Soziales Sicherungssystem als Regierungspraktik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

47 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Einführung in die das Praxisparadigma nach Andreas Reckwitz als Untersuchungsmethodik auf das Soziale

2. Macht – Definition Entwicklung und Analyse
2.1. Machtverständnis bei Max Weber und Norbert Elias
2.2. Machtkonzeption bei Michael Foucault
2.3. Zusammenfassung, Einordnung und Schwerpunktlegung der Machtkonzeption Foucaults auf sein Konzept der Gouvernementalität
2.4. Der Staat und die Kunst zu regieren – Eine kurze Entwicklungs- geschichte von Praktiken der Disziplinierung hin zu Praktiken des sozialen Sicherungssystems

3. Das soziale Sicherungssystem in der Krise – Eine Analyse von Machtpraktiken des Regierens
3.1. Regierungskrise oder von Finanzierungsproblemen einer Regierungspraktik (demographische Daten, Haushalt)
3.2. Retro- oder Neo-, der Staat auf der Suche nach neuen (alten) Machtpraktiken
3.3. Depression oder Aufbruch, der Akteur zwischen Chance und Risiko

4. Zusammenfassung, Fazit

5. Anhang

6. Literaturliste

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin,

weder von der Macht der anderen,

noch von der eigenen Ohnmacht

sich dumm machen zu lassen.

Theodor W. Adorno (Minima Moralis, Erster Teil, 1944)

1. Einleitung

In der hier vorliegenden Arbeit wird es um das soziale Sicherungssystem Deutschlands gehen, wobei hier nicht eine politische oder demokratische Entwicklung und Bestandaufnahme des sozialen Sicherungssystems in Angriff genommen werden soll, sondern vielmehr stellt diese Arbeit einen Versuch dar eine soziologische oder spezieller gesagt eine praxeologische Perspektive auf das soziale Sicherungssystem zu gewinnen. Ziel dieses neuen Blickwinkels ist die Herausbildung einer neuen Sichtweise auf, bzw. Herangehensweise an das soziale Sicherungssystem herauszubilden. Als zentrale Leitfrage fungiert demzufolge, ob sich das soziale Sicherungssystem als „Regierung“ wie sie Foucault in seiner Konzeption von Macht beschreibt, bzw. als „Regierungskunst“ wie sie von den Studien der Gouvernementalität aufgegriffen wurden, begreifen lässt. Diese Regierungskunst wird praxeologisch eingeordnet und gezeigt das Foucaults Regierung oder Regierungskunst auch als Regierungspraktik, bzw. als Regierungspraktiken aufgefasst werden kann.

Aus der Klärung dieser Fragestellung ergeben sich weitere Fragen, die sich mit der aktuellen Lage des sozialen Sicherungssystems, die krisenhaft ist, befassen. Fragen, die sich mit der Zukunft des sozialen Sicherungssystems auseinandersetzen, bzw. der Frage was eine Demission oder ein Wegbrechen des aktuellen sozialen Sicherungssystems aus praxeologischer Sicht für Folgen in Bezug auf den Staat und den Akteur hat. Demzufolge werden aus dem neu gewonnenen Blickwinkel mögliche Perspektiven sowohl für die Regierungskunst des Staates, als auch in Bezug auf die Wirkung der Regierungspraktiken auf den Akteur, bzw. auf sein Möglichkeitsfeld aufgezeigt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Zusammenspiel, bzw. den Wechselwirkungen zwischen Herrschaftstechniken des Staates und Selbsttechniken des Akteurs. Als Arbeitsauftrag, bzw. als Ziel dieser Arbeit muss demzufolge der Perspektivenwechsel auf das soziale Sicherungssystem betrachtet werden, mit dessen Hilfe sich dieses sowohl praxeologisch begreifen und in Foucaults Machtkonzeption einbinden, als auch zur Analyse der aktuellen Situation des sozialen Sicherungssystems gebrauchen lässt.

Im einzelnen wird dabei wird dabei folgender Weg beschritten: Zunächst wird das Praxisparadigma als Untersuchungsmethode dieser Arbeit im Rahmen dieser Einleitung anhand von Reckwitz eingeführt (Kapitel 1.1). Hierbei wird der Schwerpunkt auf Alltags-Praktiken liegen, welche zurückzuführen sind auf implizites Wissen, das den Akteuren und wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu sehen sein wird auch dem Staat innewohnt und diese Praktiken, bzw. die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens bedingen. Außerdem ist das Spannungsfeld aus Routinisiertheit und Unberechenbarkeit von Praktiken für diese Arbeit hochinteressant, da die Veränderung von den zu untersuchenden politischen Praktiken auf sich wandelnden, historischen Kontexten basiert, welche somit ihrerseits die Unberechenbarkeit der politischen Praktik bedingen.

Um in einem nächsten Schritt Foucaults Machtkonzeption, also Macht so wie Foucault sie sieht (Kapitel 2.2) zu behandeln, wird zunächst ein kleiner Exkurs auf klassische Machtverständnisse (hier im Sinne von Max Weber und Norbert Elias) gemacht (Kapitel 2.1), um an den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zur Machtkonzeption bei Foucault, das Neue, Innovative, bzw. den Paradigmenwechsel dieser deutlicher zu sehen und zu verstehen. Das Machtverständnis Max Webers ist aufgrund seiner definitorischen Engführung eher als Herrschaftsverständnis zu bezeichnen und stellt einen Zweck- und Normorientierten Ansatz dar, wovon sich Foucault Machtkonzeption deutlich absetzt. Abschließend zeigt diese Arbeit Norbert Elias Theorie des Zivilisationsprozesses auf, dessen Verständnis von Macht einer Form von Subjektivierung, im Sinne einer Verinnerlichung von Fremdzwängen gleicht, woraus er eine zivilisatorische Entwicklung konstruiert. Gerade diese Verinnerlichung von Fremdzwängen greift Foucault erneut auf, modifiziert sie und koppelt diese dann, von ihm als Selbsttechniken bezeichnet, mit bestehenden Techniken des Regieren, oder auch Herrschaftstechniken wie Foucault diese nennt, wobei dieser „Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise der Selbstführung verknüpft ist, kann nach meiner (Foucaults) Auffassung Regierung genannt werden“ (Foucault 1993: 203f.; Übersetzung Lemke; zit. nach Lemke 2001: 89, Hervorhebung des Autors).

Anhand dieser Regierungskonzeption Foucaults kann sowohl Macht und dessen Wirkung sehr gut eingeordnet und nachvollzogen und wie im Kapitel 2.3 zu zeigen sein wird mit dem praxeologischen, den Praktiken zugrunde liegenden impliziten Wissen, verbunden werden. Dieses Kapitel fasst noch einmal alle wesentlichen Elemente des vorangegangenen Kapitels, also des Regierungskonzepts Foucaults zusammen und akzentuiert, bzw. ergänzt diese (mit Blick hin auf die Fragestellung dieser Arbeit) unter dem Begriff der Gouvernementalität. In diesem Kapitel verbindet sich das Praxisparadigma mit der Regierungskonzeption Foucaults, indem sich aus der Symbiose beider eine gemeinsame Perspektive entwickelt, mit der Macht, bzw. wirkende Machtpraktiken und das dafür zugrunde liegende Wissen unter einer neuen Perspektive untersucht werden kann. Hierbei findet im Sinne der Fragestellung auch eine Schwerpunklegung auf die staatliche Macht, d.h. auf politische Machtpraktiken oder wie die Gouvernementalität selbst durch ihren Namen aussagt die Kunst zu regieren, statt.

Nach der Symbiose des Praxisparadigmas mit der Machtkonzeption Foucaults unter dem Begriff der Gouvernementalität wird in Kapitel 2.4 zur Verortung des sozialen Sicherungssystems ein historischer Abriss über Regierungspraktiken oder die Kunst zu Regieren stattfinden, mit dem Ziel soziale Sicherungssysteme als Regierungspraktik zu begreifen. Außerdem führt das Aufzeigen dieser historischen Entwicklung von Regierungspraktiken, angefangen von Disziplinierungspraktiken über Praktiken der pastoralen Macht, zu der Erkenntnis, dass das soziale Sicherungssystem nicht als separat bestehende Machtpraktik zu begreifen ist, sondern das dieses vielmehr im historischen Kontext verortet und sich in Folge von gesellschaftlichen, staatlichen Umbrüchen und neuen Kontexten ausgebildet und insofern auch in diesen gedacht und verstanden werden muss.

Diese Erkenntnis verfolgend, dass sich Regierungspraktiken historisch konstituieren und wandeln, analysiert das vierte Kapitel indem es die entwicklungsgeschichtlichen Linie fortsetzt, die aktuelle Lage des sozialen Sicherungssystems (Kapitel 3.1), welches sich in dem Kontext einer großen Finanzierungskrise befindet, wodurch seine Zukunft keinesfalls als gesichert gelten kann. Unter der vorher gewonnenen Perspektive von Macht, Praktiken und ihren Wechselwirkungen, auch in Bezug auf den Akteur, hätte aber ein Wegbrechen dieses sozialen Sicherungssystems (was mit Blick auf die historische Entwicklung, den Wandel von Regierungspraktiken und die aktuelle Krise nicht unwahrscheinlich ist) weitreichende Folgen sowohl für den Staat, als auch für den Akteur. Dieser Problematik widmet sich Kapitel 3.2, indem der Versuch unternommen wird, anhand von drei verschiedenen Szenarien aufzuzeigen, wie die Regierungspraktik der Zukunft aussehen könnte. Eine Berücksichtigung finden hierbei sowohl eine (alte) neue Machtpraktik, wie der zukünftige Rückfall in die Regierungspraktiken der Disziplinierung, als auch der Verlust von Einfluss über die Akteure durch Kürzung des sozialen Sicherungssystems auf ein Existenzminimum. Aber auch neue Machtpraktiken die sich aktuelle Kontexte sowohl auf Seiten des Staates, als auch auf Seiten des Akteurs zu nutzen machen werden in den Szenarien berücksichtigt. Letztendlich soll durch den Einsatz der Szenarien, erstens ein Reaktionsfeld von Möglichkeiten des Staates auf die Krise zu reagieren, aufgemacht werden und dieses zweitens auf wirkende Praktiken, implizites Wissen und Folgen für den Staat und den Akteur untersucht werden. Hierbei kann gezeigt werden, dass die Form der Neo-Sozialen Sicherungssysteme unter Beteiligung von politischen Praktiken und Selbsttechniken der Akteure das wahrscheinlichste Szenario darstellen.

Das letzte Kapitel (Kapitel 3.3) befasst sich exemplarisch mit einem der in Kapitel 3.2 aufgezeigten Szenarien und verknüpft dieses mit den Wechselwirkungen von Herrschafts- und Selbsttechniken und den für den Akteur resultierenden Konsequenzen. Diese Konsequenzen für den Akteur bewegen sich zwischen den zwei Polen der Depression und der Chance und letztendlich wird nur die Zukunft zeigen, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Diese Arbeit sollte aber nicht enden, ohne aus dieser Wechselbeziehung von Staat und Akteur, von Herrschafts- und Selbsttechniken einen gemeinsamen Weg in die Zukunft aufzuzeigen, der nicht in die Depression führt, sondern sich eben auf den Pol der Chance stützt. Dieser Weg wurde vorhin bereits als „Neo-Soziales Sicherungssystem“ bezeichnet und kann als eine neue Form der Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme unter individueller Beteiligung charakterisiert werden.

1.1. Einführung in das Praxisparadigma als Untersuchungsmethodik des Sozialen

Im Gegensatz zu früheren Zeiten als die Sozialwissenschaften auf der Suche nach Wahrheit und Objektivität den Naturwissenschaften nacheiferten, hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Wandel im soziologischen Denken eingesetzt. So muss heutzutage nicht mehr jede Untersuchung den Postulaten der quantitativen Sozialforschung wie der Repräsentativität oder Allgemeingültigkeit genügen, dagegen ist es möglich und in vielen Fällen sinnvoll die Untersuchungsmethodik dem Untersuchungsobjekt, -zweck und -ziel dergestalt anzupassen, dass neue Perspektiven in Bezug auf den Untersuchungsgegenstands eingenommen werden können. Das Ziel dieser Hausarbeit wird dementsprechend auch nicht die Suche nach der allgemeingültigen, repräsentativen Wahrheit in Bezug auf Macht und ein soziales Sicherungssystem sein, auch nicht das Aufzeigen von Zweckorientierten und Normbestimmten Handeln und Verhalten von Staaten und Akteuren, vielmehr soll hier eine neue Perspektive auf diese Themen – nämlich die praxeologische – eingenommen und gewonnen werden.

Das Praxisparadigma ist infolge des Cultural Turns aus vier unterschiedlichen philosophischen Strömungen entstanden und zwar der phänomenologisch-hermeneutischen Tradition, des Strukturalismus, der Spätphilosophie Wittgensteins und des Pragmatismus.1 Hierbei übernimmt das Praxisparadigma verschiedenste Elemente der vier philosophischen Wurzeln, bzw. wendet diese philosophischen Traditionen sozialtheoretisch an und entwickelt so ein Paradigma, mit dem sich das Soziale nicht nur verstehbar, sondern auch erklärbar macht. Hierbei wird das Soziale weder intersubjektiv noch normgeleitet erklärt, „sondern in der Kollektivität von Verhaltensweisen, die durch ein spezifisches praktisches Können zusammengehalten werden“ (Reckwitz 2003: 289), demzufolge bringen Akteure ihre sozialen Praktiken, ihr Handeln, dadurch hervor, „... daß sie über einen ’Vorrat’ an – in der Regel kollektiv geteiltem und implizit bleibendem – Wissen verfügen“ (Reckwitz 1999: 26). Für diesen Vorrat an Wissen gibt es bisher noch keine einheitliche Bezeichnung, es werden Begriffe wie Wissensschemata, Code, Habitus, etc. in Abhängigkeit vom Autor verwendet, hier soll im folgenden von impliziten Wissen gesprochen werden. Dieses implizite Wissen ist wechselseitig abhängig, bzw. steht in Relation zur sozialen Praxis, indem es einerseits routinenisiertes Handeln ermöglicht, bzw. so genannte „tools“ zur Bewältigung des Alltag bereitstellt und anderseits erst durch die Anwendung eben dieser konstituiert werden. An diesem impliziten Wissen richten die Akteure ihr soziales Handeln, welches im folgenden in Anlehnung an Reckwitz mit Praktik oder Praktiken bezeichnet wird, aus. Doch so sehr dieses implizite Wissen auch das Handeln bedingt, so determiniert es dieses dennoch nicht, lediglich die Auftretenswahrscheinlichkeit von Handlungen gemäß dem dieser Handlung zu Grunde liegendem impliziten Wissen wird erhöht, indem sie dem Akteur – der seine Handlungen unter Zeitdruck ausführen muss – routinisiertes Handeln durch Wiederholen der Praktik ermöglichen.

Des Weiteren geht das Praxispradigma von einer Materialität der Praktiken aus, die einerseits Ausdruck findet in der Materialität von Körpern und anderseits in der Materialität von Artefakten (man sprich hier auch von der Inkorporierung von Wissen), womit den Körpern und Artefakten durch das ihnen innewohnende Wissen eine sinnhafte Bedeutung zukommt und hierdurch erst Handeln in Bezug auf diese Körper und Artefakte ermöglicht wird.

Um das Praxisparadigma sozialwissenschaftlich nutzen zu können bedarf es zunächst noch einiger weiterführender Annahmen, die hier kurz skizziert werden, da mit diesen in den folgenden Kapiteln weiter gearbeitet wird.

Praxeologische Forschung beginnt mit dem Aufzeigen und der Analyse von angewandten Alltagspraktiken und der Herausarbeitung von zugrunde liegendem impliziten Wissen, wobei diese Atomisierung von Lebensformen und Feldern auf die einzelnen Praktiken eine neue Perspektive auf das Forschungsobjekt ermöglicht. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass Praktiken nicht nur intersubjektiv (Interaktion von Akteur zu Akteur), sondern auch interobjektiv (auf Objekte, bzw. hier Artefakte) und als „Technologien des Selbst“ (der Akteur auf sich selbst) existieren und Wirkung haben.

Als letztes wichtiges Element des Praxisparadigmas ist noch die Logik der Praxis zu nennen, die in sich den eigentlichen Widerspruch zwischen der Routinisiertheit der Praktiken einerseits und der Unberechenbarkeit der Praktiken anderseits vereint. So führt Reckwitz zur Routinisiertheit an: „Einmal vermitteltes und inkorporiertes praktisches Wissen tendiert dazu, von den Akteuren immer wieder eingesetzt zu werden“ (Reckwitz 2003: 294), wodurch es sich gleichzeitig selbst konstituiert und erhält. Zur Logik der Praxis gehört aber gleichermaßen auch die Unberechenbarkeit der Praktiken, bzw. Offenheit der Praktiken für Veränderung hinzu, die Reckwitz anhand von vier Eigenschaften der Praktiken aufzeigt (vgl. Reckwitz 2003: 294-297).

Erstens kann die Kontextualität, in der die Praktik angewandt wird, eine Modifizierung der Praxis dann notwendig machen, wenn der Kontext dieses erfordert oder z.B. neue Artefakte die Anpassung vorhandener Praktiken an diese erfordern. Zweitens führt er die Zeitlichkeit des Vollzuges einer Praktik als Element der Unberechenbarkeit an, die sowohl auf der Zukunftsungewissheit einer Handlung beruht, als auch eine Sinnverschiebung ermöglicht, da „die immer wieder neue Anwendung der Praktik nur im Grenzfall als eine identische Wiederholung – gleich der Generierung kopienhafter ‚tokens’ aus einem ‚type’ – zu denken“ (Reckwitz 2003: 295; Hervorhebungen im Original) ist. Als dritte Begründung für Unberechenbarkeit nennt Reckwitz die „lose gekoppelten Komplexe von Praktiken“ in verschiedenen Lebensformen und Feldern, also dass Praktiken niemals isoliert voneinander auftreten, was zu Unregelmäßigkeiten führen kann, da die einzelnen Praktiken nicht widerspruchsfrei sind und dieses möglicherweise zu Konkurrenzsituationen der Praktiken führt. Ähnlich sieht es mit der vierten Begründung aus, die ebenfalls die Unsicherheitsquelle in den „lose gekoppelten Komplexen von Praktiken“ ausmacht, dieses Mal nicht in Bezug auf Lebensformen und Feldern, sondern in Bezug auf den Akteur, „der den Kreuzungspunkt unterschiedlicher Verhaltens/Wissenskomplexe sozialer Praktiken darstellt, ein mehr oder minder loses Bündel von praktischen Wissensformen: in deren Heterogenität, Nicht-Aufeinanderabgestimmtheit, ... findet sich ein Potential für die Unberechenbarkeit des Verstehens und Verhaltens des Einzelnen und für die kulturelle Transformation der Praxis“ (Reckwitz 2003: 296).

Die dem Praxisparadigma zugrunde liegenden Elemente, die hier soeben vorgestellt wurden, gilt es nun im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder aufzuzeigen und zu verfolgen. Es muss das Ziel sein Machtpraktiken zu isolieren und deren routinisierende Wirkung, aber auch ihre Unberechenbarkeit aufzuzeigen. Außerdem wird zu zeigen sein wie sich der Staat dieser Machtpraktiken bedient und wie diese konkret aussehen, aber auch welche Praktiken die Akteure benutzen und wie dieses im Kontext der staatlichen Machtpraktiken vonstatten geht. Hierzu wird in Kapitel 2.3 der Versuch gewagt das Praxisparadigma, wie es hier vorgestellt wurde, mit der Machtkonzeption von Foucault zu verbinden, da der Machtkonzeption von Foucault, bzw. seinem Konzept der Regierung meiner Meinung nach vielerlei Praktiken (sowohl des Staates, als auch der Akteure) innewohnen und sich somit sowohl die Machtkonzeption von Foucault als auch das vorgestellte Praxisparadigma stark verwandt sind in Bezug auf die Art und Weise soziales Handeln zu begreifen, bzw. in Bezug auf ihre (Aus-) Wirkungen.2

[...]


1 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Praxisparadigmas aus den vier philosophischen Strömungen findet sich bei Reckwitz (Reckwitz 1999).

2 Hierbei soll nicht behauptet werden, dass es sich bei einer Theorie der Praxis, bzw. einem Praxisparadigma und der Machtkonzeption wie Foucault sie beschreibt um ein und das Selbe handelt, vielmehr wird versucht sich beide, auch in der Synthese, quasi als kongeniale Partner, nutzbar zu machen für eine Analyse der sozialen Sicherungssysteme, wie sie hier angestrebt wird.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Soziales Sicherungssystem als Regierungspraktik
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar Theorie der Praxis
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
47
Katalognummer
V23197
ISBN (eBook)
9783638263658
ISBN (Buch)
9783638719490
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
-Eine sozialwissenschaftliche Machtanalyse nach Foucault- Beschreibung: Soziologische, bzw. praxeologische Perspektive auf das soziale Sicherungssystem. Zentrale Leitfrage ist hierbei, ob sich unser soziale Sicherungssystem als 'Regierung' wie sie Foucault in seiner Konzeption von Macht beschreibt, bzw. als 'Regierungskunst' wie sie von den Studien der Gouvernementalität aufgegriffen wurden oder gar als Regierungspraktik im Sinne Reckwitz begreifen läßt.
Schlagworte
Soziales, Sicherungssystem, Regierungspraktik, Hauptseminar, Theorie, Praxis
Arbeit zitieren
M. A. Samuel Falk (Autor:in), 2004, Soziales Sicherungssystem als Regierungspraktik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23197

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