Vom Hören zum Sprechen: Förderung des fremdsprachlichen Lernens in der Grundschule im Bereich Hörverstehen


Bachelorarbeit, 2010

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. DIE HÖRVERSTEHENSKOMPETENZ
2.1. Unterscheidung von Hören und Zuhören
2.2. Der Hörverstehensprozess
2.2.1. Komponenten der Sprachverarbeitung.
2.2.2. Der Prozess der Sprachverarbeitung
2.2.3. Der Sprachverarbeitungsprozess im Zweitspracherwerb
2.3. Teilfähigkeiten der Hörverstehenskompetenz

3. ERKENNTNISSE ZUM FREMDSPRACHERWERB IN DER GRUNDSCHULE
3.1. Zur Selb storganisation im Fremdspracherwerb
3.2. Der Sprechprozess in der Fremdsprache
3.2.1. Sprachwissenschaftliche Grundlagen des Sprechens
3.2.2. Das parallele Sprechmodell nach Levelt

4. DIE BEDEUTUNG DER HÖRVERSTEHENSKOMPETENZ FÜR DEN FREMDSPRACHERWERB IN DER GRUNDSCHULE
4.1. Hörverstehen in der morphosyntaktischen Entwicklung
4.2. Hörverstehen in der lexikalisch- semantischen Entwicklung
4.3. Hörverstehen im Sprechprozess

5. FÖRDERUNG DES HÖRVERSTEHENS IN DER GRUNDSCHULPRAXIS
5.1. Probleme der schulischen Hörverstehensarbeit
5.2. Der systematische Aufbau von Hörverstehen in der Grundschule
5.3. Kriterien für die Auswahl von Hörverstehenstexten

6. ANALYSE VON AUFGABEN
6.1. What number is Harry’s house?
6.2. My body und Saying hello and goodbye

7. RESÜMEE

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. Einleitung

Die Bedeutung von Englisch als Weltsprache nimmt immer weiter zu. In allen wichtigen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft fungiert sie mittlerweile als zentrale Kommunikationssprache und ihre Beherrschung macht eine Verständigung auf fast der gesamten Welt möglich. Auf Grund dieser zunehmenden Präsenz der englischen Sprache und ihrer großen Wichtigkeit für eine erfolgreiche persönliche und berufliche Entwicklung, hat es sich daher die Grundschule zur Aufgabe gemacht, bereits bei den jüngsten Kindern mit dem Englischerwerb anzusetzen. Besonders im Fokus steht hierbei immer die Förderung der kommunikativen Kompetenzen, welche die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen sollen, Gespräche und andere interkulturelle Situationen erfolgreich zu meistern. Diese untergliedern sich zum einen in die rezeptiven Fertigkeiten Hör- und Leseverstehen und zum anderen in die produktiven Fertigkeiten des Sprechens und Schreibens (vgl. Bildungsplan Primarstufe Englisch 2010, S. 8). In der allgemeinen Diskussion herrscht jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Fertigkeit des Hörverstehens als Wichtigste anzusehen sei und die Grundlage für den Fremdspracherwerb darstelle.

Bereits in meiner eigenen Grundschulzeit habe ich den vermehrten Einsatz von Hörverstehensaufgaben im Englischunterricht bemerkt und verschiedene Erfahrungen mit diesen gemacht. Nachdem jene Thematik auch an der Universität vermehrt Betonung erfuhr, entstand der Wille, sich im Rahmen der Bachelorarbeit gezielt mit der Kompetenz auseinanderzusetzen. Unter dem Titel „ Vom Hören zum Sprechen­Förderung des fremdsprachlichen Lernens in der Grundschule im Bereich Hörverstehen“ wird sich die vorliegende Arbeit daher vertiefend mit der Hörverstehenskompetenz auseinandersetzen und deren große Bedeutung für den Fremdspracherwerb in der Grundschule herausarbeiten. Dabei kommt es vor allem zu einer Erläuterung der Verbindungen zwischen dem Hörverstehen und dem Aufbau kommunikativer Sprachgrundlagen. Der gewählte Titel mag möglicherweise den Eindruck erwecken, Hören und Sprechen würden sich nacheinander entwickeln. Dieses kann bereits hier verneint werden. Die Formulierung soll vielmehr die Wichtigkeit des Hörverstehens für den Fremdspracherwerb verstärkt hervorheben. Damit der Einfluss des Hörverstehens effektiv genutzt werden kann, muss sich auch der Englischunterricht dessen Bedeutung bewusst werden und eine Ausrichtung dahingehend anstreben. Diese Arbeit wird sich daher zusätzlich gezielt mit der schulischen Hörverstehensarbeit auseinandersetzen, um dadurch insgesamt ein neues Bewusstsein für das Hörverstehen hervorzurufen und eine Optimierung des fremdsprachlichen Unterrichts durch die bewusste Förderung dieser Kompetenz zu erreichen.

In einem ersten Abschnitt kommt es zunächst zu einer genaueren Definition der Hörverstehenskompetenz. Diese wird dazu in all ihren Facetten beleuchtet und dabei auch auf das fremdsprachliche Verstehen hin vorgestellt. Nachfolgend werden dann die wichtigsten Erkenntnisse des Fremdspracherwerbs zusammenfassend erklärt und der Sprechvorgang detailliert aufgezeigt. Auf diese Weise bildet sich die Grundlage, welche im darauffolgenden Kapitel die Bestätigung der Ausgangthese möglich machen soll. Die Entwicklungen der grundlegenden Systeme für eine erfolgreiche Kommunikation werden hier in Bezug zum Hörverstehen gesetzt und dahingehend analysiert. Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich dann ausführlich mit der schulischen Hörverstehensarbeit. Dazu werden wichtige Einflussfaktoren vorgestellt sowie eine kurze Beschreibung des systematischen Hörverstehensaufbaus geleistet. Anschließend werden die wichtigsten Kriterien für die ideale Auswahl von Hörtexten angegeben und auf zwei Aufgabenbeispiele angewendet. So kann deutlich gemacht werden, durch welche Aufgabenprofile eine verbesserte Förderung des Hörverstehens in der Grundschule erreicht werden kann. In einem rückblickenden Fazit werden alle gesammelten Erkenntnisse zusammengefasst und noch einmal näher betrachtet.

2. Die Hörverstehenskompetenz

Damit die Bedeutung der Hörverstehenskompetenz für den Fremdspracherwerb in der Grundschule klar erfasst werden kann, muss zunächst ein Verständnis für den Ablauf und die Faktoren des Hörverstehensprozesses aufgebaut werden. In diesem Kapitel soll es daher einleitend zu einer Unterscheidung der verschiedenen Qualitäten von auditiver Wahrnehmung kommen und daran anschließend der Hörverstehensprozess genauer erläutert werden. Zum Abschluss wird dann ein Modell zur Beschreibung der Hörverstehenskompetenz vorgestellt. Hier werden die wichtigsten Teilfähigkeiten des Hörverstehens verdeutlicht und die vom Lernenden zu erbringenden Leistungen zusammengefasst.

2.1. Unterscheidung von Hören und Zuhören

Um das Verständnis für den Hörverstehensprozess zu schärfen, ist es zunächst sinnvoll, sich genauer mit einer Unterscheidung zwischen dem Hören und dem Zuhören zu beschäftigen, da diese als Vorraussetzung für das Verarbeiten und Verstehen von Sprache gelten (vgl. Herbert 2008. S. 68).

Der Vorgang des Hörens macht den anatomisch- biologischen Anteil am Hörprozess aus. Er bezieht sich nur auf die reine Wahrnehmung von Geräuschen und beschreibt, wie akustische Reize vom Ohr aufgenommen, transportiert, umgewandelt sowie neuronal codiert und verarbeitet werden (vgl. Lindner 1975, zitiert nach Herbert 2008, S. 68). Das Hören ist damit also ein aktiver Prozess, der den unbewussten psychischen Fähigkeiten zugeordnet werden kann, da keine gezielte Zuwendung zur Hörquelle notwendig ist, damit der Vorgang stattfindet (Kieweg 2008, S. 43).

Englische Sprache allein zu hören reicht jedoch nicht aus, um erfolgreich an einer Kommunikation teilzunehmen. Weiter muss einem Sprecher hierfür noch zugehört werden (vgl. Böttger 2005, S. 120). Das Zuhören beschreibt im Vergleich dazu den kognitiven und psychischen Vorgang der Verarbeitung von Gehörtem. Er dient dessen Verständnis und der Informationsentnahme (vgl. Herbert 2008, S. 68). Aus diesem Grund wird das Zuhören in der traditionellen Didaktik auch als Hörverstehen bezeichnet. Damit das Zuhören beziehungsweise das Hörverstehen geleistet werden kann, muss daher eine aufmerksamkeitsgeleitete sowie verstehens- und interpretationsorientierte Auseinandersetzung mit dem Gehörten stattfinden (vgl. Kieweg 2008, S. 43). Auch der Hörverstehensvorgang ist also ein aktiver Prozess, als dessen Grundlage immer eine bestimmte Verstehensabsicht dient (Solmecke 1992, S. 5). Insgesamt sind Hören und Zuhörenjedoch von unterschiedlichem Charakter, was im Englischen auch durch den verschiedenen Gebrauch der Verben ,,to hear“ und ,,to listen“ deutlich wird (vgl. Böttger 2005, S. 120).

Im Bildungsplan der Primarstufe für das Fach Englisch (2010, S. 10) wird neben der Hörverstehenskompetenz auch das sogenannte Hör- Seh- Verstehen als funktionale kommunikative Kompetenz vorgestellt. Hierbei handelt es sich um visuell gestütztes Hörverstehen. Das Hinzufügen der visuellen Komponente kann zum einen das Verständnis von Gehörtem erleichtern und zum anderen können so die Vorteile mehrkanaliger beziehungsweise multisensorischer Informationsaufnahme genutzt werden (vgl. Haß 2006, S. 74 und 81). Welche Bedeutung diese Art der Unterstützung für die Förderung des Hörverstehensprozesses in der Grundschule haben kann, wird dann vor allem in Kapitel 5. genauer erläutert. Vorher soll nun aber der Hörverstehensprozess betrachtet werden.

2.2. Der Hörverstehensprozess

Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits deutlich, dass Hörverstehen eine aktive Tätigkeit ist, bei der gezielt Informationen aus gesprochener Sprache entnommen werden, (vgl. Haß 2006, S. 74). Der Hörende muss also die phonetische Sprachinformation mental verarbeiten und dazu aus einem Lautkontinuum diejeweilige Botschaft konstruieren (vgl. Kieweg 2003a, S. 18). Nach Heiner Böttger (2005, S. 121) gliedert sich der Hörverstehensprozess in vier Teilschritte:

1. Die gesprochene^] Signale muss [müssen] aus möglichen Hintergrundgeräuschen herausgefiltert werden.1

2. Der zusammenhängende Redefluss wird in Einheiten unterteilt, innerhalb derer bekannte Wörter erkannt.

3. Syntax und Inhalt sowie die Intention der Äußerung werden erkannt.

4. Sprachliche Kenntnisse werden in der Folge angewendet um eine adäquate Antwort geben zu können.

Häufig wird der Hörverstehensprozess auch als das hoch komplizierte Zusammenspiel zwischen der auditorischen Komponente (Wahrnehmung der Schallwellen), der phonologischen Komponente (phonetische Repräsentation im mentalen Lexikon2 ), der morphogrammatischen und syntaktischen Komponente (Wortbildungsregelhaftigkeiten und Wortstellung im Satz) sowie der semantischen Komponente (kontextabhängiges Erkennen der Bedeutung) dargestellt (vgl. Kieweg 2008, S. 43f.).

Zusammenfassend bezeichnet der Prozess des Hörverstehens daher sowohl die Wahrnehmung von Gehörtem, also die Identifikation von Lauten, Wörtern, Phrasen und Sätzen sowie die Unterscheidung ähnlich klingender Elemente in der Sprache, als auch den Prozess der Sprachverarbeitung (Elsner 2007, S. 102). Welche Faktoren innerhalb dieses Prozesses zum Tragen kommen, soll im nächsten Abschnitt genauer erläutert werden.

2.2.1. Komponenten der Sprachverarbeitung

Als erste wichtige Komponente des Verarbeitungsvorganges lässt sich die Verstehensabsicht nennen. Ohne diese sei, so Solmecke (2003, S. 5), das Gesprochene aus Sicht des potentiellen Hörers kaum mehr als eine Abfolge von Geräuschen ohne Informationswert. Die Verstehensabsicht ist jedoch nicht nur entscheidend für die Zuwendung von Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Hörtext. Sie ist außerdem auch ausschlaggebend dafür, was wir objektiv von einem Text verstehen müssen, um ihn persönlich als verstanden zu bezeichnen. Je nach Art des Hörtextes und den Erwartungen, die an ihn gestellt werden, kann es genügen, nur den Gesamtsinn zu verstehen oder Einzelheiten zu erfassen. Unterschieden werden an dieser Stelle also das Globalverstehen (listening for gist) und das Detailverstehen (listening for details). Eine Absicht für das Verstehen eines Textes zu haben, bedeutet also nicht, dass dem Hörtext über die ganze Zeit hinweg aufmerksam zugehört wird (vgl. Solmecke 1992, S. 5).

Insgesamt lässt sich damit sagen, dass die Verstehensabsicht zwar eine Grundlage für das Verstehen eines Hörtextes darstellt, jedoch sind zusätzlich auch Sprach- und Sachkenntnisse auf Seiten des Textrezipienten notwendig, um Informationen erfolgreich zu verstehen (vgl. Elsner 2007, S. 102). Gert Solmecke (2003, S. 8) stellt diese Vorbedingungen des Hörverstehensprozesses in der folgenden Graphik bildlich dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Vorbedingungen des Hörverstehensprozesses

Dieter Wolff (2003, S. 12ff.) geht in seinem Modell zur Sprachverarbeitung genauer auf die Vorbedingungen Sprach- und Sachkenntnisse ein. Seiner Meinung nach könne ein Sprachverarbeiter eine sprachliche Mitteilung nur dann angemessen verstehen, wenn er sowohl über Wissen als auch über Können verfüge. In diesem Zusammenhang führt er vier Komponenten ein, die er als Grundausstattung für die erfolgreiche Verarbeitung von Sprache bezeichnet: das deklarative Sprachwissen, das prozedurale Sprachwissen, das deklarative Welt- bzw. Erfahrungswissen3 und das prozedurale Welt- bzw. Erfahrungswissen. Deklaratives Wissen beziehe sich hierbei auf alles, was gemeinhin als „Wissen“ bezeichnet würde, das prozedurale Wissen hingegen auf das „Können“.

Unter deklarativem Sprachwissen ist also alles zu verstehen, was der Hörer eines Textes bereits über die Sprache weiß, es umfasst das gesamte lexikalische Wissen4, wie es im mentalen Lexikon repräsentiert ist.5. Dessen wichtigste Funktion besteht darin, eine Schnittstelle zwischen Sprache als Repräsentation von Kognition und Sprache als Repräsentation von Erfahrungswelt darzustellen (vgl. Wolff 2003, S. 12).

Das prozedurale Sprachwissen hingegen umfasst das sprachliche Können eines Sprachverarbeiters. Hierunter fallen seine Wort- und Satzbildungsfähigkeit sowie seine Fähigkeit die Bedeutung unbekannter Wörter zu erschließen, unvollständig gehörte Lautkombinationen zu ergänzen und unklare sprachliche Äußerungen anderer für sich selbst auszuarbeiten (vgl. Wolff 2003, S. 12). Zum prozeduralen Sprachwissen gehört sehr wahrscheinlich auch das grammatikalische Wissen. Dieses sei nach Wolff (2003, S. 12) jedoch so lange sekundär für den Verstehensprozess, wie dieser auch über die Verarbeitung der Bedeutung von Wörtern möglich sei. Den Komplex des Sprachwissens ergänzt Gert Solmecke (2003, S. 5) weiter noch durch Textwissen. Er ist der Meinung, dass Wissen über Textorganisation und Textwirkung für den Verstehensprozess ebenso wichtig seien, wie die allgemeine Kenntnis über das Sprachsystem.

Das deklarative Welt- bzw. Erfahrungswissen beschreibt das Faktenwissen des Sprachverarbeiters. Dieses entsteht in der Auseinandersetzung mit der realen Welt und besteht aus dem Tatsachen- und dem soziokulturellen Wissen (vgl. Solmecke 2003,S. 5). Prozedurales behandelt in diesem Komplex hingegen all das, was der Sprachverarbeiter über, in seiner Kultur als angemessen geltendes, Verhalten weiß und anwendet. Werner Kieweg (2003a, S. 22) beschreibt das Welt- bzw. Erfahrungswissen zusammenfassend als „das Wissen um die Sachen, um das Problem oder den Gegenstand, also das Wissen um die Welt im Allgemeinen.“

Die isolierte Darstellung der einzelnen Komponenten, soll nicht den Eindruck erwecken, dass es sich hierbei auch um vollständig voneinander getrennte Wissensspeicher handelt. Vielmehr befinden sich alle Sprachverarbeitungskomponenten während des Prozesses in einem regen Austausch, damit die Verstehensaufgabe bewältigt werden kann (vgl. Wolff 2003, S. 12). Zusätzlich muss an dieser Stelle betont werden, dass die qualitative Ausstattung der einzelnen Wissenskomponenten natürlich subjektiv sehr verschieden sein kann. Aus diesem Grund ist auch der gesamte Sprachverarbeitungs- bzw. Hörverstehensprozess ein sehr individueller Vorgang, was auch im nächsten Teilkapitel deutlich wird.

2.2.2. Der Prozess der Sprachverarbeitung

In der frühen Verstehensforschung wurde der Sprachverarbeitungsprozess noch als etwas Lineares angesehen, bei dem ein sprachlicher Impuls alle Verarbeitungsstufen nacheinander durchläuft. Diese Auffassung ging also ausschließlich von einem aufsteigenden Verlauf der gehörten Informationen hin zum Hörer aus. Solche Prozesse werden in der Verstehensforschung daher auch als bottom- up- Prozesse bezeichnet (vgl. Wolff 2003, S. 13). Der heutige Stand der Forschung versteht den Verstehensprozess jedoch nicht mehr als etwas Lineares. Vielmehr entspricht er einer Interaktion zwischen Text und Hörer, welcher auch Prozesse beinhaltet, in denen der Hörer seinem Gedächtnis Informationen entnimmt und diese auf den Text anwendet (vgl. Solmecke 1992, S. 7). Hier verlaufen die Informationen also absteigend vom Hörer hin zum Text, woraus sich die Bezeichnung top- down- Prozesse ergibt. Während der Sprachverarbeitung wechseln sich top- down- und bottom- up- Prozesse einander ab, wobei immer beachtet werden muss, dass der Verstehensvorgang eines Aussagenteils noch nicht abgeschlossen sein muss, bevor die Informationen auf einer anderen Ebene bereits weiter verarbeitet werden. Der Verstehensprozess wird daher auch als rekursiver6 und inkrementeller7 Prozess angesehen (vgl. Wolff2003, S. 13f.).

Da damit während des Verstehensprozesses auch der Hörer sein Wissen auf das Gehörte anwendet, muss für ein besseres Verständnis zunächst geklärt werden, auf welche Weise das unterschiedliche Wissen des Hörers mental repräsentiert ist und wie es während des Verstehensprozesses aktiviert wird. Im Bezug auf das Sprachwissen wurde in diesem Zusammenhang bereits das mentale Lexikon erwähnt.8 Die mentale Repräsentation des Welt- bzw. Erfahrungswissens wird häufig die mit der, in der Psychologie viel diskutierten, Schematheorie {schema theory oder script theory) erläutert. Sie vertritt eine Wissensorganisation, die aus schemaartigen Strukturen besteht. Dabei werden alle Wissensstrukturen, die Informationen über bestimmte Objekte, Personen, Situationen, Vorgänge oder Handlungsabläufe enthalten, als ein Schema zusammengefasst. Sieht sich der Sprachverarbeiter mit einer bestimmten Verstehenssituation konfrontiert, so aktiviert er das jeweilige Schema, entwickelt Erwartungen an die bevorstehende Sachlage und kann auf diese Weise Informationen sofort in den größeren Zusammenhang einordnen und verstehen. Die Schematheorie ist daher eng mit der Fähigkeit des Inferierens, also dem Erschließen von Wortbedeutung bei der Sprachverarbeitung, gekoppelt {vgl. Kieweg 2003a, S. 22; Wolff 2003, S. 13). Zusätzlich sind auch noch andere prozedurale Wissensstrukturen als Schemata gespeichert, die als Strategien den Verstehensprozess positiv beeinflussen können. Dazu gehören zum Beispiel die Fähigkeit des Elaborierens9, das Antizipieren, das Vorraussagen und das Hypothesenbilden {vgl. Hermes 1998, S. 222). Durch diese Schemata wird das prozedurale Sprachwissen gesteuert und der Verstehensprozess kann unterschiedlich stark als top- down- oder bottom- up- Prozess ablaufen {vgl. Wolff 2003, S. 13).

Einfluss auf den Verständnisprozess haben, neben den vorgestellten Komponenten der Sprachverarbeitung, immer auch andere äußere Faktoren, die durch das Hörmedium bedingt sind. Hierunter fallen beispielsweise akustische Bedingungen, Stimmqualität und nicht sprachliche Äußerungen durch Mimik und Gestik {vgl. Böttger 2005, S. 121).

Bis hier hin wurde deutlich, dass der Prozess des Hörverstehens keinesfalls ein passiver ist, vielmehr stellt sich dieser, so Wolff {2003, S. 15), „als ein in hohem Maße konstruktiver Prozess dar- ein Prozess, in dessen Verlauf der Sprachverarbeiter in der Interaktion mit den eingehenden sprachlichen Stimuli Bedeutung konstruiert.“

Da es in dieser Arbeit im weiteren Verlauf um die Bedeutung von Hörverstehenskompetenz für den Fremdspracherwerb in der Grundschule geht, wird sich das nächste Kapitel genauer mit der Sprachverarbeitung im Zweitspracherwerb beschäftigen. Auf diese Weise soll herausgearbeitet werden, welche komplexen Aufgaben damit verbunden sind.

2.2.3. Der Sprachverarbeitungsprozess im Zweitspracherwerb

In der Zweitsprachenforschung wurde in der Vergangenheit oft eine identische Sprachverarbeitung in Mutter- und Zweitsprache vermutet. Nur bei isolierter Betrachtung des Ablaufs vom Hörverstehen in der fremden Sprache, lässt sich solch eine Meinung entwickeln. Mit einem näheren Blick auf die verschiedenen Komponenten, die den Prozess der Verarbeitung beeinflussen, muss diese Auffassung jedoch revidiert werden. Aus diesem Grund gelangt die zweitsprachliche Verstehensforschung mittlerweile zu der Meinung, die Verstehensprozesse in der Mutter- und in der Fremdsprache seien von unterschiedlicher Qualität (vgl. Wolff 2003, S. 15). Durch genauere Betrachtung der einzelnen Wissenskomponenten innerhalb der Fremdsprachenverarbeitung kann diese Annahme bestätigt werden.

Bereits das deklarative Sprachwissen des Zweitsprachenlerners ist, obwohl es sich natürlich im weiteren Verlauf des Lernprozesses erweitert, wesentlich weniger ausgeprägt, als das eines Muttersprachlers. Das mentale Lexikon des Lernenden besteht insgesamt aus weniger Einträgen, der Wortschatz ist also noch klein und der Sinn des Gesagten kann daher nicht vollständig erfasst werden. Zusätzlich sind die Netzwerke, in denen die Einträge im mentalen Lexikon verknüpft sind, weniger ausgeprägt (vgl. Wolff 2003, S. 15). Der Grund hierfür liegt in der Vielzahl an neuen Lauten und Lautverbindungen sowie den unbekannten Intonationsmustern, über die auch Bedeutung erfasst wird. Gerade im Englischen werden viele Wörter miteinander verschliffen oder einige unbetonte Silbern gar nicht mehr ausgesprochen. All diese Eigenschaften der neuen Sprache erschweren das Segmentieren des Lautstromes sowie das Erkennen von Bedeutung und Bedeutungseinheiten (vgl. Hermes 1998, S. 223). Aus diesen Gründen besteht noch nicht jeder Eintrag im mentalen Lexikon aus allen Komponenten, die zur vollständigen Integration gehören und dem Lernern ist noch kein komplett automatisierter Zugriff auf die Einträge möglich (vgl. Wolff 2002, S. 12).

Ähnlich wie beim deklarativen Sprachwissen verhält es sich, so Wolff (2003, S. 15), auch mit dem deklarativen und prozeduralen Welt- bzw. Erfahrungswissen des Fremdsprachverarbeiters. In diesem Bereich sei es dem Hörer zwar möglich, einige allgemeingültige Wissensschemata aus seiner eigenen Kultur auf die neue Sprache und deren Kultur zu übertragen, doch würden ihm andererseits trotzdem noch wichtige kulturspezifische Wissensschemata fehlen. Liesl Hermes (1998, S. 224) führt zur Verdeutlichung die typisch amerikanische Redewendung „How would you like yours, sunny side up or easy over?“ an. Diese Frage könne man nur verstehen, wenn man wüsste, dass und wie die Amerikaner beim Braten von Spiegeleiern unterscheiden.

In Bezug auf das prozedurale Sprachwissen vertritt Dieter Wolff (2003, S. 15) die Auffassung, der Fremdsprachenlerner verfüge über Verarbeitungsstrategien, die er allgemein in seiner Muttersprache verwende, aber nicht auf die zweite Sprache übertragen könne. In einer Untersuchung von Lütjeharms (1988, zitiert nach Wolff 2003, S. 15) konnte diese Meinung bestätigt werden. Demnach sei das anfängliche prozedurale Sprachwissen des Lerners in der Zweitsprache selbst auf der niedrigsten Ebene oft nicht ausreichend, um einen Text angemessen verstehen zu können. Schon bei so nah beieinander liegenden Sprachen wie Deutsch und Englisch wären daher schon auf der Ebene der Graphemkodierung10 unterschiedliche Strategien erforderlich, da im Deutschen viele Informationen am Ende von Wörtern gespeichert seien, wo hingegen das Englische eher eine Berücksichtigung der Wortanfänge verträte. Für einen effizienten Verstehensprozess innerhalb der Zweitsprache muss das prozedurale Sprachwissen also für bestimmte Verarbeitungsebenen modifiziert werden (vgl. Wolff 2003, S. 16).

Insgesamt kann die zu Beginn getroffene Aussage, muttersprachliche und fremdsprachliche Sprachverarbeitung seien von unterschiedlicher Qualität, damit bestätigt werden. Weiter kann sogar noch hinzugefügt werden, dass der Lerner einer Zweitsprache teilweise neue Verarbeitungsstrategien anbringen muss. Diese Befunde müssen Konsequenzen für den Fremdspracherwerb in der Grundschule und insbesondere auch für die grundschulische Hörverstehensarbeit haben. In Kapitel 5. wird darum der Fokus genauer auf die Grundschulpraxis gelegt.

[...]


1 Die Korrekturen in den eckigen Klammern wurden am 9.8.2011 nachträglich von mir vorgenommen.

2 Begriff aus der Psycholinguistik, beschreibt den Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem die Wörter einer Sprache mental repräsentiert sind (vgl. Raupach 1994, S. 21, nach Wolff 2002, S. 11; Kapitel 2.2.1.).

3 Die Bezeichnung Welt- bzw. Erfahrungswissen ist hierbei dem vorher erwähnten Sachkenntnissen gleich zu setzten.

4 Bezeichnet das Wissen, welches der Mensch mit der Speicherung eines Wortes in seinem Langzeitgedächtnis verbindet.

5 Vgl. Kapitel 4.1. zum Hörverstehen in der lexikalisch- semantischen Entwicklung

6 Zurückgreifend (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/rekursiv, vom 15.7.2011)

7 Bezieht sich hier auf die vorher beschriebene Tatsache, dass das Verstehen eines Aussagenteils noch nicht abgeschlossen sein braucht, bevor auf der nächsten Ebene schon weiter verarbeitet wird (vgl. Wolff 2003, S. 14).

8 In Kapitel 4.2. findet noch eine nähere Erläuterung dieses Konstruktes statt.

9 Die Fähigkeit neue Wissensstrukturen in bestehende Strukturen einzubauen {vgl. http://lexikon.stangl.eu/322/elaboration/ vom 13.7.2011).

10 Ein Graphem bezeichnet kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit in einem Schriftsystem, die ein Phonem bzw. eine Phonemfolge repräsentiert (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/Graphem verwendet am 23.7.2011)

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Vom Hören zum Sprechen: Förderung des fremdsprachlichen Lernens in der Grundschule im Bereich Hörverstehen
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
43
Katalognummer
V231815
ISBN (eBook)
9783656524601
ISBN (Buch)
9783656525394
Dateigröße
792 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hören, sprechen, förderung, lernens, grundschule, bereich, hörverstehen
Arbeit zitieren
Patricia Wesseling (Autor:in), 2010, Vom Hören zum Sprechen: Förderung des fremdsprachlichen Lernens in der Grundschule im Bereich Hörverstehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231815

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