Carl R. Rogers in Theorie und Praxis


Hausarbeit, 2013

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Überblick über die Erziehungsberatung

2. Rogers‘ Ansatz in der Theorie
2.1 Die humanistische Psychologie
2.2 Der personenzentrierte Ansatz von Carl R. Rogers
2.2.1 Die drei Grundbedingungen in Rogers‘ Konzept
2.2.2 Die Subjektivität der Realität
2.2.3 Die Selbstaktualisierungstendenz
2.2.4 Das Konzept der nicht-direktiven Beratung

3. Anwendung von Rogers‘ Ansatz auf ein Praxisbeispiel

4. Literaturverzeichnis

5. Anhang: Gesprächsprotokoll

1. Überblick über die Erziehungsberatung

Erziehungsberatungsstellen wurden eingerichtet, um Kindern, Jugendlichen, Eltern und anderen Erziehungsberechtigten bei individuellen und familienbezogenen Problemen zur Seite zu stehen (vgl. Hensen u.a. 2008, S.11). Da dieses Feld eine große Bandbreite an möglichen Hilfsangeboten erforderlich macht, arbeitet in Erziehungsberatungsstellen Fachpersonal mit unterschiedlichen Spezialisierungen zusammen (vgl. ebd.).

Dabei gibt es die verschiedensten Formen der Beratung: Erstens einen diagnostischen Bereich, in dessen Rahmen z.B. Tests zur Einschulung oder zu psychomotorischen Störungen vorgenommen werden (vgl. ebd.). Außerdem eine beraterische Domäne, in der etwa Schullaufbahnberatung oder Mediation zum Thema werden (vgl. ebd.). Drittens gibt es noch das Themenfeld der psychotherapeutischen Beratung, das Verhaltens-therapie, Gesprächspsychotherapie, Kinder- und Spieltherapie und weiteres anbietet (vgl. ebd.). Viertens schließlich besteht die Möglichkeit einer Beratung im organisatorischen Bereich (vgl. ebd.). Hier erhält man Informationen (und gegebenenfalls Kontakt) zu unterstützenden Organisationen und Institutionen wie z.B. dem Jugendamt, dem Sozialamt oder ähnlichen Einrichtungen (vgl. ebd.).

Je nach Bedarf kann so gezielt die passende Hilfestellung für den Ratsuchenden gewählt werden. Zusätzlich zu den vielfältigen Domänen der Beratung existieren auch mehrere Formen in Bezug auf den Rahmen. So bezieht sich das Angebot sowohl auf Kinder, wie auf Erwachsene und kann in Einzel-, Paar- Familien- und Gruppengesprächen durchge-führt werden (vgl. ebd., S.12). Darüber hinaus werden auch Hausbesuche und anonyme Online-Beratung angeboten (vgl. ebd.).

Dieses Spektrum an Beratungsangeboten wird noch erweitert durch die unterschied-lichsten Thematiken, die die Ratsuchenden mitbringen. So reichen die Anlässe für eine Beratung von Schul- und Ausbildungsproblemen (ca. 25%) über Entwicklungsauffällig-keiten (ca. 26%) und Beziehungsprobleme (ca. 40%) hin zu Anzeichen jeglicher Art von Missbrauch (ca. 4%) oder Sucht (ca. 2%) (vgl. ebd., S.15).

Die Ziele der Erziehungsberatung sind ebenso mannigfaltig, wie ihre ‚Kundschaft‘. Trotz der vielfältigen und jeweils individuellen Problemlagen gelingt es aber einige überge-ordnete Ziele zu formulieren: Man möchte Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern, Benachteiligungen vermeiden oder zumindest verringern sowie für bessere Lebensbedingungen sorgen (vgl. ebd., S.12). Es geht außerdem darum, den Ratsuchenden zu helfen, ihre Motive, Bedürfnisse und Verhaltensweisen an die Außenwelt und alle damit verbundenen Anforderungen anzupassen (vgl. ebd., S.31). Dazu werden gemeinsam mit dem Klienten Entscheidungs- und Lösungsmöglichkeiten herausgearbeitet oder Methoden der Stress- oder Angstbewältigung erlernt (vgl. ebd., S.31ff). Das Individuum ist so lange beratungsbedürftig, solange eine Diskrepanz besteht zwischen den wahrgenommenen Anforderungen an die eigene Person und den sich selbst zugestandenen Kompetenzen (vgl. ebd. S.33).

Ein Recht auf Beratung haben in der Jugendhilfe alle, die das 27. Lebensjahr noch nicht beendet haben (vgl. ebd., S.14) und in der spezialisierten Facheinrichtung der Erzie-hungsberatung alle, die Probleme mit ihren Eltern oder mit ihren Kindern haben (vgl. ebd., S.11). Die Inanspruchnahme einer Beratung beinhaltet jedoch keine ‚Prüfung über die Erfüllung der Zulassungsbedingungen‘ oder ähnliches (vgl. ebd., S.13). Außerdem folgt sie den Grundsätzen der Freiwilligkeit, Wahlfreiheit und Kostenfreiheit (vgl. ebd., S.12). Neben diesen wird auch der Schutz der Privat- und Intimsphäre garantiert, diese gesetzliche Schweigepflicht des Beraters ist sogar im Strafgesetzbuch (§203) festgehalten (vgl. ebd.).

Während die Inanspruchnahme einer Beratung relativ unkompliziert verläuft, ist das Leben in einer Gesellschaft, die rapiden Veränderungsprozessen ausgesetzt ist, schwerer zu meistern, als vor einigen Jahrzehnten, als erlernte Verhaltenssysteme noch quasi ein halbes Leben lang anwendbar waren (vgl. Sanders u.a. 2010, S. 18). So hat sich der Beratungsbedarf allein in den Jahren von 1991 bis 2003 nahezu verdoppelt und die Nachfrage steigt seitdem weiter an (vgl. Hensen u.a. 2008, S.15).

Belardi sieht als Ursachen für den gestiegenen Beratungsbedarf die folgenden sieben Ereignisse:

- Individualisierungs- und Modernisierungsprozesse: die Entwicklungsgeschwin-digkeit dieser Prozesse und damit die Auflösung traditioneller Lebensbereiche hat sich in neuerer Zeit mit großer Geschwindigkeit verändert
- Einschränkende Bedeutung traditioneller Bindungen: der Einfluss von Kirche, Gewerkschaften und anderen Institutionen ist geschwunden; die Sinnfrage wird oft neu gestellt
- Wertewandel: Manche Menschen möchten weg von ökonomischem Leistungsdenken und hin zu mehr Lebensqualität und zu alternativen Lebens-formen; die Erhöhung der persönlichen Lebensqualität wird wichtiger, als bloßer materieller Wohlstand
- Lebensentwürfe: Durch die schnelle Änderung ökonomischer Lebensbedi-ngungen und der Unplanbarkeit der Zukunft (früher: dieselbe, wie bei den Eltern) können nur sehr schwer persönliche Lebensentwürfe entwickelt werden, die einen sicheren Weg garantieren
- Zukunftsorientierung: es bestehen Zunehmend ungelöste Zukunftsaufgaben (Ökologie und die damit verbundenen Probleme der Umweltzerstörung, zunehmendes Armutsgefälle)
- Veränderung der Sichtweisen menschlichen Zusammenlebens: Anerkennung menschlicher Unvollkommenheit, Problembeladenheit und personaler Probleme; man muss nicht unbedingt ‚perfekt‘ sein; Hilfe durch Beratung oder Therapie ist keine Schande mehr, denn war es früher normal, keine persönlichen Schwierigkeiten zu haben, so ist das heute schon nahezu unge-wöhnlich
- Migration, multikulturelle Wanderungsbewegungen: Unterschiedliche Kultur-kreise mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und Normen (vgl. Belardi 2005, S.21).

Sanders sieht noch vier weitere Faktoren, die in den letzten zehn Jahren hinzugekommen sind (Sanders 2010, S.19):

- „Veränderte Formen des familiären Zusammenlebens, veränderte Familien-strukturen und damit veränderte Wertvorstellungen […],
- Probleme der Gestaltung des Alters bei zunehmender Lebenserwartung, Altersdiskriminierung,
- Zunahme chronischer Erkrankungen und Behinderungen und die Frage nach einem angemessenen Gesundheitsverhalten,
- neue Informations- und Kommunikationstechnologien und ihre Auswirkung auf das Sozialverhalten, Alltagsverhalten, Konsum- und Freizeitverhalten.“

Gerade die immer neuen Wahlmöglichkeiten – und erst recht die Notwendigkeit der Wahl – können zu großen Verunsicherungen führen. So ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen Erziehungsberatungsstellen aufsuchen. Viele von ihnen erwarten eine Patentlösung auf ihre Probleme und sind enttäuscht, wenn der Berater bzw. die Beraterin ihnen diese Art von Hilfe nicht geben. In Erziehungsberatungsstellen werden Infor-mationen vermittelt und Wahlmöglichkeiten offengelegt. Die Entscheidung über den nächsten Schritt jedoch obliegt dem Ratsuchenden (vgl. ebd., S.28). Trotzdem oder gerade deswegen können Beratungsprozesse einiges bewirken: „Sie können Mittel und Techniken der praktischen Bewältigung von Problemsituationen anbieten, aber auch die inneren Ressourcen und Einstellungen zu sich und anderen stärken, sodass eine geringere Vulnerabilität resultiert. Schließlich kann die Kenntnis sozial stützender Faktoren verwendet werden, von denen man weiß, dass sie in der Lage sind, Krisen zu vermindern und Leid abzubauen" (ebd., S.39).

Alles in allem wird Beratung als ein entwicklungsfördernder Prozess gesehen, obwohl sie eher als präventive Maßnahme gedacht ist, denn zur Heilung psychischer Krankheiten (vgl. Lezius-Paulus 1998, S.381).

2. Rogers‘ Ansatz in der Theorie

2.1 Die humanistische Psychologie

Der Zweig der humanistischen Psychologie entstand in den USA in den 1930er Jahren aus drei Faktoren heraus (vgl. Quitmann 1996, S.19f): Zu dieser Zeit flüchteten europäische Künstler und Wissenschaftler aus ihren Heimatländern nach Amerika und erfüllten das dortige Leben mit ihren Ideen. Gleichzeitig gewannen östliche Philosophien wie etwa Zen an Bekanntheit (vgl. ebd.). Und der derzeitige Präsident der Vereinigten Staaten, Roosevelt, vertrat seine Überzeugungen im ‚New Deal‘, die Verbesserungen im Versorgungs- und Gesundheitssystem sowie andere humanistisch orientierte Maßnahmen beinhalteten (vgl. ebd., S.17). Außerdem lebte Roosevelt die Idee der grundsätzlichen guten und vernünftigen Natur des Menschen (vgl. ebd., S.18).

So kam es, dass die humanistische Psychologie mitsamt ihrem „überschwänglich-naiven und optimistisch-pragmatischen Charakter“ (ebd., S.12f) immer größere Bekanntheit fand. Trotz starker Kritik setzte sich die Idee schließlich in der Fachwelt durch, sodass im Jahre 1962 die ‚American Associaton of Humanistic Psychology‘ (AAHP) unter dem Vorsitz von Abraham Maslow gegründet wurde (vgl. ebd., S. 24). Eine dritte Kraft in der Psychologie neben der Psychoanalyse und dem Behaviorismus war entstanden (vgl. ebd., S.12). Weitere Gründungsmitglieder der AAHP waren Bühler, Bugental und Rogers (vgl. ebd., S.24). Sechs Jahre später fand der neue Zweig der Psychologie in der Fachwelt so viel Anerkennung, dass Abraham Maslow zum Präsidenten der ‚American Psychological Association‘ (APA) gewählt wurde (vgl. ebd., S.26). Im Jahre 1971 wurde die Gründung der humanistischen Psychologie durch die Einführung einer eigenen Sektion innerhalb der APA nochmals bestätigt (vgl. ebd.).

Aber schon einige Jahre vorher formulierte Bugental etwas, das man als ‚Prinzipien der humanistischen Psychologie‘ bezeichnen könnte (vgl. ebd., S.14). Er hielt es in fünf Punkten fest, die in etwa folgendes aussagen sollten (vgl. ebd., S.14f): Erstens betont er, dass jeder Mensch ein Individuum ist. Zweitens postuliert Bugental, dass diese Einzig-artigkeit an zwischenmenschliche Beziehungen gebunden ist. Weiterhin hält er fest, dass das Verstehen von Erfahrung (mehr oder weniger) bewusst und jeweils individuell – nämlich abhängig von unseren bisherigen Erfahrungen – abläuft. Viertens, so ist zu lesen, folgt aus der Bewusstheit die Fähigkeit des Menschen Entscheidungen zu treffen und somit das Vermögen die eigene Lebenssituation zu verändern. Und fünftens sei das Leben des Menschen auf ein Ziel hin ausgerichtet, das aus seiner einzigartigen Identität heraus entsteht.

Letztendlich befasst sich ein humanistischer Psychologe mit zwei Aspekten (vgl. Allen u.a. 1974, S.48): Erstens widmet er sich der Aufgabe „ein theoretisches Modell vom Menschen als einem positiv eingestellten aktiven und sinnvoll handelnden Wesen zu entwickeln“ (ebd.), zweitens richtet er seinen Blick aber auch auf den eigenen Lebensvollzug, um seine eigene Existenz als real zu begreifen und somit an seinem Leben aktiv teilzuhaben (vgl. ebd., S.48f). Das Ziel des Lebens besteht für ihn darin, etwas zu verwirklichen, woran er glaubt (vgl. ebd., S.51).

2.2 Der personenzentrierte Ansatz von Carl R. Rogers

2.2.1 Die drei Grundbedingungen in Rogers‘ Konzept

Carl Rogers (1902-1987) war ein starker Verfechter und Mitbegründer der humanis-tischen Psychologie. Außerdem begründete er auch die klientenzentrierte Psychothera-pie, die weltweite Anerkennung gefunden hat (vgl. Rogers 2010, S.2). In seinem Ansatz der personenzentrierten Beratung spricht Rogers von drei Bedingungen, die erfüllt werden müssten, um ein entwicklungsförderliches Klima zu schaffen (vgl. Lezius-Paulus, S.379):

Die erste ist die Komponente der Authentizität (vgl. Behr 1987, S.142), oft auch als Aufrichtigkeit, Echtheit oder Kongruenz beschrieben (vgl. Lezius-Paulus 1998, S.380). Dabei geht es um die Einheitlichkeit der Erfahrungen, des Bewusstseins und der Kommunikation des Beraters (vgl. Behr 1987, S.154f). In dieser Bedingung steckt das Prinzip des humanistischen Psychologen, sich selbst und sein Leben, sein inneres Er-leben, seine Gefühlswelt und Empfindungen, wie auch seine Motive und Werthaltungen wahrzunehmen und zu erforschen, sowie das Vermögen diese Eindrücke unverfälscht auszudrücken (vgl. Sanders u.a. 2010, S.79; Behr 1987, S.154f). Diese Selbstkongruenz wird (gegebenenfalls durch eine bedingte Selbstöffnung) zum Vorbild für den Klienten (vgl. ebd.).

[...]

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Details

Titel
Carl R. Rogers in Theorie und Praxis
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
21
Katalognummer
V230155
ISBN (eBook)
9783656461494
ISBN (Buch)
9783656461890
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
carl, rogers, theorie, praxis
Arbeit zitieren
Sarah Steinmetz (Autor:in), 2013, Carl R. Rogers in Theorie und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230155

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