Goethe und die Vampire. Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ und die Ursprünge der Vampirliteratur


Fachbuch, 2018

149 Seiten

Johann Wolfgang von Goethe (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Johann Wolfgang Goethe: Die Braut von Korinth

Laura Helm (2008): Der Vampir. Genese des literarischen Motivs
Einleitung
Der mythische Vampir
Der pathologische Vampir
Der fiktionale Vampir am Beispiel Johann von Goethes „Die Braut von Korinth“
Der reale Vampir
Resümee
Literaturverzeichnis:

Alice Ahlers (2004): Das Vampirmotiv in Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“
Einleitung
Der Vampir im 18. Jahrhundert
Die antiken Quellen des Vampirs in „Die Braut von Korinth“
Der Vampir in „Die Braut von Korinth“
Fazit
Literaturverzeichnis

Nathalie Kónya-Jobs (2005): Goethes ‚Vampirisches Gedicht’: Die Ballade „Die Braut von Korinth“
Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
Die Bedeutung der literarischen Form Ballade für den Autor Goethe
Textanalyse
Die Erzählinstanz
Die metrisch-stilistischen Aspekte
Bezüge zur Literatur
Das vampirische Gedicht
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Literatur

Einzelpublikationen

Johann Wolfgang Goethe: Die Braut von Korinth

Nach Korinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einen Bürger hofft' er sich gewogen;
Beide Väter waren gastverwandt,
Hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.

Aber wird er auch willkommen scheinen,
Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
Und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
Wird oft Lieb' und Treu
Wie ein böses Unkraut ausgerauft.

Und schon lag das ganze Haus im stillen,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht;
Sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
Gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein und Essen prangt,
Eh er es verlangt;
So versorgend wünscht sie gute Nacht.

Aber bei dem wohlbestellten Essen
Wird die Lust der Speise nicht erregt;
Müdigkeit läßt Speis' und Trank vergessen,
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt;
Und er schlummert fast,
Als ein seltner Gast
Sich zur offnen Tür herein bewegt.

Denn er sieht, bei seiner Lampe Schimmer
Tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
Sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
Um die Stirn ein schwarz- und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
Hebt sie, die erschrickt,
Mit Erstaunen eine weiße Hand.

Bin ich, rief sie aus, „so fremd im Hause,
Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?
Ach, so hält man mich in meiner Klause!
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
Auf dem Lager dort,
Und ich gehe schnell, so wie ich kam.

Bleibe, schönes Mädchen! ruft der Knabe,
Rafft von seinem Lager sich geschwind:
Hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe,
Und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
Laß uns sehn, wie froh die Götter sind!

Ferne bleib’, o Jüngling! bleibe stehen,
Ich gehöre nicht den Freuden an.

Schon der letzte Schritt ist, ach! Geschehen
Durch der guten Mutter kranken Wahn,
Die genesend schwur:
'Jugend und Natur
Sei dem Himmel künftig untertan.'

Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert.
Unsichtbar wird Einer nur im Himmel
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört.

Und er fragt und wäget alle Worte,
Deren keines seinem Geist entgeht.
Ist es möglich, daß am stillen Orte
Die geliebte Braut hier vor mir steht?
Sei die Meine nur!
Unsrer Väter Schwur
Hat vom Himmel Segen uns erfleht.

Mich erhälst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle,
Ach! in ihren Armen denk an mich,
Die an dich nur denkt,
Die sich liebend kränkt;
In die Erde bald verbirgt sie sich.

Nein! bei dieser Flamme sei's geschworen,
Gütig zeigt sie Hymen uns voraus,
Bist der Freude nicht und mir verloren,
Kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier!
Feire gleich mit mir
Unerwartet unsern Hochzeitschmaus!

Und schon wechseln sie der Treue Zeichen:
Golden reicht sie ihm die Kette dar,
Und er will ihr eine Schale reichen,
Silbern, künstlich, wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
Doch, ich bitte dich,
Eine Locke gib von deinem Haar.

Eben schlug dumpf die Geisterstunde,
Und nun schien es ihr erst wohl zu sein.
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Weizenbrot,
Das er freundlich bot,
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
Der, wie sie, nun hastig lüstern trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
Ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
Wie er immer fleht,
Bis er weinend auf das Bette sank.

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder:
Ach, wie ungern seh' ich dich gequält;
Aber, ach! berührst du meine Glieder,
Fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt.
Wie der Schnee so weiß,
Aber kalt wie Eis
Ist das Liebchen, das du dir erwählt.

Heftig faßt er sie mit starken Armen,
Von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffe doch bei mir noch zu erwarmen,
Wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?

Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
Wärmt ihr starres Blut;
Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.

Unterdessen schleichet auf dem Gange
Häuslich spät die Mutter noch vorbei,
Horchet an der Tür und horchet lange,
Welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut
Und des Liebestammelns Raserei.

Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
Weil sie erst sich überzeugen muß,
Und sie hört die höchsten Liebesschwüre,
Lieb' und Schmeichelworte mit Verdruß:
Still! der Hahn erwacht!-
Aber morgen Nacht
Bist du wieder da?“ - und Kuß auf Kuß.

Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
Öffnet das bekannte Schloß geschwind:
Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
Die dem Fremden gleich zu Willen sind?-
So zur Tür hinein. Bei der Lampe Schein
Sieht sie - Gott! sie sieht ihr eigen Kind.

Und der Jüngling will im ersten Schrecken
Mit des Mädchens eignem Schleierflor,
Mit dem Teppich die Geliebte decken;
Doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt
Hebet die Gestalt
Lang und langsam sich im Bett' empor.

Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
So mißgönnt ihr mir die schöne Nacht!
Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte,
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ist's Euch nicht genug,
Daß ins Leichentuch,
Daß Ihr früh mich in das Grab gebracht?

Aber aus der schwerbedeckten Enge
Treibet mich ein eigenes Gericht.
Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht, wo Jugend fühlt;
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.

Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
Als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt Ihr doch das Wort gebrochen,
Weil ein fremd, ein falsch Gelübd' Euch band!
Doch kein Gott erhört,
Wenn die Mutter schwört,
Zu versagen ihrer Tochter Hand.

Aus dem Grabe werd' ich ausgetrieben,
Noch zu suchen das vermißte Gut,
Noch den schon verlornen Mann zu lieben
Und zu saugen seines Herzens Blut.
Ist's um den geschehn,
Muß nach andern gehn,
Und das junge Volk erliegt der Wut.

Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben;
Du versiechest nun an diesem Ort.
Meine Kette hab' ich dir gegeben;
Deine Locke nehm' ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
Und nur braun erscheinst du wieder dort.

Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zu Ruh;
Wenn der Funke sprüht,
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu.

Laura Helm (2008): Der Vampir. Genese des literarischen Motivs

Einleitung

„... vom hässlichen Dämon und wilden Tier über den unappetitlichen, frühen menschlichen Vampir bis zum charismatischen Übermenschenvampir. Damit wird zugleich der Wandel von der Natur- bis zur Industriegesellschaft aufgezeigt.“[1]

Seit nunmehr drei Jahren sind sie wieder einmal zurück: Vampire sind in sämtlichen Literatur-Bestsellerlisten auferstanden[2], um die Herzen vieler Teenager – in erster Linie die der weiblichen – höher schlagen zu lassen. Dem prominenten Motiv der Untoten, die des Nachts ihrem Grab entsteigen, um sich auf die Suche nach Nahrung zu begeben – dem menschlichen Blut wurde einmal mehr neues Leben eingehaucht. In diesem aktuellen Fall von der amerikanischen Jugendbuch-Autorin Stephenie Meyer und ihrer preisgekrönten „Bis(s) zum ...“-Serie[3], welche die abenteuerliche Liebe zwischen einer Highschool-Schülerin und einem Vampir erzählt. Und das außerordentlich erfolgreich, so sind inzwischen drei Bände erschienen, ein vierter in Arbeit und einer wird bereits verfilmt.

Offenbar ist trotz einer wahren Flut von Vampir-Literatur, -Filmen und -Figuren, die in den letzten zwei Jahrhunderten rollte, das blutige Potential dieser Geschöpfe noch nicht vollends erschöpft. Vielmehr scheint es so, als würde sich die Figur des Blutsaugers immer wieder neu erfahren bzw. erfinden lassen, sich fortentwickeln – und dabei eben unsterblich sein.

Der Vampir ist zur Legende geworden. Aus Mythen geboren, erhielt er als Symbol und Mythos eine derart starke Suggestionskraft, dass er für die Menschen des Mittelalters und weit bis in das 18. Jahrhundert hinein zur fassbaren Realität avancierte, zur Tatsache wurde. Um schließlich bis zum heutigen Zeitpunkt in seine Existenz als vielschichtiges Symbol immer wieder zurückzukehren.

Er kann negative wie positive Bedeutungen tragen, tod- oder unsterblichkeitbringend sein, als Mörder oder Held agieren – die Varianten sind so mannigfaltig wie seine Darstellung in der medialen Welt. Diese Wandlungsfähigkeit ist es auch, der die Nachtgeschöpfe ihre immer wiederkehrende Aktualität verdanken.

In dieser Arbeit soll ansatzweise herausgearbeitet werden, wie aus dem frühgeschichtlichen Dämon über die vermeintliche tatsächliche Existenz des Vampirs über die Jahrhunderte Geistesgeschichte die Menschen begleitete, sich zur Legende (mit-)entwickelte und Eintritt in die Literatur fand. Ferner sollen anhand einer Klassifizierung der verschiedenen Typen von Vampiren die Wirkung sowie Wirkungsgenese auf den Menschen und das psychologische sowie symbolische Potential erschlossen werden. Anhand eines Meilensteins der Vampirliteratur, Johann Wolfgang Goethes „Die Braut von Korinth“ soll schließlich exemplarisch die Reichhaltigkeit der Varianten des Symbolträgers Vampir dargestellt werden.

Der mythische Vampir

„Mythen erzählen uns vom Ursprung der Welt, vom Werden und Vergehen der Natur, vom Paradies und vom Sündenfall und vor allem vom Tod.“[4]

Die Gestalt des Vampirs, wie wir sie heute kennen, hat eine sehr lange Entwicklung hinter sich. Genauer gesagt hat sie sich aus einer Vielzahl dunkler Geschöpfe, allesamt mehr oder weniger nah an der heutigen Vorstellung, zusammengesetzt. In der jüdisch-christlichen Tradition zum Beispiel wird die Geschichte der ersten Frau Adams, Lilith, erzählt. Die „im Buch Raziel der Kabbala (...) als erste Eva“[5] Bezeichnete wird auch in der Genesis 1,26 ff erwähnt[6]: Sie war aus derselben Erde erschaffen wie Adam und wurde, weil sie sich dem Mann nicht unterordnen wollte, auf die dämonische Nachtseite verwiesen. Diese Verbannung und die auferlegte Strafe Gottes, dass „jeden Tag hundert Kinder von (ihr) sterben“[7], machte Lilith zur ersten Dämonin. Ihre Nachkommen, allesamt weiblich, sind es, die in den verschiedensten Kulturen den Männern in nächtlichen Träumen ihren Samen stehlen und hiermit schon zwei der dem Vampir zugeschriebenen Attribute in sich vereinen – die der Nachtaktivität und des Diebstahls einer Körperflüssigkeit. In der jüdischen Kultur sind es die „Lilim“, in Griechenland wurden sie „Lamie“ oder „Embusee“ genannt und die Christen nannten sie „Höllenhuren“ oder „Succubi“.[8] Die antike „Lamia“ beispielshalber, eine Geliebte des Zeus, war es auch, die sich, „von der eifersüchtigen Frau des Göttervaters in den Wahnsinn getrieben“[9], nächtens vom Blut kleiner Kinder ernährte. Die Nähe dieser Wesen zu den verwandten Hexen und Vampiren wird ausführlich im Lehrbuch der Inquisition, dem „Hexenhammer“, beschrieben, was folglich heißt, dass sie ihr Unwesen Jahrtausende lang, bis ins Mittelalter trieben. Als ca. 1500 die Hexenverfolgung einsetzte, gehen einige Vampirismusforschungen von einem, mit der Abebbung des Hexenglaubens parallel verlaufend beginnenden Vampir-Auflebens aus[10].

Doch auch in anderen Zivilisationen tauchen der Vampir und seine Verwandten bereits in der Vorgeschichte auf. In Indien ist es Göttin Kali, ein „Vampirwesen, das mit Menschenblut genährt wird“[11] ; in China wird von „ging shi“ erzählt, einem „blutdürstigem Dämon“[12] ; in Armenien ist es „der Berggeist Daschnavar, der Wanderern das Blut aus den Fußsohlen saugt, bis sie tot sind“[13]. Viele weitere Beispiele aus etlichen anderen Kulturen, Ländern und Zeiten reihen sich noch an die genannten Ahnen des Blutsaugers, was Meurer treffend als „Mythen und kein Ende“[14] beschreibt. Diese mannigfaltigen Überlieferungen sind es, die sich im Laufe der Jahrhunderte zur Figur des Vampirs entwickelten. Die Frage, wie genau sich dies vollzog, kann die Forschungsliteratur, welche dieser Arbeit zu Grunde liegt, nicht beantworten. Die Figur des Vampirs lebt über Jahrhunderte in Sagen, Märchen und Geschichten fort, ohne allzu definitive Spuren zu hinterlassen.

Nodier schrieb zu Beginn des 19. Jahrhunderts:

„Die greisen, etwas abgegriffenen antiken Nachtgespenster, von Anthologist zu Anthologist seit dem Ausgang des Altertums weitergereicht, wichen Werwölfen und Vampiren, die den Relationen des gerade vergangenen Jahrhunderts entstammten (...)“[15]

Der pathologische Vampir

Die ersten Zeugnisse der Existenz von Vampiren tauchen bereits ab dem Ende des 12. Jahrhunderts überall in Europa auf. So sind beispielsweise in England, Böhmen, Schlesien[16] oder auch Frankreich, Spanien, Ungarn und Russland[17] vereinzelte schriftliche Überlieferungen von Angriffen von Vampiren und ihren nahen Verwandten, den „Nachzehrern“ bekannt. Die tatsächliche Vampirpanik allerdings, die eine regelrechte Schwemme an wissenschaftlichem, kirchlichem und auch fiktionalem Schriftgut mit sich brachte, fand in erster Linie im Südosteuropa des 18. Jahrhunderts statt und verbreitete sich über Belgrad bzw. Wien in ganz Europa.

Voltaire soll diesbezüglich gesagt haben: „Von 1730 bis 1735 war von nichts anderem die Rede als von Vampiren, je mehr man verbrannte, desto mehr tauchten auf“[18].

Die Toten stehen auf

„Es muß einen Grund dafür gegeben haben, dass diese Vampirgeschichten plötzlich die Fantasie ganz Europas beschäftigten. Offensichtlich war irgend etwas geschehen, und es ist unwahrscheinlich, dass es sich um bloße Einbildung handelte“[19]

Nachdem 1708 Teile des osmanischen Reichs von der Donaumonarchie adaptiert worden waren, gab es vom österreichischen Militär bzw. Militärärzten dokumentierte Vorkommnisse von realen Vampiren, die heute Zeugnis sind für die unzähligen, größtenteils nur fragmentarisch überlieferten Fälle realen Vampirismus. Nach dem Tod des 1732 verstorbenen Serben Arnod Paole zum Beispiel gab es in seinem Heimatdorf Medvegia einige unerklärliche Todesfälle, wodurch Paole unter Verdacht geriet ein Vampir zu sein. Als man das Grab nach „beyläuffig 40 Tage“[20] öffnete, fand man die Leiche nicht nur unverwest, sondern sogar wohlgenährt und rosig. Aus Mund und anderen Körperöffnungen rann frisches Blut, an Stelle der alten Nägel waren Neue gewachsen:

„(...) weilen sie nun daraus ersehen, dass er ein würklicher Vampir sey, so haben sie demselben nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durchs Hertz geschlagen, wobey er einen wohlvernehmlichen Gächzer gethan (...)[21].

In diesem authentischen Dokument ist von 13 weiteren Graböffnungen die Rede, wobei acht weitere Leichname „in offt benannten Vampir-Stand“[22] vorgefunden und vernichtet wurden.

Tatsächlich gab es auch Berichte von Paole heimgesuchter Dorfbewohner, die behaupteten „um den den Hals gewürget worden (zu sein), worauf sie einen grossen Schmerz auf der Brust empfunden“[23]. Auch diese Zeugen waren daraufhin „allermassen in Zeit von drei Monathen 17 junge und alte Personen mit Tod abgegangen, worunter einige ohne vorher gehabte Krankheit in 2 oder längstens 3 Tagen gestorben[24].

Die Forschung geht davon aus, dass es sich bei den „wohlgenährten Leichen“ um eine besondere Form des Verwesungsprozesses handelt, wobei das „Blut“ mit hoher Wahrscheinlichkeit rote Fäulnisflüssigkeit gewesen[25] ist und Fäulnisgase für das aufgeblähte Erscheinungsbild, die „wachsenden“ Nägel und für die Geräusche bei der Pfählung solcher „Ballonvampire“ verantwortlich waren. Geräusche vernahm man allerdings auch bei noch intakten Gräbern, in denen man dann einen Vampir oder aber auch einen Nachzehrer vermutete. Das wahrscheinlich ebenso durch Verwesung erzeugte „Schmätzen im Grabe“[26] soll dadurch entstehen, dass der Tote seine Grabbeigaben, wie das Leichentuch oder sogar sich selbst „frisst“ und so die lebendigen Menschen „nachholt“. Tatsächlich fand man nach der Graböffnung Leichen, die sich an ihren Grabbeigaben oder sich selbst gütlich getan, oder aber nicht in der Ausgangsposition in ihrem Sarg lagen, was allerdings auf die hohe Zahl lebendig Begrabener zurückzuführen ist. Der Scheintod, die Katalepsie und vielfältige Fehldiagnosen des primitiven medizinischen Wissens förderten nicht nur eine panische Angst versehentlich lebendig begraben zu werden, sondern auch den Glauben an Vampire.[27]

Die zahlreichen Todesfälle rund um einen Vampirfund sind vermutlich das Ergebnis verschiedener Seuchen gewesen, wobei man der Forschungsliteratur zahlreiche Spekulationen über die eine oder andere Krankheit entnehmen kann. Beispielsweise sei hier die Tollwut[28] genannt, die besonders aufgrund ihrer Übertragungsform – dem Biss, der Symptomatik – Halluzinationen oder der Lichtempfindlichkeit, der Furcht vor Wasser und damit vor dem eigenen Spiegelbild – typisch für einen Vampir eine naheliegende Lösung bildet. Aber auch Milzbrand[29], Tuberkulose[30] und nicht zu vergessen die Pest sind Seuchen, die zu dieser Zeit viele Todesopfer forderten und deren Erreger nachträglich in einigen Leichen, die einer Vampirepidemie zum Opfer fielen, nachgewiesen werden konnten.[31] Peter Mario Kreuter betont, dass man nicht von einer monokausalen Krankheit ausgehen darf, die hier zur Vampirhysterie geführt hat – zumal sich die Symptome zum Teil so gar nicht mit den im Volksglauben geschilderten decken[32], und so bleibt es wohl bei den bloßen Spekulationen. Was aber für die Seuchentheorie spricht, ist der Volksglaube, dass der Vampir zunächst die Menschen nachholt, die ihm nahegestanden haben, was vermutlich auch jenem Personenkreis entspricht, der im Krankheitsfall pflegt und sich am ehesten ansteckt. Weiterhin wurden die potentiellen Blutsauger nach ihrer Identifikation häufig verbrannt, was nicht nur einer symbolischen, sondern unter Umständen auch einer hygienischen Beseitigung der Erreger und gleichzeitigen Reinigung der Luft gleichkam, woraufhin das Sterben aufhörte.[33]

Festzuhalten bleiben weitere Informationen, die die zeitgenössischen Berichte liefern. So ist der Vampir nicht allerorts gleicher Gestalt. Er wird sowohl als knochenloser Hautsack, der sich durch das Saugen mit Blut füllt[34], beschrieben, als auch in menschlicher Gestalt mit bluttriefenden Augen, ohne Nase, mit nur einem Nasenloch, einem zweifarbigen Schnurrbart oder mit einem „Leib, (der) wie Kohle glüht“[35]. Des Weiteren ist nirgendwo von dem uns bekannten Vampirbiss die Rede – er existiert in der „Vorstellungswelt der Völker Südeuropas nicht!“[36] Vielmehr geht Kreuter davon aus, dass sich gemeinhin das Blutsaugen des Vampirs aus dem vorhandenen Blut im Mund der Leichen und der tief verwurzelten mythischen Bedeutung des Blutes als Lebenssaft erschloss[37].

Obwohl sich auch zeitgenössische Gelehrte aus Medizin, Philosophie und Theologie des Themas annahmen und durchaus auch naturwissenschaftliche Erklärungsversuche unternahmen, kann man aus der Brutalität, mit der gegen den vermeintlichen Vampir vorgegangen worden ist, schließen, wie ernsthaft die putative Bedrohung für die Menschen gewesen sein muss.

Die Spuren der Kirche

Dem exemplarisch Bösen geht es so wie dem Heiligen: steht ihre Exemplarität erst einmal fest, so gibt es auch nichts was sie nicht im Sinne dieses Exempels tun könnten.“[38]

Die Varietät des Vampirbildes beruht in erster Linie auf der Vielzahl an Volksstämmen und Gruppen, die das Krisengebiet Balkan besiedelten und so durch die Neukombination bereits vorhandener Elemente immer wieder neue Vorstellungen generierten. Die vorchristlichen und die Naturreligionen wurden nur langsam und teilweise durch das orthodoxe Christentum verdrängt.[39]

Trotzdem lassen sich viele Bestandteile des Vampirglaubens, die wir heute kennen, durch den Einfluss der Kirche erklären, und sogar eine der Hauptfunktionen des Vampirglaubens liegt laut Kreuter darin begründet. Der Vampirglaube ist dem „Substitutionsgesetz“ nach eine Möglichkeit die Lücke zu schließen, die in der „Hochreligion“ im Bereich des Totenkults und der Beerdigungsbräuche klafft. In der orthodoxen Kirche gibt es kein Todessakrament, der Tod selbst ist als einfache Folge der Erbsünde „wenn überhaupt, nur fatalistisch erklärt und die Aussicht auf eine gar nicht so sichere Erlösung und den Eingang in ein nicht näher definiertes Jenseits“[40] konnte nur Unsicherheit und Furcht erzeugen, welcher ein Name gegeben werden musste. Es ist zwar die Vorstellung eines „jüngsten Gerichts“ gegeben, allerdings gibt es keine Angaben, wann der Tote dorthin berufen wird und was zwischen diesen Fixpunkten geschieht.[41] Die Theologen und Philosophen ganz Europas[42] beschäftigte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Diakonus[43] Michael Ranfft und der Historiker Joseph von Görres beispielsweise gingen von einem Teil der Seele, der „anima vegetativa“ aus, die im toten Körper verblieb und so ein vegetatives, pflanzenartiges Fortbestehen des Körpers ermöglichte[44]. Eine andere Theorie von großer Bedeutung war die des umherwandelnden „Astralleibs“, der nach dem Tode als „energetische Aura“ im Körper verbleibt, und einfach länger braucht um zu verwesen.[45] Allerdings waren sämtliche dieser Theorien nicht wirklich anerkannt, da sie schlicht und einfach mit der christlichen Vorstellung der einzig göttlichen Wiedererweckung kollidierten.

Überhaupt bereiteten die nicht verwesenden Untoten der Kirche Schwierigkeiten, ist es doch Teil der Lehre die Unverweslichkeit als etwas Heiliges zu verehren.[46] Kompliziert stellt sich auch das Verhältnis des dämonischen Raubs und Genusses von Blut und der Eucharistie dar. Jesus Christus gab im Sinne der Sühne sein Blut zur Errettung der Menschheit und hat sich somit „als Antivampir bewusst (...) geopfert“[47]. Der die christliche Kommunion Empfangende aber nimmt den Leib Christi und dessen Blut zu sich, wodurch er gewissermaßen auch vampirisches Verhalten zeigt.[48] Ein Fakt, der schwerlich in das schwarz-weiße Denkmuster der Kirche einzuordnen war. Um sich dieser Diskussionen zu entledigen und um der „einsetzenden Aufklärung“ gerecht zu werden, verbot Maria Theresia 1755 den Vampirglauben per Erlass.[49] Trotzdem hat die Kirche geschickt die „Angst vor Vampiren zum Vorteil ihrer eigenen Ideologie gedeutet“[50]. Nicht nur, dass die Nachfrage nach Exorzismen und Messen für Priester ein gesichertes Einkommen bedeutete[51], die Vampirangst ließ sich auch zur Verfestigung eigener Lehren instrumentalisieren. „Damit enthob sie die ursprünglich >ideologiefreie< Schreckensfigur ihrem heidnischen Umfeld und rückte sie – als warnendes Mahnmal nun mit einer moralischen Bedeutung versehen – in einen christlichen Kontext“[52]. Die Bildhaftigkeit ihrer Beispiele für richtiges oder falsches Verhalten ist in der christlichen Lehre von immenser Bedeutung. Das Vampirdasein erhielt infolge dessen nicht nur den Stempel des widernatürlichen, diabolischen, es drohte auch als Konsequenz für das Nichteinhalten christlicher Gebote.

Wer wird Vampir?

Besonders gut ersichtlich ist die Rolle, die der Einfluss der Kirche auf den heidnischen Glauben hatte, in der langen Liste derer, die gefährdet sind nach ihrem Tod als Vampir zu reinkarnieren. Unverschuldet zu Vampiren werden können Menschen, die bei ihrer Geburt körperliche Außergewöhnlichkeiten, wie Male, Zähne, rote Haare in Kombination mit blauen Augen oder Kahlheit aufweisen. Doch auch die Geburt an einem Feiertag, an einem Unglücksdatum oder als siebtes gleichgeschlechtliches Kind einer Frau bedeutet das sichere Vampirwerden und bezeugt hier den heidnischen Glauben an die Vorherbestimmtheit der Existenz. Ebenfalls derjenige, der einem Vampir zu Lebzeiten zum Opfer fällt, wird unverschuldet „infiziert“. Heilung kann sich der erhoffen, der Erde von einem Grab eines Vampirs isst oder sich mit dessen Blut einreibt. Fremdverschuldet zum Vampir wird man, wenn den Hinterbliebenen Fehler bei dem Begräbniszeremoniell unterlaufen, zum Beispiel die Leiche von einem Tier übersprungen wird. Unübersehbare Beeinflussung der Kirche wird bei den Menschen sichtbar, die durch ihr eigenes Verschulden, oder durch ihr Anderssein zum Dämon werden müssen.[53] „Selbst minimale Abweichungen von einer sehr speziellen Verhaltensnorm können tragische Folgen haben“[54]. Hierzu zählen Dirnen, Selbstmörder, Hexen und Zauberer, aber auch Konvertiten[55] oder religiöse Minderheiten, Kranke und Arme.[56]

Abwehrmaßnahmen

Um einen Toten an seiner Wiederkehr zu hindern, durchtrennte man ihm vielerorts die Beinmuskeln oder legte ihn im Sarg mit dem Gesicht nach unten, damit er in die falsche Richtung grub.[57] An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass sich unter anderem wegen der oft unangetasteten Vampir-Gräber der Glaube an die Wandlungsfähigkeit des Wiedergängers in verschiedene materielle Zustände, zum Beispiel Nebel, oder unterschiedliche Körpergrößen entwickelt haben muss. Ein ebenfalls probates Mittel sollte das Verbringen einer Münze oder Ähnlichem im Mund der Leiche[58] oder die Platzierung einer Grasnarbe unter dem Kinn sein – der Tote sollte „ins Gras beißen“. Des weiteren streute man Senfkörner oder andere Samen in den Sarg oder legte Netze bei, weil man davon ausging, dass der Vampir den Sarg nicht verlassen könnte, ohne vorher alle Samen, bzw. Knoten gezählt zu haben.[59] Erst die Kirche etablierte die uns bekannten Abwehrmittel des Kruzifixes, des Weihwassers, der Hostien, sowie der wilden Rose oder des Pflocks, der aus demselben Holz wie das Kreuz Christi bestehen sollte.[60] Zwei der wenigen Mittel, die noch von den heidnischen Abwehrmaßnahmen „im Einsatz blieben“, waren der Knoblauch oder auch das Enthaupten.

Erklärungsversuche

Neben den bereits erwähnten Erklärungsversuchen gibt es in der Forschungsliteratur sehr viele weitere Gründe, warum sich die Vampirhysterie im 18. Jahrhundert derart gestalten konnte. Die weitaus älteste stammt vom Zeitgenossen Augustin Calmet, der die „Einbildungskraft“ der Balkanvölker auf deren schlechte Ernährung und den Opiumgenuss zurückführt.[61] Kreuter spricht ebenfalls von wahrnehmungsgeschichtlichen Aspekten, wie der tiefen Dunkelheit während der Nächte, der Stille, Einsamkeit und nicht zuletzt der Langeweile, welche die Fantasie der Menschen beflügelte.[62] Nicht zu unterschätzen sei auch der kollektive Akt der Vernichtung des Vampirs.[63] An anderer Stelle werden eben solche „massenpsychopathologischen“ Vorfälle als Folge sozialer Entbehrungen und der Pest verstanden.[64]

Der fiktionale Vampir am Beispiel Johann von Goethes „Die Braut von Korinth“

Als Maria Theresia 1755 den Vampirglauben offiziell verbat und auch die Aufklärung zu keimen begann, verschwand der Vampir als reale Bedrohung nach und nach aus dem Fokus der Wissenschaft und des Volksglaubens. Doch das bedeutete keinesfalls den endgültigen Tod für den Blutsauger und seine Verwandten. Sie fanden bald ein neues Zuhause in der Literatur, die das wissenschaftlich oder logisch nicht erklärbare Phänomen dankbar als düster-geheimnisvolles Motiv adaptierte. Heute ist es unmöglich zu sagen wann und wo sich das Vampirgenre entwickelt hat[65], aber Johann Wolfgang Goethe war einer der ersten Dichter, der sich des Motivs bediente und das Potential dieser Figur als Symbolträger nutzte. Somit ist die 1798 entstandene „Braut von Korinth“ eine der bekanntesten und wichtigsten literarischen Umsetzungen des Stoffes.

Das Gerüst der „balladesken Tragödie“[66] basiert auf der bereits für die Walpurgisnacht in Faust verwendeten[67] antiken Erzählung des Phlegon von Tralles, dem „Buch der Wunder“. Einer Gespenstergeschichte aus der Zeit Trajans[68], die 1666 von Johannes Praetorius neuaufgelegt worden war[69]. In dieser Erzählung besucht der Jüngling Machates die Stadt Tralles, in der er die Gastfreundschaft der Familie Demostrates geniest. Die vor sechs Monaten verstorbene Tochter der Familie, Philinion, sucht den Jüngling nachts als Gespenst auf und verführt ihn. Die Mutter ahnt unterdessen, dass ihre Tochter nächtens zurückgekehrt ist und mit Machates Hilfe trifft diese in der nächsten Nacht auf ihr Kind, das, weil man ihm den Liebhaber nicht gönnen will, voll Trauer verschwindet. Ihre Leiche wird infolge aus dem Grab entfernt und den wilden Tieren vorgeworfen. Machates aber stirbt bald darauf.[70]

Im Handlungsrahmen selbst nimmt Goethe nur einige Änderungen vor: Das Mädchen und der Jüngling sind sich von Kindheit an versprochen und als er kommt um seine Braut einzufordern, weiß er nichts von deren Tod. Dass das Mädchen kein Gespenst, sondern ein Vampir ist und die Erzählung in einer hoffnungsvoll gemeinsamen Zusammenführung auf dem Scheiterhaufen endet, entstammt ebenfalls der Feder des Dichters.

Doch anders als die Quelle, die vermutlich nur zur bloßen Unterhaltung dienen sollte, ist „die Braut von Korinth“ eine vielschichtige Liebesgeschichte, in der gerade der Verwendung des Vampirmotivs eine tragende Rolle zukommt.

Vampirismus

Goethes „Braut von Korinth“ entsteht im ausgehenden „Jahrhundert der Vampire“ und es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Dichter nicht nur den antiken Stoff der Lamien kannte[71], die auch in „Faust“ ihren Eingang fanden. Ebenso die Kenntnis der volkstümlichen Vorstellungen aus Berichten, Traktaten und wissenschaftlichen Werken kann man, in Anbetracht ihrer Verbreitung in Europa, annehmen. Abgesehen davon, dass Goethe selbst sein Werk „ein vampyrisches Gedicht“[72] genannt hat, sprechen allein die Attribute und Eigenschaften, durch die sich die Braut auszeichnet, für deren Vampirismus.

Ihr „starres Blut“ (125)[73], dass sie so „kalt wie Eis“ (111) ist und die Angabe „es schlägt kein Herz in ihrer Brust“ zeugen deutlich das Fehlen jeglicher biologischen Körperaktivität. Dass ferner der „letzte Schritt“ (52) bereits geschehen ist und sie sich „in die Erde bald verbirgt“ (76), sind nochmals unverkennbare Hinweise auf ihren Status als Untote.

Sie ist „vor Schrecken blaß“ (47) und hebt „eine weiße Hand“ (35) und „mit blassem Munde“ (94) schlürft sie den „dunkel blutgefärbten Wein“ (95). Die Farben, die hier ein Bild ihrer äußeren Erscheinung geben, sind nicht nur zu Goethes Zeiten mit Symbolik behaftet – schwarz wie die Nacht bzw. das Böse, weiß wie blutleere Haut oder die Unschuld, und rot wie Blut sind sie bis heute die klassischen Farben des Vampirs.

Was die Braut ebenfalls als Wiedergängerin identifiziert, sind vor allem ihre Aussagen in den letzten drei Strophen, aus denen sich auch schließen lässt, dass Goethe die Vorstellungen des Volksglauben gekannt haben muss.

Als Blutsaugerin wird sie von dem Drang, das „vermißte Gut“ (177), also „Herzens Blut“ (179) zu suchen, aus ihrem Grab „ausgetrieben“ (176). Doch nicht nur ihr Bräutigam, der ebenfalls als Vampir „wieder dort“ (189) erscheinen wird, wird ihr Opfer, bringt man sie nicht beide „in Flammen“ (193) „zur Ruh`“ (193) - denn sie „muß nach andern gehen“ (181) „und das junge Volk erliegt der Wut“ (182). Weiterhin bleibt die Frage, woran das Mädchen starb - ob es aus Trauer um ihr nicht sinnerfülltes Leben geschah oder sie sich umbrachte, wird aus dem Text nicht ersichtlich. Es entsprach allerdings dem Aberglauben, dass Menschen, die unter derartigen Umständen starben, zu Vampiren würden oder aber zu Wiedergängern, da ein junger Tod unnatürlich ist und jedes Leben zu Ende gelebt werden will.[74]

Für den Leser identifiziert Goethe das Nachtgespenst als Vampir, dessen Bild aber dennoch kaum den gängigen Vorstellungen der Zeit entsprochen haben dürfte. Der Vampir des 18. Jahrhunderts hat kaum Menschliches an sich, entsteigt seinem Grab lediglich um animalisch seine Begierde nach Blut zu befriedigen. Dass ein solches Wesen trotzdem anziehend wirken konnte, geradezu hypnotisch, erzählten zwar bereits die Legenden der Lamien, die des Nachts Männer verführten und ihren Samen stahlen.[75] Das Novum von Goethes Darstellung aber war das menschliche Verhalten des Blutsaugers - der hier zu Gefühlen fähig ist – also die Identität und die Seele, die er seiner Figur gab.

Das Mädchen möchte der Situation, in die sie unabsichtlich gerät, am liebsten sofort wieder entfliehen: „und ich gehe schnell so wie ich kam“ (42) und fordert den Jüngling eindringlich auf „ferne“ (50) zu bleiben. Erst als er all ihre Warnungen bezüglich ihres Todes ausschlägt – weil er sie missversteht, gibt sie seinem Werben nach und sie leisten einen Treueschwur. Auch jetzt noch versucht sie den Jüngling vor ihrem todbringenden Kuss zu schützen: „Ach wie ungern seh ich dich gequält!/Aber, ach! Berührst du meine Glieder,/Fühlst du schaudernd, was ich die verhehlt./ wie Schnee so weiß,/Aber kalt wie Eis/ Ist das Liebchen, das du dir erwählt“ (107 ff.). Erst als sie sich seinem leidenschaftlichen Drängen nicht mehr widersetzen kann, erwacht mit dem sexuellen Vollzug auch ihre vampirische Gier: „Tränen mischen sich in ihre Lust;/Gierig saugt sie seines Mundes Flammen“ (121 f.). Sie gibt ihrem natürlichen Verlangen nach, dem vampirischen und auch dem der Liebenden und reißt den Bräutigam mit sich in den Abgrund. Dadurch, dass sie diese Wahl bewusst trifft, „stürzt das Unheimliche der archaischen Sage nicht mehr aus dem bedrohlichen Raum der äußeren Natur auf den Menschen ein, sondern aus der unbeherrschbaren Tiefe seines Innern“[76]. Die Tränen zeugen von ihrem faustischen Kampf – den zwei Seelen, die in ihrer Brust ruhen und damit von ihrer Menschlichkeit.

Ein Konflikt, mit dem Bram Stokers „Dracula“ sicher nicht zu kämpfen gehabt hätte. „Hier klingt Goethesches Humanitätsdenken durch“[77] und mit dieser Art Dämon ist er der Zeit weit voraus. Viele folgende, literarisch bedeutende Vampire sind nicht so human und sensibel angelegt wie seine Braut, sondern repräsentieren eher diabolisch mordende Monster. Erst gute 150 Jahre später haucht Anne Rice ihren gequälten Kreaturen Gefühle und Gewissen ein. Weiterhin sind - mit Ausnahmen wie zum Beispiel Le Fanus „Carmilla“ – das Gros der Blutsauger männlichen Geschlechts und damit ohnehin eher dem klassischen Bild eines Monsters entsprechend.

[...]


[1] Borrmann, Norbert: Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, München 2000, S. 42

[2] Vgl. http://www.focus-magazin-verlag.de/PF4/PF4D/PF4DS/pf4ds_best.htm?nav=31&qu_book=lit

[3] http://www.bella-und-edward.de/web/index

[4] Meurer, Hans: Vampire. Die Engel der Finsternis. Der dunkle Mythos von Blut, Lust und Tod, Freiburg, 2001, S. 7

[5] ebd. S. 17

[6] ebd. S. 16

[7] ebd.

[8] Vgl. ebd. S. 20

[9] Borrmann S. 46

[10] Vgl. Meurer S. 23 ff u. Borrmann S. 57

[11] Borrmann S. 44

[12] Vgl. ebd. S. 42

[13] Völker, Klaus, In: Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm und Klaus Völker, München, 1968. S. 509

[14] Meurer S. 10

[15] Nodier, Charles, In: Völker, Klaus, In: Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm

und Klaus Völker, München, 1968. S. 539

[16] Vgl. Völker, Klaus, In: Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. S. 515 f

[17] Vgl. Borrmann S. 50 f

[18] Meurer S. 49

[19] Wilson, Colin: zitiert nach Borrmann S.54

[20] Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm und Klaus Völker, München, 1968. S. 452

[21] ebd.

[22] ebd. S. 455

[23] ebd. S. 453

[24] ebd.

[25] Vgl. Borrmann S. 105 f

[26] Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm und Klaus Völker, München 1968. S. 441

[27] Vgl. Copper, Basil: Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit, Augsburg 1973, S.28

[28] Kreuter, Peter Mario: Der Vampirglaube in Südosteuropa, Berlin 2001, S.100

[29] ebd. S.101

[30] Borrmann S. 106

[31] ebd.

[32] Kreuter S.101

[33] Vgl. Copper S. 19

[34] Vgl. Kreuter S. 29

[35] Vgl. ebd. S. 30

[36] ebd. S. 97

[37] Vgl. ebd. S. 173

[38] ebd. S. 53

[39] Vgl. ebd. S. 114

[40] ebd. S. 146

[41] Vgl. ebd. S. 143 ff

[42] Vgl. Bormann S. 54 f

[43] Meurer S. 51

[44] Vgl. ebd. S. 104

[45] Vgl. Meurer S. 54

[46] Pirie, David: Vampir Filmkult, London 1977, S. 14

[47] Borrmann S. 195

[48] ebd.

[49] Meurer S. 54

[50] Borrmann. S. 48

[51] ebd.

[52] Jänsch, Erwin: Das Vampir-Lexikon, München 2000. S. 65

[53] Vgl. Kreuter S.33 - 36

[54] ebd. S.36

[55] vgl. ebd.

[56] Vgl. ebd. S. 179

[57] Jänsch, S. 66

[58] Kreuter S.38

[59] ebd.

[60] Meurer S. 123

[61] Vgl. Calmet, Augustin: zitiert in: Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm und

Klaus Völker, München 1968. S. 522

[62] Vgl. Kreuter S. 154 ff

[63] Vgl. ebd. S. 149 ff

[64] Vgl. Pirie, S. 14

[65] Borrmann S. 59

[66] Schemme, Wolfgang: Goethe: Die Braut von Korinth.Von der literarischen Dignität des Vampirs. In:

Wirkendes Wort 5, 1986. S. 344

[67] Schulz, Gerhard: Liebesüberfluss, In:Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts 1996. S. 55

[68] Vgl. Schemme S. 335

[69] Vgl. Praetorius, Johannes: Eine neue weltbeschreibung von allerlei wunderbaren menschen. In: Die Quellen

von Schillers und Goethes Balladen zusammengestellt von Albert Leitzmann, Bonn 1911, S. 34-37

[70] Vgl. ebd.

[71] Vgl. Schulz S. 41

[72] Goethe-Handbuch: in 4 Bänden, hrsg. Von Bernd Witte, Stuttgart 1996. S.289

[73] Ich zitiere die Ballade nach: Johann von Goethe, Die Braut von Korinth. In: Von denen Vampiren. Phantastische Bibliothek. Hrsg. Dieter Sturm und Klaus Völker, München 1968. S. 15 – 20. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Verse des Gedichts.

[74] Vgl. Harmening S. 75

[75] Vgl. Meurer S. 21

[76] Schemme S. 344

[77] ebd. S. 343

Ende der Leseprobe aus 149 Seiten

Details

Titel
Goethe und die Vampire. Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ und die Ursprünge der Vampirliteratur
Autoren
Jahr
2018
Seiten
149
Katalognummer
V231825
ISBN (eBook)
9783656477006
ISBN (Buch)
9783956870392
Dateigröße
2232 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
goethe, vampire, goethes, ballade, braut, korinth, ursprünge, vampirliteratur
Arbeit zitieren
Johann Wolfgang von Goethe (Autor:in)Laura Helm (Autor:in)Nathalie Kónya-Jobs (Autor:in)Rebecca Tille (Autor:in), 2018, Goethe und die Vampire. Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ und die Ursprünge der Vampirliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231825

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