Der impressionistische Stil in der Literatur der Jahrhundertwende

Am Beispiel von Dauthendeys "Regenduft" und Keyserlings "Schwüle Tage"


Seminararbeit, 2012

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die kunsthistorische Verortung des Impressionismus

3. Die Umsetzung in die Literatur
3.1 Begriff, Voraussetzung, Zielsetzung, stilistische Merkmale, Vertreter
3.2 Lyrik am Beispiel Dauthendeys Regenduft
3.3 Prosa am Beispiel Keyserlings Schwüle Tage

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Zeit um 1900 wird von der damaligen Bevölkerung als einschneidende Zeitenwende erfahren. Die reichlich überlieferte Kultur vergangener Tage scheint keine Orientierungspunkte mehr für die Gegenwart zu liefern. Stattdessen wird die Gegenwart gänzlich auf die große, unbekannte Zukunft ausgerichtet. Jeder kann die Jetztzeit als offen und gestaltbar miterleben. Ist die Gesellschaft im Fortschritt oder im Verfall? Einen gemeinschaftlichen Konsens darüber, wie die Zukunft auszusehen hat, gibt es nicht. Es herrscht erstmalig Meinungspluralismus. Einigkeit besteht nur in ihrer Entschlossenheit und ihrem Selbstverständnis, sich als modern zu empfinden. In der Entschlossenheit ganz im Heute zu leben, spiegelt sich die Grundhaltung der Epoche. Einflussreiche Vertreter der jungen Generation um 1880 haben sich emphatisch zu der Moderne bekannt. Sie ist einmalig in der Literaturausrichtung und Weltanschauung, die durch nichts anderes definiert ist als gerade ihre Neuheit respektive ihre Zuwendung auf das Neue. Jegliches Handeln wird getragen von einem Weltgefühl, das seine entscheidende Legitimation nicht aus der verstaubten Vergangenheit und ihren ehrfürchtigen Autoritäten, sondern aus der Zuversicht auf kommende Entwicklungen bezieht.[1]

In ihrer fortschrittlichen Denkhaltung bringen Intellektuelle unterschiedlichste Stile und Strömungen hervor, die in ihrer modernen Bestimmung gleichzeitig existieren, die - ismen wie Naturalismus, Impressionismus, Ästhetizismus, Symbolismus sowie Décadence und Fin de siècle.

Neben Literatur, Philosophie, Psychologie und Naturwissenschaft leitet die Malerei einen Stilwandel von europäischem Ausmaß ein und bringt die Entdeckung einer neuen Wirklichkeit und eine ungemeine Erregung der menschlichen Seele mit sich im Impressionismus.

In der vorliegenden Arbeit soll genauer untersucht werden, welche charakteristischen Merkmale der impressionistischen Malerei sich in der deutschen Literatur des Impressionismus wiederfinden lassen und wie sie dort umgesetzt werden. Der Begriff Impressionismus wird als literarische Strömung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als ein Teil der antinaturalistischen Literatur, verstanden. Einführend soll auf die Entstehung des Impressionismus in der französischen Malerei eingegangen werden. Es schließt die Übertragung in die deutschsprachige Literatur an. Anhand Dauthendeys Gedicht Regenduft[2] und Keyserlings Novelle Schwüle Tage[3] soll der Einfluss der neuen impressionistischen Kunst auf den literarischen Ausdruck dargelegt werden.

2. Die kunsthistorische Verortung des Impressionismus

Als 1874 in Paris eine Gruppe junger Künstler, die sich selbst »Anonyme Gesellschaft von Malern, Bildhauern, Radieren« nennt, 165 ihrer Werke der Öffentlichkeit vorstellt, reagieren die Kritiker mit Hohn und Spott. Der Titel eines der Gemälde, Claude Monets Landschaft Impression, Soleil levant (Impression, Sonnenaufgang), wird, da es allem widerspricht, was zeitgenössisch von einem Kunstwerk an Schönheit und Sorgfalt der Ausführung erwartet wird, zum Anlass genommen, die ganze Gruppe despektierlich als Impressionisten zu bezeichnen.[4] Dass diesem abschätzigen Begriff der Weltruhm beschieden sein wird und wie viel die Werke dieser Künstler keimhaft von dem enthalten, was die Kunstentwicklung des nächsten Jahrhunderts bestimmen wird, ahnen ihre Spötter nicht.

Das Besondere an der impressionistischen Bewegung ist, dass es sich um eine freundschaftlich verbundene Künstlergruppe handelt, die ihre eigenen Ausstellungen organisiert und so dagegen zu opponieren, aus den jährlichen Ausstellungen der französischen Kunstakademie ständig ausgeschlossen zu werden.[5] Sie haben auch kein theoretisch tief begründetes und ausformuliertes Programm, in dem der Aufbruch in das neue Jahrhundert propagiert worden wäre. Der traditionelle Grundsatz, dass Kunst nur als Nachahmung der Natur zu denken sei, hat auch für die Impressionisten noch Gültigkeit. Allerdings radikalisierten sie ihn, indem sie postulieren, dass der Künstler als anschauliches Gebilde nur nachahmen könne, was er sehe und wie er es sehe. Würde er wiedergeben, was er von den Gegenständen wisse, verlasse er bereits den richtigen Weg. Dem impressionistischen Ideal nach ist ein Künstler im Schaffen sich seines Tuns nicht bewusst und reflektiert nicht darüber. Es ist das erklärte Ziel der Impressionisten, ihr Denken im künstlerischen Gestaltungsprozess nach Möglichkeit ganz auszuschalten. Die Unschuld des Auges wiederzugewinnen, es frei zu halten von allem verfälschenden Wissen, ist unerlässlich, wenn das künstlerische Prinzip gewahr werden soll, die Dinge in ihrer optischen Erscheinung wiederzugeben.[6]

Es geht nicht mehr um das Abmalen der Realität, sondern um den persönlichen Eindruck. Kurz: die Impression. Die impressionistischen Maler wollen den unmittelbaren Eindruck der Dinge festhalten, ihre äußere Erscheinung und die alles verbindende Atmosphäre. Alles, was ihr Auge sieht, ist Farbe; auch das Licht, das die Gegenstände überströmt und die natürliche Bedingung ihrer Sichtbarkeit ist. Eben das Licht, welches von Tageszeit und Wetter bestimmt wird, ist zugleich das Element, das am einfachsten und am deutlichsten erkennen lässt, dass es für das Auge nichts Statisches geben kann. Hieraus erwächst die Schwierigkeit, dass ein visueller Eindruck nur dann festgehalten werden kann, wenn in der künstlerischen Form das Augenblickliche, Vorübergehende bewahrt wird.[7]

Der Impressionismus als Stilrichtung der modernen Kunst kommt zwischen 1860 und 1870 in der französischen Malerei auf, greift auf andere europäische Länder über und klingt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus. Die in diesem Zeitraum in Paris und Umgebung lebenden Künstler wie Monet, Manet, Degas, Renoir, zu deren Kreis auch Pissarro, Cézanne, Sisley und Bazille gehören, versuchen, die konventionelle, das Inhaltliche betonende Atelierkunst mit ihrem mythologischen, historischen, religiösen oder moralisierenden Themenkanon sowie ihrer willkürlichen Beleuchtung und dunklen Farbkompositionen zu überwinden.[8] Im Wesentlichen finden die Impressionisten ihre Motive in drei Bereichen: in der Natur, in der Großstadt und im Alltag der Menschen.[9] Besonders schätzen sie die Vielfalt der großstädtischen Phänomene in ihrer Motivwahl: das Treiben auf den Boulevards und in den Bahnhöfen, die Feierabendstimmung in Wirtsgärten, bei Pferderennen, im Theater und in den Tanzlokalen auf dem Montmartre, elegante Flaneure auf den Boulevards, in den Naherholungsgebieten und Ausflugslandschaften des Städters.[10]

An die Stelle der Ateliermalerei tritt die Freilichtmalerei . Die Arbeit im Freien en plein air findet direkt vor dem Motiv unter freiem Himmel statt. Um die atmosphärische Stimmung einer Landschaft in ihren natürlichen Lichtverhältnissen und Farbwirkungen einzufangen, malen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Engländer Constable und Bonington unmittelbar nach der Natur im Freien. Ihnen folgen eine Reihe von Künstlergruppen, bis die Technik ihren Höhepunkt in der Malerei des französischen Impressionismus um 1870 bis 1890 findet.[11]

Charakteristisch für die Freilichtmalerei ist eine frische Helligkeit der Farbgebung, mit der die Wirkungen des natürlichen Lichts aufgefangen werden. Durch die farbige Erscheinung der Objekte im Licht wollen die Impressionisten den flüchtigen Reiz des Augenblicks auf die Leinwand bannen, indem sie sich von der traditionellen Hell-Dunkel-Malerei abwenden und ihre Farbpalette aufhellen; sogar tiefe Schatten, einst in Schwarz aufgetragen, entdecken sie in ihrer farbigen, meist komplementären Tönung.[12] Das Licht- und Farbstudium in freier Natur wird durch Chevreuls wissenschaftliche Befunde in der Farb- und Wahrnehmungslehre forciert. So besagt der Effekt des Simultankontrastes, dass das Auge bei heller Beleuchtung in einer Farbe zeitgleich den komplementären, den im Farbkreis entgegengesetzten Ton wahrnehme.[13] In ihren farbig gehaltenen Gemälden spielen die impressionistischen Künstler mit Komplementärfarben, sodass der gesamte Bildaufbau zu einem farbig vibrierenden Klangkörper zusammengefasst wird. Um die vielfältigen Lichtphänomene wiederzugeben, passen sie ihre Pinseltechnik an. Sie zerlegen die Farben in ein Gewebe von Spektralfarben, dessen optische Mischung erst im Auge des Betrachters stattfindet. Weitgehend unvermischte helle Farben werden in kurzen Pinselstrichen unvermittelt nebeneinandergesetzt. Dadurch wird die Bildfläche von einer gleichmäßigen Textur aus Farbtupfen bedeckt. Die lockere, strichelnde und tupfende Pinselschrift wird auf alle Gegenstandsbereiche gleichermaßen angewendet, welche dem Werk eine flimmernde, diffuse, rhythmische Lebendigkeit einverleibt. Zum wichtigsten künstlerischen Mittel wird das Verfahren der Ölskizze. Indem die Impressionisten auf lineare Zeichnungen bestimmter Umrisse oder fester Körperlichkeiten verzichten, d.h. ohne vorbereitete Konturen malen, richten sie ihren Blick auf die zwischengegenständlichen Bereiche von Raum, Atmosphäre und Licht und unterscheiden dabei kaum zwischen Nähe und Ferne. Die reale Struktur der Dinge schwindet vor ihrer Beleuchtung, sie lösen sich auf in Farb- und Lichtreflexe.[14]

[...]


[1] Vgl. Ajouri, P.: Literatur um 1900. Naturalismus-Fin de Siècle-Expressionismus. Berlin 2009, S. 10-12; vgl. Sprengel, P.: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870-1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. München 1998, S. 53-59.

[2] Dauthendey, M: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Bd. 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen. München 1925.

[3] Keyserling, E. v.: Schwüle Tage. Novelle. München 41998.

[4] Vgl. Büttner, F.: Schätze der Kunst. Klassiker der Moderne. Künzelsau-Gaisbach 1990, S. 8.

[5] Tatsächlich geht auch heute noch die Besonderheit vom Impressionismus aus, dass sich dieser nicht mit einem herausragenden Namen verbindet, sondern einer Gruppe von Malern.

[6] Vgl. Büttner, F.: Schätze der Kunst. Klassiker der Moderne. Künzelsau-Gaisbach 1990, S. 8.; vgl. Nerdinger, W.: Perspektiven der Kunst. Von der Karolingerzeit bis zur Gegenwart. München 1994, S. 283; vgl. Wolf, N.: Kunst-Epochen 19. Jahrhundert. Bd. 10 Stuttgart 2002, S. 28-32.

[7] Vgl. Büttner, F.: Schätze der Kunst, S. 5.

[8] Vgl. Der Kunst-Brockhaus. Bd. 1 Wiesbaden 1983, S. 529; vgl. Nerdinger, W.: Perspektiven der Kunst, S. 473.

[9] Vgl. Crepaldi, G.: Der Impressionismus. Köln 2007, S. 6.

[10] Vgl. Wolf, N.: Kunst-Epochen 19. Jahrhundert, S. 31.

[11] Vgl. Der Kunst-Brockhaus, S. 373; vgl. Nerdinger, W.: Perspektiven der Kunst, S. 462.

[12] Vgl. Nerdinger, W.: Perspektiven der Kunst, S. 472; vgl. Der Kunst-Brockhaus, S. 373.

[13] Vgl. Dippel, A.: Schnellkurs Impressionismus. Köln 2002, S. 14.

[14] Vgl. Wolf, N.: Kunst-Epochen 19. Jahrhundert, S. 31.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der impressionistische Stil in der Literatur der Jahrhundertwende
Untertitel
Am Beispiel von Dauthendeys "Regenduft" und Keyserlings "Schwüle Tage"
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V230087
ISBN (eBook)
9783656461166
ISBN (Buch)
9783656461388
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Impressionismus, Jahrhundertwende, impressionistisch, Dauthendey, Keyserling, Prosa, Lyrik, Regenduft, Schwüle Tage
Arbeit zitieren
Dipl.-Hdl., Dipl.-Kff. Tanja Röhrig (Autor:in), 2012, Der impressionistische Stil in der Literatur der Jahrhundertwende, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230087

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