht sogar dafür, dass Raine am Ende gegen das Abkommen Landas mit den USA verstößt, den deutschen Soldaten erschießt und Landa mit einem Hakenkreuz zeichnet? Tarantino hätte mit diesem Kniff einmal mehr die Zeitstruktur gehörig durcheinander gewirbelt und Ursache und Wirkung umgekehrt.

Eine weitere Dekonstruktion, wenn auch nicht so leicht zu entschlüsseln wie die vorherigen Strategien, erfolgt in Bezug auf die Darstellung der Gewalt. Dem Zuschauer begegnet ein „ästhetischer Overkill“[19] im ganz besonderen Sinne vor allem im fünften Kapitel als die verschiedenen Rache-Aktionen während der Premiere von „Stolz der Nation“ vollzogen werden. Die Ereignisse sind trotz Dunkelheit des Kinosaals farbenprächtig, vor allem in überbordendem Rot, inszeniert. Schnelle Schnitte auf der einen Seite und Zeitlupeneinstellungen von Sgt. Donowitz auf der anderen Seite sowie eine exzessive (und oft kritisierte) Darstellung der Gewalt verlangen dem Zuschauer einiges ab. Denn dieser tappt gewissermaßen in eine Falle – kurz zuvor sehen wir im Propagandafilm Fredrick Zoller, wie er vom Kirchturm aus amerikanische Soldaten im body count-Stil tötet, und empfinden Abscheu. Nachdem infolge des Feuers Panik im Kinosaal ausbricht und „das Gesicht des Führers, diese Ikone der Unmenschlichkeit und Barbarei, im Kugelhagel der Rächer regelrecht durchsiebt [wird]“[20] und Sgt. Donowitz und Ulmar mit ihren Maschinengewehren im selben Stil wie Zoller aus der „Führer-Loge“ hinunterfeuern, ertappt man sich dabei, dies „gerecht“ zu finden – immerhin handelt es sich ja um Nazis, die da „abgeschlachtet“ werden. Doch genau mit dieser Falle gelingt es Tarantino, die Gewalt nicht zu verherrlichen oder zu glorifizieren (wie es ihm von einigen Kritikern vorgehalten wird): Durch den impliziten Vergleich mit der vorher dargebotenen Nazi-Gewalt und der Konfrontation mit dem eigenen Empfinden erschrickt der Zuschauer über sich selbst, die Gewalt wird zumindest im zweiten Gedanken auch hier abgelehnt. Diese Ablehnung baut sich schrittweise auch filmästhetisch auf, da vor allem Sgt. Donowitz zunehmend als gewaltbesessener Psychopath mit irrem Blick auf seine wehrlosen Opfer inszeniert wird. Auf diese Weise kann die Gewalt in dieser Szene auch völlig ohne satirische Überzeichnung dekonstruiert werden, indem dem Zuschauer ein Spiegel seiner eigenen Empfindungen vorgehalten wird.

Durch diese dekonstruktiven Erzählverfahren gelingt es Tarantino, die filmische Illusion aufzuheben. Daher sind sie auch zu den selbstreflexiven Elementen zu zählen, da die Künstlichkeit des Films durch sie nicht verschwiegen, sondern ganz bewusst offengelegt wird.

Der Film im Film

Vielleicht am deutlichsten inszeniert Tarantino sein Spiel mit dem Kino, da er uns im Film selbst und dort natürlich im Kino verankert einen Film im Film präsentiert. Mit „Stolz der Nation“ wird ein Werk präsentiert, das auf die nationalsozialistischen Propagandafilme anspielt und genau das zeigt, was in Tarantinos Film fehlt (und von ihm eigentlich erwartet wird?): typische Kriegs-Action, Schießereien und den body count, Zoller erschießt aus einem Kirchturm 68 US-Soldaten am ersten Tag, 150 am zweiten und 32 am dritten Tag. Zollers Geschichte erzählt also von einem jungen Menschen, der vom charmanten Mann zur Tötungsmaschine wird. Erwartet hätte man vielleicht einen Bruch mit der nationalsozialistischen Propaganda in Form einer Parodie der faschistischen Ästhetik. Dies geschieht jedoch nicht explizit durch den Film-im-Film selbst, sondern durch die Rezeption der Zuschauer: Zoller, der Star des Films, ist genervt und vom eigenen Treiben auf der Leinwand zunehmend angewidert (und erhält dadurch paradoxerweise wieder einige Zuschauersympathien), während die Nazi-Größen, allen voran Hitler und Goebbels den Film mit johlender Zustimmung und freudigem Lachen verfolgen. Vorgeführt wird hier also die Wirkung der Propagandafilme, die durch die weitere Handlung einerseits durch Zollers Reaktion gebrochen und andererseits durch einen rührseligen Goebbels, der von Hitler gelobt in Tränen ausbricht, konterkariert und der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Außerdem hätte ein „Held“ der Nazis nur ein Toter sein können, da mit dem faschistischem Todeskitsch permanent für Tod, das Töten und das Sterben geworben wurde. Ein lebender und zudem unbekümmerter junger Kriegsheld wie Zoller hätte mit Sicherheit nicht in die faschistische Propaganda gepasst.[21]

Auf den zweiten Blick zeigt sich also, dass Tarantino durch den Film-im-Film auf mehreren Ebenen mit den faschistischen Filmen, ihrer Ästhetik und ihrer Wirkung spielt.

„Wer bin ich?“ - Das Spiel im Spiel

Der Spielcharakter der Inszenierung wird dem Zuschauer schon vorher in der wohl offenkundigsten Variante vor Augen geführt, die möglich ist: Als Spiel im Spiel.

Im nächtlichen Frankreich bereiten sich Aldo, Hicox, Stiglitz und Wicki auf das Treffen mit der deutschen Spionin Bridget von Hammersmark vor, die sie über die „Operation Kino“ informieren wird. Hicox, Stiglitz und Wicki treffen sich mit ihr in einer Kellerkneipe, in der mehrere betrunkene deutsche Soldaten ein Spiel spielen, „Wer bin ich“ bzw. „Identität“. Jeder hat einen Zettel mit einem berühmten Namen auf der Stirn: „Pola Negri“, „Beethoven“, „Mata Hari“, „Winnetou“, „Edgar Wallace“ und „Dschingis Khan“. Betrachtet man den Dialog bei diesem Spiel, wird klar, dass Tarantino auch in dieser Szene auf Menschen verweist, die zwischen den Welten stehen und oft einen neuen Ort oder neuen Namen gefunden haben: „Winnetou“ fragt „Ich bin also kein Deutscher. Bin ich Amerikaner?“ Die anderen lachen und behaupten: „Nicht ganz“. „Er ist kein Amerikaner. Er soll Amerikaner sein, aber er ist keine amerikanische Schöpfung. Er ist etwas sehr Außergewöhnliches“, sagt „Edgar Wallace“. Bei diesem Spiel werden also Figuren vorgeführt, die unterschiedlich betrachtet werden können und deren Identität nicht geklärt ist. Dies lässt sich unmittelbar auf die Handlungsebene übertragen: Auch Bridget von Hammersmark, Hicox, Stiglitz und Wicki können in mehrfacher Hinsicht betrachtet werden und spielen insbesondere in dieser Szene mit ihrer Identität. Hammersmark, eigentlich berühmte deutsche Schauspielerin, arbeitet als Agentin und ist an der „Operation Kino“ beteiligt. Hicox, britischer Soldat und Filmkritiker, gibt sich als Deutscher aus, genau wie Stiglitz und Wicki, selbst Deutscher und österreichischer Jude, die sich den Basterds zur Rache an den Deutschen angeschlossen haben und nun vorgeben, der SS anzugehören. Das Spiel um die Identität in der Kellerkneipe findet also auf zwei Ebenen statt, auf der Handlungsebene und gleichzeitig auf der Darstellungsebene.

Das Ringen um die wahre Identität und das gleichzeitige Spielen mehrerer Rollen wird in der Folge noch weiter auf die Spitze getrieben. Die falsche Identität von Hicox droht entdeckt zu werden, da Major Hellstrom der merkwürdige Akzent Hicox’ nicht entgangen ist. Als er den „SS-Hauptmann“ nach seiner Herkunft fragt, behauptet Hicox er sei in einem Dorf am Fuße des Piz Palü geboren und dort sprächen alle so wie er. Ganz der Filmkritiker verweist er in dieser Situation auf den Pabst-Film, da er behauptet, er sei in „Piz Palü“ in einer Ski-Szene mit Fackeln zu sehen gewesen, zusammen mit seinem gutaussehenden Bruder, der vom Regisseur sogar in einer Nahaufnahme gezeigt wurde. Als Bridget ihm lachend beipflichtet, dass sein Bruder tatsächlich besser aussehe, scheint Hellstrom die Geschichte zu glauben. Dieser Verweis wiederum kann in mehrfacher Hinsicht gedeutet werden. Zunächst wird ein Film als Referenz herangezogen, um die eigene – in diesem Fall vorgespielte – Identität zu beweisen. Daneben kann der Rückgriff auf „Piz Palü“ nur als sehr treffend gedeutet werden, da es in diesem Film wie bei den Basterds um eine offene Rechnung geht, die beglichen werden soll. Durch die Identifizierung mit diesem Film und damit seines Plots gibt Hicox gewissermaßen zu erkennen, dass auch er eine offene Rechnung begleichen will.

Hellstrom schlägt dann vor, das Spiel „Wer bin ich“ fortzusetzen. Er bekommt den Zettel „King Kong“, Bridget erhält „Marco Polo“, Wicki ist „Bulldog Drummond“, Hicox ist „Brigitte Helm“ und Stiglitz „G.W. Pabst“.

Der Diskurs um Georg Wilhelm Pabst zieht sich damit wie ein roter Faden durch das Geschehen und die Dialoge und ist insofern auch als Film gegen Leni Riefenstahl zu sehen, die für ihre nationalsozialistischen Propagandafilme und die Glorifizierung der nationalsozialistischen Ästhetik bekannt wurde, während sich Pabst diesem entzog.[22] Auch mit der zu erratenden „Brigitte Helm“ befinden wir uns im Film-Milieu, da es sich bei Brigitte Helm um die Hauptdarstellerin in Fritz Langs „Metropolis“ aus dem Jahre 1927 handelt. Daneben ist „King Kong“ ein zeitgenössischer Verweis, da das vielleicht bekannteste Film-Monster der Geschichte 1933 eigens für den Film „King Kong und die weiße Frau“ von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack erfunden wurde. Tarantino zeigt uns also ein Spiel, bei dem es um Aspekte der populären (Film-)Kultur geht und die die Figuren seiner Diegese wiedererkennen müssen. Im Zentrum stehen dabei eine Filmfigur, eine Schauspielerin und ein Regisseur – es werden also alle wichtigen Beteiligten vorgeführt, ohne die ein Film nicht funktionieren kann.

„Bulldog Drummond“ ist eine fiktive Roman-Gestalt, deren Hintergrund stark militärisch und patriotisch geprägt ist. Auch dies ist als Verweis auf die zeitgenössische Populärkultur zu verstehen, da die „Bulldog Drummond“-Geschichten zwischen 1920 und 1954 veröffentlicht wurden. Daneben funktioniert diese Figur aufgrund ihres ausgeprägten Rassismus’ als Spiegelung des Tarantino-Plots, da sich auf vielen Ebenen bei den „Basterds“ Rassismus finden lässt – angefangen beim Judenjäger Landa bis hin zur Liebesgeschichte der Jüdin Shosanna mit dem Schwarzen Marcel. In dieser Szene in der französischen Kneipe wird der Verweis auf rassistisches Denken durch „King Kong“ explizit. Hellstrom alias „King Kong“ verfolgt die Spur, gegen seinen Willen und in Ketten nach Amerika gebracht worden zu sein und glaubt, er sei „die Geschichte der Neger in den USA“, was allseits verneint wird. Aber die Ketten bringen ihn schließlich darauf, dass er nur der Riesenaffe aus dem exotischen Land sein kann.[23] „Marco Polo“ schließlich steht für einen Grenzgänger par excellence, dessen Glaubwürdigkeit bis heute umstritten ist. Das Spiel mit der Identität funktioniert also nicht nur in doppelter Hinsicht (als Spiel und für die Agenten und Spione), sondern auch, um grundlegende Aspekte der Handlungsführung auf der Darstellungsebene zu spiegeln.

Bruch mit Stereotypen und Kino-Mythen

Abgesehen von einzelnen selbstreflexiven Elementen, durch die Tarantino die filmische Illusion durchbricht und permanent auf die Künstlichkeit des Mediums verweist, räumt er auch auf inhaltlicher Ebene mit einigen Kino-Mythen auf.

Das Kino wurde bis in die heutige Zeit hinein von faschistischen Zeichen und Bildern geprägt, da sich bislang kein Filmschaffender traute, sich der historischen Wirklichkeit zu widersetzten. Insofern entstand ein (filmischer) Diskurs, der bestimmte Elemente von Weltkrieg und Naziverbrechen weiter fortschrieb und das (Geschichts- und Film-)Bewusstsein der Zuschauer prägte. Das Ende der Nazis kann daher nur im Kino stattfinden und nicht etwa auf dem Schlachtfeld oder im Gerichtssaal. Dieses Ende erreicht Tarantino, indem er verschiedene Partikel aus den Faschismus- und Kriegserzählungen herausreißt und neu sortiert.

Hans Landa und Aldo Raine beispielsweise bilden keine früheren Filmfiguren ab, sondern rebellieren geradezu gegen typischen Abbildungen, wie die des „kultivierten“ Nazis, der seine bestialische Seite niemals verdecken kann. Christoph Waltz spielt vielmehr einen Nazi, der zugleich alle Klischees erfüllt und doch unterläuft. Landa denkt überhaupt nicht an Ideologie, an das Reich und die Rasse, sondern nur an sich selbst. Er spricht so gut Französisch wie Englisch und Italienisch, kann Musik und Literatur zitieren und würde seine Kenntnisse sofort einem anderen System zur Verfügung stellen. Damit widerspricht Landa dem typischen Klischee des Nazi, der sich vielleicht eine Maske aufsetzt, aber nie seine barbarische Seite verdecken kann ebenso wie dem Irrglauben, dem Faschismus könne durch Bildung begegnet werden.

Auch die Guten sind keineswegs gut, sie sind nur etwas weniger schlecht und haben vielleicht die besseren Gründe, böse zu sein. Denn nicht nur die Nazis sind von Rassismus und Gewalt geprägt, sondern auch die Basterds, da ein Element der Läuterung völlig fehlt. Die „Helden“ verhalten sich wie die barbarischen Schlächter (zumindest im Kino, als sie auf die gefangene Menge feuern). Auch die flüchtende Jüdin ist alles andere als ein Opferlamm und schreckt auf ihrem Weg zur Verwirklichung ihrer Rache vor keinerlei Gewalt zurück. Shosanna, „die Gute“, hat das Handwerk des schmutzigen Kriegs gelernt, da sie Gaspar als Kollaborateur beschimpft und mit einem Beil bedroht, damit er ihren Film entwickelt. Sie ist bereit, für ihre Rache das individuelle Leiden und die Angst des Menschen zu benutzen. Auch Zoller erscheint einerseits als charmanter junger Mann, andererseits als sadistischer Kriegsheld. Insofern kommen alle Formen von Gewalt, Kollaboration, Macht und Revolte in „Inglourious Basterds“ in mehreren Formen und Abstufungen vor. „Jede der handelnden Figuren ist ziemlich ähnlich auf der anderen Seite vorstellbar, jede bezieht sich auch wiederum auf eine Figur der anderen Seite, jede Figur entwendet Gesten, Sprache und Zeichen der anderen Seite, jede schlägt den Gegner, indem sie sich in die Figur der anderen Seite hineinversetzt, jede Figur bekämpft die andere Seite mit deren Mitteln und so weiter.“[24] Tarantino entwickelt auf diese Weise einen Film, in dem er sich gegen klassische Stereotype wendet und die Opfer- und Täterrollen ständig wechseln. Man glaubt auch zunächst von SS-Oberst Landa, dass er am Ende gewinnt – dann wäre „Inglourious Basterds“ ein weiterer Film, bei dem man ohnmächtig zusehen muss, wie das Böse tückisch triumphiert. Doch nicht so bei den „Inglourious Basterds“ – der Rachetraum der jüdischen Opfer erfüllt sich.

Dies unterstreicht Tarantino auch filmästhetisch, da er sich niemals dem faschistischen Todeskitsch unterwirft, nie sieht die Kamera mit dem faschistischen Blick und lässt sich auf Distanz halten – Tarantino begegnet seinen Nazis auf Augenhöhe und zwingt sie dadurch nieder.[25] Mit den bildlichen Zeichen des Nazi-Kitsch räumt er schließlich ebenso gründlich auf und lässt sie in den Flammen des Kinos gleich mit untergehen, „[…] das Kino wird, so kann man das auch sehen, „systematisch“ gereinigt von den kontaminierten Codes.“[26]

Tarantino entwickelt auf diese Weise nicht nur einen völlig neuen „Was wäre wenn“-Gestus (da bislang alle Alternativen zur historischen Realität von einem Szenario ausgingen, in dem Hitler überlebt), sondern setzt ebenso klassische Kino-Klischees und Diskurse, die in den Mainstream-Erzählungen verborgen sind, außer Kraft. Dies kann nur als selbstreflexiv angesehen werden, da Tarantino sich all die großen Kino-Mythen vornimmt und genau das mit ihnen macht, was eigentlich nicht erwartet wird: Tarantino weiß um diese Erwartungen und hält ihnen gewissermaßen einen Spiegel vor, indem er sie bewusst unterläuft.

Schlussbemerkung: Selbstreflexivität vs. Selbstreferentialität

Neben den selbstreflexiven Elementen zeichnet sich Tarantinos Werk in hohem Grad durch selbstreferentielle Bezüge aus, da er nicht nur Bezüge innerhalb des Systems Film herstellt, sondern vielfach Bezüge innerhalb des „Systems Tarantino“.

Beispielhaft hierfür ist die Szene in Kapitel 5 als – wie in jedem Taranino-Film – nackte Damenfüße gezeigt werden, was in dieser Handlung eigentlich überhaupt nicht nötig wäre, denn Landa weiß bereits, dass Hammersmark an dem Treffen mit den Basterds beteiligt war. Doch während der Premiere von „Stolz der Nation“ bittet er sie in Shosannas Büro und untersucht ihren Fuß. Dann holt er den Schuh, den er in der Taverne gefunden hat, probiert ihn an ihrem Fuß und überführt sie damit (fast wie in einem umgekehrten Cinderella-Märchen). Doch damit nicht genug, während Landa die deutsche Schauspielerin erwürgt, werden ihre im Todeskampf zuckenden Füße in einer Großaufnahme gezeigt – wodurch ein Tarantino-Trademark auch bei den „Basterds“ eingebaut wäre. Bezeichnenderweise gelingt es Tarantino in dieser Szene sogar, ein weiteres Markenzeichen einzubauen, den Cameo-Auftritt. Denn es sind nicht die Hände von Christoph Waltz, die in dieser Szene den Tod von Bridget von Hammersmark herbeiführen, sondern die Hände des Regisseurs selbst.

Daneben ließen sich weitere Selbstreferenzen Tarantinos anführen (Samuel L. Jackson als Erzähler, der in jedem Film ein Engagement erhält; der Mexican-Standoff in der Taverne; ein junges Mädchen muss die Ermordung seiner Eltern ansehen; der trunk shot als Blick des am Boden liegenden Opfers auf die Bastarde, die sich über ihn beugen), die nicht einfach irgendwo auftauchen, sondern an absolut überraschenden Stellen und in unerwarteten Zusammenhängen, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:

Das Spiel „Wer bin ich“ beinhaltet Aspekte einer in den 1930ern zeitgenössischen Populärkultur, da Bezug genommen wird auf die damals aktuelle Filmkultur. Dies lässt sich ebenfalls als Selbstreferenz deuten. Tarantino ist bekannt dafür, dass er Elemente der Populärkultur in seine Filme einflechtet (Bsp. Dialog über Madonnas Song „Like a virgin“ in „Reservoir Dogs“) und es schafft, die Schere zwischen Popkultur und Hochkultur zu verringern. In einem Film über den Zweiten Weltkrieg ist dies allerdings nicht zu erwarten, da logischerweise keine Bezüge zur heutigen Popkultur hergestellt werden können. Doch Tarantino gelingt es dennoch, einen Diskurs über die „aktuelle“ Popkultur einzubauen, wenn man die Gespräche über G.W. Pabst, Leni Riefenstahl, Filme der 1920er und 1930er in ihrer zeitgenössischen Aktualität bedenkt.

[...]


[1] Seeßlen, Georg: Quentin Tarantino gegen die Nazis: Alles über Inglourious Basterds, Berlin 2009, S.8.

[2] Ebd., S. 15 ff.

[3] Fischer, Robert/ Körte, Peter/ Seeßlen, Georg: Quentin Tarantino, 4. erweiterte und neu bearbeitete Aufl., Berlin 2004, S. 8.

[4] Eder, Jens: Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre, in: Ders. (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre(Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 12), 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 9-61, hier S. 11.

[5] IMDb.com: Movie connections for Inglourious Basterds (2009), in: IMDb. The Internet Movie Database, http://www.imdb.com/title/tt0361748/movieconnections, Zugriff 07.03.2010.

[6] Eder 2008, S. 15.

[7] Bleicher, Joan: Zurück in die Zukunft. Formen intertextueller Selbstreferentialität im postmodernen Film, in: Eder, Jens (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre (Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 12), 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 113-132, hier S. 113.

[8] vgl. die Ausführungen zur Selbstreflexivität und einer Typologie selbstreflexiver Filme in Kirchmann, Kay: Zwischen Selbstreflexivität und Selbstreferentialität. Überlegungen zur Ästhetik des Selbstbezüglichen als filmischer Modernität, in: Amann, Frank/ Kalten ecker, Siegfried/ Keiper, Jürgen: Film und Kritik 2. Selbstreflexivität im Film, Frank furt/M. 1994, S. 23-38, hier S. 24-28.

[9] Kohns, Oliver: Modelle der Traditionsbildung in Kill Bill: Verrat, Mord, Rache, in: Geisenhanslüke, Achim/ Steltz, Christian: Unfinished Business. Quentin Tarantinos “Kill Bill” und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften, Bielefeld 2006, S. 159-172, hier S. 167.

[10] Seeßlen 2009, S. 18.

[11] zitiert nach Seeßlen 2009, S. 26.

[12] Seeßlen 2009, S. 26.

[13] Seeßlen 2009, S. 134 und S. 137.

[14] Seeßlen 2009, S. 87.

[15] Schweinitz, Jörg: Film und Stereotyp. Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, Berlin 2006, S. 121.

[16] Metz Christian: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films (Film und Medien in der Diskussion 6), Münster 1997, S. 52.

[17] Bleicher, Joan: Die Intermedialität des postmodernen Films, in: Eder, Jens (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre (Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 12), 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 97-112, hier S. 103.

[18] Nagel, Uwe: Der rote Faden aus Blut. Erzählstrukturen bei Quentin Tarantino, Marburg 1997, S. 29.

[19] Sobottka, Eva: Im Zeichen des Drachen. Das Actionkino der 90er Jahre, in: Eder, Jens (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre (Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 12), 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 169-190, hier S. 172.

[20] Saupe, Achim: Kill Hitler. Die Inglourious Basterds auf Rachefeldzug. Über Quentin Tarantinos Inglourious Basterds und Georg Seeßlens „Quentin Tarantino gegen die Nazis“, in: Zeitgeschichte-online September 2009, http://zeitgeschichte-online.de/portals/_Rainebow/documents/pdf/BasterdsSaupe.pdf, Zugriff 21.01.2010.

[21] Seeßlen 2009, S. 68 f.

[22] Seeßlen 2009, S. 82.

[23] Seeßlen 2009, S. 82 f.

[24] Seeßlen 2009, S. 147.

[25] Seeßlen 2009, S. 154 f.

[26] Ebd., S. 172.

Ende der Leseprobe aus 132 Seiten

Details

Titel
Inglorious Basterds: Tarantinos Nazijäger. Die Umerzählung von Geschichte
Autoren
Jahr
2013
Seiten
132
Katalognummer
V232107
ISBN (eBook)
9783656480181
ISBN (Buch)
9783956870606
Dateigröße
1415 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inglorious, basterds, tarantinos, nazijäger, umerzählung, geschichte
Arbeit zitieren
Britta Wehen (Autor:in)Yannick Lowin (Autor:in)Marc Backhaus (Autor:in)Katharina Ströhl (Autor:in), 2013, Inglorious Basterds: Tarantinos Nazijäger. Die Umerzählung von Geschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232107

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