Das Geheimnis der Heimat

Heimat als Nostalgie, Leid und Erlösung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2013

21 Seiten


Leseprobe


Das Geheimnis der Heimat Heimat als Nostalgie, Leid und Erlösung

Heimweh und Sehnsucht nach Heimat, Familie und der gewohnten menschlichen Umgebung sind den meisten Menschen vertraut, da nicht wenige irgendwann ihre Heimat gegen ihren Willen, kürzer oder länger, entbehren mussten. Doch Heimatschmerz ist ein Höhepunkt dieses Gefühls, mit dem man nur anlässlich gewisser Grenzerfahrungen konfrontiert wird.

Dieser Heimatschmerz kann z. B. eintreten, wenn man sehr lange fern der Heimat war und sich so sehr in fremdkulturelle Umfelder hineinbegeben und hineingelebt hat, dass man im Gegenzug einen Teil seiner geistig-körperlichen Identität preisgegeben oder in unbewusstere Schichten seines Wesen verdrängen musste, um das Fremdkulturelle dafür in den bewussten Vordergrund zu rücken und es aus diversen Gründen zu priorisieren. Dies kann an jedem Ort der Welt, eher im Ausland, doch gleichermaßen auch im Inland vorkommen, da es sich dabei zunächst um geistig-kulturelle Prozesse mit psychosomatischen Konsequenzen handelt. Und es sind Eingriffe in den Körper, die mit den tieferen, unbewussten Schichten in Verbindung stehen, die uns dieses Sachverhaltens bewusst werden lassen. Was man im sozialanthropologischen Sinn als Kultur bezeichnet ist schließlich weitegehend im menschlichen Unterbewusstsein und einiges davon im Alltagsbewusstsein und wenig davon im diskursiven, bewussten Bewusstsein abgespeichert, solange man die kulturelle Konditionierung durch die Heimatkultur nicht bewusst gemacht und sie somit aus dem toten Winkel des Bewusstsein in das Licht des analytischen Bewusstseins gerückt hat, um sie damit bewusst beherrschbarer zur machen, statt von ihr unbewusst beherrscht zu werden. Der hier verwendete Begriff der Heimatkultur steht für das rational systematisierte Heimatbewusstsein, wie es von der interkulturellen Forschung thematisiert wird.

Als ich 19 Jahre alt war lebte ich in Berlin. Ich hatte eine Appendizitis Operation und dieser Eingriff ließ in mir die Entscheidung reifen, ins Ausland zu gehen. Als mich meine Freundin Anke vom Krankenhaus abholte, eröffnete ich ihr, dass ich nach Paris gehen würde. Der Eingriff hat offenbar tiefe Schichten in mir angesprochen, die mich dazu veranlassten, diesen Schritt machen zu wollen. Ein unbewusstes Fernweh hatte von mir Besitz ergriffen, dessen Ursache und Finalität in Bezug auf meinen Lebensweg mir höchstens unbewusst bewusst war.

Ich habe mich über viele Jahre in viele Kulturen so sehr hineinvertieft, insbesondere die französische, die spanische und die britische, sowie auch außereuropäische, dass ich infolgedessen in diversen Kulturen voll und ganz einheimisch wurde. Leider musste ich bisweilen meine deutsche Identität auch verheimlichen oder etwas übertünchen, um kein Affront in gewissen Kontexten hervorzurufen und zum Stein des Anstoßes für ebenso unbewusst steuernde Wahrnehmungsstereotypen seitens einiger fremdkulturellen Zeitgenossen zu werden, die ihre Identität durch negative Bezugnahme auf andere Identitäten und auf deren Kosten kultivieren möchten. Dies hat die physisch-kulturelle Trennung von meiner deutschen Ausgangskultur eventuell bestärkt, da ich auf meine kulturelle Wahrheit bisweilen verzichtete und sie leugnete, indem ich mich nicht klar und deutlich als Deutscher zu erkennen gab und mich nicht als Deutscher selbstdarstellte und inszenierte. Es schien mir unnötige Reibereien zu ersaperen und nicht zusätzlich Wasser auf die Mühle der Vorurteile von Mitmenschen zu gießen, denen sich die intrakulturellen deutschen Nuancen ohnehin entzogen, obgleich viele ein auch in anderen Kulturen vorhandenes wirtschaftsgeographisch-kulturelles Nord-Südbewusstsein hatten. Was sollten diese unausgegorenen, neoglobalistischen Idiosynkrasien beispielsweise auch im Umfeld tausendjähriger Tempel des menschlichen Geistes, wie der Sorbonne, wo Ignatius von Loyola, Thomas von Aquin, Albertus Magnus und zahllose universalistisch orientierte Geistesgrößen wirkten. Alle Partikularismen konnten im heiligen Feuer des menschlichen Geistes von ihrem Unrat geläutert werden, sodass nur der reine menschliche Geist herausdestilliert wurde. Und das war über Jahrhunderte die das geistige Fundament der Zivilisation, das nun wieder durch moderne historisch-kulturelle Partikularismen reversibel gemacht werden sollte?

Indes, die evasive Haltung inbezug auf meine eigene Kultur entsprach umstandsbedingt auch mehr und mehr der Wahrheit, nachdem ich in einem halben Dutzend Weltmetropolen hin- und her umgezogen war. Ich pendelte regelrecht zwischen den maßgeblichen europäischen Hauptstädten und hatte als Deutscher eine singuläre transnationale Identität entwickelt mit der ich mich elegant und reibungslos auf dem internationalen Parkett hin- und herbewegen konnte, ohne dass irgendjemand meine deutsche Identität auf Anhieb erkannt hätte. In den -Teens und Twens- des Lebensfrühlings ist man, gleich einem jungen Trieb, geschmeidig und leicht pfropfungsfähig, da man vermittels eines ausgeprägten Kommunikationssinns fremde Sprachen und Kulturen problemlos und relativ kurzfristig assimilieren kann. Die Kommunikationsfähigkeit, Freude und Willen, die Liebe zu den Menschen und das Interesse sie in ihrem fremdkulturellen Umfeld kennenzulernen sind der Schlüssel für einen erfolgreichen Integrationsprozess, bei dem man irgendwann nicht mehr das Bewusstsein hat mit nicht eigenkulturellen Kulturmitgliedern zu kommunizieren, da die anderen Kulturen, selbst wenn es viele sind, nicht mehr als Fremdkulturen wahrgenommen werden. Man ist in einer Transkulturalität aufgegangen, in der man sich ebenso zuhause fühlt, wie man sich in einem monokulturellen Heimatumfeld zuhause fühlt. Doch man ist sich der kultuellen Diversität der Fremden voll bewusst, doch sie birgt kein Konfliktpotential, insbesondere wenn das Fremde auch für die Fremden die Regel ist. Mit anderen Worten, man lernt, in einem multikulturellen Umfeld genauso natürlich zu leben, wie man es zuhause gewohnt war. Man bewegt sich geschmeidig, wie der Fisch im Wasser, ohne sich bei der Nationalität aufzuhalten und sich durch sie über Gebühr bestimmen zu lassen, da man mehr gemeinsame als trennende Interessen hat, die einen solidarisierenden Impact haben.

Die nationalen Ecken und Kanten werden somit, zumindest nach außen abgeschliffen, aber innen bleibt man essentiell das, was man ist. Ja, der Prototyp und Urtyp der eigenen kulturellen Persönlichkeit bekommt noch profiliertere Konturen, da die Multikulturalität zwar nach außen Konzessionen macht, während die multikulturellen Reibungsflächen aber einen kulturellen Divergenzprozess auslösen, der die Diversität in einem helleren Licht in Erscheinung treten lässt, statt sie anzugleichen und einen kulturellen Konvergenz und Vereinheitlichungsprozess auszulösen. Aber diese Divergenz kann durch einen sich in der multikulturellen Biographie eines Menschen herausbildenden Geist der transkulturellen Natürlichkeit immer geschmeidiger überbrückt werden, sodass die Diversität natürlich erscheint und keinen Stein des Anstoßes verkörpert. In intellektuelleren Umfeldern besteht dabei eine gewisse Ambivalenz, da sie sowohl Kulturen überbrückender, als auch manchmal kulturelle Barrieren errichtend und Verwerfungslinien aktivierend sein können. Letzteres geschieht, weil ein gewisses historischen Wissen, insbesondere zum Beispiel inbezug auf unser Land, als negativer Filter in der fremdkulturellen Wahrnehmung deutscher Kulturmitgliedern und dies überraschenderweise bei Gebildeten und sogar Kulturexperten ebenso, wie bei weniger wissenskonditionierten Menschen der Fall sein kann. Fremdstereotypen resultieren daraus, mit denen man dann umgehen muss. Und bisweilen kann es besser sein, denen in irgendeiner Form auszuweichen, da man sie nicht kurzfristig, es sei denn durch überzeugende konträre Verhaltensevidenz, verändern kann.

Der sich allmählich herauskristallisierenden Mindset eines Weltenwanderers erzeugt eine enorme Bewandertheit des Menschen - der deutsche Begriff „bewandert“ deutet auf das Lernpotential hin, das im Weltbewandern und Erforschen schlummert - , weil die enge ethnozentrische Fokalisierung des nationalkulturellen Bewusstseins in einen weiteren Raum des geistigen Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizonts eingebettet wird. Würde diese Öffnung und Expandierung nicht stattfinden, so würde man den weiteren multikulturellen Raum einer Weltmetropole als schmerzverursachend verwirrend erleben, da er das enge ethnozentrische Bewusstsein überstrapazieren würde. Die Bibel und Konvergenz der zeitlichen und der ewigen Wahrheit und Heimat fasst es in folgende Weisheit:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Die Bibel Das Buch Jesus Sirach, Kapitel 33, Universität Innsbruck;

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Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Geheimnis der Heimat
Untertitel
Heimat als Nostalgie, Leid und Erlösung
Autor
Jahr
2013
Seiten
21
Katalognummer
V230541
ISBN (eBook)
9783656463597
ISBN (Buch)
9783656565918
Dateigröße
648 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
immanente Heimat, transzendente Heimat, interkultures Prozessmanagement
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deißler (Autor:in), 2013, Das Geheimnis der Heimat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230541

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