Kinderlosigkeit in Deutschland

Der mediale Diskurs gemessen an der Wirklichkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung: Die aktuelle Bedeutung der Thematik: Der mediale Diskurs

2. Historische und soziale Gründe der Kinderlosigkeit
2.1 Historische Ursachen
2.2 Soziale Ursachen

3. Unpräzise Verfahren zur Auswertung von Kinderlosigkeit in Deutschland
3.1 Mikrozensus
3 „Family and Fertility Survey“ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
3.3 Perinatalstatistik der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung

4. V e r g l e i c h d e r M e t h o d e n d e s B u n d e s i n s t i t u t s f ü r Bevölkerungsforschung

5. Kinderlosigkeit und Geburtenrückgang - Ein und dasselbe Problem?

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1 Die aktuelle Bedeutung der Thematik: Der mediale Diskurs

Seit einigen Jahren wird in Deutschland verstärkt über die Probleme des Sozialsystems diskutiert. Vor allem die soziale Absicherung im Alter sorgt für Beunruhigung. Eine Diskrepanz die durch die massenmediale Berichterstattung aufgegriffen und intensiviert wird. Das Hauptmerkmal der Medienanstalten und Verlage: Die Kinderlosigkeit Deutschlands, die ausschlaggebend für den demografischen Wandel der Bevölkerung sei. Allen voran der SPIEGEL. In dem Artikel „Land ohne Lachen“ macht eins der führenden Leitmedien Deutschlands die Kinderlosen für den demografischen Wandel verantwortlich und stellt die Frage, ob „Frauen in den Gebärstreik […] oder die Männer in den Zeugungsstreik“ getreten sind1. Hinzu kommt, dass dieser Artikel in der zweiten Ausgabe von 2004 erschien, welche unter dem Namen „Der Letzte Deutsche. Auf dem Weg zur Greisen-Republik“ veröffentlicht wurde.

Im FOCUS Magazin Nummer 19/ 2005 erschien der Beitrag „Bye-bye Baby!“2. Dieser versucht, anders als der des SPIEGEL, die Kinderlosigkeit in Deutschland als kulturell bedingtes Problem zu definieren. Als Quelle dient hier eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, im Folgenden kurz als BiB bezeichnet. Zu Beginn betonen Holzer, Röll und Sachse: „Beziehungsstress, Egotrips und Jobangst nehmen den Deutschen die Lust aufs Kind - vor allem den Männern“3.

Auch die ZEIT setzt in ihrer Reihe „Wo sind die Kinder?“ einen Schwerpunkt auf die so problematisch erscheinende Kinderlosigkeit. In dem ersten Teil, betitelt mit „Das kinderlose Land“, verdeutlicht ein Fallbeispiel die Misere von Akademikerinnen, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt für ein Kind entscheiden4. Schwierig wird es für diese dann vor allem bei der Wahl des richtigen Partners. Aber auch der Zeitraum, in dem Frauen biologisch in der Lage sind Kinder zu bekommen, ist begrenzt.

Die Debatte über die Kinderlosigkeit in Deutschland wird also vor allem von den überregionalen Medien stark diskutiert. Die verschiedenen Magazine sehen dabei vor allem in Kinderlosen den Grund für den Niedergang des Sozialsystems und die Alterung der Gesellschaft. Dies zeigt, dass die Diskussion um Kinderlosigkeit in Deutschland nicht weit genug reicht. Es werden zwar viele Facetten, zum Beispiel das Bildungsniveau, angesprochen, aber insgesamt kratzt der öffentliche Diskurs lediglich an der Oberfläche5. So sollen im Folgenden vielmehr die historischen und sozialen Gründe, die eine gewollte oder ungewollte Kinderlosigkeit verursachen, aufgezeigt werden.

Darüber hinaus soll Kritik an der Genauigkeit der dargestellten Ergebnisse, die die Medien präsentieren, geübt werden. Denn um die Anzahl von Kinderlosen in Deutschland zu bestimmen, werden verschiedene Statistiken, Verfahren und Hochrechnungen zu einer groben prozentualen Übersicht zusammengefügt. Konietzka und Kreyenfeld bringen die Problematik auf den Punkt, denn bei der Übersicht handle es sich um „keine amtlichen Daten über das Ausmaß der Kinderlosigkeit“6. Überregionale Leitmedien halten dies jedoch als konkrete Ergebnisse einer Studie fest. Ein Irrtum, anhand dessen die mediale Berichterstattung Kinderlose als die Ursache für den demografischen Wandel ausmacht.

Worauf berufen sich aber nun Wissenschaftler wie Beispielsweise Konietzka und Kreyenfeld, wenn sie sagen, dass „die biographische Realität der Kinderlosigkeit […] häufig komplex und widersprüchlich“ ist7 ? Oder Karl Otto Hondrich in seinem Buch „Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist.“8 ? Im Folgenden soll der demografische Wandel mit der Kinderlosigkeit gegenübergestellt werden. So soll aufgezeigt werden, ob es gerechtfertigt ist, Kinderlosen die Schuld an einer immer älter werdenden Bevölkerung zu geben.

2 Historische und soziale Gründe der Kinderlosigkeit

2.1 Historische Ursachen

Kinderlosigkeit an sich ist kein modernes Phänomen. Schon „seit dem 15. Jahrhundert“ waren laut Berechnungen circa zwanzig Prozent der Frauen in Deutschland und „anderen westlichen Ländern“ kinderlos9 10. Auch die Jahrgänge, die Anfang „des 20. Jahrhunderts geboren wurden“, weisen eine hohe Kinderlosigkeit auf11. Dies war vor allem bedingt durch die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren. „Erst in den Geburtsjahrgängen ab 1930 ging das Ausmaß der Kinderlosigkeit von Frauen deutlich zurück“12. Das lag am starken Wirtschaftswachstum, das in den fünfziger Jahren in Westdeutschland einsetzte. Festy bezeichnete dieses Phänomen 1980 als „Golden Age of Marriage“13. Durch den Aufschwung nach Ende des zweiten Weltkriegs sowie durch das Modell einer bürgerlichen Familie, das sich damals durchsetzte, heirateten die Jahrgänge ab 1930 viel eher, „als die Kohorten vor ihnen“ und bekamen auch eher Kinder14. Dies war allerdings eine Ausnahme, da sogar damalige Wissenschaftler wie Veevers „von einem 'paradoxen' und erklärungsbedürftigen Rückgang des Anteils Kinderloser“ sprachen15.

Somit ist der Trend zur Kinderlosigkeit in Westdeutschland nicht neu. Vielmehr wurde der niedrige Anteil kinderloser in den 1970er Jahren noch als ungewöhnlich angesehen.

Für Ostdeutschland sieht das etwas anders aus. Dort war der Anteil Kinderloser in der Gesellschaft stets unter den Werten der alten Bundesländer. Deutlich wir dies Anhand der Werte des Mikrozensus von 1991 bis 2003. Auch die Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung für den selben Zeitraum zeigen klar, dass die Anteile kinderloser Frauen in Ostdeutschland beinahe zehn Prozent unter denen von kinderlosen Frauen in Westdeutschland liegen16.

Dorbritz und Ruckdeschel geben für diese niedrigere Kinderlosigkeit mehrere Ursachen an:

Zunächst seien durch die zuvor herrschenden „totalitären Regime“ in den Ost- und Mitteleuropäischen Staaten die Familienstandards gefestigt worden17. Dadurch, dass in diesen Gesellschaften kaum eine Möglichkeit bestand sich individuell zu entfalten, wurden diese Standards generationsübergreifend weiter gegeben.

Des weiteren seien in diesen Regimen schon früh „positive Signale für Familiengründungen gesetzt worden“18. Das bedeutet, es wurden staatliche Hilfen gestellt um Familien zu unterstützen. Demzufolge wurden beispielsweise „Kinderfreibeträge, Mutterschaftsurlaub, Geburtenbeihilfe, Darlehen oder bevorzugte Wohnungsbeschaffung“ eingeführt19.

Darüber hinaus sei es durch die wirtschaftliche Lage in Mittel- und Osteuropa vom Staat vorgesehen, gewesen dass auch Frauen generell erwerbstätig waren. Dafür wurden staatliche Hilfen eingeführt beziehungsweise verbessert, wie das „Kinderbetreuungssystem“20. Durch das Fehlen individueller Entfaltungsmöglichkeiten war es ebenfalls einfacher, einen konkreten „Biographieverlauf“ zu verfolgen21. Durch die gegebene soziale Absicherung in den sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, wie zum Beispiel der DDR, fiel es der Bevölkerung und insbesondere den Frauen leichter sich für die „Biographieoption 'Familiengründung'“ zu entscheiden22.

So steht fest, dass viele Ursachen für die Zunahme von Kinderlosigkeit bereits in der Vergangenheit liegen, sich jedoch immer noch auf die gegenwärtige Problematik auswirken.

2.2 Soziale Ursachen

Zusätzlich zu den historischen Ursachen kommen mittlerweile moderne gesellschaftliche und wirtschaftliche Ursachen hinzu, die eine erhöhte Kinderlosigkeit beeinflussen.

Vor allem muss hier zwischen gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit unterschieden werden. Denn Wissenschaftler sind sich heute einig, dass nur noch Frauen, die biologisch bedingt keine Kinder mehr zeugen können, als ungewollt kinderlos gelten23.

Eine gewollte Kinderlosigkeit wird hingegen durch mehrere Faktoren beeinflusst. Konietzka und Kreyenfeld beschreiben die Entscheidung einer Frau gegen eigene Kinder als „Abfolge von biographischen Entscheidungen“24. Das bedeutet, dass viele Frauen der jüngeren Jahrgänge sich heutzutage häufiger erst einmal auf ihre berufliche Laufbahn konzentrieren, sich dann einen für geeignet erscheinenden Partner suchen und erst dann Kinder bekommen. Somit verschiebt sich das Durchschnittsalter für die Erstgeburten von Frauen, im Gegensatz zu Beginn der Jahrtausendwende beispielsweise, um knapp zwei Jahre nach hinten25.

[...]


1 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29610124.html (05. Januar 2004)

2 http://www.focus.de/politik/deutschland/demographie-bye-bye-baby_aid_210405.html (09. Mai 2005)

3 ebenda

4 Vgl. http://www.zeit.de/2004/04/Demografie (15. Januar 2004)

5 Vgl. Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 12.

6 Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 12.

7 ebenda

8 Hondrich, Karl Otto. Frankfurt/ Main [u.a.]: Campus-Verlag, 2007

9 Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 13.

10 Vgl. ebenda

11 Vgl. ebenda

12 Vgl. ebenda

13 Vgl. ebenda

14 Vgl. Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 13f.

15 Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 14.

16 Vgl. Anhang 1

17 Dorbritz und Ruckdeschel, 2007, 51.

18 Dorbritz und Ruckdeschel, 2007, 52.

19 Vgl. ebenda

20 Vgl. ebenda

21 Vgl. ebenda

22 Dorbritz und Ruckdeschel, 2007, 52.

23 Vgl. Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 15.

24 Konietzka und Kreyenfeld, 2007, 15.

25 Vgl. Anhang 3

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kinderlosigkeit in Deutschland
Untertitel
Der mediale Diskurs gemessen an der Wirklichkeit
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Veranstaltung
Bevölkerungspolitik im internationalen Vergleich
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V230569
ISBN (eBook)
9783656469612
ISBN (Buch)
9783656469346
Dateigröße
435 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demographischer Wandel, Demographie, Kinderlosigkeit, Geburtenrückgang, Volkszählung, Demografischer Wandel, Demografie
Arbeit zitieren
Alexander Soth (Autor:in), 2012, Kinderlosigkeit in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230569

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kinderlosigkeit in Deutschland



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden