Geld als "Manifestation der Verblendung"

Versuch einer Buddhistischen Ökonomie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

17 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Theorien einer „Buddhistische[n] Wirtschaftslehre“1, die unter diesem Namen erstmals von E.F. Schumacher in seinem Werk »Small is beautiful« als mögliche Alternative zur vorherrschenden liberal geprägten Ökonomie in Betracht gezogen wurde.

Ausgehend von der buddhistischen Lehre, soll hier eine Wirtschaftsethik entwi- ckelt werden, die als Fundament einer Buddhistischen Ökonomie dienen kann. Dies geschieht vor allem in kritischem Hinblick auf die Grundannahmen derzeiti- ger Ökonomen und des durch diese Annahmen beeinflussten Wirtschafts- und Finanzsystems, das gegenwärtig immer wieder in Krisen gerät, weshalb Kritik und die Suche nach Alternativen angebracht zu sein scheint. Ob die buddhisti- sche Ökonomie als eine solche Alternative dienen kann, wird auf den folgenden Seiten zu untersuchen sein.

2 Philosophische Grundlagen einer Buddhistischen Ökonomie

Im Rahmen dieser Arbeit kann kein umfassender Einblick in die komplexe bud- dhistische Philosophie gewährt werden. Im Folgenden sollen ausschließlich die- jenigen philosophischen Grundlagen umrissen werden, die für die Entwicklung einer buddhistischen Ökonomie von größter Relevanz sind. Es sei außerdem darauf hingewiesen, dass sich auf theoretische Annahmen bezogen wird, die vor allem dem Mahāyāna-Buddhismus als Grundlage dienen.

2.1 Ontologie

Das Fundament der buddhistischen Lehre bildet das kausale Prinzip der Ge- samtheit aller weltlichen Phänomene, der Natur und all ihrer Gesetzmäßigkeiten (dhamma).2 Alles innerhalb des dhamma steht in wechselseitiger Abhängigkeit

und ist durch den Zusammenhang von Ursache und Wirkung untrennbar ver- bunden. Von dieser Annahme ausgehend, kann nichts als eigenständige Entität gelten. Nichts existiert aus sich selbst heraus; alles ist Resultat und Ursache zu- gleich und erhält seine Substanz durch universelle Interdependenz.3

Dieses objektive Prinzip gilt als die „höchste Wahrheit“ („ultimate truth“4) und ist damit unabhängig von Fragen nach dem moralischen Gehalt von Handlungen.5

2.2 Anthropologie: zum Begriff des Ego

Aus der ontologischen Annahme einer universellen Interdependenz ergibt sich notwendig die Unmöglichkeit der Existenz eines menschlichen Ego, das aus sich selbst heraus ist bzw. das seine Substanz oder sein Wesen in einer von anderen unabhängigen Eigentümlichkeit erfährt. Im Gegenteil wird der Mensch in einem Zustand des „Nicht-Wissen“6 geboren. Er unterliegt der Illusion, dass er ein distinktes Wesen mit einem Ego sei, welches sich von anderen unabhän- gig begreifen ließe. Diese Illusion7 lässt den Menschen seine eigene vollständi- ge Abhängigkeit verkennen, was dazu führt, dass er in einem fortwährenden Prozess gefangen ist, um die Täuschung aufrecht zu erhalten.

Dieser „Prozess der Illusion“8 führt zwangsläufig dazu, dass der Mensch, der die Leere seines Ego nicht anerkennen kann, versucht, diese „durch das Er- greifen von Menschen oder Dingen anzufüllen“9. Dieses Bedürfnis äußert sich in Gier. Im Kollektiv treffen mehrere illusionierte Akteure aufeinander, die sich bei dem Versuch der Ausweitung ihres eingebildeten Ego gegenseitig als Behin- derung wahrnehmen, sodass Konkurrenz und Hass entstehen.10

Verblendung, Gier und Hass gelten in der buddhistischen Philosophie als „die 3 Gifte11. Sie machen das menschliche Dasein letztlich zu einem Prozess des Leidens (dhukka), dem nur entkommen kann, wer durch geistige Weiterentwick- lung seine eigene Täuschung erkennt und durch moralisches, reflektiertes Han- deln zu geistigem Wohlbefinden und innerer Freiheit12 gelangt. Bevor dieses höchste Ziel erreicht wird, folgen die Menschen jedoch ihrem auf Täuschung beruhenden Verlangen.13

Die ontologischen und anthropologischen Annahmen spiegeln sich in der Lehre Buddhas in Form der „vier edlen Wahrheiten“ wider:14

I. Das Leben im Daseinskreislauf ist Leiden
II. Die Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung
III. Die Überwindung der Ursachen führt zur Überwindung des Leidens
IV. Zur Überwindung gelangt man über den achtfachen Pfad (vgl. 2.3)

2.3 Ethik

Neben dem unter 2.1 genannten, universellen Begriff, erscheint dhamma au- ßerdem im Modus der „relativen Wahrheit“ („relative truth“15), die sich auf die Moralität individuellen und kollektiven Handelns bezieht. Von dieser Basis aus- gehend, entwickelt sich die buddhistische Kharma-Lehre, deren Kerngedanke folgendermaßen zusammengefasst werden kann:

„Our ethics – and the behavior that naturally flows from our ethics – contribute to the causes and conditions that determine who we are, the kind of society we live in and the condition of our environment. […] internal, subjective values are directly linked to the dynamic of external objective reality.“16

Daraus ergibt sich die Annahme, dass menschliches Handeln immer eine ent- sprechende Wirkung hervorruft. Das Handeln wird anhand der ihm zugrundelie- genden Motive in „gutes“ und „schlechtes“ bzw. moralisch wertvolles und mora- lisch verwerfliches Handeln unterschieden.17

Die zwei Arten der Motivation, die jedes menschliche Handeln hervorbringen, kontrastieren einander hinsichtlich ihres Zutuns zur Erreichung des Hauptzieles, an dem alles Handeln ausgerichtet sein soll: geistiges Wohlbefinden und innere Freiheit durch stetige geistige Weiterentwicklung.18

Das Handeln, das an reiner Befriedigung des auf Täuschung beruhenden Ver- langens orientiert ist, wird als taṇhā bezeichnet. Der Pali-Begriff taṇhā kann mit Begierde, Streben, Rastlosigkeit oder auch „Durst“ übersetzt werden.19

Nach taṇhā reagiert der Mensch allein aufgrund seiner Gefühle auf äußere Rei- ze. Es findet keine Reflexion statt. Der Mensch handelt nach dem „Prinzip der Ergreifung und der Ablehnung“20: Was sich gut anfühlt, will festgehalten, was sich schlecht anfühlt, vermieden werden.21 Der Mensch wird dabei nicht als ra- tional handelndes Wesen beschrieben. Die Emotionen der Angst und des Be- gehrens generieren Irrationalität innerhalb des menschlichen Verhaltens und gelten als natürlich gegebene Faktoren.22

Durch die typisch menschliche Fähigkeit zur Reflexion kann taṇhā wahrgenom- men und der Prozess des bloßen Reagierens unterbrochen werden. Die das Handeln bestimmende Motivation lässt sich verändern, sodass sie auf das o.g. Hauptziel allen Handelns ausgerichtet ist. Dieser bewusstere, reflektierte Modus der Handlungsmotivation (chanda) ermöglicht dem Menschen zu erkennen, was für ihn tatsächlich (nicht nur kurzfristig) von Vorteil ist.23 Ein ausschließlich durch taṇhā motiviertes Handeln kann unter Umständen sogar schädlich für das eige- ne Wohlbefinden sein. Außerdem ist ersichtlich, dass das durch taṇhā („desire for pleasure objects24) generierte Verlangen ein unendliches ist, während chan- da („desire for true well-being25) zu einem Ziel führt, das Bedürfnis also befrie- digt werden kann.

Diese Unterscheidung bildet die Grundlage der buddhistischen Ethik: Handlun- gen, die auf taṇhā als Handlungsmotivation zurückgeführt werden können, sind moralisch verwerflich. Handlungen, die auf chanda basieren, also das Erreichen von „wahrem Wohlbefinden“ zum Ziel haben, sind moralisch wertvoll. Zu ihrer Erkenntnis dient dem Menschen seine Fähigkeit zur intelligenten Reflexion26 und drei wesentliche Kräfte, die ihm zur Verfügung stehen: Weisheit, Mitgefühl und Mäßigung.27

Die buddhistische Ethik erfährt ihre Realisierung innerhalb der Lehre Buddhas anhand des achtfachen Pfades, der die Gebote eines moralischen, auf die Er- kenntnis abzielenden Lebens enthält. Dazu gehören z.B. rechte Einsicht, rechte Absicht, rechter Lebensunterhalt und rechte Achtsamkeit.28

2.4 Methode

Wie in 2.1 dargelegt, betrachtet der Buddhismus die vom Menschen wahrge- nommene Realität auch als Resultat menschlichen Handelns, dem wiederum bestimmte Denkmuster vorausgehen. Diese subjektiven Werte manifestieren sich durch Handlungen in der Welt und werden dort zur sozialen Wirklichkeit. So wird die Veränderung der Realität durch eine Veränderung der ihr zugrunde- liegenden Denkmuster ermöglicht. Dazu sollen letztere eine kritische Untersu- chung erfahren.29

3 Prämissen der modernen (liberalen) Ökonomie

Selbstverständlich stehen die gegenwärtige Ökonomie und das von ihr mitge- tragene Wirtschaftssystem im Spannungsfeld vieler Theorien, welchen wieder- um diverse verschiedene Grundannahmen vorausgehen, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend eingegangen werden kann.

Dennoch scheinen es vor allem die zwei folgenden Überzeugungen zu sein, welche die modernen Wirtschaftswissenschaften grundlegend beeinflussen; durch die sie und ein Wirtschaftssystem wie es heute existiert, erst möglich wer- den und die sich durch viele der ökonomischen Theorien verfolgen lassen: Das Postulat der Rationalität menschlichen Handelns (bzw. die Auffassung des Men- schen als homo oeconomicus) und der daraus resultierende Glaube an die Be- rechenbarkeit menschlichen (ökonomischen) Verhaltens und seiner Konse- quenzen.30 Diese Annahmen sollen im Folgenden – stellvertretend am Beispiel der Theorien von Adam Smith – kurz dargestellt werden.

Die ökonomischen Theorien Adam Smith' basieren auf seiner Vorstellung von dem „Wunsch des Einzelnen, stets für die Verbesserung seiner materiellen Lage zu sorgen, wobei der Einzelne selbst am besten weiß, was für ihn von Vorteil ist“31 und der Überzeugung, „dass jede Beschränkung der Wirtschaft die Tendenz hat, mehr Schaden anzurichten, als Nutzen zu stiften32. Die Rationali- tät menschlichen Handelns, welches, wie aus dem ersten Zitat hervorgeht, auf Gewinnmaximierung33 ausgelegt ist, führt letztendlich zu einem „sozialen Aus- gleichsmechanismus“34 bzw. einem „ökonomischen Marktmechanismus“35.

[...]


1 Schumacher, S. 48

2 Vgl. Payutto, S. 19: „Dhamma is used to describe the entire stream of causes and conditions, the process by which all things exist and function.“

3 Vgl. ebd., S. 18, f.: „In nature, actions and results are not confined to isolated spheres. One action gives rise to results, which in turn becomes a cause for further results. […] In this way, action and reaction are intertwined to form the vibrant fabric of causes and conditions that we perceive as reality.“

4 Ebd., S. 19

5 Vgl. ebd.: „[Dhamma] points to nature or reality itself, which is beyond concerns of good and evil“

6 Vgl. ebd.: „[Dhamma] points to nature or reality itself, which is beyond concerns of good and evil“

7 Brodbeck 2011, S. 30; vgl. auch Payutto, S. 29: „lack of knowledge“

8 Vgl. Brodbeck 2011, S. 30: auch „Täuschung“ oder ebd., S. 31: „Verblendung“; vgl. auch Payutto, S. 29: „ignorance“

9 Brodbeck 2011, S. 30

10 Ebd.

10 Ebd., S. 31

11 z.B. Brodbeck 2011, S. 31; Payutto, S. 29, f.

12 Payutto, S. 36: „mental well-being and inner freedom “; vgl. auch Schumacher, S. 51: „Befreiung“

13 Vgl. Payutto, S. 29: „Without the guidance of knowledge or wisdom, they simply follow their desires, struggling at the directives of craving to stay alive in a hostile world.“

14 Frei zitiert nach http://www.buddhanetz.org/dharma/buddhismus.htm 15 Payutto, S. 19

15 Payutto, S. 19

16 Ebd., S. 23

17 Vgl. Payutto, S. 21; Brodbeck 2011, S. 9 18 Vgl. Payutto, S. 42: „spiritual development“

19 Vgl. Payutto, S. 29: „Taṇhā means craving, ambition, restlessness, or thirst“

20 Brodbeck 2011, S. 10

21 Vgl. auch Payutto, S. 30: „taṇhā could be called wanting to have or wanting to obtain“

22 Payutto, S. xi, f.

23 Vgl. Payutto, S. 30, ff.

24 Ebd., S. 34

25 Ebd.

26 Ebd.: „intelligent reflection“

27 Ebd., S. xiii: „vital forces […] - wisdom, compassion and restraint“ siehe auch: http://www.buddhanetz.org/dharma/buddhismus.htm: Mitgefühl durch „Ethik“, Mäßigung durch „Meditation“ oder „Energie“ ersetzt

28 Frei zitiert nach http://www.buddhanetz.org/dharma/buddhismus.htm 29 Vgl. Brodbeck 2012; Payutto, S. 18, f.

29 Vgl. Brodbeck 2012; Payutto, S. 18, f.

30 Vgl. z.B. die Theorien von Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Milton Friedman u.v.a.; Sekundärliteratur vgl. z.B. Kennedy, S. 12; Brodbeck 2007, Seiten 188-257; vgl. auch: PdG, S. 76: „Aus ökonomischer Sicht [werden] Entscheidungen […] als rationale Auswahl aus den dem Individuum zur Verfügung stehenden Alternativen betrachtet. Hierbei sind zwei Punkte wichtig: Die Entscheidung erfolgt im Hinblick auf das Eigeninteresse und die Rationalität der Entscheidung.“

31 Aßländer, S. 120

32 Ebd.

33 Vgl. auch PdG, S. 77: „Das Verhalten des homo oeconomicus kann in der Erwartungsnutzentheorie (EU [...]) bzw. in der Theorie des subjektiven Erwartungsnutzens (SEU [...]) zusammengefasst werden: Personen treffen Entscheidungen in der Art, dass sie den mit seiner Eintreffenswahrscheinlichkeit gewichteten erwarteten Nutzen maximieren. Die EU bzw. SEU gilt in der Ökonomie als normative Theorie rationalen Verhaltens […].“

34 Aßländer, S. 126

35 Ebd.; vgl. auch: Ludwig von Mises, zitiert nach: Brodbeck 2007, S. 189: „[Das] menschliche Handeln muß einer derartigen Gleichgewichtslage zustreben“

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Geld als "Manifestation der Verblendung"
Untertitel
Versuch einer Buddhistischen Ökonomie
Hochschule
Universität Leipzig  (Sozialwissenschaften & Philosophie)
Veranstaltung
Angewandte Ethik Seminar
Note
2,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
17
Katalognummer
V230209
ISBN (eBook)
9783656463757
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buddhismus, Ökonomie, Rationalismus, Geldtheorien, Brodbeck, Payutto, Mahayana, Ethik, Geld, Individualismus, homo oeconomicus, Engagierter Buddhismus, Adam Smith, Kapitalismus
Arbeit zitieren
Kim Lang (Autor:in), 2013, Geld als "Manifestation der Verblendung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230209

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