Joseph Freiherr von Eichendorff als Vertreter der deutschen Spätromantik

Seinen Novellen "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Das Schloß Dürande"


Magisterarbeit, 1995

99 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Bibliographische Notiz

Einführung

1. Die Romantik als eine Kunstepoche in der Geschichte der deutschen Literatur
1.1. Die Bedeutung der Französischen Revolution für die deutsche Literatur. Wie wurde diese Revolution in Deutschland wahrgenommen?
1.2. Was versteht man unter dem Begriff Romantik?
1.3. Die späte Romantik
1.4. Eichendorff und die romantische Schule

2. "Aus dem Leben eines Taugenichts"
2.1.. Die Entstehungsgeschichte und die Wahl des Titels
2.2. Zu welcher Gattung gehört das Werk "Aus dem Leben eines Taugenichts"?
2.3. Kritische Notizen über die Novelle
2.3.1. Die Gestalt des Taugenichts
2.3.3. Die Gestalten von Vertretern verschiedener sozialen Gruppen
2.3.4. Die märchenhaften Elemente in der Novelle
2.3.5. Die Rolle der Gedichte in der Novelle

3. "Das Schloß Dürande"
3.1. Eichendorffs Begegnung mit der Französischen Revolution
3.2. Die Entstehungsgeschichte der Novelle "Das Schloß Dürande"
3.3. Eichendorffs Rezeption der Revolution
3.4. Analyse des Textes
3.4.1. Renald und die Revolution
3.4.2. Die Grafen Dürande. Der Adel im Vorabend der Revolution
3.4.3. Die Rolle des Klosters in der Novelle
3.4.4. Gabriele
3.4.5. Die märchenhaften Elemente in der Novelle "Das Schloß Dürande"

4. Zusammenfassung
These 4.1. Eichendorff und seine Novellen "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Das Schloß Dürande"
These 4.2. Die Darstellung der Revolution
These 4.3. Relation zwischen den beiden Werken

5. Literaturverzeichnis

Bibliographische Notiz

In dieser Magisterarbeit werden die Novellen "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Das Schloß Dürande" des deutschen Vertreters der Spätromantik Joseph von Eichendorff behandelt. Im erstgenannten Werk beschäftigt mich Eichendorffs Kritik des Philistertums. In seiner zweiten Novelle interessieren mich die Darstellung der Französischen Revolution und seine gegen die Revolution gerichteten Meinungen, die er meistens versteckt äußert. Die beiden Novellen werden unter dem Aspekt des Märchenhaften, als ein typisches Merkmal der Romantik untersucht.

Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen , Triffst du nur das Zauberwort.

J. v. Eichendorff

Einführung

Zu Beginn der Themenwahl wollte ich mich nicht nur auf Eichendorff beschränken. Ich dachte, es wäre gut, wenn ich mich auch mit Eduard Mörike oder mit Heinrich von Kleist beschäftigen würde. Grund dafür war die Tatsache, daß Eichendorff nicht nur zur Spätromantik gehört. Er war nach der Zeit der Romantik noch in der sogenannten Biedermeierzeit tätig. Seinen Namen findet man unter denen der über 1815 bzw. sogar über 1830 hinaus lebenden und weiter wirkenden Schriftstellern der klassisch-romantischen Generation wie Goethe, Jean Paul,

E.T.A. Hoffmann, Tieck u. a. Im Laufe der Vorbereitung war der Umfang der Informationen über Eichendorff so groß geworden, daß die Beschäftigung mit noch einem weiteren Autor mir nicht mehr zweckmäßig schien. Ich habe mich also entschieden, mich nur mit Eichendorff, seinen Werken und der Romantik zu beschäftigen. So bekam ich die Möglichkeit, die Romantik als einen Teil der Geschichte der deutschen Literatur näher zu beschreiben und zu betrachten. Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Menschen und des Autors Eichendorff konnte jetzt noch tiefer und genauer werden.

Ich möchte auch noch ein paar Wörter zur Strukturierung meiner Magisterarbeit schreiben. Sie ist in zwei große Abschnitte geteilt, die zwei in gewisser Hinsicht unabhängige Themen darstellen, die aber eng mit einander im Zusammenhang stehen. Der erste Abschnitt, der auch wie ein selbständiges Thema behandelt werden kann, beschäftigt sich mit der Romantik als einer Epoche in der Geschichte der deutschen Literatur. Damit die Ideen, die Empfindungen und die Symbole im Schaffen von Eichendorff uns vertrauter werden, hielt ich es für notwendig,

mehr über die Romantik zu schreiben. Deswegen habe ich einen großen Teil meiner Arbeit der Romantik zugeordnet. Bei der Arbeit an diesen Abschnitt habe ich ausschließlich die Schriften von Inge Stephan als Quelle benutzt, weil ihre Weise über Romantik zu schreiben, am nächsten zu meinen eigenen Ansichten über Romantik stand, und mir deswegen am besten gefiel. Der zweite Abschnitt ist auch ein selbständiges Thema, das sich mit Joseph von Eichendorff auseinandersetzt. Ich habe mir erlaubt, dort einige kurze biographische Notizen einzufügen, weil das Leben von Eichendorff mir persönlich interessant schien. Ich versuchte damit, das Interessante mit dem Notwendigen in meiner Arbeit zu verbinden. Der biographische Teil ist deshalb wichtig für diese Arbeit, weil die Persönlichkeit des Autors mit vielen von seinen Werken in Verbindung steht. Ich habe versucht, die beiden Novellen von Eichendorff unter einem bis jetzt nicht von vielen Forschern behandelten Aspekt zu betrachten. Ich war dabei überrascht, daß die Beschäftigung mit dem Märchenhaften bei Eichendorff so gering ist im Vergleich mit ähnlichen Untersuchungen zu manchen anderen romantischen Autoren. Ich meine damit das märchenhafte Element, das typisch für die Romantik war. Das Interesse der Romantiker an Märchen und besonders an Volksmärchen ist weit bekannt. Sie haben sehr viel beim Sammeln und damit zum Bewahren dieses Reichtums beigetragen. Wir wissen, daß Eichendorff mit dem Sammeln von Volksmärchen schon als Student in Heidelberg begonnen hat. Ich vermute, daß diese Beschäftigung mit den Märchen aus Oberschlesien einen Einfluß auf seine Werke ausgeübt hat. Ich suchte die märchenhaften Elemente bei Eichendorff heraus und habe dabei einige interessante gefunden. Die märchenhaften Elemente in "Aus dem Leben eines Taugenichts" und in "Das Schloß Dürande" habe ich gern untersucht. Ich versuchte auch zu zeigen, wie vielseitig Eichendorff sein konnte. In der ersten Novelle kritisiert er das Philistertum und ist dabei unpolitisch. Die konkreten politischen Ereignisse seiner Zeit kann man nicht spüren. In seiner zweiten Novelle sehen wir einen ganz anderen Eichendorff. Er ist nicht mehr nur ein Kritiker oder bloß ein Künstler, sondern er beschäftigt sich mit konkreten politischen

Tatsachen und äußert dabei direkt oder meistens versteckt seine eigenen Meinungen und Anschauungen oder sein Nichteinverstandensein.

Den zweiten Teil meiner Magisterarbeit gliederte ich in zwei Abschnitte, in die Auseinandersetzung mit dem Werk "Aus dem Leben eines Taugenichts" und in die Auseinandersetzung mit "Das Schloß Dürande". Diese Novellen behandele ich zuerst mehr oder weniger selbständig, damit ich sie, meiner Meinung nach, genauer betrachten kann. Gleichzeitig werde ich die Beziehungen zwischen beiden Novellen nicht außer Acht lassen. Die Zusammenfassung meiner Magisterarbeit dient gerade dazu, alles im Zusammenspiel und gegenseitigen Wirken zu zeigen. Sie vereinigt auch thesenhaft alle Schlußfolgerungen und Ideen, die ich an verschiedenen Stellen in der Arbeit entwickelt habe, in einem Ganzen.

An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das Schreiben in einer fremden Sprache, was die deutsche für mich ist, schwer ist. Es ist überall bekannt, daß die Schriftsteller, die in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache schrieben, keinen großen Erfolg hatten. Es existieren auch in verschiedenen Staaten verschiedene Arten und Kriterien für Literaturkritik. Ich habe versucht, so weit es mir möglich war, mich den deutschen Kriterien anzupassen.

Ich möchte mich hier auch für freundliche Hinweise, Hilfe und Ratschläge bei Doz. Dr.

Brigitte Stuhlmacher herzlich bedanken.

1. Die Romantik als eine Kunstepoche in der Geschichte der deutschen Literatur

Die Romantik gehört zu einer, in literarischer und historischer Hinsicht, interessanten Zeit. Das ist die Zeit nach der Französischen Revolution 1789, in der es zu Überschneidungen von mehreren literarischen Strömungen kam. Der Dichter Heinrich Heine schuf den Begriff

"Kunstepoche". Darunter verstand er jene Zeit zwischen der Französischen Revolution und der

Restauration, die man das "Zeitalter der deutschen Klassik und Romantik" oder die "Blütezeit der deutschen Dichtung" nennt. Prägnant ist die Vorstellung von einer Epoche, in der die Kunst und der Künstler einen besonders hohen Stellenwert einnahmen, und in der die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Leben zugunsten der Kunst entschieden wurde. In der Wirklichkeit hat die Kunst eine große Rolle zwischen den Revolutionen 1789 und 1830 gespielt.

Im Unterschied zu Frankreich fand in Deutschland keine Revolution statt. Trotzdem blieb die Französische Revolution immer Bezugspunkt der deutschen Sonderentwicklung, die man nicht einseitig als positiv oder als negativ bewerten kann. In Deutschland wurden damals Veränderungen durch langsame Reformen vorgezogen. "An die Stelle der Revolution trat die Reformbewegung des aufgeklärten Absolutismus, der in mehreren großen Anläufen eine behutsame Veränderung von Staat und Gesellschaft versuchte und in seinem reformerischen Gestus sehr stark auf die Entwicklung im Nachbarland bezogen war.“( Stephan 1989:154) Die strukturellen Verschiebungen und Veränderungen im wirtschaftlichen und politischen Gefüge wurden oft von den Zeitgenossen nicht wahrgenommen. Sie sind aber nicht weniger bedeutsam als solche Ereignisse wie Revolution und Konterrevolution, Eroberungs- und Befreiungskriege, von denen Europa erschüttert wurde, und die den Zeitgenossen den Eindruck einer "neuen Epoche" (Goethe) vermittelten. Die Dramatik und Hektik der Ereignisse in Frankreich waren tatsächlich überwältigend. Deutschland wurde damals von Frankreich erobert, was eine große Welle der nationalen Empörung entfachte. Der Wiener Kongreß 1815 brachte eine neue Ordnung in deutschen Ländern.

Historisch gesehen war die Zeit zwischen 1789 und 1830 durch militärische Auseinandersetzungen und durch die Periode der Industrialisierung gekennzeichnet. Es begann die Bauernbefreiung und die Transformation des alten Handwerks in industrielles Gewerbe. Es kam die Zeit, in der, parallel mit der Proletarisierung breiter Bevölkerungsschichten, freie

Unternehmer und Fabrikanten sich bildeten.

1.1. Die Bedeutung der Französischen Revolution für die deutsche Literatur. Wie wurde diese Revolution in Deutschland wahrgenommen?

Am Anfang des 19. Jahrhunderts war das historisch gesellschaftliche Feld durch Rationalismus gekennzeichnet. Das bedeutet ein systematisches Denken, eine Vergötterung des Intellekts und einen optimistischen Fortschrittsglauben, die fest mit den aufklärerischen Vorstellungen verbunden waren. Mit dem Ausbruch der Revolution 1789 wurde aber das Individuum einer Reihe von Spannungen ausgesetzt. Das waren Widersprüche zwischen dem Ich und der Welt, dem Einzelnen und der Gesellschaft, Ideal und Wirklichkeit, Geist und Natur. Die Literatur spielte immer eine kompensatorische Rolle. Auf ihre Zeit bezogen versuchte sie, die Unterschiede zwischen der gesellschaftlichen und individuellen Wirklichkeit auszugleichen. Während man die Klassik noch als Medium von Bildung und Humanität verstand, setzte die Romantik eine reflektierende und empfindsame Subjektivität gegen die wirkliche und gewaltsame Welt. Die Romantiker sehnten sich nach Freiheit und Unabhängigkeit des schöpferischen Individuums. Die Kunst war nicht mehr dem Aristotelischen Prinzip der Nachahmung verpflichtet. Die Funktion der Literatur wurde neubestimmt. Die Selbstgewißheit der aufklärerischen Literatur, daß sich die Wahrheit ihren Weg bahnen wird, und die Literatur dabei nur Vermittler war, wurde schon eingeschränkt.

Die Französische Revolution hatte große Bedeutung für die Entwicklung der literarischen Theorie und Praxis nach 1789. Zuerst begrüßte die literarische Intelligenz in Deutschland den Ausbruch der Revolution begeistert. Später aber nahm die Sympathie nach der Hinrichtung des Königs und den darauf folgenden Septembermorden und nach der

Jakobinerherrschaft ab. Die Gefühle gingen sogar in Abscheu vor der revolutionären Gewalt in Frankreich über. Die Romantiker verhielten sich ablehnend gegenüber der Revolution und den Revolutionsversuchen in Deutschland. Sie gingen davon aus, daß eine Revolution in Deutschland nicht erwünscht und vom sittlichen Standpunkt aus zu verurteilen war. Sie kritisierten aber manche bestehenden Verhältnisse in Deutschland und waren mehr für allmähliche Veränderungen, die nicht die Abschaffung des bestehenden Systems als Ziel hatten. Sie formulierten die sogenannte Autonomie der Dichtung. Die Literatur wurde funktionsneutral und aus dem aktuellen gesellschaftlichen Kontext gelöst. Die Subjektivität der Produzenten und der Rezipienten war zu einem wichtigen Prinzip geworden. Die sozialen und politischen Widersprüche sollten nicht mehr durch die Kunst zu einer Lösung führen, "sondern Autor und Leser schafften sich in Poesie eine Freiheit, die ihnen im realen Leben versagt blieb." (Stephan 1989:158) Das führte zum Rückzug in die Sphäre der Subjektivität und ließ freien Raum für das Spiel der Phantasie. Typisch für diese Zeit sind die spielerischen Formexperimente und die ironischen Improvisationen. Der romantische Dichter bezog sich ganz auf sich selbst und seine künstlerische Tätigkeit. "Ziel der romantischen Poesie war die Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, kurz die Poetisierung des Lebens anstelle seiner Politisierung." (Stephan 1989:158) Die subjektivistischen und irrationalistischen Elemente waren bis zur Vergöttlichung der Kunst und des Künstlers verstärkt. Die Romantiker wendeten sich dem deutschen Mittelalter und religiösen und mythologischen Vorstellungsbereichen zu. Sie verehrten in ihrer Dichtung das Ursprüngliche. Sie suchten die Schlüssel zu den Volksliedern und Märchen, die für sie als reizende Geheimnisse galten, und schufen ein idealistisches Mittelalterbild christlicher Religiosität. Novalis sagte damals, "Dichter und Priester waren am Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der ächte Dichter ist aber immer Priester, so wie der ächte Priester immer Dichter geblieben ist." (Novalis, 1798, zitiert nach Stephan 1989:158) Das

bedeutete Stilisieren der Kunst zur Religion. Die Vertreter der Romantik wollten eine poetische Welt der verachteten Welt gegenüberstellen. Die Orientierung am Mittelalter führte zur Verherrlichung der vorkapitalistischen Lebensweise und zur Kompensation realer politischer Ohnmacht. Die romantische Dichtung äußerte den Widerspruch zwischen der Welt des Künstlers und dem bürgerlichen Alltag. "Die Welt des Bürgers und die des Künstlers sind unvereinbar. Eine Eingliederung des Künstlers ins bürgerliche Leben ist ebenso unmöglich wie eine Erlösung des Bürgers durch die Kunst. Der Bürger arrangiert sich mit der Wirklichkeit und überlebt als Philister, der Künstler zerbricht an den erfahrenen Widersprüchen und wird aus der Welt gedrängt." (Stephan 1989:171)

In der Periode von 1815 bis 1830, der Zeit zwischen dem Wiener Kongreß und Ausbruch der Juli-Revolution, entstanden die Hauptwerke von E.T.A. Hoffmann, Joseph von Eichendorff und anderen Autoren, die zu der Spätromantik gezählt werden. Gerade diese Zeit ist eine Zeit der Überschneidungen und Parallelitäten, des Endes und des Neuanfangs. Viele Schulen und Strömungen existierten nebeneinander. Gleichzeitig mit den Werken der Spätromantiker entstanden schon die ersten Werke von Heinrich Heine, Eduard Mörike u.a., die der Vormärz-Epoche zugeordnet werden. Die romantischen Autoren veröffentlichten ihre Schriften in dieser Zeit weiter. Das waren solche Autoren wie Clemens Brentano, Ludwig Tieck und Joseph von Eichendorff. Clemens Brentano veröffentlichte bis 1842, Ludwig Tieck bis 1853 und J. v. Eichendorff bis zu seinem Tod im Jahre 1857.

Die Zeit zwischen 1789 und 1830 gehört zu den fruchtbarsten Perioden der deutschen Literatur. In mehr als 25 Jahren wurde eine Literatur geschaffen, die von ihrer Qualität und Quantität beeindruckend ist. Die klassischen Werke von Goethe und Schiller und die Werke der Romantiker bilden einen verwirrenden Komplex von unterschiedlichen Themen und Formen. Neben den Autoren, die dem großen literaturtheoretischen Lager der Klassik und Romantik

angehörten, gab es Autoren wie Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist und Jean Paul, die Einzelgänger waren. Sie hielten sich von den literarischen Parteien der Zeit fern. Sie schufen Werke, die auf ihre Weise die Epochenkonstellation widerspiegelten. Sie brachten eine Literatur zustande, deren Bedeutung heute stärker als früher erkannt wird.

1.2. Was versteht man unter dem Begriff Romantik?

Die Romantik hat für jeden Menschen bestimmte thematische Schwerpunkte, die er mit vielen romantischen Erscheinungen verbindet. Zu den romantischen Erscheinungen gehören für mich das Wunderbare, Exotische, Abenteuerliche, Sinnliche, Schauerliche, die Abwendung von der modernen Zivilisation und die Hinwendung zur inneren und äußeren Natur des Menschen und zu vergangenen Gesellschaftsformen und Zeiten. Die Vertreter der Romantik waren in bestimmten Städten tätig. Um diese Menschen sammelten sich die Anhänger dieser Literaturart. So bildeten sich Zentren der Romantik heraus. Die Romantik verfügte über viele Zentren, die auch ihre Unterschiede hatten. So unterschied sich der Berliner Kreis um Tieck von dem Jenaer Kreis der Brüder Schlegel, und beide wichen erheblich von dem Heidelberger Kreis um Arnim und Brentano ab. Nach der ersten Begeisterung über die Französische Revolution und der später davon folgenden Enttäuschung, waren die Romantiker der Meinung, daß eine Veränderung der Gesellschaft nur durch eine "Revolution" des Denkens und des Schreibens bewirkt werden könnte. Novalis (Friedrich von Hardenberg) sprach über die Notwendigkeit, die Welt zu "romantisieren", damit die Entfremdung überwunden und der ursprüngliche Sinn des Lebens wiederentdeckt werden konnte. Eine der wichtigsten Forderungen war die nach einer neuen Mythologie. Die Frühromantiker versuchten die für die Aufklärung typisch gewesene Skepsis gegen Mythologie zu überwinden. Sie strebten nun an, Poesie und Mythologie wieder miteinander zu verbinden. Man sollte die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufheben, um wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie und in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu geraten. Das Chaos besaß für die Romantiker keine negative Bedeutung. Es wurde positiv als ein Zustand verstanden, in dem Gang und Gesetze nicht mehr ihre Wirkung ausüben konnten. Besonders wichtig für die Romantik war die Ironie. Friedrich Schlegel hat dafür den Begriff "romantische Ironie" geprägt. Damit war eine bestimmte Art der Reflexion und des Empfindens gemeint, daß er "als Beweglichkeit der Phantasie und der Reflexion" bezeichnet hat. (Stephan 1989:175) Die Ironie war eines der fundamentalen Stilprinzipien der Romantik. Schlegel definierte die Ironie so: "Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was gleichzeitig gut und groß ist." (Stephan 1989:175) Andere wichtige Elemente der Romantik waren das Unbewußte und das Irrationale. Die Romantiker brachten Wunsch- und Triebstrukturen zum Sprechen, die früher von der Aufklärung nicht behandelt wurden, weil es eine Abgrenzung gegen die innere und die äußere Natur gab. Die Romantiker ließen sich auf Erfahrungen wie Wahnsinn, Krankheit, Schwärmerei, Sinnlichkeit und Müßiggang ein. Hier möchte ich betonen, daß man die Romantik nicht nur als eine Opposition zur Aufklärung verstehen soll. Die Romantik war mehr eine Ergänzung der aufklärerischen Dimensionen, die als blinde Flecken übriggeblieben waren. Das soll auch bedeuten, daß man die Romantik nicht als eine irrationalistische und realitätsferne Bewegung bewerten kann. Sie war einfach eine historisch notwendige Antwort auf die starr gewordene Aufklärung. Sie kritisierte diese und ergänzte sie gleichzeitig.

Das Interesse für die deutschen Volkslieder, Sagen und Märchen der Romantiker ist weltweit berühmt. Achim von Arnim und Clemens Brentano beschäftigten sich mit dem deutschen Volksliedgut. Die Gebrüder Grimm haben viele deutsche Sagen und Märchen gesammelt. Es gab auch solche Dichter wie J. v. Eichendorff, die an die volkstümlichen Formen in der eigenen Dichtung anzuknüpfen wußten. E.T.A. Hoffmann gilt als ein Vertreter der

satirischen Dichtung. Diese Komplexität der romantischen Literaturbewegung macht die Bezüge zur aufklärerischen Dichtung deutlich. Das Besondere der romantischen Auffassung liegt in der Autonomie der Kunst und im Streben nach der dichterischen Freiheit. Die romantische Literatur war gekennzeichnet durch die Erweiterung der künstlerischen Ausdrucksweise und der Freisetzung der Phantasie. In der Freisetzung der Phantasie lag das eigentliche Neue und Bahnbrechende. Von solcher Bedeutung war auch das gesellschaftskritische Moment der Romantik. Charakteristisch für die Romantik sind noch das freie, schöpferische und spielerische Umgehen mit den tradierten Formen und Gattungen und das selbstironische Formexperiment. Wichtig ist hier, die Förderung des künstlerischen Freiraums für Autor und Leser zu erwähnen. Damit man die Erscheinung Romantik richtig versteht, sollte man sich mit der realgeschichtlichen Situation um 1800 vertraut machen. "Das Individuum wurde damals durch politische Unterdrückung und Distanzierung und durch entfremdete Arbeits- und Produktionsbedingungen zunehmend in seinen Freiheits- und Glücksmöglichkeiten eingeschränkt." (Stephan 1989:176) Die schöpferischen Kräfte im Menschen und der freie Raum für die Phantasie stellten unter diesen Umständen eine Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaft und der ihr eigenen Moral dar.

Bald nach 1800 lösten sich die frühromantischen Zirkel auf. Der Romantikerkreis weitete sich sowohl von den Personen als auch von den Zentren her aus. Um Clemens Brentano und Achim von Arnim bildete sich in Heidelberg eine große Gruppe, die an die Frühromantik anknüpfte. Die Vertreter dieser Gruppe waren in ihren Werken aber von der neuen historischen Konstellation beeinflußt. Das war die Zeit der Wirren der Napoleonischen Kriege und der Befreiungsbewegungen. Diese äußerlichen Bedrohungen wurden als innere Gefährdung erlebt. Darauf reagierte man mit einer verstärkten Hinwendung zur Religion. Mit dieser religiöser Wende suchten die Spätromantiker Orientierungspunkte in einer zerrissenen und chaotischen

Zeit. Nach 1815 setzten sich die restaurativen Tendenzen durch. Sie führten zu einer neuen Aneignung von Sagen und Märchen, die auf einem gewandelten Konzept von Kindheit beruhte. Die Kindheit wurde zu einem Wert an sich, und das Kind zu einem in sich vollkommenen Wesen stilisiert. Kindheit bedeutete Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Vollkommenheit. Damit deckte es sich mit der Hochschätzung der Urpoesie und der Bewunderung der vergangenen Zeiten. Darunter verstand man den Mittelalterkult.

Wie ich schon oben erwähnt habe, sammelten Arnim und Brentano deutsche Volkslieder und alte volkstümliche Gedichte und gaben sie unter dem Titel "Des Knaben Wunderhorn" (1806 und 1818) heraus. Die Gebrüder Grimm veröffentlichten 1812 ihre "Kinder- und Hausmärchen" und 1816 ihre "Deutsche Sagen". Diese drei Sammlungen sind mit dem Gedanken geschrieben wurden, die Deutschen vor der nationalen Zersplitterung und der zunehmenden inneren und äußeren Entfremdung durch die moderne Zivilisation zu schützen. In der Klassik und Frühromantik entdeckten die Romantiker das Märchen als Genre. Berühmt war Goethes "Märchen" (1795), in dem er die Utopie eines harmonischen Gesellschaftszustandes gegen die Französische Revolution entwickelt hatte. Die Märchen bei Novalis und Tieck, besonders aber bei Novalis wurden zur romantischen Form. An solchen Vorstellungen knüpften Brentano und Arnim an, als sie versuchten, die Trennung zwischen Volksmärchen und Kunstmärchen aufzuheben.

Es ist bekannt, daß die Novelle eine typische Gattung für die Romantik ist. Zur selbständigen Gattung war die Novelle bereits in der italienischen Frührenaissance geworden. In Deutschland trat die Bezeichnung erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf, als es zu einer klaren Unterscheidung zwischen dem Roman und den kleineren Erzählformen kam. Wieland definierte 1772 die Novelle als "eine Art von Erzählungen, [...] welche sich von dem großen Roman durch Simplicität des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden oder sich

zu denselben verhalten wie die kleinen Lustspiele zu den großen Tragödien oder Komödien." (Wieland 1984:18) Die "Simplicität des Plans" ist ein wesentliches Moment, das sich in allen weiteren theoretischen Bestimmungen aufspüren läßt. Die Novelle bedeutet zuerst nicht die Bezeichnung einer Gattung, sondern meint das neue und überraschende Ereignis. Goethe bezeichnet sie in einem Gespräch mit Eckermann so: "Denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit." (Eckermann 1982:194) Bis heute gilt, daß die Novelle mit einer Begebenheit zu tun hat. Die Novelle versucht, sie in einem mehr oder weniger kleinen Raum zu verdichten. Stofflich gesehen bezeichnet die Novelle die zeitgenössische Aktualität, den überraschenden Geschehniszusammenhang oder den Stadtklatsch. Funktional charakterisiert sie die Erregung der Aufmerksamkeit, die durch Ballung und Einbruch des Schicksalhaften erreicht wird. Eine Novellenhandlung soll einen Punkt enthalten, an dem sich eine ebenso natürliche wie doch unerwartete Wendung vollzieht. Der Spielraum des Zufalls schenkt der Novelle das für sie fast immer unentbehrliche Moment der Spannung. Der Zufall deutet auf die Wirklichkeit unserer Existenz hin, und veranschaulicht die Relativität aller Situationen. Für die Novelle ist das Subjektive in einer artistischen Formgebung typisch. Ein (Novellen-) Erzähler kann auch bei der Wiedergabe fremder Stoffe, höchst Eigenes indirekt zum Ausdruck bringen. Das Novellistische ist, wie wir schon bei Wieland gesehen haben, mit dem Erzählen und mit dem Dramatischen verwandt. Die Novelle wird zu einer Gattung, die andere Formen in sich vereinigen kann. "Die Novelle als pseudo-dramatische Form, die ja individuell gelesen werden bzw. ‚erfahren’ wurde, ermöglichte dem Leser die Inszenierung des dargestellten Geschehens in der privaten Lektüre und stellte eine entscheidende Etappe auf dem Weg der Reprivatisierung des Lesens am Ende des 18. Jahrhunderts dar." (Stephan 1989:173) Das Wachstum der Gattung Novelle geschieht unter verschiedenen Bedingungen. Goethe gilt als der Ausgangspunkt der neuen deutschen Novellendichtung. Er benutzt in seiner Novellistik den Konflikt zwischen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft. Goethe ordnet der Novelle eine lehrreiche und

nützliche Bedeutung zu. Später, in der modernen Prosa, ist die Novelle fast ausschließlich auf symbolische Gestaltung angewiesen. Sie löst sich immer mehr vom geistreich-gesellschaftlichen Erzählen aus, und nähert sich dem Metaphysisch-Wunderbaren und den Märchen des Schicksals an. Kriterien sind dabei Kürze, wenig Handlung, Vollendung, Rundung und leichter, aber gediegener Stil.

Der deutschen Romantik verdankt die Theorie der Novelle entscheidende Anregungen. Friedrich Schlegel empfand die Novelle als besonders geeignet, eine subjektive Stimmung und Ansicht mit großer Tiefe und Eigentümlichkeit darzustellen. Er hat betont, daß die Novelle eine Anlage zur Ironie mit in die Welt bringt. Die Ironie in der Novelle ist der subjektive Vorbehalt, den der Erzähler sich aller Wirklichkeit des Erzählten gegenüber offenhält. Die Ironie kann sich aber auch umgekehrt gegen das Erzählen selbst richten, um das neue Fiktive solchen Erzählens durchscheinen zu lassen. Oft wechselt das von einem Pol zum anderen hinüber. Der doppelte Aspekt der Spannung zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven beschäftigt die Literaturforscher bis heute.

Die Novelle ist eine Art von poetischem Universalkunstwerk, das zugleich lyrisch, episch und dramatisch ist. Der Germanist Benno von Wiese hat die Unzulänglichkeit der literaturtheoretischen Novellendefinitionen angesichts des Reichtums an künstlerischen Gestaltungsformen betont. Er führt damit die Diskussion der Theoretiker zu einem vorläufigen Abschluß und weist auf die lebendige Vielfalt der Überlieferung hin. "Wer sich jedoch von den Theoretikern über die Novelle im Allgemeinen belehren lassen will, wird bald mit Befremden feststellen, daß die von den Kennern behaupteten Kriterien und Kennzeichen für eine Novelle zwar erstaunlicherweise ab und zu wirklich in der Dichtung selbst anzutreffen sind, aber im Ganzen dem Reichtum der geschichtlichen Überlieferung in keiner Weise gerecht werden können." (Wiese 1964:9)

Die Blütezeit der Novelle ist die Zeit der Romantik und des Realismus. Die Novelle entwickelt sich durch die Konzentration auf den Einzelfall. Die durchgehende Stiltendenz ist, die einzelne Begebenheit in ihrer besonderen Prägnanz herauszuheben und ihr über das Subjektive hinaus eine objektive Geltung zu verschaffen. Die Romantiker stellen die Novelle mit ihrem Wirklichkeitsgehalt der Phantasiewelt des Romans entgegen. Das Subjektive und das Artistische gehören auch zum novellistischen Erzählen. Wenn das Gesellschaftlich-Didaktische mit der Zeit zurücktritt, gewinnt das Wunderbare und das Märchenhafte an Bedeutung. Ludwig Tieck sagt, daß die Novelle das Wunderbare gestaltet, das unter anderen Umständen alltäglich sein könnte. Er betont dabei die Nähe der Novelle zum Drama; zugleich aber deutet er im Sinne einer romantischen Poetik die Vermischung der Gattungen Novelle, Erzählung, Drama und Komödie an. Was sie alle miteinander verbindet, ist die Phantasie. Es ist bekannt, wie eigenwillig und irreführend die Romantiker den Novellenbegriff als Bezeichnung für ihre Werke gebrauchen. Alle gattungsspezifischen Festschreibungen verlieren ihre Berechtigung und an ihrer Stelle wirken formsprengende Kräfte, wenn es gilt, die Welt im Poetischen aufzuheben. Novelle und Erzählung sind nicht immer streng gegeneinander abgrenzbar. Manche Geschichten, die die Dichter selbst "Novellen" nennen, sind oft bloße "Erzählungen" und so auch umgekehrt. Beide, Novelle und Erzählung, haben den begrenzten Spielraum gemeinsam. Aber die Erzählung kann dabei auf den artistischen Stil der Novelle verzichten. Spezifische Momente der Novelle können natürlich auch in Erzählungen der verschiedenste Art gelegentlich vorkommen, aber sie lassen sich dort mehr zufällig beobachten. Die Ironie und der Zufall treten in verschiedenen Nuancen, seltsamen Verbindungen und Wiederholungen so auf, daß sie die unerschöpflichen Spielmöglichkeiten der Novelle zeigen. Die Eigenart der Novellenform bei Eichendorff hat ihre besondere Bedeutung und ihren besonderen Grund. Erwogen werden folgende konkurierrende Formen: Märchen, Idylle, Roman, Arabeske, Reisebericht, Wachtraum, Parodie und sogar Satire.

Auch im Zeitalter des Realismus bleibt die Novelle die konzentrierende und verdichtende literarische Kunstform. Die Beliebtheit der Novelle in der Zeit des Realismus erklärt man dadurch, daß sie als Gattung besonders geeignet war, zwischen dem Subjekt des Dichters und dem Objekt der realen Begebenheit zu vermitteln. Die Auffassung von der Novelle als einer gesellschaftlichen Gattung war durch eine rein formalistische Auffassung verdrängt. Das kann man der Entwicklung der deutschen Novelle bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts entnehmen.

Es gehört zum Wesen einer Gattung, daß sie sich geschichtlich entwickelt und verwandelt. Solche Autoren wie Kleist, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff, Tieck, Brentano, Fouqué und Hauff gehören mit ihren Märchennovellen zu den produktivsten Autoren der kurzen Prosa. Wie ich oben schon erwähnt habe, waren Tieck und Eichendorff weit über die Zeit der Romantik hinaus literarisch tätig. Gerade an der Kurzprosa dieser beiden Autoren kann deutlich werden, daß die Novelle eine gesellige Unterhaltungsform war. Für diese Unterhaltungsform bestand auch später ein Bedürfnis. Im 19. Jahrhundert konnte man eine starke Zunahme kurzer Prosa beobachten. Ihren Höhepunkt erreichte die Novellendichtung erst im Zeitalter des bürgerlichen Realismus (Keller, Storm, Meyer, Raabe, Fontane).

1.3. Die späte Romantik

Das Ende des 18. Jahrhunderts war durch die Erfahrung der Französischen Revolution geprägt. Der Anfang des 19. Jahrhunderts wurde von der Restauration bestimmt. Die Hoffnungen der Menschen auf eine politische Einlösung der Postulate "Freiheit" und "Gleichheit" waren enttäuscht. Es erfolgte eine Entwicklung zurück zur Monarchie. Die Entfremdung war eine vorherrschende Reaktion auf die restaurative Entwicklung und die

erlebten Gegensätze. Die frühromantische Stimmung wich einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Ein Beispiel für diese neue Phase der romantischen Bewegung waren die Werken von E.T.A. Hoffmann. Die Schauerromantik zeigte ein Interesse für die "Nachtseiten" der menschlichen Existenz, für das Abgründige, Abseitige und Geheimnisvolle. Sie unterschied sich wesentlich von der Aufklärung, die ihre Aufgabe im Aufklären und im Lichtbringen in die Dunkelheit sah. "Die Anfänge der Schauerliteratur mit ihrem stereotypen Arsenal von Geisterspuk, unterschiedlichen Gewölben, geheimnisvollen Ruinen, Mord, Inzucht, Vergewaltigung, Folter, Doppelgängertum, Satanismus und schwarzen Messen reichen zwar bereits in die Aufklärungszeit zurück, das Geheimnisvolle und Wunderbare war dort jedoch stets in einen rationalen Rahmen eingebettet und hatte keinen autonomen Status wie in der sogenannten schwarzen Romantik." (Stephan 1989:195) Hoffmann ist einer der ersten, der sich für das Unheimliche, Angsterregende, für die sogenannten "Nachtseiten" interessierte. Er hat dabei erkannt, daß die Ansprüche der Gesellschaft an Unterordnung schwere psychologische Deformationen hervorrufen können. Persönlichkeitsspaltung, Doppelgängertum, Realitäts- und Identitätsverlust zeigten, daß der gesellschaftliche Integrationsprozeß nicht gelungen war. Adalbert von Chamisso war der Vertreter der romantischen Entfremdung. Seine Erzählung "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" (1814) war von großer Bedeutung. Peter Schlemihl, der Mann ohne Schatten, der zu einem Außenseiter wurde, wurde zum Sinnbild einer Epoche. Neben Hoffmann und Chamisso ist Joseph Freiherr von Eichendorff ein dritter Vertreter der Spätromantik. In seiner Lyrik geht es immer wieder um die verlorengegangene

Harmonie in stimmungsvollen und melancholischen Naturbildern. Wiederkehrende Bestandteile sind Seen, Berge, Wälder, Nachtigallengesang, geheimnisvolle Burgen und Mondscheinnächte. Das war nicht das Abbild einer realen Landschaft, sondern viel mehr ein Wunschbild und Ausdruck einer Stimmungs- und Seelenlandschaft. Die Werke von Eichendorff zeigen eine große Sensibilität für die Widersprüche der Epoche. Sie sind voll Melancholie wegen der

verlorengegangenen Einheit des Menschen.

1.4. Eichendorff und die romantische Schule

Über Eichendorff und über seine private Lebens- und Denkwelt ist sehr wenig bekannt. Es gibt viele Dokumente aus seiner Kindheit, aber von den späteren Perioden seines Lebens gibt es fast keine Dokumente. Von 1816 bis 1855 bevorzugte Eichendorff ein Inkognitoleben. Es existierte eine Zurückhaltung sogar in den Briefen an den geliebten Bruder. "Er versteckt sein Herz unter korrekter, stets liebenswürdiger Sachlichkeit, unter nobler, trockener Frömmigkeit - es sei denn, daß er es für einen kurzen Augenblick aufdeckt: im Brief an einen Freund, an Angehörige." (Stöcklein 1983:136-137) Es ist bekannt, daß er regelmäßig seine private Korrespondenz vernichtete. Auch die erhalten gebliebene Tagebücher sind eher mit lakonischem Inhalt versehen und verzeichnen selten mehr als äußere Begegnungen.

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wurde auf dem Schloß Lubowitz bei Ratibor in Oberschlesien am 10. März 1788 geboren. Seine Herkunft, Erziehung und Gesinnung sind von großer Bedeutung für seine Werke. Es ist die Denk- und Erfahrungswelt des schlesischen Landadels, die Eichendorffs Kindheit prägte. Es war eine geschlossene Lebenswelt "mit vermeintlich ererbter Sicherheit der Daseinsform, die eine Stück Barockkultur unversehrt bis in die Zeit um 1800 bewahrt." ( Leiser/Thunich 1990:11) Seine Kindheit verbrachte er in Lubowitz, wo sich sein Familiengut befand. Lubowitz befand sich in einer Dreisprachenecke. Dort gab es ein grellbuntes Gemisch: Slawisch, Österreichisch, Deutsch. Gesprochen wurden Deutsch, Polnisch und Böhmisch. Eichendorff, wie die meisten Menschen dieses Gebietes, konnte sowohl Deutsch wie Polnisch sprechen. Das zeigte die kulturelle Fruchtbarkeit der Umwelt, die man später in allen Werken Eichendorffs finden kann. Er, sein Bruder Wilhelm und

seine Schwester Luise sind "in großer Freiheit aufgewachsen und wurden nicht ängstlich vom Volk ferngehalten." (Stöcklein 1983:13) Diese Kinder wohnten in einer phantasievollen Welt der Glaubenswärme, Innigkeit, Volksfrömmigkeit, Märchen und Sagen, die zu verschiedenen Kulturen gehörten. Das Wandern war hier etwas Typisches. Niemand wunderte sich über die vielen wandernden Musikanten und über das Interesse von fast allen Menschen für Musik. Musik wurde fast in jedem Haus gespielt. Feste wurden oft gefeiert. "Es ist eine Gesellschaft, die sich viel mit phantasievollen Streichen, auch auf Kosten anderer, beschäftigt, die von Schloß zu Schloß zieht, im Festfeiern, Erzählen und Musizieren ist sie unersättlich, auf künstlerischem Feld oft zu Parodien gestimmt." (Stöcklein 1983:15) Eichendorff konnte schon als Fünf- oder Sechsjähriger schreiben. Der erste von ihm geschriebene und bis jetzt erhaltene Brief stammt von einer Reise nach Prag im Jahre 1794. Seit 1800 führte er regelmäßig Tagebücher, die mit manchen Lücken bis 1812 erhalten sind. 1801 trat er zusammen mit seinem Bruder Wilhelm in das K. Katholisches Gymnasium zu Breslau ein. Er ging oft ins Theater, und so entwickelte sich seine Liebe zu Mozart. Mit 16 Jahren schrieb er schon Gedichte. In seinen Tagebüchern dieser Zeit verwandte er eine protokollarische Genauigkeit und einen Kanzleistil als humoristische Effekte. Er verehrte auch Goethe. Er kannte "Götz von Berlichingen" und " Egmont". Diese Theaterstücke hat er zusammen mit seinem Bruder in Lauchstadt gesehen. In der Oper von Breslau kam er zum ersten Mal mit Opern von Mozart und Salieri in Berührung. Im Frühjahr 1805 wurde er Student in Halle. Er studierte dort Jura. In Halle erreichten ihn die ersten Klänge der Romantik. Er machte sich hier mit den Werken von Tieck und Novalis vertraut. 1807 wechselte er zur Universität in Heidelberg. In dieser Zeit lernte er den jungen romantischen Dichter Graf Loeben kennen. Joseph von Eichendorff war in der zweiten Hälfte seines Heidelberg - Aufenthaltes ein dankbarer Bewundernder, Freund und Anhänger des schon fast berühmten Grafen. Dieser Freundschaftsbund dauerte bis 1816 und war von großer Bedeutung für Eichendorff, obwohl er später selbst die geringe Qualität fast aller Werke Loebens

eingesehen hat. Eichendorff wehrte sich gegen die romantischen Überspanntheiten. "Ihnen stellt er, bei aller angestrebten poetischen Verklärung, sein Ideal einer stärkeren Bindung an das 'eigentliche Leben' entgegen." (Leiser/Thunich 1990:13) Achim von Arnim und Clemens Brentano waren auch in Heidelberg. Achim von Arnim schrieb das Nachwort zum 1. Band des Buches "Des Knaben Wunderhorn" (1806), ein Grunddokument der Heidelberger Romantik, das Eichendorff mit den Volksbüchern, Volksliedern und Märchen bekanntmachte. In der Zeit seines Studiums in Heidelberg (1808) hat Eichendorff auch Volkslieder und Märchen aus seiner Heimat Oberschlesien gesammelt. Er schrieb sie aber nicht in Dialekt, sondern verarbeitete sie. Durch die Beschäftigung mit den slawischen Märchen entstand die Gestalt von dem Märchen- Hans, dem Glückspilz und dem Taugenichts, den Eichendorff aus der Märchenwelt in seine Taugenichtsnovelle hinein gestaltet hat. Die Auswirkung der Heidelberger Romantik auf sein Schaffen war groß. Durch die Bekanntschaft mit den Werken von Novalis und Goethe verstand er, "was Symbolik sei, wie man die leise Sprache von Stein, Blume, Wolke nun auch bewußter lesen könne." (Stöcklein 1983:67) In dieser Zeit wuchsen bei Eichendorff Deutlichkeit und Kontur, sowohl im künstlerischen Schaffen wie in der persönlich-gesellschaftlichen Haltung. Seit 1810 hielt er sich in Wien auf, wo er sich auf ein Referendarexamen vorbereitete. Hier hat er die Familie Schlegel kennengelernt und schloß eine enge Freundschaft mit Philipp Veit, dem Sohn von Dorothea Schlegel. In Wien schrieb er den Roman "Ahnung und Gegenwart", dessen erste Fassung Dorothea Schlegel im Jahre 1812 durchkorrigiert und mit vielen Randbemerkungen versehen hat. 1813 nahm Eichendorff an den Befreiungskriegen teil. Von 1812 bis 1816 ist er mit manchen Unterbrechungen Soldat gewesen. Aus dieser Zeit gibt es leider fast keine erhaltenen Dokumente mehr. Immer wieder scheiterten seine Versuche, eine Dozentur oder eine juristische Laufbahn anzufangen. Er arbeitete in seinem Leben als Referendar in Breslau, als Regierungsrat in Danzig und als Regierungsrat im "Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten" in Berlin. In dieser Zeit schuf er solche

Werke wie: "Krieg der Philister" (1824), "Aus dem Leben eines Taugenichts"(1826), "Dichter und ihre Gesellen "(1834), "Das Schloß Dürande" (1837). Im Jahre 1845 trat er in den Ruhestand. Er hielt sich dann lange Zeit in seiner geliebten Stadt Wien auf, wo er Robert und Clara Schumann, Grillparzer und Stifter begegnete. Er schloß Bekanntschaft mit dem Vertrauten Metternichs und Mitbegründer der "Historisch-Politischen Blätter" Karl Ernst Jarcke. Er begann eine mehrjährige Mitarbeit an den "Historisch-Politischen Blättern". 1847 schrieb er "Die geistliche Poesie in Deutschland", 1851 - "Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum". Eichendorff war ein tief religiöser Katholik. Diese Weltsicht, die fest im katholischen Glauben und in kirchlicher Frömmigkeit verwurzelt waren, und die Skepsis gegenüber den Verdiensten der Aufklärung motivierten die späte Abgrenzung Eichendorffs von der Romantikern, die ihren Werken ausschließlich ästhetische Maxime zugrunde gelegt haben. Im Buch "Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands", das in seinem Todesjahr (1857) erschien, schrieb er: "In der zweideutigen Richtung, die Tieck mit seiner Ironie angegeben, lag schon der heimliche Abfall. Denn was die Romantik unternommen, konnte... nur aus dem innersten Marke der Gesinnung, aus der tiefsten Wurzel des religiösen Lebens heraufgebaut werden; ihre Aufgabe war halb eine ethische, die romantischen Poeten nahmen sie bloß ästhetisch. Indem sie mit jener ironischen Vornehmheit sich über den Inhalt hinausstellten, ging ihnen dieser allmählich und unvermerkt in der bloßen Form auf ... [ Die Romantiker ] wollten allerdings das Positive, aber nicht aus orthodoxem Eifer, sondern um das Geheimnisvollen und Wunderbaren, um des schönen Heiligenscheins willen, der das Positive umgibt; sie statt der heidnischen Mythologie, eine christliche Mythologie; mit einem Wort: sie verfochten einen Glauben, den sie im Grunde selber nicht hatten ... Die Zeit hatte allgemach den Romantikern hinter die Karte geguckt und insgeheim Ekel und Langeweile vor dem hohlen Spiele überkommen." (Eichendorff, Sämtliche Werke. Historisch Kritische Ausgabe, Bd.IX zitiert nach Leiser/Thunich 1990:14-15) Meiner Meinung nach, ist das eine Erklärung, warum Eichendorff

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Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Joseph Freiherr von Eichendorff als Vertreter der deutschen Spätromantik
Untertitel
Seinen Novellen "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Das Schloß Dürande"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Philosophische Fakultät II / Fachbereich Germanistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
1995
Seiten
99
Katalognummer
V229576
ISBN (eBook)
9783656454458
ISBN (Buch)
9783656477174
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Romantik, Aus dem Leben eines Taugenichts, Das Schloß Dürande, die romantische Schule, Französischen Revolution, Gabriele, Aurelie, Eichendorff, Spätromantik, Kloster, Symbol, Motiv
Arbeit zitieren
Dr. Mariana Parvanova (Autor:in), 1995, Joseph Freiherr von Eichendorff als Vertreter der deutschen Spätromantik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229576

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