Pop und Gegenwärtigkeit. 1968 und 1995


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Klärung von Begrifflichkeiten
2.1 Umgang der Popliteratur mit der Gegenwärtigkeit - inhaltlich und formal
2.2 Pop, Individualität, Gegenwart und Selbstinszenierung

3. Rolf Dieter Brinkmann ͣ ngriff aufs Monopol - Ich hasse alte Dichter“ (1968) und Stefanie Flamm ͣLifestyle ist alles was und bleibt“ (1995)

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Pop und Gegenwärtigkeit - diese zwei Begriffe gehören zusammen. Egal ob Popart, Popliteratur, oder die etwas aus dem sonstigen Poprahmen fallende Popmusik, sie alle zeichnen sich durch eine enge Bindung an ihre jeweilige Gegenwart aus, die sie ausdrücken und mitgestalten und in der sie gegenwärtig sind. So verschieden die jeweiligen Gegenwarten sind, so verschieden gestaltet sich aber auch die jeweilige Popform, was die Frage mit sich bringt, ob ‚Pop‘ überhaupt als einheitlicher Begriff gebraucht werden kann - nur die Bindung an die eigene Zeit reicht dafür nicht aus. Dieser Frage widmet sich diese Arbeit, zumindest innerhalb eines abgesteckten Rahmens. Denn gerade in Deutschland lässt sich anhand der Popliteratur verfolgen, wie diese sich an ihre Zeit bindet, welche Mittel sie nutzt, worin sie sich über die Jahre hinweg gleich geblieben ist und wo sie sich verändert, ihrer Gegenwart angepasst hat und neue Bewegungen innerhalb dieser ausdrückt.

Um dieser zunächst vermeintlich einfachen Frage gerecht zu werden, gilt es im Vorfeld die verschiedenen begrifflichen Dimensionen zu klären, die die benutzen Begriffe umfassen und die die Thematik komplex gestalten. So müssen zum einen die ‚Gegenwart‘ und ‚Gegenwärtigkeit‘ umrissen werden. Danach wird sich ein Teil mit dem Begriff ‚Popliteratur‘ beschäftigen - was sowohl seine Teilbereiche ‚Pop‘ und ‚Literatur‘ meint, als auch den Werdegang der Popliteratur in Deutschland.

Im Anschluss wird die deutsche Popliteratur in ihren Anfängen Ende der 1960er Jahre in den Blick genommen und mit der ‚neuen Popliteratur‘ seit den 1990er Jahren verglichen1 - herausgearbeitet werden sollen Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Vorgehen wie im Inhalt. Es wird sich zeigen, dass, bei bleibenden Gemeinsamkeiten wie dem Gebrauch von Alltagssprache, alltäglichen Themen und experimentellen Schreibverfahren, sich doch auch gravierende Unterschiede ergeben, die Auskunft geben über reale Befindlichkeiten einer Zeit.2 Während die ‚alte‘ Popliteratur noch etwas bewirken will, an politische wie literarische Innovationen glaubt und das Konzept des ‚engagierten utors‘ umfasst, hat sich die ‚neue‘ Popliteratur einen anderen Ton (‚Sound‘) zugelegt und eine andere Haltung zur Welt. Themen des Fin de siècle und der Decadence finden sich wieder, Phlegmatik, Ennui, Gleichgültigkeit und der Glaube, dass keine Innovation möglich ist, finden sich inhaltlich wie in den Schreibverfahren wieder. Damit einher gehen immer wieder auch Themen wie Party, Drogen und Gewalt als vergebliche Versuche, der Langeweile zu entkommen. Damit geht die ‚neue‘ deutsche Popliteratur mit der internationalen Popliteratur, die diese Themen in Büchern wie ͣ merican Psycho“ (Bret Easton Ellis, 1991), ͣTrainspotting“ (Irvine Welsh, 1993) oder ͣFight Club“ (Chuck Palahniuk, 1996) - übrigens alle prominent verfilmt - bearbeitet.3

Die Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Popwelle soll sich auf zwei Texte stützen: Rolf Dieter Brinkmanns ͣ ngriff aufs Monopol“ von 1968 und Stefanie Flamms ͣLifestyle ist alles, was uns bleibt“ von 1995. Beide Texte versuchen direkt zu beschreiben, worum es ihrer Gegenwart geht, woher ihre Popliteratur kommt, dadurch verringert sich der interpretative Spielraum im Vergleich zu ‚einfachen literarischen‘ Texten, die rein darstellend funktionieren. Gleichzeitig sind sie auch in ihrer Vorgehensweise Popliteratur, ihre Schreibweise ist dementsprechend eigen und zu untersuchen.

2. Klärung von Begrifflichkeiten

Bevor man sich der Frage nähern kann, wie deutsche Popliteratur in verschiedenen Zeiten versucht hat, Gegenwart darzustellen und mitzugestalten und sich so an sie zu binden, ist es unumgänglich die Begrifflichkeiten genauer zu umreißen. Denn sowohl ‚Pop‘ als auch ‚Literatur‘ als auch ‚Gegenwart‘ sind keineswegs klare (oder auch letztendlich geklärte) Einheiten. Eine Arbeit, die sich mit diesen Feldern beschäftigt, muss sich diesen Unklarheiten stellen, sie beim Namen nennen aber auch die nötigen Umreißungen tätigen, um sich wissenschaftlich mit ihnen zu befassen.

So kurz die begriffliche Fassung von ‚Literatur‘ hier gefasst sein muss, ein Hinweis muss in diesem Kontext gegeben werden: Literatur umfasst, wenn man Popliteratur und auch andere Gegenwartsliteratur bespricht, nicht nur die landläufig unter diesem Begriff gefassten Bücher. Neben anderen Formen von Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften müssen immer mehr auch neue mediale Kategorien unter Literatur gefasst werden, insbesondere das Internet. Auch Auftritte im Fernsehen spielen eine Rolle - sie sind nicht unbedingt unter ‚Literatur‘ zu fassen, sind aber in einem Zeitalter der medialen Grenzsprengung für die Inszenierung von Autoren und Werken unentbehrlich geworden und gehören somit zum literarischen Betrieb dazu.

Der Begriff ‚Gegenwart‘ hat zwei Dimensionen, eine zeitliche und eine im weitesten Sinne räumliche:

Das Substantiv [Gegenwart, Anm. d. Verf.] hat eine raumzeitliche Doppelbedeutung, abgeleitet von dem djektiv ‚gegenwärtig‘. Gegen-wärtig ist zunächst etwas, das uns erkennbar gegenübersteht. Zu dieser körperlichen Präsenz tritt die geistige Gegenwart, eine Vergegenwärtigung von etwas bwesendem. 4

Zeitlich gesehen changiert die Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem, was war, unter Umständen dem, was noch kommt und dem, was gerade jetzt ist - und hier kreuzt sich die zeitlich Dimension mit der räumlichen: Dem, was gerade jetzt anwesend ist. Uneinigkeit herrscht in der philosophischen Frage, ob alles entweder immer nur Gegenwart ist, es also eigentlich keine Vergangenheit und Zukunft gibt: Augustinus definierte die Vergangenheit als vergangene Gegenwart und die Zukunft als erhoffte. Oder ob Gegenwart so punktuell, so absolut momentan ist, dass es gar keine erfahrbare Gegenwart gibt. Auf jeden Fall aber vereint ‚Gegenwart‘ das Präsens mit der Präsenz (Anwesenheit). Es ist diesem Gedankengang folgend nicht abwegig, anzunehmen, dass, analog zum zeitlichen Aspekt, auch in der räumlichen Dimension die Präsenz von einem Changieren zwischen An- und Abwesenheit gekennzeichnet sein kann.5

So schwierig zu fassen wie der Begriff ‚Gegenwart‘ an sich ist auch der der ‚Gegenwartsliteratur‘. Die Frage stellt sich, was Gegenwartsliteratur eigentlich ausmacht: Ist Gegenwartsliteratur die Literatur, die aktuell geschrieben wurde, egal womit sie sich inhaltlich befasst? Oder muss sie sich thematisch mit ihrer Entstehungszeit befassen? Auch die Frage nach der Möglichkeit ihrer Kategorisierung als ‚Literatur‘ im wissenschaftlichen Sinne stellt sich. Es gibt immer wieder Diskussionen, ob eine wissenschaftliche Beschäftigung mit einer gegenwärtigen Literaturform überhaupt legitim und möglich ist, oder ob man sich einem literarischen Phänomen erst als einem geschlossenen Apparat und mit zeitlichem Abstand nähern darf.

Auch die Frage danach, was Pop ist, ist nicht letztgültig zu beantworten. Die Diskussionen darum, welche Bedingungen er erfüllen muss oder nicht, sowie um eine affirmative oder eine pejorative Wertung, verstummen nicht. Es ist aber konstitutiv für jeden Pop, dass er versucht, Hoch- und Trivialkultur zusammenzuführen: ͣCross the Border, Close the Gap“ fordert Leslie Fiedler in einem Symposium 19686. Die Warenwelt und der Alltag finden Eingang in die Kunst, die Fragen nach Originalität, Vervielfältigbarkeit, Individualität und Wert für die Realität werden gestellt - auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Antworten freilich.

Damit werden Themen aufgegriffen, die die jeweilige Zeit beschäftigen, was zum nächsten Punkt führt, der jeder Form von Pop innewohnt: Pop ist immer und explizit an seine jeweilige Gegenwart (und die ihr eigene Trivialkultur) gebunden, auch und gerade zum Preis der eigenen Langlebigkeit, ͣdas aufzuschreiben, was jetzt, in diesem Moment, passiert, ist wichtiger als die Haltbarkeit des Textes“7 - oder der des Kunstwerkes.

Pop heißt, spätestens seit Andy Warhol, immer auch Fixierung auf die Gegenwart, auf das, was jetzt passiert, auf die Wirklichkeit - ohne dass man noch an eine Authentizität glaubt, die jenseits von Medien und Inszenierung zu verorten ist.8

Wie allerdings der Pop diese Bindung herstellt, das bleibt im Folgenden zu betrachten. Zunächst soll ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Popliteratur in Deutschland gegeben werden.

Popliteratur ist also eine literarische Strömung, die sich explizit an die Gegenwart bindet, sich als Gegenwartsliteratur versteht und mit den verschiedenen Aspekten von Gegenwart inhaltlich und formal umgeht: Es handelt sich um Werke, in denen über Pop oder die eigene Popsozialisation geschrieben wird, als auch Texte, deren Schreibweisen durch Popverfahren wie Oberflächenbeschreibungen, Gegenwartsphänomenologien oder popspezifischen Archivierungstechniken geprägt sind, ohne dass von Pop selbst die Rede sein muss.9

Dank dieser Bindung an die jeweils gültige Gegenwart muss sich die Popliteratur in Wellenbewegungen entwickeln: Immer wieder wird sie für tot erklärt, mit der Gegenwart der sie entspricht, und ersteht kurz darauf wie der Phönix aus der Asche, sich wiederum an die nun aktuelle Gegenwart bindend und sie mitproduzierend.10

In dem Maß, in dem Vergänglichkeit und Verfall immer schon in der Aktualitätsfixierung von Pop angelegt sind, erscheint die Rede vom ‚Ende der Popliteratur‘ in der Kritik vielmehr als ein absehbar abrufbares Skript, als vorformulierter cliffhanger einer Fortsetzungsgeschichte, die schon Ende der 1960er Jahre erzählt werden konnte und seitdem ebenso eine Konstante in der Auseinandersetzung mit Pop ist wie die Faszination für die Vergänglichkeit von Moden und das verkürzte Verfallsdatum der Gegenwart.11

So ist die Popliteratur eine seit den 1960ern immer wieder gegenwärtige Form der Gegenwartsliteratur und womöglich hat man es so mit einem definitorisch nie abgeschlossenen Apparat zu tun.12 Dieses Sterben und Wiederkommen ist aber implizit auch häufiges Thema der Popliteratur, in den Topoi ‚Schnelllebigkeit‘ und ‚Vergänglichkeit‘ die vor allem die ‚neue Popwelle‘ durchziehen. Logischerweise differieren dabei die Werke, die gemeinhin der Popliteratur zugeordnet werden, einzelner Popwellen voneinander - immerhin hat jede Gegenwart ihr eigentümliche Themen, Probleme, Vorlieben, eine eigene Sprache und eigene technische Voraussetzungen. Doch es scheint zumindest, als sei durch ihre ständige Erneuerung durch jede kommende Generation, die gehört werden und ihre Themen besprochen haben will, ein Sterben der Popliteratur nicht abzusehen.

2.1 Umgang der Popliteratur mit der Gegenwärtigkeit - inhaltlich und formal

Will man sich nun mit der Frage nach dem Zusammenhang von Gegenwärtigkeit und Popliteratur beschäftigen, reicht die Feststellung, die Popliteratur binde sich an ihre jeweilige Gegenwart, nicht aus: Es muss in den Blick genommen werden, wie genau sie das tut - sowohl inhaltlich wie formal:

Um was geht’s? Um Pop und Literatur. Um Gegenwart, Nachtleben, Musik. Um Re-Make und Re-Model, um Zitat und Kopie, um Künstlichkeit und Übertreibung. Um Wut und Klatsch, um Provokation, Widerspruch und Affirmation. Um Klarheit, Rausch und Drogen. Um Flüchtigkeit, Wirklichkeit und Wahrheit.13

Inhaltlich ist eine Bindung an die jeweilige Zeit durch eine Beschäftigung mit Sprache und Themen, die nicht überzeitlich, sondern speziell an die jeweilige Gegenwart gebunden sind, festzustellen, z.B. in der Nutzung von explizit gegenwärtiger Jugend- und Umgangssprache. Die Popliteratur hegt ein ͣgenuines Interesse an Gegenwartsphänomenen, [͙΁ das sich in Ton und Textform niederschlägt.“14 Auch in Themen und dem Einfangen von Lebensgefühlen hält sie sich eng an ihre Zeit:

Auf jeden Fall sind wir seit langem (seit einigen Jahrzehnten gar auf unbehagliche Weise) gewahr, daß es eine der Hauptfunktionen der Literatur ist, nicht allein Theorien der Zeit zu formulieren und teils hervorzubringen, sondern ebenso Haltungen zur Zeit.15

Themen die auch überzeitlich Bedeutung in der Popliteratur erlangen sind z.B. die Warenwelt, Künstlichkeit, Originalität, Flüchtigkeit, Umgang mit Konventionen und Gesellschaft (allerdings auf verschiedenen Wegen) und Oberflächen. Andere Themen differieren ihrer Zeit entsprechend extrem voneinander:

[...]


1 Im Folgenden wird oft die Rede von der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Popliteratur sein - vereinfachend für die Popliteratur ab Ende der 1960er und der ab den 1990ern.

2 Hier zeigt sich, dass Literatur eben nicht ‚nur‘ Literatur (‚im Elfenbeinturm‘ wenn man so will) ist, sondern sich der Realität anschließt. Bemerkenswert ist z.B., dass sich im Zuge der Popliteratur auch Schreibweisen der Wissenschaft verändern, die wieder näher an die Alltagssprache rückt und Spaß an kleinen Wortspielen gewinnt - der Bedarf, die Lücke zwischen elitärem Gebaren und Jedermann zu schließen beschränkt sich nicht nur auf Kunstprodukte.

3 Politisch und moralisch engagierter dagegen ist ͣClockwork Orange“, 1962 von nthony Burgess veröffentlicht und 1971 ebenfalls verfilmt.

4 Braun, Michael: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln, Weimar, Wien 2010, S. 13.

5 So stellt Christian Kracht als prominenter Vertreter der neuen Popliteratur seine Gegenwart oft durch ein Verschwinden und Sich-entziehen her.

6 Veröffentlicht wurde der Vortrag in der ͣChrist und Welt“ im September 1968, worauf eine Debatte folgte, der auch der hier besprochene Essay von Brinkmann zu gehört.

7 Gleba, Kerstin/Schumacher, Eckhard: Pop seit 1964, Köln 2007, S. 13.

8 Ebd. S. 12.

9 Ebd. S. 196f.

10 Vgl. ebd. S. 22.

11 Ebd. S. 200.

12 Was dem Einwand, eine Literaturwissenschaft dürfe sich nur mit eben solchen abgeschlossenen Apparaten beschäftigen, einen neuen Blickwinkel abverlangen würde.

13 Ebd. Klappentext.

14 Ebd. S. 195.

15 Fiedler, Leslie A.: Die neuen Mutanten, in: Brinkmann, Rolf D./Rygulla, Ralf-Rainer (Hrsg.): ACID, Darmstadt 1969

S. 16-31, hier S. 17.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Pop und Gegenwärtigkeit. 1968 und 1995
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V230769
ISBN (eBook)
9783656471172
ISBN (Buch)
9783656471233
Dateigröße
808 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gegenwärtigkeit
Arbeit zitieren
Miriam Dovermann (Autor:in), 2012, Pop und Gegenwärtigkeit. 1968 und 1995, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230769

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