Das Künstlerhaus Behrens

Zwischen Innovation und Politisierung


Seminararbeit, 2010

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Innovation
I.1. Behrens vor Darmstadt
I.2. Die Entstehung der Künstlerkolonie
I.3. Beschreibung
I.4. Interpretation

II. Politisierung

Resümee

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildungen

Das Künstlerhaus Behrens

Zwischen Innovation und Politisierung

Einleitung

Das als Gesamtkunstwerk angelegte Wohnhaus auf der Mathildenhöhe in Darmstadt ist eines der unter der Leitung Joseph Maria Olbrichs entstandenen Objekte der so genannten Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt. Als ganzheitliches Konzept war es Peter Behrens‘ Entwurf einer Wohnform und damit einer gesamten Lebensform, denn er entwarf nicht nur das Haus und die Einrichtung, sondern auch Musikinstrumente, Schmuck und Schreibgeräte.

In dieser Arbeit möchte ich das Thema des Künstlerhauses auf einen besonderen Aspekt konzentrieren: seine Politisierung. Dem Maler Behrens, der einige Jahre zuvor erstmals Fuß im Kunstgewerbe fasste, gelang durch diesen Bau und die folgende öffentliche Aufmerksamkeit der nationale und internationale Durchbruch als Architekt und Designer. Zwar sind Behrens mit diesem Bauwerk Innovationsleistungen im Sektor der Wohnarchitektur anzurechnen, doch trug der Wunsch der politischen Förderer und Kritiker, es als programmatisches Beispiel für die neue progressive deutsche Kunst zu präsentieren, entscheidend zum Erfolg bei. In dieser Arbeit wird diesbezüglich im sozialhistorischen Rahmen die Politisierung des Bauwerks herausgestellt und seine Auswirkungen und Mechanismen bezüglich seiner architekturhistorischen Stellung thematisiert.

Im ersten Teil der Arbeit liegt die Konzentration auf der Entstehungsgeschichte und dem Bauwerk als eine universal-künstlerische Leistung Behrens, der seinerseits erstmaligen Verbindung von Architektur, Innenarchitektur und Kunstgewerbe in einem Objekt, dem Einfamilienhaus.

Am Bau ist ein enormer Innovationswille in der Wohnarchitektur ablesbar, doch lässt sich eingebunden in den sozial- und architekturhistorischen Kontext auch eine programmatische Idee nachweisen: Dieser Bau steht im Zeichen eines um die Jahrhundertwende bereits als Ideal geltenden Ideengut der Nachwuchskünstler; Behrens vereint die neu aufkommenden Gedanken um verbesserte Wohnverhältnisse im Sektor des Einfamilienhauses, ein universelles Gestaltungsprinzip und Renovationsgedanken innerhalb der handwerklichen und künstlerischen Berufe. Nach einer Beschreibung des Hauses folgt diesbezüglich die Bestimmung der eigentlichen Innovationsleistung am Künstlerhaus durch Vergleiche mit zeitgenössischen theoretischen Konzepten und Bauten.

Während dieser erste Teil eher auf die in diesem Bauwerk vereinte Innovationsleistung – die komplette Ausführung als Gesamtkunstwerk – ausgerichtet ist, liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der speziellen sozialhistorischen Situation und der einseitig überschwänglichen zeitgenössischen Rezeption, die im zweiten Teil behandelt werden.

Den Anstoß zu dieser Untersuchung gab die Quellen- bzw. Literaturlage. Bei einem Vergleich der Quellen ergab sich die Fragestellung inwieweit und wodurch das Künstlerhaus von Peter Behrens als Idealtypus funktionierte bzw. als solcher bis in die neuere Kunstgeschichtsschreibung übernommen werden konnte. Das vorhandene Material ließ sich in vier Kategorien differenzieren: (1) zeitgenössische Buch-Publikationen, die den Bau oberflächlich als Einzelwerk mitunter dem gesamten Komplex der Künstlerkolonie vorstellen; (2) mehrere zeitgenössische, umfangreiche Beiträge in Zeitschriften; (3) schriftlich festgehaltene Zeugnisse der öffentlichen Reaktionen; (4) und die posthume kunsthistorische Auseinandersetzung mit dem Bauwerk.

Bei der Betrachtung dieser Quellen war die einseitige überschwänglich positive Rezeption des Bauwerks durch drei Parteien augenfällig: (1) Architekturkritiker, die eine neue Ära der Kunstproduktion propagierten; (2) die politischen Auftraggeber, die eigene politische Ziele damit verfolgten; (3) und Kunsthistoriker, die den Mythos eines Universalkünstlers um die Person Peter Behrens speisten.

In den Zeitgenössischen Quellen nimmt das Künstlerhaus Behrens eine herausragende Stellung ein: Das Haus repräsentierte, auf die Bedürfnisse Behrens’ Familie ausgelegt, nach seiner Fertigstellung eine herausragende Innovationsleistung und Verwirklichung eines theoretischen Ideals. Dies kann auf der anderen Seite auch als Politisierung herausgestellt werden – durch die Tatsache des schnellen Auszugs Behrens` aus seinem Künstlerhaus und vergleichbare Leistungen anderer Architekten, wie Joseph Maria Olbrich oder Henry Van de Velde.

In der kunsthistorischen Auseinandersetzung mit Behrens’ Bau wird er, der zeitgenössischen Rezeption folgend, oft als herausragende Leistung ausgezeichnet. Doch erfolgt dem zum Widerspruch keine architekturgeschichtliche Einordnung und seine propagierte Signifikanz wird nicht klar herausgestellt.

In dieser Arbeit werde ich, im ersten Teil, die proklamierte Innovationsleistung am Künstlerhaus durch Vergleiche mit zeitgenössischen theoretischen Konzepten und Bauten bestimmen und weiterhin, im zweiten Teil, die deutliche Politisierung des Baus kritisch beleuchten, wobei auch posthume kunsthistorische Beiträge, die diese zeitgenössische Rezeption übernahmen, revidiert werden.

I. Innovation

I.1. Behrens vor Darmstadt

Im folgenden Kapitel wird einleitend der berufliche Werdegang Behrens bis zu seinem Auftrag für das Künstlerhaus-Projekt auf der Mathildenhöhe beschrieben.

Sein Malerei-Studium absolvierte Peter Behrens zwischen 1886 und 1890 an den Kunst- und Kunstgewerbeschulen in Karlsruhe und Düsseldorf und zwischen 1890 und 1891 in München.[1] Bis 1896 beschäftigte er sich ausschließlich mit Malerei. Formen des Jungendstils, die er bis dahin für die Malerei entdeckte, adaptierte er für die ersten Alltagsgegenstände, die er seit dem Ende der 90er Jahre entwarf.

Die Intention Peter Behrens’ von der Malerei zum Gestalten von Nutzgegenständen, der Buchkunst und weiterhin zur Architektur überzugehen ist nicht belegt, kann aber in der Verbindung mit der Münchner Arts and Crafts Bewegung vermutet werden.

Peter Behrens lässt sich in eine Gruppe von Künstlern einordnen, die um 1900 ihren Weg von der Malerei zu neuen Aufgabenfeldern, die dem Handwerk verbunden waren, fanden. In den 1890er Jahren fand er in seiner Wahlheimat München schnell Anschluss an den progressiven Kern und war beispielsweise Mitbegründer der Münchner Sezession 1892, die er ein Jahr später aber wieder verließ. Behrens schloss sich zunächst den Münchner Genremalern um Wilhelm Leibl an, wandte sich dann dem Impressionismus und der Landschafts- und Portraitmalerei zu, bis hin zu einer zunehmend dekorativeren, flächigeren aber auch symbolträchtigeren Malerei und Grafik Ende der 1890er Jahre. So wurde er auch ein ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Pan. 1899 präsentierte er seine ersten kunstgewerblichen Arbeiten in München und Berlin, die für hohes Interesse sorgten, da sie um die industrielle Herstellung bedacht waren. Seine Entwürfe gingen in die serielle Fertigung bei bekannten Firmen der Leichtindustrie. Die ersten Möbelentwürfe werden auf 1900 datiert, für seinen Freund Otto Erich Hartleben, kurz vor der Ausgestaltung seines eigenen Künstlerhauses.[2]

Peter Behrens gehörte zu der Generation bedeutender Architekten, deren Kunstauffassung um die Jahrhundertwende durch die Kampfansage gegen den eklektizistischen Historismus der Bourgeoisie des späten 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückte.[3] Deren reaktionären Ziele und Auffassungen waren vom Wert der handwerklichen Arbeit, der Ästhetik der Materialien und ihrer konstruktiven Zweckmäßigkeit geprägt. Die reformatorischen Bestrebungen der Generation in Kunst, Kunstgewerbe und Architektur finden ihre Vorläufer in William Morris und John Ruskin, deren Ansichten Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reaktion auf die industrielle Revolution darstellten und sich in den 80er und 90er Jahren verzögert in Europa ausweiteten. Der rapide gesellschaftliche und ökonomische Wandel in dem Entwicklungsprozess des kapitalistischen Systems stellte die kunstschaffende Generation Peter Behrens’ vor neue Aufgaben und Anforderungen politischer Stellungnahmen, wodurch sich das Bedürfnis nach einem neuen Stil formierte.[4] In diesem Zusammenhang sollte das im 19. Jahrhundert gespaltene Verhältnis zwischen der handwerklichen und künstlerischen Produktion wiederhergestellt werden. Bestimmte Industriezweige, wie der Bereich der Leichtindustrie, formulierten neue politisch-ökonomische Interessen, die unter anderem künstlerisch-ästhetische Ansprüche in der Ausgestaltung der Produkte enthielten, um sich eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt zu erkämpfen. So eröffneten sich auch in Deutschland um die Jahrhundertwende neue Aufgabenfelder des Kunstgewerbes, dem sich auch Behrens Ende des 19. Jahrhunderts zuwandte. In Deutschland der 80er und 90er Jahre des 19. Jahrhunderts war das Hauptaktionsfeld der Auseinandersetzung mit den neu aufgekommenen künstlerischen Aufgaben- und Problemfeldern – 40 Jahre später als im ökonomisch weiterentwickelten England – das Kunstgewerbe. Peter Behrens gehörte zu einer kleinen Gruppe von Malern, Autodidakten, die sich erstmals Ende des 19. Jahrhunderts in der Kunstgewerbebewegung etablierten und folgend den Weg über die Raumkunst zur Architektur fanden. Ziel der Generation war ein Gegenwartsstil und eine Wende in der bisherigen Wohn- und Lebenskultur für das neue Bürgertum zu bewirken.

Die führenden Künstler und Architekten sammelten sich in den Zentren München, Düsseldorf, Darmstadt, Dresden und Berlin, wobei der Münchner Kreis, innerhalb dessen Peter Behrens tätig war, zu den progressivsten Bewegungen zählte. Die Künstler strebten nach einem neuen Raum für eine vom Geist der Industrialisierung erfüllte Gegenwartskunst. Zu dem Münchner Kreis zählen neben Behrens unter anderen Hermann Obrist, August Endell, Bernhard Pankok und Bruno Paul.

Die Hinwendung der Münchner Maler zum Kunstgewerbe beschrieb Alfred Lux 1908 wie folgt:

„In München saßen die meisten Künstler; sie hatten jahrelang vorher, mehr der Not gehorchend, als dem eigenen Trieb, neben der brotlos gewordenen Malerei und Plastik sich dekorativen Arbeiten zugewendet, vor allem dem Gebiet der Grafik, aber auch auf den vereinzelten Gebieten der Handwerkskunst…eine Ausstellung für Kunst und Handwerk im Glaspalast 1987 brachte die Beweise, dass die Künstler in München schon lange im Stillen an der Erneuerung des Kunstgewerbes gearbeitet hatten und dass es nur eines äußeren Anstoßes bedurfte, um die gesammelten Kräfte in Fluß zu bringen, die Dämme, die der akademische Dünkel und das zünftlerisch eingeengte Handwerksdenken errichtet hatten, niederzureißen.[5]

An dieser Äußerung werden mehrere Aspekte deutlich, die die Grundhaltung der zeitgenössischen Bewegung im Kunstgewerbe beschreiben: Zum einen wird die Gegenhaltung zum Akademismus und zum anderen der Übergang zum Kunstgewerbe bzw. zur Grafik ersichtlich.

Einer bedeutenden Ausstellung der durch Behrens als Vertreter des Münchner Jugendstils mitbegründeten Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk 1899 im Münchner Glaspalast folgte eine Einzelausstellung in der Darmstädter Kunsthalle. Dies begründete seine Anerkennung als Gestalter und ebnete ihm somit seine Karriere als Architekt, was an seiner anschließenden Einladung des Großherzogs Ernst Ludwig nach Darmstadt zur Gründung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe im gleichen Jahr ersichtlich wird.[6]

I.2. Die Entstehung der Künstlerkolonie

1899 lud Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein Peter Behrens als einen der Darmstädter Sieben [7] dazu ein, eine Künstlerkolonie zu gründen.[8] 1901 fand die erste Ausstellung der Künstlerkolonie unter dem Titel Ein Dokument deutscher Kunst in Darmstadt statt. Drei weitere Ausstellungen folgten 1904, 1908 und 1914 an denen Peter Behrens nicht mehr teilnahm. Er hatte zwischen 1903 und 1907 bereits die Leitung der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf inne, danach eröffnete er sein Büro in Berlin.

Der Großherzog übernahm das Großherzogtum im Jahr 1892 und regierte dort bis zum Ersten Weltkrieg. Er erwies sich in Bezug auf Darmstadt als Förderer und Mäzen junger Künstler, Kunstgewerbler und Architekten, indem er Darmstadt als neues kulturelles Zentrum manifestieren wollte. Ernst Ludwig nahm die Anforderungen Alexander Kochs, eines Kunstkritikers und Herausgebers einiger Zeitschriften, an ihn als neuen Regenten wahr und erwies sich damit als Förderer des neuen künstlerischen Schaffens.[9] Sein Zug, eine Künstlerkolonie zu bilden, die nicht auf Initiativen einzelner Künstler basiert, sondern von Land und Regierung getragen wird, ist als politischer Akt zu sehen. Damit sollten repräsentative Zwecke bedient werden: Die Bewerbung der internationalen Konkurrenzfähigkeit und der Progressivität der Deutschen.[10] Ernst Ludwig gründete die Künstlerkolonie mit der Absicht, Handwerk und kunstgewerbliche Industrie des Großherzogtums zu fördern und national und international konkurrenzfähig zu machen. Langfristig erwartete er durch diese Gründung einen wirtschaftlichen Anstoß für sein Land und öffentliche Anerkennung auch in internationalen Maßstäben, die er unter anderem in der Verbindung von Kunst und Handwerk gegeben sah.

Hauptziel der Ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst war die Erneuerung aller Bereiche der Kunst unter Führung der Architektur[11] und die Erarbeitung neuer zukunftsweisender Wohnformen und Kleinkunst. Das Konzept intendierte die künstlerische Ausgestaltung praktischer Erfordernisse – die Verbindung von Kunst und Leben.

Dafür berief der Großherzog sieben junge Nachwuchstalente zwischen 20 und 33 Jahren nach Darmstadt: neben Peter Behrens fünf Kunstgewerbler und Bildhauer. Der Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich wurde künstlerischer Leiter der Kolonie. Alle Berufenen arbeiteten mit dem Formenrepertoire des Jugendstils. Die Ernennung Olbrichs, der Mitglied der Sezession und einziger ausgebildeter Architekt war, zum Leiter zeigt die intendierte Führung der Architektur bzw. des Jugendstils beim Gesamtprojekt. Bei der Ausführung und bereits bei der Berufung der jungen Künstler wird eine gegenüber dem Historismus grundsätzlich ablehnende Haltung deutlich. Kurz zusammengefasst, wurde eine adäquate kaiserliche Repräsentationsform des Deutschen Reiches gesucht, ein innovativer Stil bzw. Stilpluralismus, der als Ausdruck der progressiven Haltung in Darmstadt sein Zentrum finden sollte.

Die Ausstellung der Künstlerkolonie sollte eine Stilwende in Deutschland einleiten. Neben einem Festhaus durch Olbrich sollten für die Künstler Wohnhäuser mit Atelier entstehen, wo sie sich ohne Verkaufsdruck entfalten konnten – die Bedingung war das Vermeiden eklektizistischer Stile. Vertragliche Einzelheiten sind nicht mehr genau rekonstruierbar, da alle Dokumente im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Es ist bekannt, dass es sich um einen Vertrag über drei Jahre handelte. Weiterhin waren ein Jahresstipendium, ein vergünstigter Grund- und Bodenerwerb und eine Beihilfe zu den Baukosten vorgesehen. Sie waren nicht verpflichtet Unterricht zu geben. Weiterhin wurden Freiheiten, wie besondere Aufträge und Reisen zugestanden.[12]

Peter Behrens kam innerhalb dieser Gruppe von Künstlern eine besondere Rolle zu. Er wurde als Architekturautodidakt, der sein Erstlingswerk mit Bravur gemeistert hatte, besonders gefeiert. Er demonstrierte seine universale gestalterische Fähigkeit bei der kompletten Innen- und Außenausgestaltung des Hauses.

In Darmstadt begann ein neues Kapitel der künstlerischen Laufbahn Peter Behrens: Er wurde zum ersten Mal als Architekt tätig. Zu diesem Zeitpunkt war er 31 Jahre alt. Bei der Ausstellung 1901, Ein Dokument deutscher Kunst, gehörte sein Künstlerhaus zu den bemerkenswertesten Leistungen des Großprojekts. Im Vergleich zu den Bauten Olbrichs wird in dem Künstlerhaus Peter Behrens die proklamierte Innovationsleistung im Bereich der Angewandten Kunst herausgestellt.[13] Sein Beitrag in der Künstlerkolonie, das Künstlerhaus, das er selbst bewohnen sollte, sorgte – als Wohnhaus und gleichzeitig Ausstellungsstück – über die Künstlerkreise hinaus für großes Aufsehen (Vgl. Kapitel II dieser Arbeit).

Die Finanzierungshilfen der Regierung und sein eigenes geerbtes Vermögen erlaubten Peter Behrens in Darmstadt sein erstes Haus, das in diesem Falle sehr kostspielig ausfiel, zu bauen. Neben den restlichen von Olbrich erbauten Häusern entwarf Peter Behrens als einziger sein Künstlerhaus für die Ausstellung. In der Publikation zur Ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst wurden die Gesamtkosten von 200.000 Mark genannt. Somit war es das teuerste der acht Villen im Alexandraweg.[14] Das Haus bewohnte Behrens Familie nur die vertraglich vereinbarten drei Jahre, wie seine Anstellung in Düsseldorf 1903 bestätigt.

Bei der gesamten Ausstellung, wie auch augenmerklich beim Haus Behrens, wurde großes Augenmerk auf Architektur und Innendekoration gelegt. Der Verleger und Kritiker Alexander Koch, der auch Herausgeber der ersten Publikation der Künstlerkolonie war und einigen Einfluss auf die Aufnahme und Durchsetzung kunstreformerischer Gedanken hatte, trug entscheidend zum theoretischen Konzept bei: Es sollte eine Verbindung zwischen „Kunst und Leben“ bzw. auch „Künstler und Volk" entstehen.[15] Koch galt als besonders anglophil und legte nach englischem Vorbild Wert auf die Promotion des Kunstgewerbes. Die Meinung Kochs war entscheidend beim Projektentwurf, was sich auch an der Auswahl der Teilnehmer zeigt: sie standen bereits alle mit ihm in Verbindung.[16]

Der Leitgedanke Alexander Kochs lässt sich auch bei Peter Behrens wiederfinden.[17] In seiner Begleitbroschüre betonte er die Notwendigkeit der Verbindung der Kunst mit dem alltäglichen Leben.[18] Diesem Verständnis trägt er auf vielerlei Weise in seinem Bau Rechnung, was in der zeitgenössischen Rezeption als herausragende Leistungen überschwänglich gefeiert wurde. Ein wichtiger Aspekt ist das theoretische Konzept, wonach die Gestaltung des Hauses den Bedürfnissen seiner Familie angepasst ist.

Zusammenfassend kann die Berufung Peter Behrens an die Darmstädter Künstlerkolonie bzw. das gesamte Projekt, das als „Ein Dokument Deutscher Kunst“ [19] proklamiert wurde, als politischer Akt betrachtet werden. Die Künstlerkolonie ins Leben zu rufen und seine Finanzierung veranlasste der Großherzog Ernst Ludwig, um das Ansehen der Deutschen und das seine im internationalen Rahmen zu steigern.

I.3. Beschreibung

Die Mitgliedschaft Peter Behrens in der Künstlerkolonie bestand von 1899 bis 1903. Das Haus entstand in der Zeit von 1900 bis 1901. Hier trat Behrens aus der Welt der Gestaltung in die weitgespanntere Aufgabenstellung eines Künstlerarchitekten, eines Autodidakten, der Kunst, Handwerk und Architektur zu verbinden versteht und damit auch gegen alte akademische Richtlinien konstatiert.

Dokumentationen über das originale Aussehen des Hauses liegen in Form einiger weniger Beiträge und Fotografien vor. Peter Behrens selbst verfasste eine Begleitbroschüre, die eine ausführliche Beschreibung und seine Intentionen präsentiert.[20] Diese Broschüre ist die einzige veröffentliche Quelle zur Bauausführung, den engagierten Firmen und Kosten. Auch sind zwei zeitgenössische Artikel in Zeitschriften zu nennen, die sich umfassend dem Bau und seiner Interpretation widmen.[21]

Der heutige Zustand ist vor allem im Innenraum verändert worden. Außen sind kleinere sichtbare Veränderungen wie Neuverglasung und Fenstereinfügung vorgenommen worden (Vgl. Nordfassade, Abb. 1a-b; Westfassade, Abb. 1g-h), sonst hat es nahezu den Originalzustand beibehalten. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es stark beschädigt, doch originalgetreu wiederaufgebaut. Die Innenausstattung war zu dieser Zeit auf verschiedene Ausstellungen verteilt, sodass sie der Zerstörung des Hauses größtenteils nicht zum Opfer fallen konnte.[22]

Außenbau

Das Haus hat zwei Hauptgeschosse, ein Zimmer im Dachgeschoss und ein Sockelgeschoss, das etwas über die Hälfte in den Boden eingelassen ist. Das Haus hatte nicht nur eine geringe Fläche sondern auch einen schrägen Baugrund als Vorgabe, wodurch das Sockelgeschoss auf den verschiedenen Hausseiten entsprechend mehr oder weniger hinausragt. Dies liegt auch an der unterschiedlichen Deckenhöhe im Inneren, worauf folgend näher eingegangen wird.

Die Außengestaltung wird durch Material und Farbwechsel unternommen: Hier werden weißem Putz grün glasierte Klinker, rote Ziegel und eben die rötlichen Dachzinnen kontrastierend gegenübergestellt. In der asymmetrischen Abfolge rhythmisieren sie die Fassaden. Das Kellergeschoss, das Dachgesims, weiterhin unter anderem zwei große vertikale Wandpartien an der Südseite und ein rechteckiges Feld um die Tür an der Westseite sind aus rotem Backstein (Abb.1a-h).

Die Dachform ist ein flaches Pyramidendach, wobei an jeder Seite verschiedene Dachvorsprünge zu finden sind (Abb.1a-h): An der Nordseite ist es der Giebel in Form eines Parabelbogens, der die halbe Fassade links überspannt. Er setzt sich aus einem Mauerteil fort, einem Blendrisaliten, der durch rahmende Klinkerlisenen suggeriert wird. Auf der rechten Seite ist ein kleines querrechteckiges Dachfenster, das ein Dreiecksgiebel überspannt. An der Westfassade ist es ein von der Mitte etwas nach links versetzter Risalit mit einem Kielbogen als Giebel. Auf der Südseite bilden zwei unterschiedlich große Fenster Dachvorsprünge, die diesen Kielbogen wiederholen. An der Ostseite wird das Dach für eine Terrasse links und einen Giebel rechts unterbrochen. Die Terrasse hat ein geschwungenes weiß verputztes Mauerstück als Rückwand und die Grundfläche des darunter befindlichen Mauervorsprungs in Form eines zweimal gebrochenen Bogens. Der Giebel auf der rechten Seite umrahmt einen etwas hinausragenden rechteckigen verziegelten Schornstein, der auf der Balkonseite als Pendant, weiß verputzt und von Lisenen umrahmt, wiederholt wird.

Wichtiges kompositorisches Element bei der Fassadengestaltung ist die Vertikale, die Klinkerlisenen und Mauerabschnitte aus rotem Ziegel, denen das umlaufende und mehrfach profilierte Kranzgesims am Dach als Horizontale entgegengesetzt ist. Wichtig hierbei ist die Wiederholung verschiedener vertikaler Gliederungselemente aus grünem Klinker, die durch Material- und Farbwechsel zur weißen Wandfläche und den Partien aus rotem Ziegel besonders stark hervorgehoben sind. Neben mehreren durch Farb- und Materialwechsel vorgeblendeten Partien haben auch die Lisenen, Pilaster und Pfeiler eine schmückende Wirkung und betonen den asymmetrischen Charakter. Ihre Funktion als tragendes, funktionales Element ist unklar. Behrens beschreibt diese als tektonische abstrahierte Ranken.[23] Durch diesen Materialwechsel ist beispielsweise an der Südseite eine Rhythmisierung der Wand erfolgt. Eine horizontale Einteilung der Wandfläche in Geschosse ist nur auf der Südseite durch eine schmale hervortretende Wandpartie gegeben.

[...]


[1] Zum Werdegang Behrens als Maler bis zu seiner Karriere in Darmstadt siehe: Werner 1990; Windsor 1985, S. 10-29; Möller 1980, S.48-64; Kadatz 1977; Werner 1990, S. 24-37; Hölz 1997, S. 37-41; Möller 1980, S.48-64; Norberg-Schulz 1980.

[2] Zur Datierung der ersten Möbelentwürfe Behrens’ vgl. Windsor 1985.

[3] Zu der soziopolitischen Lage Deutschlands in der Jahrhundertwende, künstlerischen Bewegungen, Behrens Anfänge des künstlerischen Schaffens, siehe: Kadatz 1977, S. 5-37; Anderson 1968; Windsor 1985, S. 10-22; Ausst. Kat. Peter Behrens (1868-1940) 1966, S. 24-32.

[4] Kadatz 1977, S.6.

[5] Lux, Alfred, Das neue Kunstgewerbe in Deutschland, Leipzig 1908; zitiert nach Kadatz 1977, S. 7.

[6] Windsor 1985, S. 18-19.

[7] Windsor 1985, S. 23.

[8] Zur Darmstädter Künstlerkolonie siehe: Ausst.Kat. Ein Dokument deutscher Kunst 1976, Bde. 1-6, insb. Bd. 5 und 6; Koch 1901; Schäfer 1901, S. 38-39.

[9] Windsor 1985, S. 20-22.

[10] Kadatz 1977, S. 9.

[11] Kadatz 1977; Ausst. Kat. Peter Behrens (1868-1940) 1966.

[12] Windsor 1985, S. 22-23.

[13] Zum Vergleich mit Olbrich in der zeitgenössischen Rezeption siehe: Windsor 1985, S. 23. (Vgl. Kap. I.4.)

[14] Windsor 1985, S. 22-25; Ausst.Kat. Ein Dokument deutscher Kunst 1976, Bd. 1- 6, 1976.

[15] Koch 1901.

[16] Windsor 1985, S. 22-24.

[17] Das Konzept ist bereits von John Ruskin und William Morris bekannt, wo es um die Anwesenheit des Handwerks und der Kunst im alltäglichen Leben des Menschen geht; vgl.: Hölz 1997, S. 10-12; Muthesius 1974.

[18] Behrens 1901; vgl. auch Windsor 1985, S. 22,27.

[19] Koch 1901.

[20] Behrens 1901.

[21] Scheffler 1902, S. 1-48; Breysig 1902, S. 131-194; Buddensieg 1980, S. 37-47.

[22] Zum Zustand des Hauses vgl. Buchholz 2001, S. 2-4.

[23] Behrens 1901, S. 9.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Das Künstlerhaus Behrens
Untertitel
Zwischen Innovation und Politisierung
Hochschule
Freie Universität Berlin  (KHI)
Veranstaltung
Architektur um 1900
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
42
Katalognummer
V231851
ISBN (eBook)
9783656485438
ISBN (Buch)
9783656485629
Dateigröße
10413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
künstlerhaus, behrens, zwischen, innovation, politisierung
Arbeit zitieren
M.A. Irene Pfeffer (Autor:in), 2010, Das Künstlerhaus Behrens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231851

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